Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Unterlassungsansprüche wegen lärmbedingter Ruhestörung in der Wohnungseigentumsanlage

Aktenzeichen  281 C 17481/16

Datum:
1.6.2017
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 138453
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 S. 2
WEG § 14 Nr. 1, § 15 Abs. 3
ZPO § 296 Abs. 1, § 277 Abs. 2

 

Leitsatz

Die geforderte Toleranz gegenüber Lärm von Erwachsenen und Kindern in einem gemeinsam bewohnten Haus findet ihre Grenze, wo der Lärm nicht mehr sozial adäquat ist. Dies ist innerhalb der in der Hausordnung festgelegten Ruhezeiten bei lautstarkem Herumlaufen, Trampeln und Springen in der Wohnung, Klopfen, Schreien und einem über normale Zimmerlautstärke hinausgehenden Telefonieren, Fernsehen und Musikhören, auch wenn dies durch Kinder hervorgerufen wird, der Fall. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagten werden verurteilt, es zu unterlassen, in ihrer Wohnung und im Treppenhaus und Hausflur des Anwesens F.-E.-Bogen in München in der Zeit zwischen 20:00 Uhr und 7:00 Uhr sowie 12:00 Uhr und 14:00 Uhr laute Unterhaltungen, insbesondere mit Geschrei zu führen, sowie Fernseher, Radio und sonstige Wiedergabegeräte über Zimmerlautstärke hinaus zu betreiben.
2. Die Beklagten werden verurteilt, es zu unterlassen, dass der übliche Lärmpegel von spielenden Kindern in ihrer Wohnung und im Treppenhaus und Hausflur des Anwesens F.-E.-Bogen in München in der Zeit zwischen 20:00 Uhr und 7:00 Uhr sowie 12:00 Uhr und 14:00 Uhr, überschritten wird.
3. Den Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die in Ziffer 1. und Ziffer 2. ausgesprochenen Unterlassungsverpflichtungen ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht.
4. Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 6.500,00 € vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.
I.
Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Unterlassung der im Urteilstenor genannten Handlungen gemäß §§ 1004 Abs. 1 S. 2, 823 Abs. 1 BGB, § 15 Abs. 3 WEG i.V.m. der Hausordnung.
1. Die Klägerin ist aktivlegitimiert, denn die Klägerin hat die Individualansprüche der einzelnen Wohnungseigentümer durch wirksamen und gemäß §§ 23 Abs. 4 S. 2, 46 Abs. 1 WEG bestandskräftigen Mehrheitsbeschluss vom 27.04.2016 zur Angelegenheit der Gesamtheit der Wohnungseigentümer gemacht.
2. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass es in der Vergangenheit zu Eigentumsbeeinträchtigungen durch die Beklagten selbst und ihre Kinder i.S.d. § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB gekommen ist und dass keine Duldungspflicht nach § 1004 Abs. 2 BGB besteht. Denn die Art der Geräusche, die Dauer und Intensität stellen keine üblichen und sozialadäquaten Beeinträchtigungen dar und gehen über das nach § 14 Nr. 1 WEG hinzunehmende Maß hinaus.
Geräuschimmissionen sind unter Einbeziehung wertender Betrachtung am Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen zu messen (vgl. BGH, Urteil vom 05.02.1993, Az. V ZR 62/91, NJW 1993, 1656). Im Rahmen dieser wertenden Betrachtungsweise ist zwar zu berücksichtigen, dass das Gemeinschaftsleben in einem Mietshaus durch das Zusammenleben verschiedener Parteien auf engem Raum mit unterschiedlichsten Vorstellungen geprägt ist und dass gewisse Lärmeinwirkungen hingenommen werden müssen (vgl. Eisenschmid, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 12. Auflage 2015, § 535 Rn. 405). Das Gemeinschaftsleben wird aber auch durch das Gebot der Rücksichtnahme geprägt. Erforderlich ist es, auf das Ruhebedürfnis der anderen Personen