Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Willkürliche Verweisung bei Nichtbeachtung internationaler Zuständigkeitsregeln

Aktenzeichen  101 AR 101/20

Datum:
15.9.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 22920
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 281 Abs. 2 S. 4
LugÜ Art. 24 S. 1

 

Leitsatz

Ein Verweisungsbeschluss kann als willkürlich und daher nicht bindend zu werten sein, wenn das verweisende Gericht trotz des Auslandsbezugs der Streitsache, der wegen des in der Schweiz liegenden Sitzes der beklagten Partei auf der Hand liegt, ausschließlich auf Zuständigkeitsvorschriften des nationalen Prozessrechts abstellt, ohne die sich aufdrängende Frage ihrer Anwendbarkeit zu thematisieren und ohne vorrangige staatsvertragliche Regelungen auch nur zu erwähnen. (Rn. 28 – 29)
Eine Einlassung gemäß Art. 24 Satz 1 LugÜ liegt in jedem nach der Prozessordnung wirksam erklärten Verteidigungsvorbringen gegenüber dem Gericht, das unmittelbar auf Klageabweisung gerichtet ist. (Rn. 42) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

133 C 65258/20 — AGMUENCHEN AG München

Tenor

1. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts München vom 13. Mai 2020 ist nicht bindend.
2. Örtlich zuständig für die weitere Behandlung der Streitsache ist das Amtsgericht München, dem es vorbehalten bleibt, nach Durchführung der erforderlichen Aufklärung zur örtlichen Zuständigkeit den Rechtsstreit an das gegebenenfalls ausschließlich zuständige Wohnsitzgericht zu verweisen.

