Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Unbestimmheit des Beschlusses zur Jahresabrechnung wegen unklarer Bezugnahme auf Anlagen

Aktenzeichen  481 C 15671/16 WEG

Datum:
24.3.2017
Fundstelle:
LSK – 2017, 118757
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
WEG WEG § 10 Abs. 4, § 21 Abs. 4, § 24 Abs. 6

 

Leitsatz

1 Der Beschluss über eine Jahresabrechnung mit Bezugnahme auf eine Abrechnung ist unbestimmt, wenn zwei Versionen der Abrechnung existieren und der Beschluss offen lässt, welche Version gemeint ist. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Es gibt keine Vermutung derart, dass beim Fehlen genauerer Angaben stets die letzte (geänderte) Fassung der Jahresabrechnung beschlossen wurde. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Beschluss unter TOP 6 der Eigentümerversammlung vom 27.06.2016 wird für ungültig erklärt.
2. Der Beschluss unter TOP 7 der Eigentümerversammlung vom 27.06.2016 wird für ungültig erklärt.
3. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I. Die Klage ist zulässig.
Das Amtsgericht München ist örtlich und sachlich ausschließlich zuständig nach § 23 Nr. 2 c GVG und § 43 Nr. 4 WEG.
II. Die zulässige Klage ist begründet.
Die Klageerhebungs- und Klagebegründungsfrist des § 46 Abs. 1 WEG wurde eingehalten.
Die angefochtenen Beschlüsse entsprechen im Ergebnis nicht ordnungsmäßiger Verwaltung, da sie nicht ausreichend bestimmt sind. Nach Auffassung des Gerichts sind die Beschlüsse unter TOP 6 und 7 der ETV vom 27.06.2016 zwar nicht in solchem Maße unbestimmt, dass sie als nichtig anzusehen wären. Nichtig ist ein Beschluss infolge Unbestimmtheit insbesondere dann, wenn er keine durchführbare Regelung erkennen lässt (Merle, in: Bärmann, WEG, 13. Auflage 2015, § 23, Rn. 163; LG München I, Urteil vom 23.06.2014 – 1 S 13821/13, ZMR 2014, 920). Die vorliegend angefochtenen Beschlüsse lassen ohne weiteres erkennen, dass über die Jahresgesamtabrechnung und die Jahreseinzelabrechnungen für 2014 und 2015 abgestimmt wurde. Die Bezeichnung „Jahreseinzelabrechnung“ im Wortlaut der Beschlussfassung ist nach Auffassung des Gerichts entgegen der Ansicht der Klägerin unschädlich, da wegen der gleichzeitigen Abstimmung über die Gesamtabrechnung erkennbar nicht alleine über die Einzelabrechnung zu einer einzelnen Sondereigentumseinheit abgestimmt werden sollte. Insoweit entspricht die Bezeichnung „Jahresgesamt- und Einzelabrechnung“ ständiger Praxis bei Beschlussfassungen über die Jahresgesamtabrechnung und die darauf basierenden Einzelabrechnungen.
Jedoch sind beide Beschlüsse insoweit nicht ausreichend bestimmt, als sie Unklarheiten darüber aufwerfen, über welche Dokumente genau abgestimmt wurde. Ein Beschluss, der nicht ausreichend bestimmt ist, entspricht nicht den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung, § 21 Abs. 4 WEG und ist daher auf fristgerechte Anfechtung für ungültig zu erklären. Beschlüsse einer Gemeinschaft von Wohnungseigentümern sind nach ständiger Rechtsprechung „aus sich heraus“ objektiv und normativ auszulegen, ohne dass es auf die subjektiven Vorstellungen der an der Beschlussfassung Beteiligten ankommt (vgl. Nachweise b. Merle, in: Bärmann, WEG, 13. Auflage 2015, § 23 Rnr. 62, Fußnote 208). Grund hierfür ist die Wirkung, die Beschlüsse für Sonderrechtsnachfolger über § 10 Abs. 4 WEG entfalten. Maßgeblich ist dabei der Wortlaut des Beschlusses. Für dessen Auslegung kann auch der Protokollinhalt herangezogen werden, nicht aber Umstände außerhalb des protokollierten Beschlusses, außer wenn diese nach den besonderen Umständen des Einzelfalls für Jedermann ohne weiteres erkennbar sind oder wenn darauf Bezug genommen wurde. So kann in einem Beschluss zur Konkretisierung der getroffenen Regelung auch auf ein außerhalb des Protokolls befindliches Dokument