Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Kein Unterlassungsanspruch eines Mitmieters wegen Kinderlärm

Aktenzeichen  283 C 1132/17

Datum:
23.5.2017
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 159929
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 535, § 858, § 862, § 1004

 

Leitsatz

1. Zwar kann ein Mieter von einem Mieter desselben Mehrfamilienhauses unter dem Gesichtspunkt der Besitzstörung gegebenenfalls die Unterlassung nicht hinzunehmender Geräuschbeeinträchtigungen verlangen, jedoch entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass in Räumen, die unterhalb einer anderen Wohnung liegen, mit dem Auftreten von Geräuschen aus der darüber liegenden Wohnung zu rechnen ist. Das gilt erst recht, wenn es sich wie im Streitfall um einen Altbau aus dem Jahr 1962 handelt, indem ein moderner Standard der Geräuschdämmung nicht erwarten werden kann. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Kinderlärm ist als Ausdruck selbstverständlicher kindlicher Entfaltung grundsätzlich als sozialadäquat, zumutbar und zu akzeptierendes typisches Verhalten anzusehen. Dem natürlichen Spiel- und Bewegungsdrang eines Kindes kommt grundsätzlich ein höherer Rang zu, als den Interessen eines Mitmieters auf ein geräuschfreies Miteinander. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
4. Der Streitwert wird auf 4.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Zwar kann ein Mieter von einem Mieter desselben Mehrfamilienhauses unter dem Gesichtspunkt der Besitzstörung gegebenenfalls die Unterlassung nicht hinzunehmender Geräuschbeeinträchtigungen verlangen, vgl. OLG München, WuM 1992, 238. Im Streitfall sind solche Beeinträchtigungen jedoch zu verneinen. Es kann dabei unterstellt werden, dass die vom Beklagten behaupteten Ruhestörungen insbesondere durch „Rumgetrampel“, „Rumgepolter“, „Gehämmer“, „Schlagen auf der Heizung“ zu den vom Beklagten behaupteten Zeitpunkten stattgefunden haben. Das die aus der Wohnung der Beklagten tretende Geräuschentwicklung ein nicht mehr hinnehmbares sozialadäquates Maß überschritten hätte, ist nicht ersichtlich. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass in Räumen, die unterhalb einer anderen Wohnung liegen, mit dem Auftreten von Geräuschen aus der darüber liegenden Wohnung zu rechnen ist. Das gilt erst recht, wenn es sich wie im Streitfall um einen Altbau aus dem Jahr 1962 handelt, indem ein moderner Standard der Geräuschdämmung nicht erwarten werden kann, vgl. OLG Dresden, NZM 2009, 703. Die Beklagten müssen im Rahmen der vertragsgemäßen Nutzung der Wohnung nicht in besonderem Maße auf Geräuschvermeidung achten. Beeinträchtigungen, die mit der Nutzung der Wohnung auch durch die 14 und 16 Jahre alten Kinder natürlicherweise verbunden sind, müssen vom Beklagten als Mieter der darunterliegenden Wohnung hingenommen werden, vgl. AG Frankfurt, WuM 2005, 764. Kinderlärm ist als Ausdruck selbstverständlicher kindlicher Entfaltung grundsätzlich als sozialadäquat, zumutbar und zu akzeptierendes typisches Verhalten anzusehen. Dem natürlichen Spiel- und Bewegungsdrang eines Kindes kommt grundsätzlich ein höherer Rang zu, als den Interessen eines Mitmieters auf ein geräuschfreies Miteinander, vgl. LG Berlin, NJW-RR 2017, 17. Solche Beeinträchtigungen beginnen mit üblichem Babygeschrei, Kinderwagentransport und -abstellen im Treppenhaus, ersten Kinderunarten, gehen in unbeabsichtigte Störungen aller Art (z.B. vorübergehendes argloses überlautes Abspielen von Tonbandgeräten oder Spielen auf laut verstärkten Gitarren) über und enden bei bewussteren kleineren Störungen. Selbst häufige und über das übliche Maß hinausgehende Lauf- und Spielgeräusche müssen grundsätzlich als sozialadäquat hingenommen werden, vgl. AG Braunschweig m.w.N., WuM 2002, 50. Das alles ist sowohl vom Vermieter als auch von der Gemeinschaft der Mieter zu tolerieren, soweit es nicht die Grenzen des in dem jeweiligen Lebensalter üblichen überschreitet, d.h. wenn die durch die Kinder verursachten Störungen bei vernünftiger Betrachtungsweise sich nicht als Folge typischen altersbedingten und sozialadäquaten Verhaltens darstellen. Auch bei einem 14-jährigen Kind kann Rennen, Trampeln, Springen und Schreien, schlichter Ausdruck, kindlicher Lebensfreude seien. Ferner ist davon auszugehen, dass 14 oder 16-jährige Kinder sich von Erwachsenen häufig nichts mehr sagen lassen vgl. Kossmann/Meyer-Abich, Handbuch der Wohnraummiete, 7. Auflage 2014 § 58 Rd.Nr. 3 m.w.N.. Auszugehen ist dabei von der Wohnung als familiengeschütztem Raum und dem Umstand, dass Kinder meist in jedem Lebensalter gewisse Störungen hervorrufen. Dabei kommt es auch auf die übrigen Verhältnisse im Haus und das Lebensalter der Kinder und Jugendlichen sowie die Verhältnisse der Eltern an. Zwar müssen die Eltern als Mieter ihnen alles zumutbare unternehmen, Störungen von anderen Mietern fernzuhalten. Jedoch sind die beklagten Eltern nicht ohne weiteres verantwortlich, wenn sich die 14-16-jährigen Kinder von ihnen nichts mehr sagen lassen. Im Zweifel ist für das Kind und dessen Eltern zu entscheiden, vgl. Kossmann/Meyer-Abich, a.a.O., § 55 Rd.Nr. 1 ff; Meyer-Abich, NZM 2015, 520. Im Streitfall ist dabei zu sehen, dass das Klopfen an der Heizung nicht ohne weiteres den Beklagten zuzuordnen ist und der Kläger selber an der Heizung klopft. Das „Rumgetrampel“ bzw. „Rumgepolter“ stellt sich nach Sicht der Dinge um die wahrnehmbare Benutzung der darüberliegenden Wohnung dar, welche in einem Altbau typisch und hinzunehmen sind. Die Nutzung der Wohnung endet auch nicht um 22.00 Uhr am Abend, sodass auch damit zu rechnen ist, dass nach 22.00 Uhr Geräusche aus der darüberliegenden Wohnung wahrnehmbar sind. Selbst wenn vereinzelt, wie vom Kläger behauptet, nach 22.00 Uhr „Rumpeln“, „Rumgetrampel“ bzw. „Rumgepolter“ in einem Maße vernehmbar gewesen sein sollte, welches nicht mehr sozialadäquat hinnehmbar gewesen wäre, so liegt nahe, dass dies zumindest auch durch die Kinder der Beklagten verursacht worden ist, für deren gelegentliche Verstöße die Beklagten aus den vorgenannten Gründen nicht haftbar zu machen sind.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß § 3 ZPO.


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