Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Unanfechtbarkeit der Zulassung von Angriffs- und Verteidigungsmitteln

Aktenzeichen  22 S 48/18

Datum:
25.1.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 31388
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Schweinfurt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 144 Abs. 1, § 296 Abs. 1, § 403

 

Leitsatz

1. Die Entscheidung des Gerichts, ein iSv § 296 Abs. 1 ZPO verspätetes Angriffs- oder Verteidigungsmittel zuzulassen, ist grundsätzlich nicht anfechtbar. Die Zulassung verspäteten Vorbringens steht im Ermessen des Gerichts und kann ein Rechtsmittel des Gegners nicht rechtfertigen (unter Hinweis auf BGH NJW 1991, 1896; siehe auch BGH BeckRS 2006, 5308 Rn. 18). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Grundsätzlich stellt der Antritt des Sachverständigenbeweises iSv § 403 ZPO lediglich eine Anregung an das Gericht dar, ein Gutachten einzuholen. Das Gericht darf und muss dagegen von Amts wegen ein Gutachten einholen, wo seine eigenständige Sachkunde nicht ausreicht, um schlüssig vorgetragene und wirksam bestrittene zu prüfende Tatsachen festzustellen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

74 C 261/17 2018-11-08 Urt AGBADKISSINGEN AG Bad Kissingen

Tenor

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Bad Kissingen vom 08.11.2018, Az. 74 C 261/17, wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Bad Kissingen ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 1.339,63 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin macht gegen den Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem Wohnraummietverhältnis geltend.
Die Klägerin hat dem Beklagten mit schriftlichem Mietvertrag vom 28.10.2015 eine 3 Zimmer Wohnung mit einer Wohnfläche von 100 qm im Anwesen S.-straße … in O./F. vermietet.
Nach seiner erfolgten Kündigung im Laufe des Jahres 2016 hat der Beklagte am 29.10.2016 die Wohnung geräumt und an die Klägerin zurückgegeben.
Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, dass die Räumlichkeiten in nicht vertragsgemäßem Zustand zurückgegeben wurden. Die Wohnung sei bei Übergabe frisch renoviert gewesen und nach dem Auszug seien in allen Räumen, außer dem Bad, Neuanstriche erforderlich gewesen. Daneben seien an den Laminatfußböden im Wohn-/Esszimmer und Kinderzimmer gravierende Schäden festgestellt worden. Die Kosten würden sich, nach einer Rücknahme der Hauptforderung um 742,72 € auf 3.909,05 € belaufen.
Der Beklagte hat vorgetragen, dass die Böden in der Wohnung bei Einzug nicht neu verlegt gewesen seien, sondern bereits deutliche Gebrauchsspuren besessen hätten. Die Wände seien bei Einzug auch nicht alle neu gestrichen gewesen. Die Mietsache habe sich bei Rückgabe in einem zu erwartenden Zustand befunden. Er habe keine Schönheitsreparaturen noch Schadensersatz zu leisten.
Das Amtsgericht hat nach durchgeführter Beweisaufnahme durch Einvernahme der Zeugen K., B. und B2. und Einholung eines Sachverständigengutachtens durch den Raumausstattermeister Sch. zur Schadenshöhe des streitgegenständlichen Laminatbodens der Klage in Höhe von 1.339,63 € stattgegeben sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 201,71 € zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen.