Bezug genommen werden, wenn dieses zweifelsfrei bestimmt ist (BGH, Urteil v. 08.04.2016 – V ZR 104/15, Grundeigentum 2016, 921, Hervorhebung durch das Gericht). Voraussetzung eines hinreichend bestimmten Beschlusses über die Jahresabrechnung einer Wohnungseigentümergemeinschaft ist entweder eine Bezugnahme auf die dem Protokoll anliegende Gesamtabrechnung und die darauf basierenden Einzelabrechnungen, oder aber zumindest eine genaue Bezeichnung der jeweiligen Abrechnungen (AG Dortmund, Urteil vom 12.11.2015 – 514 C 71/14, ZWE 2016, 231). Existieren verschiedene Versionen einer Abrechnung, so ist es unabdingbar, dass der Genehmigungsbeschluss keinerlei Zweifel zulässt, welches konkrete Dokument ihm zu Grunde lag.
Gerade dies ist hier nicht der Fall. Der Wortlaut des Beschlusses zu TOP 6 lautet wörtlich, „die Jahresgesamt-/Jahreseinzelabrechnung vom 02.06.2016 für die Zeit vom 01.01.2014 bis 31.12.2014 mit den darin verwendeten Umlageschlüsseln zu genehmigen“. Unstreitig hat die Hausverwaltung, nachdem sie mit Schreiben vom 10.06.2016 den Entwurf einer Jahresgesamtabrechnung mit den jeweiligen Einzelabrechnungen an die Wohnungseigentümer versandt hatte, ein weiteres Schreiben vom 16.06.2016 an alle Wohnungseigentümer verschickt, in dem sie ausführt, dass „im Punkt 2 der Hausgeldabrechnung 2014 programmseitig ein Fehler“ vorgelegen habe, der nun korrigiert worden sei. Die Wohnungseigentümer wurden in dem Schreiben gebeten, „die entsprechenden Seiten“ auszutauschen. Zwar bestreitet die Klägerin einerseits in der Klagebegründung den Erhalt dieser „entsprechenden Seiten“, während sie diese andererseits zusammen mit der vollständigen mit der Einladung versandten Version der Jahresabrechnung als Anlage K 3 schon vor der Klagebegründung bei Gericht vorgelegt hatte und mit der Klagebegründung nochmals als Anlage K 4 a vorlegte. Im Ergebnis kann aber dahinstehen, ob der Vortrag der Klägerin insoweit zutrifft. Denn bereits aus dem unstreitigen Sachverhalt ergibt sich, dass zwei Versionen der Jahresabrechnung für 2014 existierten: eine, die mit der Einladung versandt wurde, und eine, die in Teilen nachträglich korrigiert wurde. Zwar ist es zulässig, bis zur Abstimmung noch einzelne Änderungen am Entwurf der Abrechnung vorzunehmen. In diesem Fall muss aber die Beschlussfassung zweifelsfrei erkennen lassen, welche Fassung der Abrechnung von der Genehmigung der Wohnungseigentümer erfasst ist. Wurden gegenüber dem an die Wohnungseigentümer versandten Abrechnungsentwurf noch Änderungen bis zur Abstimmung vorgenommen, so muss sich aus dem protokollierten Beschluss zweifelsfrei ergeben, welche Version mit welchem Inhalt beschlossen wurde (so auch Niedenführ, in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, WEG, 12. Auflage 2017, § 28, Rn. 136; AG Dortmund, Urteil vom 12.11.2015 – 514 C 71/14, ZWE 2016, 231). Es gibt keine Vermutung, dass beim Fehlen genauerer Angaben eine bestimmte – etwa die jeweils letzte – Fassung beschlossen wurde. Eine derartige Vermutung wäre auch mit dem Bestimmtheitserfordernis, das auf der Bindungswirkung eines Beschlusses für Sonderrechtsnachfolger gem. § 10 Abs. 4 WEG beruht, nicht vereinbar. Hier wurde zwar in der Beschlussfassung mit dem 02.06.2016 ein Datum der Abrechnung genannt. Allerdings datiert bereits der mit der Einladung versandte Abrechnungsentwurf auf den 02.06.2016. Indem die Verwaltung nachträglich einen Teil der Abrechnung korrigierte, ohne die dadurch entstehende zweite Version der Abrechnung neu zu datieren, hat sie vor der Abstimmung zwei Versionen mit dem Datum des 02.06.2016 auf den Weg gebracht. Es dürfte zwar wahrscheinlich der Intention der Verwaltung und auch den abstimmenden Eigentümern entsprochen haben, die zweite Version der Abrechnung zur Genehmigung zu stellen. Weil sich aus dem Wortlaut des Beschlusses und dem Inhalt des Protokolls aber gerade nicht objektiv – also etwa auch für Sonderrechtsnachfolger – erkennbar ergibt, dass es zwei Versionen der Abrechnung vom 02.06.2016 gegeben hatte, und ferner aus dem Wortlaut des Beschlusses und dem Inhalt des Protokolls nicht objektiv erkennbar ist, über welche dieser Versionen letztendlich abgestimmt wurde, ist der Beschluss zu TOP 6 über die Jahresgesamt- und die Einzelabrechnungen für 2014 nicht ausreichend bestimmt.