einzugehen und auf ein gedeihliches Zusammenleben hinzuwirken. Im Rahmen dessen müssen zwar auch das Interesse der Allgemeinheit an einer kinderfreundlichen Umgebung, das die Bewohner zu einer gesteigerten Duldung von Lärmeinwirkungen von Kindern zwingt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.08.2009, Az. 3 Wx 233/08; LG Köln, Urteil vom 30.10.2008, Az. 6 S 403/07) und die Tatsache, dass der aufgrund des natürlichen Spiel- und Bewegungstriebes der Kinder übliche Lärm unvermeidbar ist, berücksichtigt werden (vgl. Eisenschmid, in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 12. Auflage 2015, § 535 Rn. 405). Die geforderte Toleranz gegenüber Lärm von Erwachsenen und Kindern findet aber dort ihre Grenze, wo der Lärm nicht mehr sozial adäquat ist (vgl. LG Köln, Urteil vom 30.10.2008, Az. 6 S 403/07). Dies ist innerhalb der in der Hausordnung festgelegten Ruhezeiten bei lautstarkem Herumlaufen, Trampeln und Springen in der Wohnung, Klopfen, Schreien und einem über normale Zimmerlautstärke hinausgehenden Telefonieren, Fernsehen und Musikhören, auch wenn dies durch Kinder hervorgerufen wird, der Fall. Es obliegt nämlich den Eltern, innerhalb ihrer Aufsichtspflicht (vgl. auch § 14 Nr. 2 WEG) dafür Sorge zu tragen, dass insbesondere in den Ruhezeiten Geräusche, die das sozialadäquate Maß übersteigen, nicht produziert werden (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.08.2009, Az. 3 Wx 233/08; LG Köln, Urteil vom 30.10.2008, Az. 6 S 403/07).
Die Zeugin D., deren Wohnung sich direkt unterhalb der Wohnung der Beklagten befindet, hat glaubhaft angegeben, dass es immer wieder zu Geräuschimmissionen zu den in der Hausordnung festgelegten Ruhezeiten aus der Wohnung der Beklagten gekommen sei. Die Zeugin hat bekundet, dass es täglich zum Teil bis nach Mitternacht laut gewesen sei, da die Erwachsenen schrien, sich laut unterhielten und zeitgleich den Fernseher laut betrieben. Die Kinder schrien, trampelten oder sprangen Seil. Mehrmals pro Woche seien fünf bis acht Kinder in der Wohnung der Beklagten anwesend gewesen. Zudem sei oft nach 20:00 Uhr gestaubsaugt und es seien Möbel verrückt worden. Die Zeugin habe mehrfach versucht mit dem Beklagten zu 1) zu reden. Der Beklagte habe aber lediglich gesagt, dass er alles machen könne, was er wolle. Die Zeugin sei schließlich 2017 aufgrund des Lärmes aus ihrer Eigentumswohnung in eine Mietwohnung umgezogen. Die Aussagen der Zeugin werden durch das von ihr über einen längeren Zeitraum detailliert angefertigte Lärmprotokoll, in dem sie genau vermerkte, zu welche Uhrzeit welche Art von Geräuschen durch die Beklagten in ihrer Wohnung zu hören waren, bestätigt. Die Zeugin war auch glaubwürdig. Sie hat trotz der für sie emotionalen Situation ruhige, sachliche und widerspruchsfreie Angaben gemacht und die Beeinträchtigungen und Intensität des Lärmes detailliert und nachvollziehbar geschildert.
Die Aussagen der Zeugin D. werden durch die Aussagen der Zeugin H. gedeckt. Die Zeugin H., die im achten Stock direkt gegenüber den Beklagten wohnt, hat glaubhaft angegeben, dass sie die lauten Schreie der Beklagten bei geschlossener Wohnungstüre hören könne. Die Beklagten telefonierten laut über die Freisprechanlage, hörten laut Musik bzw. hätten den Fernseher laut an und es sei lautes Klirren von Geschirr und Trampeln zu hören. Die Geräusche seien in den Mittagsstunden und abends bis 22:00 Uhr, teilweise bis weit nach Mitternacht, zu hören. Wenn die Beklagten die Türe zuschlügen, würden bei der Zeugin in der Wohnung die Türen vibrieren. Die Aussagen der Zeugin D. werden durch das von ihr angefertigte Lärmprotokoll bestätigt. Die Zeugin war glaubwürdig. Sie hat ruhige, sachliche und in sich widerspruchsfreie Angaben gemacht und die Lärmbeeinträchtigungen nachvollziehbar dargelegt.