Das Amtsgericht hat zu seiner Begründung ausgeführt, dass der Beklagte bezüglich der Malerarbeiten an den Wänden keinen Schadensersatz leisten müsse, da dem Kläger der Nachweis einer vom Beklagten verursachten Verschlechterung nicht gelungen sei. Zwar habe die Zeugin H. bekundet, dass die Wohnung im Sommer 2015 „fachgerecht gestrichen“ gewesen sei, demgegenüber haben jedoch die Zeugen K. und B. übereinstimmend ausgeführt, dass von einem fachgerechten Neuanstrich nicht die Rede gewesen sein könne.
Bezüglich der Kratzer im Laminatboden stehe der Klägerin jedoch ein Anspruch in Höhe von 1.339,63 € zu. Das Gericht sei davon überzeugt, dass die Verkratzungen an den Laminatböden erst in der Mietzeit des Beklagten entstanden seien und von diesem zu vertreten seien. Hierbei hat sich Gericht zum einen auf die Aussage der Zeugin B. berufen, da diese angegeben habe, dass im Zusammenhang mit dem Auszug. Zum anderen handle es sich bei dem Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 24.10.2018 um Spekulation, da weder konkrete Tatsachen benannt worden seien, noch ein Beweisangebot unterbreitet worden sei.
Die Höhe des Schadens sei auf Grundlage des Sachverständigengutachtens unter Abzug „Neu für Alt“ mit insgesamt 1339,63 € zu bemessen.
Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung, mit der er seinen erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag welter verfolgt. Das Amtsgericht habe unter Verstoß gegen zivilprozessuales Verfahrensrecht Beweis erhoben und unter Berücksichtigung der Beweisergebnisse überdies eine rechtsfehlerhafte Einschätzung der Beweislastverteilung getroffen. Überdies sei die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft.
Das Gericht habe Beweise rechtswidrig erhoben. Dem Kläger sei mit Verfügung vom 15.08.2017 Gelegenheit gegeben worden, zu der Klageerwiderung vom 08.08.2017 Stellung zu nehmen. Mit Schriftsatz vom 31.08.2017 habe der Klägervertreter um Fristverlängerung bis zum 13.09.2017 gebeten. In der Akte sei jedoch kein Hinweis darauf, dass die Fristverlängerung bewilligt wurde.
Zudem habe sich in diesem Schriftsatz ein Beweisangebot „Zeugnis n.N.“ zur Einvernahme eines nicht näher bekannten Zeugen befunden. Ein solches Beweisangebot sei nicht ausreichend.
Daneben habe das Amtsgericht ein Gutachten eingeholt, ohne dass ein entsprechender Beweisantrag der Klägerseite vorgelegen habe. Dem Beweisbeschluss fehle daher schon die Grundlage. Der einzige Beweisantrag der Klägerseite auf Einholung eines Gutachtens beträfe das Beweisthema, dass Schäden am Fußboden vorhanden seien, nicht jedoch zu deren Höhe.
Desweiteren sei dem Beklagten eine effektive Rechtsverteidigung hinsichtlich des behaupteten Zustands der Mietsache verwehrt gewesen, da die 14 zur Akte gereichten Lichtbilder dem Beklagten bis heute nicht vorlägen und für den Beklagten lediglich im Gütetermin kurz die Möglichkeit der Einsichtnahme der Lichtbilder am Richtertisch bestand.
Das Amtsgericht habe zudem die Beweislast für die Verursachung des Schadens verkannt und sei von der Beweispflichtigkeit des Beklagten hinsichtlich der Nichtverursachung ausgegangen. Zudem habe das Amtsgericht eine hypothetische Mutmaßung getroffen, die völlig unvertretbar sei. Im Rahmen seiner Beweiswürdigung habe das Amtsgericht sich auch unzureichend mit der Würdigung der Aussagen im Hinblick auf die Glaubhaftigkeit als auch Glaubwürdigkeit befasst.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg. Es liegen keine Verfahrensfehler vor, die zu einer Abänderung des erstinstanzlichen Urteils führen. Desweiteren ist auch die Beweiswürdigung des Amtsgerichts nicht zu beanstanden.