Gründe

I.
Mit seiner zum Amtsgericht München erhobenen Klage verlangt der Kläger von der Beklagten, einer Aktiengesellschaft mit Hauptsitz in Genf, Rückerstattung des Reisepreises wegen einer ausgefallenen Pauschalreise.
Er trägt zum Sachverhalt vor: Er habe im Mai 2019 bei der Beklagten eine MittelmeerKreuzfahrt nebst Flug gebucht. Der Hinflug habe von Hamburg über Frankfurt a. M. nach Barcelona stattfinden sollen, wo das Schiff am 19. März 2020 hätte ablegen sollen. Der Rückflug sei für den 26. März 2020 von Barcelona nach Hamburg vorgesehen gewesen. Nachdem er die Reise am 3. März 2020 storniert und die Beklagte die Kreuzfahrt letztendlich abgesagt habe, sei der bereits geleistete Reisepreis nicht einmal in Höhe des nach den Stornobedingungen geschuldeten Betrags rückerstattet worden.
Für die Beklagte benannte der Kläger unter Hinweis auf deren Allgemeine Geschäftsbedingungen eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in München als Zustellungsbevollmächtigte. Dort wurde die Klage am 8. Mai 2020 zugestellt.
Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten besagen unter Ziff. 17 „Rechtswahl, Gerichtsstandsvereinbarung und Generalklausel“ unter anderem:
„Klagen gegen … [die Beklagte] sind bei dem für den Sitz der Zustellbevollmächtigten … in München örtlich und sachlich zuständigen Gericht zu erheben, sofern keine zwingenden gesetzlichen Vorschriften oder internationale Übereinkommen etwas anderes vorschreiben.“
Mit Verfügung vom 6. Mai 2020 ordnete das Amtsgericht München die Durchführung eines schriftlichen Vorverfahrens sowie die Klagezustellung an; zugleich erteilte das Gericht „gemäß § 504 ZPO“ den Hinweis, dass es für den Rechtsstreit örtlich nicht zuständig sei, jedoch zuständig werde, wenn die beklagte Partei mündlich zur Hauptsache verhandele, ohne die Unzuständigkeit des Gerichts zu rügen. Gemäß § 17 ZPO komme es auf den Sitz der beklagten Partei an, nicht auf denjenigen eines Zustellungsbevollmächtigten. Dessen Sitz im Bezirk des angerufenen Gerichts sei daher nicht maßgeblich. Auch nach § 29 ZPO sei keine Zuständigkeit des Amtsgerichts München begründet. Zur Bestimmung des Erfüllungsorts könne bei Reiseverträgen auf den Abflug- und Ankunftsort abgestellt werden. Daher werde angefragt, ob eine Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Hamburg beantragt werde.
Beide Parteien erhielten Gelegenheit zur Äußerung auf diesen Hinweis binnen zwei Wochen.
Mit Schriftsatz vom 7. Mai 2020 stellte der Kläger Verweisungsantrag. Die Beklagte zeigte mit Schriftsatz vom 12. Mai 2020 ihre Absicht an, sich gegen die Klage zu verteidigen, behielt sich Anträge und deren Begründung in einem gesonderten Schriftsatz vor und erklärte ihr Einverständnis mit einer Verweisung an das Amtsgericht Hamburg. Eine weitergehende Einlassung auf den Rechtsstreit erfolgte seitens der Beklagten noch nicht.
Mit den Parteien mitgeteiltem Beschluss vom 13. Mai 2020 erklärte sich das Amtsgericht München für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit antragsgemäß an das Amtsgericht Hamburg. Entsprechend dem erteilten Hinweis ist die Verweisung darauf gestützt, dass beim angegangenen Gericht keine Zuständigkeit nach §§ 17, 29 ZPO ersichtlich sei. Der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten richte sich nicht nach dem Sitz ihrer Zustellungsvertreterin. Der Erfüllungsort liege nicht im Bezirk des angerufenen Gerichts. Gemäß der Kommentierung bei Zöller, ZPO, § 29 Rn. 25.46 könne zur Bestimmung des Erfüllungsorts bei Reiseverträgen auf den Abflug- und Ankunftsort abgestellt werden. Dieser begründe die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Hamburg.
Das Amtsgericht Hamburg wies die Parteien darauf hin, es beabsichtige, sich gleichfalls für unzuständig zu erklären und die Sache zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorzulegen.
Der Kläger hielt eine Vorlage nicht für erforderlich. Der Verweisungsbeschluss entfalte Bindungswirkung, weil Rechtsirrtum allein einer Bindung nicht entgegenstehe und die Beklagte mit der Verweisung einverstanden gewesen sei. Auch eine Auslegung als zulässige Gerichtsstandsvereinbarung nach § 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO komme in dieser Situation in Betracht.
