Aktenzeichen 32 U 1224/16
Leitsatz
Dem Mieter von gewerblich genutzten Räumen, der einen Feuchtigkeitsschaden wegen Durchnässung der Grenzwand erleidet, hat keinen nachbarrechtlichen Entschädigungsanspruch gegen den Eigentümer des Nachbarhauses auf Ersatz vergeblich aufgewendeter Miete. Der auf einer entsprechenden Anwendung des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB beruhende Anspruch entfällt, weil der infolge der Besitzstörung vergebliche Aufwand für die Einräumung des Nutzungsrechts durch die von Gesetzes wegen eintretende Minderung ausgeglichen wird. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
40 O 25203/13 2016-01-20 Endurteil LGMUENCHENI LG München I
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 20.01.2016, Aktenzeichen 40 O 25203/13, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 6.380,00 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger macht als Mieter einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft des Nachbarhauses geltend, da ein dortiger Rohrbruch zur zeitweisen Unbenutzbarkeit der Mieträumlichkeiten geführt hat.
Der Mietvertrag des Klägers mit dem Eigentümer des Anwesens P-Str. in M über die Räumlichkeiten im Erdgeschoss des Seitenbaus vom 17.08.2010, vorgelegt als K 1, enthält zur Minderung u.a. folgende Regelung:
„§ 6.3 Die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechtes wegen einer Forderung aus einem anderen Rechtsverhältnis ist ausgeschlossen. Ein Anspruch auf Minderung besteht nur, wenn der Vermieter den die Minderung begründenden Umstand zu vertreten hat.“
Der Kläger betrieb in den Räumlichkeiten u.a. eine Kochschule unter der Firma „K“:
Am 19.09.2012 stellte der Kläger an der Kommunwand zu der Beklagten einen Wasserschaden fest. Die Beseitigung des Schadens dauerte bis Ende Januar 2013.“
Der Kläger verlangte erstinstanzlich den Ersatz entgangenen Gewinns in Höhe von € 11.079,24, den Ersatz vergeblicher Aufwendungen für Miete in Höhe von € 6.380,00 und Ersatz sonstiger Aufwendungen in Höhe von € 366,75.
Das Landgericht hat die Beklagte unter Abweisung im übrigen zur Zahlung von € 234,84 verurteilt. Grundsätzlich bestehe ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch. Der Kläger könne aber insbesondere die vergeblichen Aufwendungen für die Raummiete nicht geltend machen, da diese Kosten durch die eintretende Minderung ausgeglichen seien.
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird im übrigen auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 20.01.2016 Bezug genommen.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger seinen ursprünglichen Klageantrag in Höhe von 17.826,00 nur in Höhe von € 6.380,00 weiter. Die vergeblich aufgewendeten Mietzahlungen seien nicht durch eine Minderung ausgeglichen. Es sei nicht interessengerecht, dem Geschädigten das Risiko einer Auseinandersetzung mit dem Vermieter aufzubürden. Denn der Schädiger könne sich bei einer Mietminderung seiner Ersatzpflicht aufgrund des Regresses des Vermieters ohnehin nicht entziehen. Zudem sei die Minderung nach dem Mietvertrag ausgeschlossen.
In der Berufung beantragt der Kläger:
Auf die Berufung des Klägers und Berufungsklägers wird das Urteil des Landgerichts München I vom 20.01.2016, Az. 40 O 25203/13 abgeändert und die Beklagte und Berufungsbeklagte verurteilt, an den Kläger weitere € 6.380,00 zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Senat hat mit Beschluss vom 28.06.2016 einen Hinweis nach § 522 Abs. 2 ZPO erteilt.
II.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 20.01.2016, Aktenzeichen 40 O 25203/13, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 28.06.2016 Bezug genommen.
Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung vom 08.08.2016 geben zu einer Änderung keinen Anlass.
a) Die Klageseite führt darin aus, der Senat dürfe nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass es sich bei der Regelung in § 6 Abs. 3 des Mietvertrages, mit der das Recht des Mieters zur Minderung eingeschränkt wird, um eine formularmäßige Klausel handele und diese unwirksam sei, da sie der Inhaltskontrolle nicht standhalte. Denn die Vertragsparteien hätten vor Abschluss des Mietvertrages über dessen Inhalt im Austausch gestanden.
Der Senat lasse unberücksichtigt, dass dem Geschädigten das Risiko aufgebürdet werde, sich mit dem Vermieter über die Minderung auseinanderzusetzen. Auf diese Weise werde der Schädiger ohne sachlichen Grund entlastet. Zudem werde der Mieter gezwungen, das Mietverhältnis durch Minderungsansprüche zu belasten.
