Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Konstitutive Übertragung der Verpflichtung zur Instandsetzung

Aktenzeichen  484 C 9711/16 WEG

Datum:
25.4.2017
Fundstelle:
ZWE – 2017, 420
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
WEG WEG § 10 Abs. 3, Abs. 4, § 43 Abs. 1 Nr. 4
BGB BGB § 139

 

Leitsatz

1 Beschlüsse, die den Eigentümern oder den Rechtsnachfolgern abweichend von der gesetzlichen Regelung Pflichten – wie die Instandsetzungs-Verpflichtung – auferlegen, sind nichtig (ebenso BGH BeckRS 2000, 08392). Fenster sind zwingend Gemeinschaftseigentum und grundsätzlich tragen die Wohnungseigentümer gemeinschaftlich die Instandsetzungs-Verpflichtung für das Gemeinschaftseigentum. (Rn. 22) (red. LS Andy Schmidt)
2 Ebenso sind Beschlüsse, die den Eigentümern oder den Rechtsnachfolgern konstitutive Pflichten – wie die Haftung für Schäden am Gemeinschaftseigentum – auferlegen, nichtig (ebenso BGH BeckRS 2010, 16802). (Rn. 23) (red. LS Andy Schmidt)

Tenor

I. Das Versäumnisurteil des Amtsgerichts München vom 28.7.2016 Aktenzeichen 484 C 9711/16 WEG bleibt aufrechterhalten.
II. Es wird festgestellt, dass die Beschlüsse der Eigentümerversammlung vom 11.4.2016 zu TOP 2 a), Top 2 b), Top 3, Top 5 a), Top 5 c) nichtig sind.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages
IV. Hinsichtlich des Verfahrens 484 C 9792/16 wird der Streitwert bis 15.07.2016 auf 55.000,00 Euro festgesetzt. Hinsichtlich des Verfahrens 484 C 9711/16 wird der Streitwert bis 15.07.2016 auf 45.000,00 Euro festgesetzt und danach bis 14.03.2017 auf 45.000,00 Euro und danach auf 35.000,00 Euro.