1. Nach § 296 Abs. 1 ZPO sind Angriffs- und Verteidigungsmittel, die erst nach Ablauf einer hierfür gesetzten Frist vorgebracht werden, nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts ihre Zulassung die Erledigung des. Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn die Parteien die Verzögerung nicht genügend entschuldigt.
Die Entscheidung des Gerichts, ein verspätetes Angriffs- oder Verteidigungsmittel zuzulassen, ist grundsätzlich nicht anfechtbar. Die Zulassung verspäteten Vorbringens steht im Ermessen des Gerichts und kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Rechtsmittel des Gegners nie rechtfertigen (BGH NJW 91, 1896, 1897).
Im Übrigen ist durch die Ladung des nachbenannten Zeugen schon keine Verzögerung eingetreten, da insoweit ein Fortsetzungstermin zur Durchführung einer Beweisaufnahme bereits angesetzt war.
2. Auch die Entscheidung des Amtsgerichts, ein Sachverständigengutachten zur Höhe des eingetretenen Schadens einzuholen, ist nicht rechtsfehlerhaft.
Zwar trifft es zu, dass die Klägerin im Schriftsatz vom 23.11.2017 lediglich zum Beweisthema, dass Schäden am Laminatboden vorhanden seien, Sachverständigenbeweis angeboten haben, dies steht der eigenständigen Einholung eines Gutachtens zu einem anderen Beweisthema durch das Gericht jedoch nicht entgegen.
Grundsätzlich stellt der Antritt eines Sachverständigen-Beweises i.S.d. § 403 ZPO lediglich eine Anregung an das Gericht dar, ein Gutachten einzuholen. Das Gericht darf und muss von Amts wegen ein Gutachten einholen, wo seine eigenständige Sachkunde nicht ausreicht, um schlüssig vorgetragene und wirksam bestrittene zu prüfende Tatsachen festzustellen (Zöller ZPO, 32. Auflage, § 403, Rn. 1).
3. Daneben liegt auch keine rechtswidrige Beschränkung der effektiven Rechtsverteidigung des Beklagten darin, dass die Lichtbilder als Anlagen nicht zu Verfügung gestellt worden sind.
Insoweit trägt der Beklagte selbst vor, dass im Termin am 16.11.2017, nach seiner erneuten Anforderung mit Schriftsatz vom 05.10.2017, im Rahmen der Güteverhandlung die Möglichkeit der Einsichtnahme am Richtertisch bestand und auch von der Beklagtenseite genutzt wurde.
Ausweislich des Protokolls vom 16.11.2017 (Bl. 46-47 d.A.) wurden hierauf keine weiteren Erklärungen oder Rügen abgegeben. Dagegen wurden von den Parteien nach der Güteverhandlung und erfolgter Einsichtnahme der Lichtbilder, die Prozessanträge gestellt.
Ausweislich des weiteren schriftlichen Vorbingens und der Protokolle der Sitzungen vom 25.01.2018 (Bl. 59-63 d.A.) und 25.10.2018 (Bl. 126-128 d.A.) erfolge keine weitere Rüge bezüglich der im Termin vom 16.11.2017 in Augenschein genommenen Lichtbilder. Vielmehr erfolgte im Termin vom 25.10.2018 erneut die Antragstellung durch die Parteien.
4. Die gerügte Beweiswürdigung des Amtsgerichts ist nicht zu beanstanden.
Konkrete Anhaltspunkte, die an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung Zweifel begründen, liegen zur Überzeugung des Gerichts nicht vor. Eine erneute Tatsachenfeststellung ist nicht geboten.
Die vom Amtsgericht durchgeführte Beweiswürdigung ist weder unvollständig oder in sich widersprüchlich, verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze (BGH NJW 2004, 1876, 1877). Zudem ist aus den Entscheidungsgründen ersichtlich, dass eine sachgerechte Beweisbewertung durch das Amtsgericht erfolgt ist.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 91 ZPO. Die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit ergeht nach § 708 Nr. 10 ZPO.
IV.
Die Entscheidung zum Streitwert folgt aus § 3 ZPO i.V.m. §§ 48 I Satz 1, 63 I GKG.


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