Mit Beschluss vom 3. August 2020 erklärte sich das Amtsgericht Hamburg für örtlich unzuständig und legte die Sache dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor. Gemäß dem vorangegangenen Hinweis führte es aus: An den Verweisungsbeschluss sei es nicht gebunden. Das Amtsgericht München habe seine eigene und auf der Hand liegende Zuständigkeit nach § 21 ZPO außer Acht gelassen. Eine Befassung mit dieser Bestimmung habe sich aufgedrängt, da die in München ansässige Gesellschaft bereits in der Buchungsbestätigung als Zustellungsbevollmächtigte bezeichnet sei. Bereits dies lasse darauf schließen, dass die im Ausland ansässige Beklagte zur einfacheren Abwicklung ihrer Vertragsverhältnisse – auch im Zusammenhang mit etwaigen Vertragsstörungen – eine Niederlassung im Inland gegründet habe. Darüber hinaus seien gemäß Ziff. 4.1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten auch Reiserücktritte gegenüber dieser inländischen Gesellschaft zu erklären. Dass es sich bei ihr um eine selbständige juristische Person handele, stehe nach einhelliger Rechtsprechung der Einordnung als Niederlassung nicht entgegen. Außerdem habe das Amtsgericht außer Acht gelassen, dass nach obergerichtlicher Rechtsprechung der Erfüllungsort für Sekundäransprüche des Kunden aus einem Reisevertrag im Sinne des § 651a BGB am Sitz des Reiseveranstalters liege, während es nicht auf den Ort ankomme, an dem einzelne Reiseleistungen (hier der „Flug“) zu erbringen seien. Sollte das Amtsgericht seine Zuständigkeit unter dem Gesichtspunkt des § 21 ZPO geprüft haben, gehe dies aus der Begründung des Verweisungsbeschlusses jedenfalls nicht hervor. Auch in diesem Fall binde die Verweisung nicht. Das Einverständnis der Beklagten mit der Verweisung ändere daran nichts.
Die Parteien haben im Bestimmungsverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Der Kläger hält den Verweisungsbeschluss für bindend; die Beklagte hat sich dahin geäußert, dass in Deutschland vor dem Amtsgericht Hamburg der Verbrauchergerichtsstand eröffnet sei.
Die Parteien sind darauf hingewiesen worden, dass das Wohnsitzgericht das – nicht am Kompetenzstreit beteiligte – Amtsgericht Zeven sei. Diesem Hinweis hat die Annahme zugrunde gelegen, dass der Kläger an der in der Klageschrift angegebenen Adresse seinen Wohnsitz habe.
Der Kläger hat daraufhin vorgetragen, er sei mit Hauptwohnsitz im Bezirk des Amtsgerichts Eckernförde gemeldet, habe aber in dem seit Jahrzehnten bestehenden Kontakt mit der Beklagten zur Vermeidung von Verwechslungen einheitlich seine zum Bezirk des Amtsgerichts Zeven gehörende Adresse verwendet.
II.
Auf die zulässige Vorlage des Amtsgerichts Hamburg sind die fehlende Bindungswirkung des ergangenen Verweisungsbeschlusses und demzufolge die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts München für die weitere Behandlung der Streitsache auszusprechen, verbunden mit dem Zusatz, dass das Amtsgericht München dadurch an einer Verweisung nicht gehindert ist, falls sich auf der Grundlage des Parteivorbringens und des Ergebnisses der erforderlichen Sachverhaltsklärung die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts und gegebenenfalls die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts am – noch zu klärenden – Wohnsitz des Klägers ergibt.
1. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO (vgl. Schultzky in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 36 Rn. 34 m. w. N.) durch das Bayerische Oberste Landesgericht liegen zwar grundsätzlich vor.
Das Amtsgericht München hat sich durch unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 13. Mai 2020 (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO) für unzuständig erklärt, das Amtsgericht Hamburg durch die zuständigkeitsverneinende Entscheidung vom 3. August 2020. Die jeweils ausdrücklich ausgesprochene Leugnung der eigenen Zuständigkeit erfüllt das Tatbestandsmerkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2017, X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 12 m. w. N.).
Zuständig für die Entscheidung ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO das Bayerische Oberste Landesgericht, weil die Bezirke der am negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte zu den Zuständigkeitsbereichen unterschiedlicher Landgerichte (München I und Hamburg) gehören, so dass das für sie gemeinschaftliche im Rechtszug zunächst höhere Gericht der Bundesgerichtshof ist (vgl. auch Senatsentscheidung v. 24. September 2019, 1 AR 83/19), und ein bayerisches Gericht zuerst mit der Sache befasst worden ist.
