Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Kein Unterlassungsanspruch hinsichtlich der Verwendung von Kuhglocken auf Grund eines Vergleichs

Aktenzeichen  12 O 1303/17

Datum:
14.12.2017
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 164623
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 313 Abs. 2, § 779, § 1004
BauNVO § 5, § 11

 

Leitsatz

Streitige oder ungewisse Umstände, die vom abgeschlossenen Vergleich betroffen werden, stellen gerade den Vergleichsgegenstand dar. Eine irrige Einschätzung der Fortentwicklung gehört grundsätzlich zu den durch die jeweilige Partei übernommenen Risiken und führt nicht zu § 313 BGB (vgl. Ehrmann, 15. Aufl., § 313 BGB, Rdnr. 76 m.w.N.). (Rn. 61) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für die Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 35.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist gegenüber beiden Beklagten bereits unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.
I. Die Klage ist unzulässig.
1. Zwar ist das Landgericht München II gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG, §§ 12, 13 ZPO örtlich und sachlich zuständig.
2. Auch liegt, anders als die Beklagten meinen, kein Verstoß gegen § 15 a Abs. 2 EGZPO i.V.m. Art. 1 des BaySchlG vor.
Der bayerische Gesetzgeber hat ausweislich des Wortlauts von Art. 1 BaySchlG von seiner Kompetenz, nach § 15 a EGZPO ein obligatorisches Schlichtungsverfahren vorzusehen, lediglich für den Bereich der Amtsgerichte Gebrauch gemacht.
3. Die Klage ist, soweit sie sich neben dem konkret benannten Flurstücknummer 4055, Gemarkung E., auf „alle angrenzenden Grundstücke an das Anwesen E. 23, 8… H4.“ bezieht, wegen fehlender Bestimmtheit unzulässig.
Der Kläger hat insoweit den seiner Klage zugrunde liegenden Sachverhalt nicht ausreichend konkretisiert, sodass die geltend gemachten Ansprüche nicht von anderen Ansprüchen abgrenzbar sind. Es ist nicht klar, welches andere an das klägerische Grundstück angrenzende Grundstück gemeint ist, wer dessen Eigentümer ist und auf Grundlage welcher Umstände sich hier ebenfalls gleichlautende Ansprüche wie gegenüber den Beklagten bisher konkret geltend gemacht, denkbar sein sollen.
Gemäß § 253 ZPO sind Grund und Gegenstand des Anspruches, welchen der Kläger geltend macht, zwingend zu bezeichnen und so konkret zu bestimmen, dass der Streitgegenstand von anderen Sachverhalten abgegrenzt werden kann. Dies ist vorliegend nicht möglich. Trotz entsprechenden gerichtlichen Hinweises im Termin vom 19.10.2017 hat der Kläger bis zuletzt hierzu nichts Sachdienliches vorgetragen. Zwar hat das Gericht, wie der Kläger zutreffend meint, den klägerischen Antrag auszulegen. Dies gelingt jedoch nur in Bezug auf das konkret genannte Grundstück Flurnummer 4055, Gemarkung E.. Nur insoweit ist die Klage ausreichend individualisiert.
4. Der gegen die Beklagte zu 1 als Pächterin des Grundstücks 4055 gerichteten Klage des Klägers fehlt indessen das Rechtsschutzbedürfnis.
Dem im Verfahren (4) 12 C 590/15 am 15.09.2015 vor dem Amtsgericht Miesbach zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1 geschlossenen Vergleich ist eine abschließende Regelung der Nutzung des streitgegenständlichen Grundstücks Flurnummer 4055, Gemarkung E. zu entnehmen. Der Streitgegenstand des im Bezugsverfahren geschlossenen Vergleiches ist von dem Streitgegenstand der hiesigen Klage umfasst.
Der geschlossene Prozessvergleich ist seiner Rechtsnatur nach sowohl ein Rechtsgeschäft bürgerlichen Rechts, welches die Ansprüche und Verbindlichkeiten der Parteien materiell gestaltet, als auch Prozesshandlung, indem er den Rechtsstreit (4) 12 C 590/15 beendet. Der Prozessvergleich bildet insoweit eine Einheit, die gegenseitige Abhängigkeit der prozessualen Wirkungen und der materiellen Regelungen bewirkt (vgl. Zöller, 32. Auflage, § 794 ZPO, Rdnr. 3).
