Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Nichtiger Abgabenbescheid

Aktenzeichen  M 10 K 18.2150

Datum:
25.7.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21915
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AO § 119 Abs. 1, § 125 Abs. 1, § 157 Abs. 1 S. 2
BayKAG Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 b

 

Leitsatz

Fehlt es einem Abgabenbescheid an der richtigen Bezeichnung des Abgabentatbestandes (hier: des herangezogenen Grundstücks), liegt keine Verletzung einer Verfahrens- oder Formvorschrift vor; es fehlt vielmehr ein wesentlicher inhaltlicher Bestandteil der Abgabenfestsetzung, der zur Nichtigkeit des Bescheids führt.  (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.    Der Gebührenbescheid des Beklagten vom 28. April 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberbayern vom 5. April 2018, geändert durch Bescheid vom 31. Juli 2018, wird aufgehoben. 
II.    Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.     
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg. Der Niederschlagswassergebührenbescheid des Beklagten vom 28. April 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberbayern vom 5. April 2018 sowie des Änderungsbescheids des Beklagten vom 31. Juli 2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der ursprüngliche Gebührenbescheid des Beklagten vom 28. April 2017 ist bezüglich des die Abgabe begründenden Tatbestands unbestimmt und auch nicht durch andere Umstände hinreichend bestimmbar. Eine Heilung des nichtigen Gebührenbescheids ist nicht möglich.
Nach § 125 Abs. 1 AO, der hier gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 b KAG im Abgabenrecht Anwendung findet, ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Dies ist vorliegend der Fall.
Gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b KAG i.V.m. § 119 Abs. 1 AO muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Gemäß § 157 Abs. 1 Satz 2 AO müssen schriftliche Abgabenbescheide (vgl. Art. 13 Abs. 2 Buchstabe b KAG) die festgesetzte Abgabe nach Art und Betrag bezeichnen und angeben, wer die Steuer schuldet. Die Konkretisierung dieser Anforderungen ist in verständiger Würdigung von Sinn und Zweck der Vorschrift unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen (vgl. BayVGH vom 13.1.1993 BayVBl 1993, 345; vgl. auch Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung, 14. Aufl., Anm. 2 zu § 119). Der Betroffene muss den Willen der Behörde und den Regelungsinhalt erkennen können, wobei es maßgeblich auf den objektiven Erklärungswert des Bescheids aus der Sicht des Abgabeschuldners ankommt (vgl. BayVGH vom 2.10.1997 GK 1998, Nr. 136). Der Inhalt ist auch dann hinreichend bestimmt, wenn etwaige Zweifel durch Auslegung behoben werden können (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung, RdNr. 4 zu § 119; BFH vom 17.7.1986 NJW 1987, 920). Denn hinreichend bestimmt bedeutet bestimmbar. Mithin können zur Auslegung der gesamte Text des Bescheids und die den Betroffenen bekannten Umstände des Einzelfalles herangezogen werden, also ist letztlich entscheidend, wie der Betroffene den materiellen Gehalt des Bescheids unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen musste. Nur wenn ein solcher Auslegungsversuch scheitert, ist der Bescheid wegen unheilbaren Formmangels nichtig (vgl. BVerwG vom 25.3.1996 DVBl 1996, 1061; BayVGH vom 10.1.1994 BayVBl 1995, 85 m.w.N.; vom 12.6.1997 BayVBl 1998, 404; vom 28.6.2002 Az. 23 ZB 02.623; vom 28.11.2002 BayVBl 2003, 178; Wuttig/Hürholz/Thimet/Nöth, Gemeindliches Satzungsrecht, Teil III Frage 14 Nr. 2.1; Ecker, Kommunalabgaben in Bayern, Nr. 8.2.1.3; zitiert aus: BayVGH, B.v. 15.11.2005 – 23 CS 05.2667 – juris Rn. 30).