Gründe

Der Einspruch gegen das Versäumnisurteil ist form- und fristgerecht erfolgt und hat den Prozess wieder in die Ausgangslage zurückversetzt. In dem die Beklagten zu 2) und 3) einen eigenen Rechtsanwalt bestellt haben, gaben sie kund, dass sie sich nicht von dem Rechtsanwalt der übrigen Wohnungseigentümer vertreten lassen wollen, so dass dessen Vertretung bzw. Prozessbevollmächtigung entfällt und ersetzt wird durch die Prozessbevollmächtigung des Beklagtenvertreters zu 2) und 3). In dem nun die Verteidigungsanzeige durch den Prozessbevollmächtigen der übrigen Wohnungseigentümer zurückgenommen worden ist, wirkt dies nicht zu Lasten der Beklagten zu 2) und 3), denn diese haben ihre Verteidigungsanzeige nicht zurückgenommen und sie wurden zum Zeitpunkt der Rücknahme der Vertretungsanzeige auch nicht mehr von dem Prozessbevollmächtigten der übrigen Wohnungseigentümer vertreten. Die Rücknahme der Verteidigunganzeige wirkte deshalb nicht zu Lasten der Beklagten zu 2) und 3). Da die Beklagten zu 2) und 3) eine Verteidigungsanzeige abgegeben haben und notwendige Streitgenossenschaft besteht, hätte ein Versäumnisurteil nicht ergehen dürfen. Der von den Beklagten zu 2) und 3) eingelegte Einspruch wirkt wegen der notwendigen Streitgenossenschaft auch zugunsten der übrigen Beklagten als Einspruch. Da der Einspruch form- und fristgerecht erfolgt ist, wurde der Prozess wieder in die ursprüngliche Ausgangslage zurückversetzt.
Die Klage ist zulässig.
Es ist das Wohnungseigentumsgericht gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 4 WEG zuständig.
Die Klage ist auch begründet.
Die angefochtenen Beschlüsse unter TOP 2 a), Top 2 b), Top 3, Top 5 a), Top 5 c) entsprechen nicht ordnungsgemäßer Verwaltung. In sämtlichen angefochtenen Beschlüssen wurde konstitutiv die Verpflichtung zur Instandsetzung für die jeweilige bauliche Maßnahme auf den ausführenden Eigentümer und dessen Rechtsnachfolger überwälzt. Zusätzlich wurde konstitutiv eine Haftung für Schäden am Gemeinschaftseigentum zu Lasten des ausführenden Eigentümers und dessen Rechtsnachfolgers begründet.
Die Beklagten zu 2) und 3) können dagegen nicht einwenden, dass die angefochtenen Beschlüsse so ausgelegt werden sollen, dass die Beklagte zu 3) infolge des Beschlusses dazu verpflichtet ist, ihre Haftung insoweit vertraglich an den Käufer der Wohnung weiter zu übertragen.
Hinsichtlich der Auslegung von Eintragungen im Grundbuch und der dort in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung, Teilungserklärung und Gemeinschaftsordnung ist bereits entschieden, dass maßgebend dabei der Wortlaut der Eintragung und ihr Sinn ist, wie er sich aus unbefangener Sicht als nächstliegende Bedeutung der Eintragung ergibt; Umstände außerhalb der Eintragung dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (BGHZ 121, S. 239; BGHZ 113, S. 374; Bärmann–Pick–Merle, WEG-Kommentar § 10 Rdnr. 53 WEG;). Entsprechendes muss für die Auslegung von Eigentümerbeschlüssen gelten, die auch für Sondernachfolger gelten sollen. Denn sie wirken auch ohne Eintragung in das Grundbuch wie Grundbucherklärungen für und gegen sie, §§ 10 Abs. 3, Abs. 4 WEG. Es besteht daher wie bei der Gemeinschaftsordnung ein Interesse des Rechtsverkehrs, die durch die Beschlussfassung eingetretenen Rechtswirkungen der Beschlussformulierung entnehmen zu können. Die Beschlüsse sind deshalb „aus sich heraus“ – objektiv und normativ – auszulegen (BayObLG, WE 1987, 14; KG, OLGZ 1981, OLGZ 1981, S. 307; Bärmann–Pick–Merle, WEG-Kommentar § 23 Rdnr. 44 WEG). Umstände außerhalb des protokollierten Beschlusses dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls für jedermann ohne weiteres erkennbar sind, z.B. weil sie sich aus dem – übrigen – Versammlungsprotokoll ergeben (BGH, Beschluß vom 10.9.1998 – V ZB 11—98 in NJW 1998, 3713).
Die angefochtenen Beschlüsse ergeben ihrem Wortsinn nach eine konstitutive Überwälzung der Verpflichtung zur Instandsetzung für die jeweilige bauliche Maßnahme auf den ausführenden Eigentümer und dessen Rechtsnachfolger. Zusätzlich wurde konstitutiv eine Haftung für Schäden am Gemeinschaftseigentum zulasten des ausführenden Eigentümers und dessen Rechtsnachfolger begründet. Der eindeutige Wortlaut sämtlicher Beschlüsse wie folgt „… Instandsetzung … gehen auf den ausführenden Eigentümer und deren Rechtsnachfolger über. Wurde durch die Montage oder wird durch die Nutzung Gemeinschaftseigentum beschädigt, geht die Wiederherstellung des Gemeinschaftseigentums zu Lasten des ausführenden Eigentümers oder dessen Rechtsnachfolger“ lässt keinen Spielraum für eine Auslegung zu. Hätten die Wohnungseigentümer hier keine konstitutive Verpflichtung gewollt, so hätten sie dies deutlicher zum Ausdruck bringen müssen.
Beschlüsse, welche den Eigentümern oder gar den Rechtsnachfolgern abweichend von der gesetzlichen Regelung Pflichten (hier die Instandsetzungs-Verpflichtung) auferlegen sind nichtig (BGH Beschluss vom 20.9.2000-V ZB 58/99 NJW 2000, 3500). Fenster sind zwingend Gemeinschaftseigentum und grundsätzlich tragen die Wohnungseigentümer gemeinschaftlich die Instandsetzung-Verpflichtung für das Gemeinschaftseigentum.
Zudem enthalten sämtliche angefochtenen Beschlüsse in ihrem Beschlusstext eine konstitutive Begründung einer Haftung für Schäden am Gemeinschaftseigentum zu Lasten der ausführenden Eigentümer und deren Rechtsnachfolger. Beschlüsse welche den Eigentümer oder gar den Rechtsnachfolgern abweichend von der gesetzlichen Regelung konstitutive Pflichten – hier die Haftung für Schäden am Gemeinschaftseigentum – auferlegen sind nichtig (BGH V ZR 193/09 ZMR 2010, 777).
Die Nichtigkeit der hier erwähnten Beschlussteile erfasst nach § 139 BGB analog jeweils den gesamten Beschluss, weil davon auszugehen ist, dass die Eigentümer die erwähnten baulichen Veränderungen nicht genehmigt hätten, wenn sie gewusst hätten, dass man die Haftung nicht konstitutiv auf den ausführenden Eigentümer bzw. dessen Rechtsnachfolger übertragen kann.
Der Klage war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO und die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Der Streitwert war im Verfahren 484 C 9792/16 bis zur Verbindung mit dem Verfahren 484 C 9711/16 am 15.07.2016 auf 55.000,00 Euro festzusetzen. Diesbezüglich wird auf die zutreffenden Ausführungen in dem vorläufigen Streitwertbeschluss vom 25.05.2016 im Verfahren 484 C 9792/16 Bezug genommen. Hinsichtlich des Verfahrens 484 C 9711/16 war der Streitwert bis 15.07.2016 auf 45.000,00 Euro festzusetzen. Zur Begründung wird auf den vorläufigen Streitwertbeschluss vom 25.05.2016 im Verfahren 484 C 9711/16 Bezug genommen. Zusätzlich waren noch für die Beschlussanfechtungsklage gegen Top 6 c der ETV vom 11.04.2016 und der Verpflichtungsklage je 5.000,00 Euro als mittlerer Regelstreitwert anzusetzen. Dies ergibt einen Gesamtstreitwert von 45.000,00 Euro bis zur Verbindung beider Verfahren am 15.07.2016. Da am 15.07.2016 zugleich die Beseitigungsverfahren gegen die Beklagten zu 2) und 3) abgetrennt wurden beträgt der Streitwert nach dem 15.07.2016 noch 45.000,00 Euro. Da dann in der öffentlichen Sitzung vom 14.03.2017 die Klage gegen Top 6 c der ETV vom 11.04.2016 und die Verpflichtungsklage abgetrennt wurden, beträgt der Streitwert nach der Abtrennung 35.000,00 Euro.


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