Materiell-rechtlich kommt der Vergleich als Vertrag durch übereinstimmende Willenserklärungen der Parteien zustande. Die auf den Vertragsschluss gerichteten Erklärungen beider Seiten sind nach dem objektiven Empfängerhorizont auszulegen, also danach, wie die Erklärung vom Empfänger bei der ihm zumutbaren Sorgfalt redlicherweise zu verstehen ist (§§ 133, 157 BGB).
Danach ergibt sich weder aus dem Wortlaut des geschlossenen Vergleichs noch aus sonstigen Umständen, die im Protokoll des Amtsgerichts Miesbach vom 15.09.2015 festgehalten wären, dass der geschlossene Vergleich nur vorübergehender oder vorläufiger Natur hätte sein sollen. Eine zeitliche Grenze der getroffenen Regelung haben die Parteien nicht vorgesehen. Auch der Umstand, dass der Vergleich im Rahmen eines Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz geschlossen wurde, führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Die Erfahrung des Gerichts lehrt, dass vielfach in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits eine abschließende Regelung der streitigen Sachverhalte getroffen werden kann, durch die ein Hauptsacheverfahren unterbleibt. Die Vermeidung eines anschließenden – oft zeit- und kostenintensiven – Hauptsacheverfahrens ist gerade vielfach Sinn und Zweck eines derartigen Vergleichs im einstweiligen Rechtsschutz. Dass es im vorliegenden Fall anders gewesen sein soll, ergibt sich aus keinerlei Anhaltspunkten, welche im Protokoll des Amtsgerichts Miesbach vom 15.09.2015 festgehalten worden wären. Der Kläger selbst scheint von einer dauerhaften Vergleichsvereinbarung ausgegangen zu sein, hat er doch erst ca. 1 1/2 Jahre nach Abschluss des amtsgerichtlichen Verfahrens den hiesigen Rechtsstreit eingeleitet.
Der geschlossene Vergleich enthält mithin eine zeitlich unbegrenzte und auch auf das ganze Gebiet des Grundstücks Flurnummer 4055 bezogene Nutzungsregelung, die von den Parteien getroffen wurde.
Anders als der Kläger meint, stellt der geschlossene Vergleich auch ein zweiseitiges Rechtsgeschäft dar. Zwar hat sich die Beklagte zu 1 nur hinsichtlich der Nordhälfte zu einer bestimmten Nutzung verpflichtet und ihr wurde im Übrigen die jegliche Nutzung auf der Südseite freigestellt. Mit entsprechenden Verpflichtungen der Beklagten zu 1 und Gestattungen gegenüber der Beklagten zu 1 geht jedoch auch einher, dass der Kläger entsprechende Verhaltensweisen der Beklagten zu 1, wenn diese an den Tag gelegt werden, zu dulden hat. Anhaltspunkte dafür, dass sich der Kläger selbst nicht binden wollte und alle Rechte vorbehalten hat, wie dieser vorbringt, bestehen nicht. Vielmehr wurde der Beklagten ausdrücklich auf dem südlichen Teil der Weide „jegliche Nutzung überlassen“. Nach Treu und Glauben durften die abgegebenen Erklärungen nur so verstanden werden, dass der Kläger gegenüber der Beklagten zu 1 nicht erneut Ansprüche erheben wollte, wenn sie auf dem südlichen Teil des Grundstücks das streitgegenständliche Nutzungsverhalten zeigt. Eine entsprechende vertragliche Regelung kann redlicherweise nur so verstanden werden, dass dem Nutzungsrecht der Beklagten zu 1 eine Duldungspflicht des Klägers gegenübersteht.
Da der geschlossene Vergleich damit das gesamte Grundstück 4055 und seine Nutzung durch die Beklagte zu 1 regelt und auch solche Ansprüche des Klägers in Verbindung mit der Nutzung des Nachbargrundstücks gestaltet, fehlt einer abermaligen Klage, mit der Unterlassung des geregelten Tuns (oder eines noch darüber hinausgehenden Tuns) verlangt wird, das Rechtsschutzbedürfnis.