Der angefochtene Gebührenbescheid vom 28. April 2017 gibt zwar die Art der Abgabe, den Abgabepflichtigen und den Betrag an. Jedoch ist das Objekt der Abgabenfestsetzung, für welches die Niederschlagswassergebühr festgesetzt wird, nicht hinreichend zuordenbar angegeben. Der Kläger weist zu Recht darauf hin, dass die Angabe des Objekts mit „Nähe Enzianweg“ aus sich heraus nicht verständlich ist. Der Enzianweg ist eine längere Ortsstraße innerhalb der Gemeinde …, über den eine größere Anzahl von Ein- und Mehrfamilienhäusern erschlossen wird. Die bloße Bezeichnung „Nähe Enzianweg“ umfasst damit eine große Fläche mit vielen verschiedenen anliegenden Grundstücken. Aus der Bezeichnung „Nähe Enzianweg“ ergibt sich nicht, dass dies eine Wegefläche sein soll, sondern ließe vom Wortlaut her im Gegenteil eher darauf schließen, dass es sich um ein dem Enzianweg angrenzendes Grundstück handeln soll.
Bestimmbar wäre das Objekt der Abgabenfestsetzung möglicherweise durch den Hinweis im Gebührenbescheid: „Grundlage für die Berechnung ist unser Flächenfeststellungsbescheid vom 08.02.2017 mit Abrechnungsnummer 89/00/001854“. Mit der Bezugnahme auf den Flächenfeststellungsbescheid könnte womöglich das fragliche Wegegrundstück mit FlNr. … bestimmt werden. Voraussetzung wäre hierfür aber, dass dieser Flächenfeststellungsbescheid mit der korrekten Bezeichnung des Grundstücks dem Kläger tatsächlich zugegangen ist, wodurch ihm ein Rückschluss möglich wäre. Dies wurde vom Kläger bestritten und konnte von der Beklagten nicht nachgewiesen werden. Alleine der von der Beklagten vorgetragene Umstand, dass der Bescheid vom 8. Februar 2017 nicht als unzustellbar zurückgekommen sei, belegt nicht, dass ihn der Kläger erhalten hätte. So kann es durchaus sein, dass schon vor einem Versand dieses Bescheides durch den Beklagten ein Fehler aufgetreten ist und der Flächenfeststellungsbescheid gar nicht ausgefertigt und damit auch nicht zur Post gegeben wurde. Einen Nachweis für die postalische Übermittlung gibt es jedenfalls nicht. Zum anderen kann es auch durchaus, wenn auch sicher nicht häufig, vorkommen, dass ein Poststück unterwegs verlorengeht oder falsch eingeworfen wird, was der falsche Empfänger aber nicht korrigiert. Damit kann dem Kläger nicht zugerechnet werden, dass der in Bezug genommene Flächenfeststellungsbescheid, den er nach seinen Angaben nicht erhalten hat, zur Bestimmung des richtigen Flurstücks für die festgesetzte Entwässerungsgebühr herangezogen werden kann.
Auch auf die dem Flächenfeststellungsbescheid vorangegangene Anhörung zu den Eigentumsverhältnissen, Größen, Befestigung der Grundstücke und der Art der Ableitung des Niederschlagswassers, in der das Grundstück mit Flurnummer benannt war, kann zur Bestimmung „Nähe Enzianweg“ nicht zurückgegriffen werden, da auch der Zugang dieser Anhörung bestritten wurde und nicht nachweisbar ist.
Eine nachträgliche Übersendung des Flächenfeststellungsbescheids vom 8. Februar 2017, die nach Angaben des Beklagten mit Schreiben vom 19. Mai 2017 erfolgte, führt nicht zu einer nachträglichen Bestimmbarkeit und damit Heilung eines Verfahrens- oder Formfehlers nach § 126 Abs. 1 AO. Die richtige Bezeichnung des Abgabentatbestands, hier die Bezeichnung des herangezogenen Grundstücks, ist keine reine Verfahrens- oder Formvorschrift, sondern vielmehr wesentlicher inhaltlicher Bestandteil der Abgabenfestsetzung.
Damit ist der angefochtene Bescheid mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO aufzuheben. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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