Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Vorrang dinglicher Vereinbarungen vor Gesetzesrecht im Nachbarschaftsrecht

Aktenzeichen  41 O 14768/16

Datum:
27.6.2018
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 38849
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 128 Abs. 2
BayAGBGB Art. 43, Art. 50
BGB § 906 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Ein Anspruch auf Rückschnitt der in einem Bereich von 2 Metern hinter der Grundstücksgrenze befindlichen Brombeersträucher auf die Höhe von 2 Meter besteht als Minus zu dem geltend gemachten Beseitigungsanspruch aus Art. 47 BayAGBGB. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
2. Gehen von den zur Vergrämung von Spechten angebrachten CDs Lichtreflexe und Geräusche aus, die eine wesentliche Beeinträchtigung im Sinne von § 906 BGB darstellen, scheitert ein Beseitigungsanspruch unter Berücksichtigung des wechselseitigen nachbarrechtlichen Rücksichtnahmegebotes an § 906 Abs. 2 BGB, solange Spechte tatsächlich zu vergrämen sind. (Rn. 30 – 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die über das Fenster- und Lichtrecht dinglich gesicherten Regelungen im Siedlungsvertrag gehen den Regelungen im BayAGBGB vor. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

41 O 14768/16 2017-07-19 LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Die Beklagten werden verurteilt, die an der Grenze zwischen ihrem Grundstück, … as… M., Flurnummer …, und dem Grundstück des Klägers, … M., Flurnummer …, im Bereich zwischen der Garage und dem Haus Nr. 11 verlaufende Hecke auf eine Höhe von 80 cm zurückzuschneiden.
2. Die Beklagten werden verurteilt, die an der Grenze zwischen ihrem Grundstück, … M., Flurnummer …, und dem Grundstück des Klägers, … M., Flurnummer …, innerhalb einer Entfernung von 2 Metern zur Grundstückgrenze stehenden Brombeersträucher auf eine Höhe von 2 Meter zurückzuschneiden.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 73 Prozent und die Beklagten als Gesamtschuldner 27 Prozent zu tragen.
5. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung von 5.000,00 € und für die Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
6. Der Streitwert wird auf 11.250,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klage ist hinsichtlich der noch anhängigen Anträge zulässig, jedoch nur zum Teil begründet.
1. Zum Antrag zu III.
Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Rückschnitt der an der Grenze zwischen dem Grundstück der Beklagten und dem Grundstück des Klägers im Bereich zwischen der Garage und dem Haus Nr. 11 verlaufenden Hecke auf eine Höhe von 80 cm. Ein Anspruch auf Beseitigung der Hecke besteht im Übrigen nicht.
Der Anspruch auf Rückschnitt der Hecke auf die (unstreitige) Höhe des Maschendrahtzaunes besteht als Minus zu dem geltend gemachten Beseitigungsanspruch aus Art. 47 i.V.m. Art. 50 BayAGBGB. Insoweit kann sich die beklagte Partei nicht mit Erfolg auf die geltend gemachte Einrede der Verjährung berufen, da in unverjährter Zeit ein entsprechender Rückschnitt erfolgt war. Ein etwaiger Anspruch auf vollständige Entfernung der unstreitig seit jedenfalls 47 Jahren bestehenden Hecke ist demgegenüber jedenfalls verjährt (Art. 52 BayAGBGB).
Infolge der teilweise zusprechenden Entscheidung erübrigt sich eine Entscheidung über den Hilfsantrag zu III.
2. Zum Antrag zu VI.
Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Rückschnitt der an der Grenze zwischen dem Grundstück der Beklagten und dem Grundstück des Klägers auf dem Grundstück der Beklagten innerhalb einer Entfernung von 2 Metern zur Grundstückgrenze stehenden Brombeersträucher auf eine Höhe von 2 Metern. Ein Anspruch auf Beseitigung der Brombeersträucher samt Wurzeln besteht im Übrigen nicht.