Zudem bleibe das außergerichtliche Regulierungsverhalten der Beklagten unberücksichtigt. Diese habe durch ihr schleppendes Verhalten einen Zeitraum von vier Monaten bis zur endgültigen Behebung des Schadens vergehen lassen.
b) Auch unter Berücksichtigung dieses Vorbringens hält der Senat an seiner Auffassung fest, dass der Entschädigungsanspruch des Klägers, der auf einer entsprechenden Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB beruht, im vorliegenden Fall entfällt, weil der infolge der Besitzstörung vergebliche Aufwand für die Einräumung des Nutzungsrechts durch die von Gesetzes wegen eintretende Minderung ausgeglichen wird.
Es kann dahinstehen, ob überhaupt die wirksame Vereinbarung eines Minderungsausschlusses zu einer verschärften Haftung des Schädigers führen kann. Denn auf den Hinweis des Senates hin erfolgte kein Sachvortrag, dass die Bestimmung in § 6 Abs. 3 des Mietvertrages individuell ausgehandelt worden sei. Es ist zwar theoretisch möglich, dass ein Mieter sein Recht zur Minderung derart einschränkt. Form und Inhalt der Regelung lassen aber auf eine formularmäßige Bestimmung schließen, die von Vermieterseite gestellt wurde. Der Kläger trägt nicht vor, dass der Mietvertrag von ihm gestellt worden sei oder dass der Vermieter mit ihm über den Umfang seines Minderungsrechtes verhandelt hätte. Der Gefahr einer unterschiedlichen Beurteilung dieser Rechtslage in getrennten Prozessen hätte der Kläger von vornherein durch eine Streitverkündung begegnen können.
Es führt auch nicht zu einer Haftung der Beklagten, dass der Kläger vermeiden wollte, sein gutes Verhältnis zum Vermieter zu stören. Die Minderung des Mietzinses tritt von Gesetzes wegen allein aufgrund der Beeinträchtigung des vertragsgemäßen Gebrauchs ein. Es steht einem Mieter frei, auf eine nichtbestehende Schuld zu leisten. Dies kann in einem Vertragsverhältnis der einen Seite sinnvoll erscheinen, um absehbare Streitigkeiten zu vermeiden. Jedoch besteht kein Anlass, diese Last einem Dritten aufzuerlegen.
Es kann auch dahinstehen, ob eine Minderung oder die Rückforderung überzahlter Miete eventuell ausgeschlossen ist, weil der Kläger den Mangel nicht angezeigt hat oder die Miete ohne Vorbehalt an seinen Vermieter bezahlt hat. Denn der vergebliche Aufwand, für den der Kläger Ersatz verlangt, würde dann nicht auf der Besitzstörung durch die Beklagte, sondern auf dem Verhalten des Klägers selbst beruhen. Denn es besteht kein Unterschied, ob der Kläger trotz seines Rechtes zur Minderung die Miete in voller Höhe bezahlt oder ob die Minderung wegen seines Verhaltens ausgeschlossen ist und er zur Zahlung der Miete in voller Höhe verpflichtet ist.
Eine Pflicht zum Ersatz vergeblich gezahlter Miete kann auch nicht damit begründet werden, dass der Schaden nach der Behauptung des Klägers nur mit schuldhafter Verzögerung von der Beklagten behoben wurde. Denn die Minderung der Miete tritt für die vollständige Dauer der Beeinträchtigung ein.
Der Senat sieht keinen Anlass von der Rechtsprechung des BGH abzuweichen. Es ist zutreffend, dass den Mieter das Risiko trifft, seine Vorstellung von Minderung gegenüber seinem Vermieter nicht durchsetzen zu können und er damit über den konkreten Streit hinaus auch das Vertragsverhältnis gefährdet. Es ist aber sachgerecht, dass der Streit über Berechtigung und Umfang der Minderung zwischen den Mietvertragsparteien und nicht zwischen dem Mieter und dem Nachbarn geführt wird, zumal die Möglichkeit besteht, den Dritten im Wege der Streitverkündung an das Ergebnis eines eventuellen Prozesse zu binden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung des § 3 ZPO bestimmt.
erlässt das Oberlandesgericht München – 32. Zivilsenat – durch … am 28.06.2016 folgenden Beschluss
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 20.01.2016, Az. 40 O 25203/13, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe:
Das Landgericht hat den vom Kläger geltend gemachten Ausgleichsanspruch auch zu Recht abgewiesen, soweit er nunmehr noch in der Berufung geltend gemacht wird. Der Senat schließt sich den zutreffenden Ausführungen im Endurteil vom 20.01.2016 an. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils Bezug genommen.
Im Hinblick auf die Berufungsbegründung wird ergänzend ausgeführt:
1. Zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass der Kläger als Mieter gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft des Nachbarhauses, bei der es zum Rohrbruch kam, einen Ausgleichsanspruch geltend machen kann.
Ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch ist gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen privatwirtschaftlicher Benutzung rechtswidrige Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die der Eigentümer oder Besitzer des betroffenen Grundstücks nicht dulden, aus besonderen Gründen jedoch nicht gemäß § 1004 Abs. 1 BGB bzw. § 862 BGB unterbinden kann, sofern er hierdurch Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen. Zu den rechtswidrigen Einwirkungen gehört auch Wasser (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2015 – V ZR 55/15 –, Rn. 20, juris; NJW-RR 2016, 588). Ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch ist – entsprechend BGB § 906 Abs. 2 S. 2 – auch für Schäden zu gewähren, die ihre Ursache im Bruch einer Wasserleitung beim Nachbarn haben, sofern dafür mangels Verschuldens keine Ersatzpflicht nach § 836 Abs. 1 BGB gegeben ist (BGH, Urteil vom 19. April 1985 – V ZR 33/84 –, juris). Der Anspruch besteht auch für den Fall der Störung des Besitzes. Denn der Ausgleichsanspruch dient als Kompensation für den Ausschluss primärer Abwehransprüche, die auch dem Besitzer zustehen (§ 862 Abs. 1 BGB), und ihm einen, den Rechten des Eigentümers aus § 1004 BGB ähnlichen, Schutz gegen Störungen bieten. Der Ausgleichsanspruch tritt im Falle einer aus besonderen Gründen nicht abwehrbaren verbotenen Eigenmacht (§ 858 Abs. 1 BGB) neben den Schadensersatzanspruch wegen Besitzverletzung (BGH, Urteil vom 23. Februar 2001 – V ZR 389/99, NJW 2001, 1865).
2. Das landgerichtliche Urteil ist zutreffend, soweit es einen Entschädigungsanspruch des Klägers im Umfang der vom Kläger gezahlten Miete ablehnt. Die Berufung wendet sich vergeblich gegen diese Rechtsauffassung.
a) Die vermögenswerten Betriebsnachteile des Klägers sind nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung auszugleichen. Sie unterscheidet sich von der Schadloshaltung darin, dass nicht, wie es § 249 Satz 1 BGB fordert, der Zustand herzustellen ist, der bestehen würde, wenn die Störung nicht eingetreten wäre. Der Ausgleich beschränkt sich vielmehr auf die Beseitigung der durch die Störung eingetretenen Vermögenseinbuße, deren Abgrenzung vom Schaden sich allerdings nicht allein durch die Ausschaltung hypothetischer Kausalverläufe herstellen lässt, sondern darüber hinaus einer wertenden Entscheidung bedarf (BGH, Urteil vom 23. Februar 2001 – V ZR 389/99, NJW 2001, 1865).
Als ausgleichspflichtige Einbuße des Betriebs kann der zufolge der Besitzstörung vergebliche Aufwand für die Einräumung des Nutzungsrechts in Frage kommen. Diese Kosten werden jedoch regelmäßig durch die von Gesetzes wegen eintretende Minderung des Mietzinses (§ 536 BGB) ausgeglichen, so dass – von Ausnahmefällen abgesehen – ein Entschädigungsanspruch insoweit entfällt (BGH, Urteil vom 23. Februar 2001 – V ZR 389/99, NJW 2001, 1865; Beschluss vom 10. Juli 1986, III ZR 269/85).
b) Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist nicht erkennbar. Insbesondere ist die Minderung durch die mietvertraglichen Regelungen in dem Mietvertrag des Klägers mit dem Vermieter nicht ausgeschlossen. Der Mietvertrag ist in § 6 Abs. 3 Satz 2, wonach ein Anspruch auf Minderung nur besteht, wenn der Vermieter den die Minderung begründenden Umstand zu vertreten hat, unwirksam.
Eine vom Vermieter verwendete formularmäßige Klausel, wonach der Mieter von Gewerberaum gegenüber den Ansprüchen des Vermieters auf Zahlung des Mietzinses kein Minderungsrecht wegen Mängeln der Mietsache geltend machen kann, es sei denn, der Vermieter hat die Mängel (vorsätzlich oder grob fahrlässig) zu vertreten, ist im Zweifel dahin auszulegen, dass sie die Minderung wegen sonstiger Mängel vollständig ausschließt und dem Mieter auch nicht die Möglichkeit der Rückforderung der Miete nach § 812 BGB verbleibt. Eine solche Klausel benachteiligt den Mieter unangemessen und ist deswegen unwirksam (BGH, Urteil vom 12. März 2008 – XII ZR 147/05, NJW 2008, 2254).
Im Hinblick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung ist ein Berufen der Beklagten auf die Minderung der Miete des Klägers auch nicht treuwidrig.
3. Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).