Auf Grundlage des erhaltenen vollstreckungsfähigen Titels kann der Kläger hinsichtlich der Nordhälfte der streitgegenständlichen Weide sein Rechtsschutzziel gegen die Beklagte zu 1 auf einfacherem Wege erlangen, als durch eine neuerliche Klage. Der Kläger hat die Möglichkeit, den Vergleich zu vollstrecken trotz behaupteter Verstöße der Beklagten zu 1 nicht genutzt.
Aber auch im Hinblick auf die Südhälfte der streitgegenständlichen Nachbargrundstücksfläche fehlt es an einem Rechtsschutzbedürfnis des Klägers. Insoweit besteht gegen den Kläger ein durch den Vergleich titulierter Duldungsanspruch der Beklagten zu 1, der nicht durch neuerliche Klage zu beseitigen ist. Nach der Rechtsprechung des BGH besteht für eine neuerliche Klage dann kein Rechtsschutzbedürfnis, wenn die Wirksamkeit eines über den Streitgegenstand geschlossenen Prozessvergleichs durch die Parteien infrage gestellt wird. Die Unwirksamkeit eines Prozessvergleichs ist durch Fortsetzung des ursprünglichen Rechtsstreits zu klären (vgl. BGH NJW 1999, 2903 ff., zitiert nach juris, Bamberger/Roth, 2. Aufl., § 779 BGB, Rdnr. 96). Das gilt auch für Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz (vgl. Musielak, ZPO-Kommentar, 14. Aufl., § 794 ZPO, Rdnr. 21 m.w.N.). Ausnahmsweise gilt dies dann nicht, wenn die Parteien nunmehr ausschließlich über solche Gegenstände streiten, die nicht Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens waren, jedoch mit dem streitgegenständlichen Vergleich mitgeregelt wurden (BGH NJW 1983, 2034 ff., zitiert nach juris). Soweit der Kläger nun also meint, der geschlossene Vergleich sei infolge von Fehlvorstellungen über die Lärmentwicklung bereits anfänglich oder später unwirksam geworden, stellt dieser damit den Vergleich nicht nur inhaltlichen, sondern auch hinsichtlich seiner prozessbeendenden Wirkung in Frage. Eine Trennung nach Unwirksamkeit hinsichtlich der Prozessbeendigung und Unwirksamkeit der materiellen Rechtsänderung kann insoweit aufgrund der Doppelnatur des Vergleichs nicht vorgenommen werden. Die Frage, ob ein Prozessvergleich aus sachlich-rechtlichen Gründen nichtig oder anfechtbar ist, muss grundsätzlich durch Fortsetzung des bisherigen Rechtsstreits geklärt werden, sofern durch die Geltendmachung der Nichtigkeit oder der Anfechtung die Beendigung des Rechtsstreits durch den Vergleich in Frage gestellt wird (vgl. BGH NJW 1999, 2903, zitiert nach juris, m.w.N.). Dem Vergleich wird die prozessbeendende Wirkung entzogen, wenn er aus sachlich-rechtlichen Gründen nichtig oder anfechtbar ist. Die auf die materielle Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit des Vergleichs gestützte Unwirksamkeit kann daher nur in dem Prozess geltend gemacht werden, in welchem der Vergleich geschlossen wurde (vgl. auch OLG München, MDR 2015, 609).
So liegt es auch hier.
Für den auf Unterlassung der Weideviehhaltung bzw. Weideviehhaltung mit Glocken gerichteten Leistungsantrag des Klägers besteht auch unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§§ 313 Abs. 2 BGB, 797 BGB) kein Rechtsschutzbedürfnis. Die Rechtsfolge des Wegfalls oder Fehlens der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 2 BGB stellt primär die Anpassung des geschlossenen Vertrages dar und deckt sich insoweit nicht – wie das Gericht auch in der mündlichen Verhandlung vom 19.10.2017 zum Gegenstand seiner Hinweise gemacht hat – mit dem klägerischen Leistungs- bzw. Unterlassungsantrag. Alternativ bietet § 313 BGB die Möglichkeit der Vertragsauflösung durch rechtsgestaltende Erklärung an. Eine solche rechtsgestaltende Erklärung wie Rücktritt oder Kündigung hat der Kläger jedoch nicht – auch nicht konkludent durch die Klageerhebung – abgegeben. Sein Tun kann nicht als derartige Gestaltungserklärungverstanden werden, da dem Kläger ansonsten der errungene Teilerfolg im einstweiligen Rechtsschutzverfahren durch den streitgegenständlichen Vergleich verloren ginge. Er müsste bei einem Rücktritt oder einer Kündigung fürchten, insgesamt gar keine Unterlassungsansprüche gegen die Beklagte zu 1 geltend machen zu können. Insoweit kann seine Klageerhebung und sein schriftsätzliches Vorbringen redlicherweise nicht als Kündigung oder Rücktritt verstanden werden, weil ein solches Vorgehen seinen Interessen erkennbar zuwider liefe.