Der Anspruch auf Rückschnitt der in einem Bereich von 2 Meter hinter der Grundstücksgrenze befindlichen Brombeersträucher auf die Höhe von 2 Meter besteht als Minus zu, dem geltend gemachten Beseitigungsanspruch aus Art. 47 BayAGBGB. Insoweit besteht die durch die beklagte Partei geltend gemachte Einrede der Verjährung nicht, da in unverjährter Zeit ein Rückschnitt erfolgt war. Ein etwaiger Anspruch auf vollständige Entfernung der Brombeerstauden ist demgegenüber jedenfalls verjährt (Art. 52 BayAGBGB).
Infolge der teilweise zusprechenden Entscheidung erübrigt sich eine Entscheidung über den Hilfsantrag zu VI.
3. Zum Antrag zu VII. und zum Hilfsantrag zu VII.
Ein Anspruch des Klägers auf Beseitigung der an der Nordwand, an der Nord-/Ostecke sowie an der Nord-/Westecke des Gebäudes der Beklagten angebrachten spiegelnden Scheiben (CDs) besteht nicht.
Selbst wenn mit den von den angebrachten CDs ausgehenden Lichtreflexen und Geräuschen eine wesentliche Beeinträchtigung im Sinne von § 906 BGB verbunden wäre, scheitert ein Beseitigungsanspruch unter Berücksichtigung des wechselseitigen nachbarrechtlichen Rücksichtnahmegebotes an § 906 Abs. 2 BGB.
Unstreitig wurden die an der Fassade des Hauses der Beklagten angebrachten CDs zum Zwecke der Spechtvergrämung angebracht.
Durch den Vortrag des Klägers, dass in der H2. Str. 72 die Anbringung eines „künstlichen Raben“ zur Abwehr des Spechts ausgereicht habe, wird deutlich, dass es in der fraglichen Wohngegend tatsächlich ein entsprechendes Specht-Problem gibt, mithin die Vornahme von Maßnahmen der Spechtvergrämung eine ortsübliche Nutzung darstellt.
Maßgebliche Rolle für den Erfolg der Spechtvergrämung durch die an der Fassade des Hauses der Beklagten angebrachten CDs spielen gerade die mit Lichtreflexen und Geräuschen verbundenen Bewegungen. Bei der Anbringung von frei drehenden und spiegelnden CDs; handelt es sich um ein übliches (und auch durch den Landesbund für Vogelschutz in Bayern beschriebenes) Mittel zur Vergrämung des unter Naturschutz stehenden Spechts. Soweit die Klagepartei vorbringt, dass ein „künstlicher Rabe“, das heißt mit anderen Worten eine Feindattrappe, genauso zur Spechtvergrämung geeignet wäre, erscheint ein solches Mittel bereits aufgrund des Fehlens von Bewegung und Geräuschen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht gleich geeignet, da anders als bei den sich unkontrolliert drehenden CDs bei Einsatz einer unbewegten Feinattrappe mit dem Eintreten eines baldigen Gewöhnungseffekts bei dem zu vergrämenden Tier zu rechnen wäre. Eine Verhinderung der Blendeinwirkungen bei Einsatz der CDs könnte nicht erfolgen, ohne gleichzeitig den durch die Reflektionen der sich drehenden CDs erwünschten Effekt aufzuheben. Eine zur Spechtvergrämung gleich geeignete und den Beklagten wirtschaftlich zumutbare Alternative ist aus dem Parteivortrag nicht ersichtlich. Im Ergebnis ist damit auch eine (wahr unterstellte) wesentliche Beeinträchtigung im Sinne von § 906 Abs. 2 BGB als ortsübliche Benutzung hinzunehmen, solange (wie derzeit unstreitig) tatsächlich ein Specht zu vergrämen ist.
Aus denselben Gründen besteht auch der mit dem Hilfsantrag zu VII. geltend gemachte Anspruch nicht.
4. Zum Antrag VIII.
Ein Anspruch insbesondere aus Art. 43 BayAGBGB auf Einrichtung der in der Grenzwand befindlichen Fenster derart, dass bis zur Höhe von 1,80 m über dem hinter befindlichen Boden weder das Öffnen noch das Durchblicken möglich ist, besteht nicht.
a) Ein Anspruch auf blickdichte Einrichtung der streitgegenständlichen Fenster besteht jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt (Sachstand vom 10.06.2018) nicht.
