Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Kein Anspruch auf Feststellung einer genauen Quadratmeterzahl bei Anspruch auf eine Sozialwohnung

Aktenzeichen  M 12 E 17.2272

Datum:
4.7.2017
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayWoBindG BayWoBindG Art. 5
BayWoFG BayWoFG Art. 14 Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

1 Solange die Behörde den Wohnungssuchenden nicht für eine unangemessen kleine oder unangemessen große Wohnung vormerkt, liegt es in ihrem Ermessen, welchen Wohnungstyp bzw. welche Wohnungsgröße sie im Rahmen der Vormerkung festsetzt. Dieses Ermessen kann sie durch Dienstanweisungen allgemein ausüben. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Behörde bewegt sich innerhalb der durch den Begriff der Angemessenheit vorgegebenen Bandbreite, wenn sie vor dem Hintergrund der schwierigen Situation auf dem Münchner Wohnungsmarkt Zwei-Personen-Haushalte mit Mehrraumbedarf mit nur zwei Wohnräumen mit einer Wohnfläche ab 10 qm und einem Wohnraum mit einer Wohnfläche unter 10 qm vormerkt. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die am … geborene Antragstellerin wohnt derzeit zusammen mit ihrer minderjährigen Tochter in einer 2-Zimmer-Wohnung (Gesamtwohnfläche 58,20 qm) im …-Weg * in München. Die Tochter ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 70. Die Antragstellerin bezieht SGB II-Leistungen.
Aufgrund ihres Antrags vom … September 2016 wurde die Antragstellerin mit Bescheid vom 19. April 2017 für eine Sozialwohnung vorgemerkt. Als angemessene Wohnungsgröße wurden zwei Wohnräume mit einer Fläche ab 10 qm und ein Wohnraum mit einer Fläche unter 10 qm festgesetzt (Nr. 2). Die Dringlichkeit wurde mit 132 Punkten (88 Grundpunkten aus gesundheitlichen Gründen, 9 Vorrangpunkten und 35 Anwesenheitspunkten) in Rangstufe I festgesetzt (Nr. 4).
Am … Mai 2016 hat die Antragstellerin zur Niederschrift des Gerichts Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt, die Antragsgegnerin unter Aufhebung von Nr. 2 und Nr. 4 des Bescheids vom 19. April 2017 zu verpflichten, die der Antragstellerin und ihrer behinderten Tochter konkret zustehende Quadratmetergröße und konkrete Zimmeranzahl festzustellen bzw. mitzuteilen und eine höhere Dringlichkeit als in dem Bescheid vom 19. April 2017 festzusetzen.
Gleichzeitig hat sie einen Eilantrag gestellt.
Zur Begründung brachte die Antragstellerin im Wesentlichen vor, dass durch das ärztliche Attest ihrer Tochter die akute Dringlichkeit belegt sei. Das Attest belege, dass es sich um eine akute Notlage handele. Es gehe einzig und allein um die Gesundheit ihrer Tochter. In der jetzigen Wohnung sei die Gesundheit ihrer Tochter in Gefahr. Dem Antrag wurde ein ärztliches Gutachten der Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde Dr. … O* … vom … Januar 2015 beigelegt. Laut diesem werde in Zusammenschau aller Befunde ein Wohnungswechsel in eine Wohnung mit einem zusätzlichen Raum für die Tochter der Antragstellerin, der möglichst ruhig und reizarm sein sollte, befürwortet. Der Mehrraumbedarf und damit der Wohnungswechsel seien aus gesundheitlichen Gründen sinnvoll und notwendig, ansonsten müsse mit einer gesundheitlichen Gefährdung gerechnet werden.
Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 13. Juni 2017 beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass sowohl die Dringlichkeitsbewertung als auch die Festsetzung der angemessenen Wohnungsgröße im Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. April 2017 nicht zu beanstanden sei. Die Zuerkennung von 88 Grundpunkten sei die höchstmögliche Grundpunktezahl aus gesundheitlichen Gründen. Mit der festgesetzten Wohnungsgröße von zwei Wohnräumen mit einer Fläche ab 10 qm und einem Wohnraum mit einer Fläche unter 10 qm sei der Raumbedarf des Haushalts mehr als ausreichend gewürdigt. Eine Festsetzung der Wohnungsgröße mit einer bestimmten Quadratmeterzahl sei weder vorgesehen noch zwingend. Die Antragstellerin habe keinen Anspruch auf unmittelbare Zuteilung einer Sozialwohnung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO- kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig, erscheint. Voraussetzung ist, dass die Antragsteller das von ihr behauptete strittige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr ihrer Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO hat keinen Erfolg. Soweit die Antragstellerin begehrt, dass eine konkrete Zimmeranzahl festgesetzt wird, ist der Antrag mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Die Antragsgegnerin hat mit Bescheid vom 19. April 2017 eine konkrete Zimmeranzahl mit insgesamt 2 ½ Wohnräumen festgesetzt. Im Übrigen würde mit der begehrten Anordnung die Hauptsache vorweggenommen werden. Darüber hinaus besteht nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage kein Anordnungsanspruch auf Unterbreitung von Wohnungsvorschlägen bzw. auf Zuweisung einer geförderten Wohnung, Festsetzung einer höheren Dringlichkeit sowie einer konkret zustehenden Quadratmetergröße.