Rechtsfolge des § 779 BGB, auf den sich der Kläger beruft, der ein gesetzlich geregelter Sonderfall der Störung der Geschäftsgrundlage ist, ist die anfängliche Unwirksamkeit des geschlossenen Rechtsgeschäfts. Auch insoweit wäre demnach das Ausgangsverfahren, in dem der Vergleich geschlossen wurde, fortzusetzen, da es an einer wirksamen Prozessbeendigung fehlen würde.
5. Auch der gegen die Beklagte zu 2 gerichteten Klage fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.
Angesichts des gegenüber der Beklagten zu 1 existierenden Vollstreckungstitels hat der Kläger eine einfachere Möglichkeit, sein Rechtsschutzziel durchzusetzen. Unstreitig hat es der Kläger indessen noch nicht einmal unternommen, seinen Vollstreckungstitel gegenüber der Beklagten zu 1 durchzusetzen. Weitergehende Ansprüche, also solche Ansprüche, die über diejenigen gegenüber dem Handlungsstörer (Beklagte zu 1) hinausgehen, sind gegenüber dem Zustandsstörer, also der Beklagten zu 2, nicht denkbar. Hinzu kommt, dass der Zustandsstörer dann, wenn eine verbindliche Regelung gegenüber dem Handlungsstörer bereits existiert, keine Möglichkeit mehr hat, die Störung zu unterbinden.
6. Der vom Kläger gestellte Hilfsantrag im Hinblick auf eine Unterlassung der Weideviehhaltung unter Verwendung von Kuhglocken oder anderen lärmverursachenden Hilfsmitteln ist aus den genannten Gründen ebenfalls unzulässig gegenüber beiden Beklagten. Es gilt das bereits Gesagte.
II. Die Klage wäre auch im Übrigen gegenüber beiden Beklagten unbegründet.
1. Unabhängig von der Frage, wie sich die Rechtslage zwischen den Parteien ursprünglich gestaltet haben mag, so hat diese jedenfalls durch den zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1 geschlossenen Vergleich eine materielle Änderung erfahren.
Die Frage, ob dem Kläger Abwehransprüche aus § 1004 BGB gegenüber der Beklagten zu 1 oder der Beklagten zu 2 zustehen, ob der Kläger die Einwirkungen, die vom Betrieb der Beklagten zu 1 ausgehen, wegen unerheblicher Beeinträchtigung oder Ortsüblichkeit zu dulden hat, kann offenbleiben. Der zwischen der Beklagten zu 1 und dem Kläger geschlossene Vergleich bewirkt, dass der Kläger von der Beklagten zu 1 nur hinsichtlich der nördlichen Teilfläche der Weide verlangen kann, dass dort keine Glocken mehr bei der Tierhaltung verwendet werden. Weitergehende Ansprüche des Klägers im Hinblick auf eine vollständige Unterlassung der Weideviehhaltung oder eine Weideviehhaltung ohne Glocken auf der gesamten Fläche bestehen nicht bzw. nicht mehr. Ausdrücklich wurde der Beklagten zu 1 im Vergleich die Nutzung auf der südlichen Weidehälfte freigestellt. Darin liegt nach dem Empfängerhorizont eine Gestattung gegenüber der Beklagten zu 1, die sich für den Kläger als Duldungspflicht auswirkt.