Ein etwaiger Anspruch auf blickdichte Einrichtung der Fensterscheiben der streitgegenständlichen Fenster, welcher sich insbesondere unter Berücksichtigung der vormaligen Ausgestaltung von zwei der späteren Fensteröffnungen (blickdichte Glasbausteine) ergeben köhnte, wäre unter Berücksichtigung der widerstreitenden Interessen jedenfalls durch Einbau der Milchglasscheiben im Jahr 2016 erloschen, da ein etwaiger Anspruch auf Herstellung von Blickdichtigkeit auf die Blickdichtigkeit handelsüblicher Milchglasscheiben begrenzt wäre.
Hinsichtlich der Blickdichtigkeit der Fenster ist unstreitig, dass die aktuell verbauten Fenster über Milchglasscheiben verfügen.
Ein Anspruch auf Herstellung einer vollständigen Blickdichtigkeit im Sinne der Einrichtung von nur halbdurchlässigen Spiegelscheiben oder einer baulichen Beseitigung von Lichtöffnungen ist unter Berücksichtigung der beiderseitigen berechtigten nachbarlichen Belange nicht erkennbar. Unter Berücksichtigung des in der Mustersiedlung vorherrschenden Prinzips der Grenzbebauung und mit Blick auf die gedrängte Wohnlage ist zwischen den Nachbarn ein möglichst interessengerechter Ausgleich zu suchen. Einerseits besteht auf Seiten des Klägers das berechtigte Interesse, nicht der Wahrnehmung von Vorgängen insbesondere im Bad- und Toilettenbereich des Hauses der Beklagten ausgesetzt zu sein. Andererseits besteht auf Seiten der Beklagten das berechtigte Interesse an einer möglichst natürlichen Belichtung der hinter den streitgegenständlichen Fenstern befindlichen Räume. Der Einsatz von handelsüblichen Milchglasscheiben trägt diesen widerstreitenden Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung des sich aus dem Siedlungsvertrag ergebenden, über das Fenster- und Lichtrecht dinglich gesicherte Recht zur Einrichtung von Fenster- und Lichtöffnungen in beliebiger Zahl und Art abweichend von den Vorschriften des BayAGBGB, hinreichend Rechnung.
b) Ein Anspruch auf Einrichtung der streitgegenständlichen Fenster derart, dass ein Öffnen nicht möglich ist, besteht nicht. Die über das Fenster- und Lichtrecht dinglich gesicherten Regelungen im Siedlungsvertrag gehen den Regelungen im BayAGBGB vor. Im Siedlungsvertrag ist geregelt, dass in der Grenzwand Fenster beliebiger Art eingerichtet werden können. Das Recht, Fenster „in beliebiger Art“ einzurichten bezieht sich bereits nach dem Wortlaut auf die Bauart der Fenster. Von der Bauart der Fenster ist insbesondere die Frage umfasst, ob und wie weit sich die Fenster öffnen lassen, Das Kriterium „beliebig“ könnte allenfalls als dahingehend eingeschränkt verstanden werden, dass den berechtigten nachbarlichen Interessen Rechnung zu tragen ist. Einerseits besteht auf Seiten des Klägers wiederum das berechtigte Interesse, nicht der Wahrnehmung von Vorgängen insbesondere im Bad- und Toilettenbereich des Hauses der Beklagten ausgesetzt zu sein. Andererseits besteht auf Seiten der Beklagten das berechtigte Interesse an einer möglichst effektiven natürlichen Belüftung der hinter den streitgegenständlichen Fenster befindlichen Räume. Da etwaigen Beeinträchtigungen infolge eines Öffnens der Fenster anderweitig Rechnung getragen werden kann, etwa indem ein weites Öffnen der Bad- und Toilettenfenster während der Benutzung der Bad- und Toilettenräume unterlassen wird, ist auch unter Berücksichtigung der nachbarlichen Interessen ein Anspruch auf Einrichtung der streitgegenständlichen Fenster derart, dass ein Öffnen nicht möglich ist, nicht erkennbar.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 92 ZPO i.V.m. § 91 a ZPO und § 93 ZPO.
1. Hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Teils (Antrag zu I.) des Rechtsstreits werden die Kosten im Rahmen der einheitlichen Kostenentscheidung gemäß § 91 a ZPO der beklagten Partei auferlegt. Nach summarischer Prüfung (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, § 91 a Rn, 46 ff.) wäre von einem Anspruch des Klägers auf Vornahme des dann durchgeführten Rückschnitts auszugehen. Selbst wenn den Beklagten ein Rückschnitt des unter die Baumschutzverordnung fallenden Baumes infolge gesetzlicher Vorgaben im Anschluss an die Klageerhebung erst ab Oktober 2016 möglich gewesen wäre, bestand eine entsprechende Möglichkeit zum Rückschnitt, welcher unstreitig bereits Gegenstand des früheren Schlichtungsverfahrens war, bereits in dem vorhergehenden Zeitraum bis Ende Februar 2016. Vor diesem Hintergrund ist auch mit Blick auf das durchgeführte Schlichtungsverfahren nicht ersichtlich, dass die Beklagten dem Kläger keinen Anlass zur Klage gegeben hätten. Unter Berücksichtigung dessen entspricht es billigem Ermessen, die Kosten insoweit der beklagten Partei aufzuerlegen.
2. Hinsichtlich des zu dem klägerischen Antrag zu II. erklärten Anerkenntnisses sind die Kosten im Rahmen der einheitlichen Kostenentscheidung nicht ausnahmsweise gemäß § 93 ZPO der Klagepartei aufzuerlegen, da das Anerkenntnis nicht sofort erklärt worden ist. Mit Schriftsatz vom 05.10.2016 hat die beklagte Partei insgesamt Klageabweisung beantragt, so dass das später erklärte Anerkenntnis bereits aus diesem Grund kein „sofortiges“ Anerkenntnis i.S.v. § 93 ZPO darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 22.10.2015, Az, V ZB 93/13, NJW 2016, 572, Tz, 21). Die Kosten sind insoweit gemäß §§ 91, 92 ZPO der beklagten Partei aufzuerlegen.
3. Hinsichtlich der bereits durch Teilanerkenntnis- und Teilurteil vom 19.07.2017 abgewiesenen Anträge zu IV, und V, sowie der abgewiesenen Anträge VII. (nebst Hilfsantrag zu VII.) und VIII. sind die Kosten gemäß §§ 91, 92 ZPO durch die unterlegene Klagepartei zu tragen.
4. Hinsichtlich der Anträge zu III, und VI., bezüglich derer der Klagepartei als Minus zu dem jeweils geltend gemachten Beseitigungsanspruch ein Anspruch auf Rückschnitt zugesprochen worden ist, wird im Rahmen der einheitlichen Kostenentscheidung jeweils ein Teilerfolg der Klagepartei von 20 % zugrunde gelegt, da der jeweils zugesprochene Anspruch auf Rückschnitt nach Einschätzung des Gerichts um 80 % hinter dem verfolgten Anspruch auf vollständige Beseitigung zurückbleibt, der im Übrigen abgewiesen worden ist.
III.
Die Entscheidung zur sofortigen Vollstreckbarkeit beruht jeweils auf § 709 ZPO.
Hinsichtlich des Klägers wird die Sicherheitsleistung dabei unter Berücksichtigung der anteiligen Kosten und des möglichen Vollstreckungsschadens auf 5.000,00 € festgesetzt.
IV.
Der Streitwert wird gemäß §§ 39, 40, 45, 48 Abs. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO festgesetzt auf 11.250,00 €.
Ausgehend von den Angaben des Klägers zum Gesamtwert der ursprünglich acht Hauptanträge (laut Klageschrift: 10.000,00 €) und dem hiernach erkennbaren Interesse des Klägers wird der Streitwert hinsichtlich der acht Hauptanträge und des Hilfsantrags zu VII., über den ebenfalls eine Entscheidung ergangen ist, jeweils auf 1.250,00 € geschätzt (§ 3 ZPO).


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