Gleiches gilt im Ergebnis für die Genehmigung der Jahresgesamtabrechnung und der darauf basierenden Einzelabrechnungen für 2015 in TOP 7. Mit der Einladung wurde ein Abrechnungsentwurf mit dem Datum des 07.06.2016 versandt. Beschluss wurde ausweislich des Protokolls dagegen über „die Jahresgesamt-/Jahreseinzelabrechnung vom 09.06.2016“ gefasst. Die Beklagten haben vorgetragen, dass es sich dabei um einen Schreibfehler im Protokoll handle, es sei über die Abrechnung vom 07.06.2016 abgestimmt worden. Der Schreibfehler im Protokoll sei bereits korrigiert worden das korrigierte Protokoll werde nachgereicht. Dies ist bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht erfolgt. Die Behauptung der Klägerin, es sei über eine Abrechnung mit dem Datum des 09.06.2016 abgestimmt worden, während nur ein Abrechnungsentwurf vom 07.06.2016 bekannt gemacht worden sei, ist nicht widerlegt. Das gemäß § 24 Abs. 6 WEG zu führende Versammlungsprotokoll ist im Hinblick auf für die Auslegung eines Beschlusses maßgeblich, da diese objektiv-normativ zu erfolgen und damit vom Beschlusswortlaut auszugehen hat (T. Spielbauer, in: Spielbauer/Then, WEG, 3. Auflage 2017, § 24, Rn. 48 m.w.N.). Hier führt angesichts der übereinstimmenden Angabe aller Parteien des Rechtsstreits, dass es eine Abrechnung vom 09.06.2016 nicht gebe, die Beschlussfassung über eine „Jahresgesamt-/Jahreseinzelabrechnung vom 09.06.2016“ zu der Unklarheit, welche Version der Jahresgesamt- und den darauf basierenden Einzelabrechnungen für 2015 Gegenstand der Beschlussfassung gewesen ist. Schon deshalb ist auch der angefochtene Beschluss zu TOP 7 der Eigentümerversammlung vom 27.06.2016 für ungültig zu erklären.
Dies gilt ungeachtet dessen, ob den an der Abstimmung Beteiligten klar war, welche Dokumente jeweils zur Abstimmung gestanden haben. Für die Frage der Bestimmtheit eines Beschlusses kommt es gerade nicht auf die subjektiven Vorstellungen der an der Beschlussfassung Beteiligten, sondern wegen der Wirkung eines Beschlusses für Rechtsnachfolger gem. § 10 Abs. 4 WEG auf den objektiven Beschlusswortlaut und die dem Protokoll zu entnehmenden Umstände an (vgl. nur LG München I, Urteil vom 23.06.2014 – 1 S 13821/13, ZMR 2014, 920, Rn. 20 bei juris; Spielbauer/Then, 2. Auflage 2012, § 23, Rn. 26).
Die angefochtenen Beschlüsse in TOP 6 und 7 der Eigentümerversammlung vom 27.06.2016 sind daher auf die Anfechtung der Klägerin für ungültig zu erklären. Die weiteren in der Klage für die Ungültigkeit der angefochtenen Beschlüsse aufgeführten Punkte sind daher im Ergebnis nicht entscheidungserheblich.
Lediglich ergänzend, weil nicht entscheidungserheblich, wird angemerkt, dass die Rüge der Klägerin, Ziffer 6 der Abrechnungen enthalte keine nachvollziehbare Gegenüberstellung der Einnahmen und Ausgaben der WEG, seitens des Gerichts nicht nachvollzogen werden kann.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Ob sich die Beklagten bei der Verwaltung schadlos halten können und wollen, mögen sie anhand des Verwaltervertrages selbst entscheiden. Die Nichtanwendung von § 49 Abs. 2 WEG sperrt insoweit einen Regress nicht (BGH, Beschluss vom 18. August 2010 – V ZB 164/09, WuM 2010, 643).
IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit gründet sich auf § 709 ZPO.


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