Die Haftung des Zustandsstörers, also vorliegend der Beklagten zu 2, kann nicht weitergehen als gegenüber dem Handlungsstörer, also hier der Beklagten zu 1. Dies schon deshalb nicht, weil der Zustandsstörer bei entsprechender Regelung gegenüber dem Handlungsstörer schon keine Möglichkeit mehr hat, die Störung zu unterbinden. Eine Störerhaftung scheidet aus, wenn der Zustandsstörer keine Möglichkeit hat, die Störung des Handlungsstörers zu unterbinden (vgl. Bamberger/Roth, 2. Aufl., § 1004 BGB, Rdnr. 26 m.w.N.). Da dem Kläger im Übrigen gegenüber der Beklagten zu 1 ein vollstreckbarer Titel zur Verfügung steht, besteht insoweit auch keine Wiederholungs- bzw. Begehungsgefahr, wie sie Voraussetzung eines Unterlassungsanspruches wäre.
2. Der im Verfahren (4) 12 C 590/15 vor dem Amtsgericht Miesbach geschlossene Prozessvergleich ist auch nicht unwirksam (geworden).
Der Kläger hat weder ausdrücklich noch konkludent eine Anfechtung, einen Rücktritt oder eine Kündigung des Vergleiches erklärt. Wie bereits dargestellt, kann auch in der Klageerhebung und in seinem schriftsätzlichen Vorbringen nicht durch Auslegung eine konkludente Kündigung des Prozessvergleiches gesehen werden. Der Kläger erstrebt nach seinem Vorbringen eine Ausweitung seiner in dem geschlossenen Vergleich geregelten Abwehransprüche, nicht aber die Beseitigung des Vergleichs. Es ist für den Kläger – dies ist auch für Außenstehende erkennbar – nicht sinnvoll, den bereits erstrittenen Teilerfolg in Gestalt des Prozessvergleiches durch Anfechtung, Rücktritt oder Kündigung gänzlich zu verlieren.
Darüber hinaus ist festzustellen, dass Anfechtungsgründe oder Gründe, aus denen sich ein Wegfall der Geschäftsgrundlage ergibt, nicht vorliegen.
Der Kläger begründet sein auf § 313 Abs. 2 BGB gestütztes Vorbringen damit, seine Vorstellung von der zukünftigen Geräuschentwicklung, die er bei Vertragsschluss gehabt habe, habe sich später nicht bewahrheitet. Er bringt damit Fehlvorstellungen beim Vertragsschluss vor, die allenfalls einen Motivirrtum darstellen können. Er trägt nicht vor, inwiefern die von ihm genannten Aspekte Vergleichsgrundlage geworden sind. Die Vergleichsgrundlage betrifft den von den Beteiligten als feststehend zugrunde gelegten Sachverhalt, d. h. die Umstände, die den Beteiligten nicht oder nicht mehr ungewiss sind und die von ihnen nach dem Inhalt des Vergleichs als wesentliche Voraussetzungen der erzielten Streitbeilegung betrachtet werden. Streitige oder ungewisse Umstände, die vom abgeschlossenen Vergleich betroffen werden, stellen demgegenüber gerade den Vergleichsgegenstand dar. Dieser unterliegt nicht dem Anwendungsbereich des § 313 Abs. 2 BGB (vgl. Landgericht Hamburg, Beschluss vom 14.04.2008, Az. 306 O 475/07, zitiert nach juris). Eine irrige Einschätzung der Fortentwicklung gehört grundsätzlich zu den durch die jeweilige Partei übernommenen Risiken und führt nicht zu § 313 BGB (vgl. Ehrmann, 15. Aufl., § 313 BGB, Rdnr. 76 m.w.N.). Es fehlt damit trotz gerichtlichen Hinweises in der mündlichen Verhandlung im Hinblick auf § 313 Abs. 2 BGB bis zuletzt an ausreichendem Vortrag.
Auch soweit der Kläger mit seinem letzten Schriftsatz vom 09.11.2017 § 779 BGB ins Spiel gebracht hat, der ebenfalls einen gesetzlich geregelten Sonderfall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage betrifft, ist dies nicht zielführend. Ausschlaggebend ist insoweit, ob der Vergleich wesentlich auf einem gemeinsamen Irrtum über bestimmte tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse beruht.
Die Annahme des Wegfalls der Geschäftsgrundlage eines Vergleichs setzt stets eine besonders genaue Prüfung der vertraglichen Risikoverteilung voraus. Da ein Vergleich gerade die Beseitigung von Streit oder Ungewissheit bezweckt, sind die an ihnen Beteiligten typischerweise besonders an der Schaffung dauerhafter und endgültiger Regelungen interessiert und bedenken etwaige künftige Komplikationen daher häufig eher und genauer als die Partner sonstiger Verträge. Dies führt oft zu einer exakteren und weitgehenderen Zuweisung der sich aus künftigen Veränderungen ergebenden Risiken an jeweils eine der Vertragsparteien und schließt dann die Anwendung des Rechtsinstituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage aus (vgl. Bamberger/Roth, 2. Aufl., § 779 BGB, Rdnr. 45, 55).
