Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Haftungsausschließendes Mitverschulden eines U-Bahn-Fahrgastes

Aktenzeichen  8 S 5719/17

Datum:
21.11.2017
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 144922
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 513 Abs. 1, § 522 Abs. 2, § 529 Abs. 1 Nr. 1
BGB § 254, § 823

 

Leitsatz

1 Es ist nicht Aufgabe eines U-Bahn-Fahrers, vor jeder Abfahrt und dem Schließen der Türen abzuwarten, ob noch weitere Fahrgäste in letzter Sekunde zusteigen. Kommt ein Fahrgast zu Schaden, weil er sich durch sich bereits schließende Türen noch “hineinquetscht”, trifft ihn ein haftungsausschließendes Mitverschulden. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2 Setzt der Betreiber einer U-Bahn bereits eine deutlich erkennbare optische Warnung durch rote Lichtzeichen beim Schließen der Türen ein, bedarf es darüber hinaus keiner weiteren Sicherungsmaßnahmen wie etwa Lichtschranken oder akustische Warnsignale. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

239 C 7131/16 2017-08-22 Urt AGNUERNBERG AG Nürnberg

Tenor

1. Die Kammer beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 22.08.2017, Az. 239 C 7131/16, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

I.
Die Berufungsbegründung enthält weder neue berücksichtigungsfähige Tatsachen (§ 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) noch konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der in 1. Instanz festgestellten entscheidungserheblichen Tatsachen begründen könnten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Es ist daher von dem dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt auszugehen. Dieser rechtfertigt weder eine andere Entscheidung noch ist eine Rechtsverletzung vorgetragen, auf der die erstinstanzliche Entscheidung beruhen würde.
Gemäß § 513 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 529 Abs. 1 ZPO sind die Tatsachenbewertungen der 1. Instanz einer Überprüfung durch das Berufungsgericht nur in eingeschränktem Maße zugänglich. Für die Berufungskammer müssten sich durch konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachen ergeben. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Die nach umfassender Beweisaufnahme und beanstandungsfreier Beweiswürdigung getroffene erstinstanzliche Entscheidung hält einer Überprüfung durch die Berufungskammer in jeder Hinsicht stand.
II.
Das Amtsgericht Nürnberg ist beanstandungsfrei davon ausgegangen, dass dem Kläger gegen die Beklagte kein Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld zusteht, da der Unfall durch den Kläger allein verschuldet wurde.
1. Soweit die Berufung darauf abstellt, der U-Bahn-Fahrer der Beklagten habe den Schließvorgang betätigt, als dieser bereits erkennen konnte, dass der Kläger auf dem Weg zum Einstieg war, ist dies der falsche Ansatzpunkt. Wie vom Amtsgericht zutreffend ausgeführt, wäre ein ordungsgemäßer Betrieb im öffentlichen Personennahverkehr nämlich nicht möglich, würde man der Beklagten auferlegen vor jeder Abfahrt und dem Schließen der Türen abzuwarten, ob noch weitere Fahrgäste in letzter Sekunde zusteigen. Vielmehr haben Fahrgäste regelmäßig darauf zu achten, ob sich Türen bereits im Schließvorgang befinden, bevor sie zusteigen. Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr, da der Videoaufzeichnung in Anlage B1, das vom Amtsgericht verwertetet wurde und auch von der Berufungskammer in Augenschein genommen wurde, eindeutig zu entnehmen ist, dass der U-Bahnführer den Fahrgästen eine angemessene Zeit zum Aus- und Einsteigen gewährt hat und der Strom der Einsteigenden zunächst auch abgerissen war, bevor der Schließvorgang in Gang gesetzt wurde. Erst in diesem Moment begann aber der Kläger zum Einsteigen anzusetzen. Dadurch dass der Kläger erst nach Erkennbarkeit der Warnsignale die Sicherheitslinie überschritten hat und in die U-Bahn eingestiegen ist, hat er den Unfall, wie vom Amtsgericht zutreffend erkannt, in einem solchen Maße selbst verschuldet, dass jegliche Betriebsgefahr der Beklagten vollkommen zurücktritt.
2. Auch soweit die Berufung vorbringt, die Beklagte müsse ihre Türen mit weiteren Sicherungseinrichtungen, insbesondere einer Lichtschranke versehen, war ihr der Erfolg zu versagen. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist nicht erreichbar. Erforderlich sind lediglich Maßnahmen, die ein umsichtiger, verständiger und gewissenhafter, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Angehöriger des betreffenden Verkehrskreises für notwendig und ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren. Der Dritte ist aber nur vor den Gefahren zu schützen, die er selbst, ausgehend von der sich ihm konkret darbietenden Situation bei Anwendung der von ihm in dieser Situation zu erwartenden Sorgfalt erfahrungsgemäß nicht oder nicht rechtzeitig erkennen und vermeiden kann, nicht auch vor Gefahren, die jedem vor Augen stehen und vor denen er sich ohne weiteres selbst schützen kann (siehe Palandt/Sprau, § 823 BGB, Rn. 51). Auf dem in Anlage B1 vorgelegten Video sind optische Warnsignale eindeutig erkennbar. Ebenfalls ist erstinstanzlich ein akustisches Warnsignal unstreitig verblieben. Letztlich kann dies aber sogar dahin stehen, da – selbst wenn eine akustische Warnung in diesem Fall nicht erfolgt wäre – angesichts der deutlich erkennbaren optischen Warnungen durch rote Lichtzeichen und einer sich offensichtlich schließenden Tür eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nicht gegeben ist. In Anbetracht dieser Tatsachen bestehen für die Berufungskammer keinerlei Zweifel, dass sich der Kläger vor der offensichtlichen Gefahr, die durch ein „Hineinquetschen“ in eine sich schließende Tür entsteht, selbst hätte schützen können, indem er zurück geblieben wäre. Auch angesichts der vorgetragenen Gehbeschwerden hätte es sich dem Kläger noch umso mehr aufdrängen müssen, dass ein gefahrloses Einsteigen aufgrund der sich schließenden Türen nicht mehr rechtzeitig möglich war.
3. Auch soweit die Berufung eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör rügt und anführt, die Ehefrau des Klägers hätte als Zeugin zum Unfallhergang vernommen werden müssen, ist nicht erkennbar, dass das Urteil rechtsfehlerhaft hierauf beruht. Das in Anlage B1 vorgelegte Video dokumentiert den Unfallhergang und die optischen Warnsignale eindeutig, einer Einvernahme der Ehefrau als Zeugin wäre in Anbetracht dessen keinerlei Erkenntnisgewinn zu gekommen. Auch soweit vorgebracht wird, es hätte ein Sachverständigengutachten zu der Behauptung, der Schließmechanismus der Türen sei fehlerhaft eingestellt und hätte ein Einklemmen des Klägers überhaupt erst ermöglicht, erholt werden müssen, kann dies der Berufung nicht zum Erfolg verhelfen. Selbst wenn dies der Fall wäre, tritt, aufgrund des oben bereits ausgeführten erheblichen Eigenverschuldens des Klägers, eine etwaige Mitverursachung durch die Beklagte wegen der klägerseits geschaffenen überflüssigen Gefahrenlage (vgl. MüKoBGB/Oetker, § 254 BGB, Rn. 51) vollkommen zurück.
III.
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG). Es ist beabsichtigt den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 1.535 € festzusetzen.


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