Die Landeshauptstadt München gehört zu den Gebieten mit erhöhtem Wohnungsbedarf gemäß Art. 5 Bayer. Wohnungsbindungsgesetz (BayWoBindG). Die Antragsgegnerin hat als zuständige Stelle in Bezug auf Sozialwohnungen nach Art. 5 Satz 2 BayWoBindG gegenüber den Verfügungsberechtigten ein Benennungsrecht. Das Benennungsrecht ermächtigt die zuständige Behörde aus Gründen der Praktikabilität auch, vor der eigentlichen Benennung eine rechtlich verbindliche Vorentscheidung über die Voraussetzungen der Wohnberechtigung und über den Grad der sozialen Dringlichkeit zu treffen. Diese Vorentscheidung erfolgt durch Aufnahme in eine nach Dringlichkeitsstufen und Punkten differenzierende Vormerkkartei, wobei es sich um einen im Ermessen der Behörde stehenden Verwaltungsakt handelt (BayVGH v. 23.9.1987, DWW 1988, 55). Ein solcher Vormerkbescheid ist hier mit Datum vom 19. April 2017 ergangen.
Als Folge dieser Dringlichkeitseinstufung ist die Antragsgegnerin verpflichtet, Wohnungsangebote in der damit erstellten Reihenfolge der Dringlichkeit zu erteilen. Die Benennung hängt von der Zahl der tatsächlich freiwerdenden Wohnungen ab, die dem festgestellten Wohnbedarf entsprechen, von der Anzahl vorgemerkter Bewerber mit entsprechendem Wohnbedarf sowie der Dringlichkeit und Dauer der Bewerbung. Ein Anordnungsanspruch wäre nur dann glaubhaft gemacht, wenn tatsächlich eine bedarfsgerechte Wohnung frei wäre und keine anderen Bewerber der Antragstellerin vorgingen. Hierfür fehlt jeder tatsächliche Anhaltspunkt. Im Datensatz, der sich bei den Akten befindet, findet sich kein Sperrvermerk, sondern als Hinweis zum Sachstand: „Bereit für Vergabe“.
Die Antragstellerin hat nach summarischer Prüfung keinen Anspruch auf Festsetzung einer höheren Dringlichkeit. Die Bewertung des von der Antragstellerin vorgetragenen Lebenssachverhaltes mit 88 Grundpunkten ist nach vorläufiger Prüfung rechtlich nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin mit der höchsten Grundpunktzahl aus gesundheitlichen Gründen vorgemerkt. Auch die Vergabe der 9 Vorrangpunkte und 35 Anwesenheitspunkte begegnen keinen rechtlichen Bedenken.
Die Antragstellerin hat nach summarischer Prüfung keinen Anspruch auf Festsetzung einer konkret zustehenden Quadratmetergröße.
Die Antragsgegnerin hat ermessensfehlerfrei zwei Wohnräume mit einer Wohnfläche ab 10 qm und einen Wohnraum mit einer Wohnfläche unter 10 qm als angemessene Wohnungsgröße festgesetzt. Nach Art. 14 Abs. 3 Satz 2 des Gesetzes über die Wohnraumförderung in Bayern (Bayerisches Wohnraumförderungsgesetz – BayWoFG) in der Fassung vom 10. April 2007 wird ein Wohnberechtigungsschein erteilt, wenn die Größe des Wohnraums angemessen ist. Eine Definition der angemessenen Wohnraumgröße findet sich aber weder im Bayerischen Wohnraumförderungsgesetz noch im Gesetz zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen in Bayern (Bayerischen Wohnungsbindungsgesetz – BayWoBindG) oder in der Verordnung zur Durchführung des Wohnungsrechts und des Besonderen Städtebaurechts (DVWoR). Eine „punktgenaue“ Auslegung dergestalt, dass für einen konkreten Wohnungssuchenden nur eine Wohnung mit einer ganz bestimmten Quadratmeterzahl und/oder Zimmeranzahl angemessen wäre, scheidet naturgemäß aus. Die für den jeweiligen Wohnungssuchenden (und seine Haushaltsangehörigen) „angemessene“ Wohnungsgröße bewegt sich vielmehr innerhalb einer gewissen Bandbreite. Solange die Behörde diese Bandbreite nicht unter- oder überschreitet, also den Wohnungssuchenden nicht für eine unangemessen kleine oder unangemessen große Wohnung vormerkt, liegt es im Ermessen der Behörde, welchen Wohnungstyp bzw. welche Wohnungsgröße sie im Rahmen der Vormerkung festsetzt. Die Antragsgegnerin hat das ihr diesbezüglich zustehende Ermessen durch verschiedene Dienstanweisungen allgemein ausgeübt. Hinsichtlich der angemessenen Wohnraumgröße ist die Dienstanweisung Mehrraumbedarf (DA Mehrraum) vom 11. Oktober 2001 zu berücksichtigen.