Vorliegend bestand zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1 Streit darüber, welche und wieviel Lärm verursachendes Nutzungsverhalten die Beklagte zu 1 auf dem streitgegenständlichen Grundstück 4055 ausführen durfte. Das Nutzungsverhalten haben die Parteien zum Gegenstand ihres Vergleiches gemacht. Soweit der Kläger insoweit eine Fehleinschätzung der Lärmentwicklung unterlaufen sein mag, liegt diese in dem von ihm vertraglich übernommenen Risikobereich. Im Hinblick auf die Wertentwicklung des klägerischen Grundstücks und die Gesundheitsbeeinträchtigungen der Ehefrau trägt der Kläger lediglich einen Motivirrtum vor. Dass derartige Umstände zu einer beiderseitigen Vertragsgrundlage gemacht worden wären, ist weder vorgebracht noch sonst ersichtlich. Die vom Kläger hierzu angebotenen Beweise waren deshalb nicht zu erheben. Es fehlt mithin insgesamt auch an den Voraussetzungen der §§ 313 BGB und 779 BGB.
3. Der klägerische Hilfsantrag scheitert aus den gleichen Gründen.
4. Der Schriftsatz des Klägers vom 09.11.2017, eingegangen bei Gericht per Fax am selben Tag, wurde in der gegenständlichen Entscheidung nur insoweit berücksichtigt, als auf die gerichtlichen Hinweise und die Schriftsätze der gegnerischen Anwälte reagiert wurde. Zwar wurde dem Klägervertreter im Termin vom 19.10.2017 eine Stellungnahmefrist eingeräumt; dies jedoch nur zur Stellungnahme auf die Hinweise des Gerichts im Termin sowie auf den gegnerischen Sachvortrag in den zuletzt eingegangenen Schriftsätzen. Neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel – insbesondere der geltend gemachte Zwischenfeststellungsantrag – neuer Tatsachenvortrag, der darüber hinausgeht, sind nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangen, ohne dass eine entsprechende Schriftsatzfrist gewährt worden wäre (§§ 296 a, 156, 256 Abs. 2, 261 Abs. 2, 297 ZPO). Eine Wiedereröffnung der Hauptverhandlung war nicht veranlasst (§ 156 Abs. 1 ZPO). Der gestellte Zwischenfeststellungsantrag wäre in hiesigen Verfahren unzulässig, da die Feststellung der Unwirksamkeit eines Prozessvergleichs begehrt wird und damit die prozessbeendende Wirkung desselben in Frage gestellt wird. Ein aus materiellen Gründen unwirksamer Vergleich beendet das Prozessrechtsverhältnis nicht. Für einen entsprechenden Zwischenfeststellungsantrag besteht daher ausschließlich im Ausgangsrechtsstreit ein Rechtschutzbedürfnis. Wesentliche neue Umstände, die erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung aufgetreten wären und im Zusammenhang mit der Ermessensausübung gemäß § 156 Abs. 1 ZPO zur Wiedereröffnung hätten führen könne, sind nicht ersichtlich. Im Übrigen liegt weder ein Verfahrensfehler des Gerichts vor (§ 156 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), noch sind von den Parteivertretern Tatsachen für einen Wiederaufnahmegrund vorgetragen worden (Nr. 2). § 156 Abs. 2 Nr. 3 ZPO scheidet vorliegend ohnehin aus. Auch der Zwischenfeststellungsantrag des Klägers konnte nur bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung angebracht werden (§ 256 Abs. 2 ZPO).
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
V. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO.
Die Festsetzung orientiert sich am Interesse des Klägers an der Verhinderung der beklagten Beeinträchtigung. Im Hinblick auf die geltend gemachte Wertminderung des klägerischen Grundstücks von 100.000,00 € wurde der Streitwert auf einen Betrag von 35% dieser Wertminderung festgesetzt, damit auf 35.000,00 €.


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