Aufgrund der ausführlichen Schilderungen der Zeuginnen und der detaillierten Lärmprotokolle ist das Gericht überzeugt, dass die Grenze der Sozialadäquanz auch im Hinblick auf das Verhalten der Kinder der Beklagten überschritten ist. Denn die Frequenz, Lautstärke und die Zeiten der Lärmentfaltung stehen nicht mehr im Zusammenhang mit einer adäquaten Wohnnutzung oder einer hinzunehmenden lebhaften Lebensäußerung von Kindern. Das von den Kindern ausgehende regelmäßige und über einen langen Zeitraum gehende laute Geschrei, Springen und Getrampel in der Wohnung weit nach 20:00 Uhr, Seilspringen in der Wohnung und das Herumfahren mit Kinderfahrrad und Roller im Hausflur geht über das hinaus, was bei Kindern üblicherweise hingenommen werden muss. Zudem haben sich die Beklagten auch rücksichtslos verhalten, indem sie auf mehrfache Aufforderungen der Hauseigentümer, den Lärmpegel zu senken, mit der Aussage reagierten, dass sie tun und lassen können, was sie wollten. Dass die Grenzen der Sozialadäquanz überschritten sind, wird auch durch den von mehreren Hauseigentümern unterschriebenen Brief vom 28.06.2015 gestützt.
Soweit die Beklagten die Zeugen K., R. und G. zu der Tatsache, dass keine erheblichen Lärmstörungen von den Beklagten ausgingen, in der mündlichen Verhandlung vom 04.05.2017 angeboten haben, waren diese Beweisangebote zurückzuweisen, denn die Benennung der Beweisangebote war verspätet, §§ 296 Abs. 1, 277 Abs. 2 ZPO. Die Beklagten haben keine genügende Entschuldigung für die Verspätung vorgebracht. Sie hätten die gegenbeweislich benannten Zeugen vielmehr unschwer früher ermitteln können, sodass diese ebenfalls in der mündlichen Verhandlung vom 04.05.2017 hätten vernommen werden können. Die Zeugen waren daher in einem weiteren Termin nicht mehr zu hören.
3. Die Beklagten sind hinsichtlich der von ihnen selbst verübten Beeinträchtigungen unmittelbare Handlungsstörer und hinsichtlich der Störungen durch ihre Kinder und durch ihre Besucher mittelbare Handlungsstörer.
4. Nach den glaubhaften Aussagen der Zeugin D. haben die Beeinträchtigungen durch die Beklagten nach der Güteverhandlung nicht nur nicht aufgehört, sondern sich weiter verstärkt. Das Gericht ist daher der Überzeugung, dass es auch in der Zukunft zu weiteren Verstößen seitens der Beklagten kommen wird. Im Übrigen besteht aufgrund der vorangegangenen rechtswidrigen Beeinträchtigungen eine tatsächliche Vermutung für die Wiederholungsgefahr, die die Beklagten nicht widerlegt haben, § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB.
5. Die Handlungen sind zu den im Urteilstenor genannten Zeiten zu unterlassen, da die Beklagten als Mieter an die Hausordnung gebunden sind. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Beklagten, wie sie vorgeben, von dieser keine Kenntnis hatten, denn die Existenz einer Hausordnung in einem Mehrparteienhaus muss auch für die Mieter offenkundig sein.
II.
Gemäß § 890 Abs. 1 ZPO war die Unterlassungsverpflichtung mit der Androhung von Ordnungsgeld, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, von Ordnungshaft zu versehen, § 890 Abs. 2 ZPO.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91,100 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 S. 1 ZPO.
IV.
Der Streitwert wurde gemäß §§ 3 ZPO, 63 Abs. 2 GKG festgesetzt.


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