Nach den Vorgaben der DA Mehrraum ist die Wohnungsgröße in der Regel angemessen, wenn auf jedes Haushaltsmitglied ein Wohnraum ausreichender Größe entfällt. Zusätzlicher Wohnraum kann insbesondere aus gesundheitlichen und beruflichen Gründen oder z.B. für junge Familien gewährt werden. Die Behörde bewegt sich innerhalb der durch den Begriff der Angemessenheit vorgegebenen Bandbreite, wenn sie vor dem Hintergrund der schwierigen Situation auf dem Münchner Wohnungsmarkt Zwei-Personen-Haushalte mit Mehrraumbedarf mit nur zwei Wohnräumen mit einer Wohnfläche ab 10 qm und einem Wohnraum mit einer Wohnfläche unter 10 qm vormerkt. Die Antragsgegnerin verstößt mit dieser restriktiven Praxis auch nicht gegen die sie bindenden Regelungen in Nr. 5.7 Satz 2 der vom Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr erlassenen Verwaltungsvorschrift zum Vollzug des Wohnungsbindungsrechts (VVWoBindR) vom 27. Februar 2013, wonach für zwei Haushaltsangehörige bis zu 65 qm Wohnfläche oder bis zu drei Wohnräume angemessen sind. Diese Regelung bezieht sich direkt nur auf die Ausstellung des Wohnberechtigungsscheins nach Art. 4 BayWoBindG (vgl. die Überschrift von Nr. 5 VVWoBindR), der in Gebieten mit erhöhtem Wohnungsbedarf nicht zwingend erforderlich ist (vgl. § 3 Abs. 2 Halbsatz 2 DVWoR), in den Gebieten ohne erhöhten Wohnungsbedarf für den Verfügungsberechtigten jedoch den Nachweis darstellt, dass die freigewordene Wohnung dem Wohnungssuchenden überlassen werden darf, wenn die im Wohnberechtigungsschein angegebene Wohnungsgröße „nicht überschritten“ wird (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 BayWoBindG). Die in Nr. 5.7 VVWoBindR angegebenen Werte sind daher nur Obergrenzen. Das geht auch aus dem Wortlaut deutlich hervor. Dies korrespondiert auch mit den Wohnraumförderungsbestimmungen 2012 (WFB 2012) der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern vom 22. Januar 2012, Az. IIC1-4700-001/11 (AllMBl S. 592). Nach Nr. 22.2 WFB 2012 ist eine 3-Zimmer-Wohnung mit höchstens 65 qm für zwei Personen angemessen.
Nach Nr. 1 der DA Mehrraum ist zusätzlicher Wohnraum aus gesundheitlichen Gründen angemessen, wenn der Antragsteller oder ein Haushaltsangehöriger wegen einer dauerhaften, schweren Behinderung oder Erkrankung mit einer gesundheitlichen Gefährdung rechnen muss, falls er keinen zusätzlichen Raum erhält.
Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben ist die Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin im Fall der Antragstellerin zwei Wohnräume mit einer Wohnfläche ab 10 qm und einen Wohnraum mit einer Wohnfläche unter 10 qm festzusetzen, rechtlich nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat den Mehrraumbedarf aus gesundheitlichen Gründen des Haushalts der Antragstellerin mit einem Wohnraum unter 10 qm Wohnfläche berücksichtigt. Ein über eine 2 ½ – Zimmer-Wohnung hinausgehender Mehrraumbedarf ist nicht ersichtlich. Er ergibt sich insbesondere nicht aus den vorgelegten Attesten. In dem ärztlichen Gutachten von Dr. … O* … vom … Januar 2015 wird ein zusätzlicher Raum für die Tochter der Antragstellerin befürwortet. Auch die Atteste vom … April 2014 und *. August 2014 treffen diesbezüglich keine weitergehenden Aussagen.
Soweit der Antrag dahingehend ausgelegt werden könnte, dass die Antragstellerin die Zurverfügungstellung bzw. Zuweisung einer Sozialwohnung begehrt, ist er zulässig, aber unbegründet. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf unmittelbare Zuteilung einer Sozialwohnung. Gemäß Art. 5 Satz 2 BayWoBindG hat die zuständige Stelle den Verfügungsberechtigten mindestens fünf wohnberechtigte Wohnungssuchende zur Auswahl zu benennen. Die Entscheidung über den Abschluss eines Mietvertrages mit den Wohnungssuchenden bleibt jedoch den Verfügungsberechtigten vorbehalten. Eine hoheitliche Zuweisung einer Sozialwohnung durch die Antragsgegnerin ist nicht möglich (BayVGH v. 21.8.1990 – 7 CE 90.1139).
Der Antrag war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 188 Satz 2 VwGO).

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