2. Eine Bestimmung des zuständigen Gerichts kann in der Streitsache jedoch nicht erfolgen, weil nach dem Tatsachenvorbringen der Parteien und unter Berücksichtigung des Verfahrensgangs möglicherweise keines der am negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte für den Rechtsstreit örtlich zuständig ist und diejenigen Voraussetzungen nicht vorliegen, unter denen ausnahmsweise ein drittes Gericht bestimmt werden kann.
a) Im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist der Kompetenzstreit in der Weise zu entscheiden, dass das für den Rechtsstreit tatsächlich zuständige Gericht bestimmt wird; eine Auswahlmöglichkeit oder ein Ermessen bestehen nicht (BVerfG, Beschluss vom 30. Juni 1970, 2 BvR 48/70, BVerfGE 29, 45 [49, juris Rn. 19]; BGH, Beschluss vom 14. Februar 1995, X ARZ 35/95, juris Rn. 3; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 36 Rn. 47).
Bei der Entscheidung sind die allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften und eingetretene verfahrensrechtliche Bindungswirkungen zu beachten (Schultzky in Zöller, ZPO, § 36 Rn. 38; Toussaint in BeckOK ZPO, 37. Ed. Stand: 1. Juli 2020, § 36 Rn. 43 f.; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl. 2020, § 36 Rn. 31; Patzina in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 36 Rn. 42; Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 36 Rn. 47).
Besteht bei keinem der am Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte eine Zuständigkeit für den Rechtsstreit und ist ein drittes Gericht ausschließlich zuständig, so kann nach ständiger Rechtsprechung aus Gründen der Prozessökonomie das ausschließlich zuständige Gericht auch im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO bestimmt werden, wenn der erforderliche Verweisungsantrag bereits im Ausgangsverfahren oder zumindest im Bestimmungsverfahren gestellt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 1996, X ARZ 683/96, NJW 1996, 3013 [juris Rn. 4]; Beschluss vom 15. März 1978, IV ARZ 17/78, BGHZ 71, 70 [juris Rn. 5]; BayObLG, Beschluss vom 24. Januar 2003, 1Z AR 4/03, juris Rn. 11; OLG Frankfurt, Beschluss vom 28. Januar 2015, 11 SV 133/14, juris Rn. 14). Liegen diese Voraussetzungen nicht vor oder kann das zuständige Gericht mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen noch nicht sicher ermittelt werden, ist der Rechtsstreit – unter deklaratorischer Feststellung der fehlenden Bindung des Verweisungsbeschlusses – an das verweisende Gericht zurückzugeben, damit dieses die erforderlichen Feststellungen nachholen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. August 1996, XII ARZ 7/96, juris Rn. 5 f.; Beschluss vom 14. Februar 1995, X ARZ 35/95, juris Rn. 5; OLG Köln, Beschluss vom 10. März 2004, 5 W 8/04, juris Rn. 1 und 5) und sodann gegebenenfalls erneut verweisen kann (Schultzky in Zöller, ZPO, § 36 Rn. 37 f.).
b) Das nach dem Gesetz für die Streitsache zuständige Gericht kann derzeit nicht bestimmt werden, weil zunächst weitere Tatsachenfeststellungen getroffen werden müssen. Die Sache wird daher an das Amtsgericht München zurückgegeben, das dadurch nicht daran gehindert ist, nach Einholung ergänzenden Sachvortrags der Parteien im Falle eigener Unzuständigkeit den Rechtsstreit auf der Grundlage eines entsprechenden Verweisungsantrags des Klägers an das zuständige Gericht zu verweisen. In der gegebenen Verfahrenslage sind daher lediglich das Fehlen einer Bindungswirkung des ergangenen Verweisungsbeschlusses vom 13. Mai 2020 und die Zuständigkeit des Amtsgerichts München für die Durchführung der zur Klärung der Zuständigkeitsfrage erforderlichen Tatsachenfeststellungen auszusprechen.
aa) Eine örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Hamburg folgt nicht schon aus dem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts München vom 13. Mai 2020, weil dieser Beschluss ausnahmsweise nicht bindet.
(1) Allerdings sind im Interesse der Prozessökonomie und zur Vermeidung von Zuständigkeitsstreitigkeiten und dadurch bewirkten Verzögerungen und Verteuerungen des Verfahrens Verweisungsbeschlüsse gemäß § 281 Abs. 2 Sätze 2 und 4 ZPO unanfechtbar und für das Gericht, an welches verwiesen wird, grundsätzlich bindend. Dies entzieht auch einen sachlich zu Unrecht ergangenen Verweisungsbeschluss und die diesem Beschluss zugrunde liegende Entscheidung über die Zuständigkeit grundsätzlich jeder Nachprüfung (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2005, X ARZ 223/05, NJW 2006, 847 [juris Rn. 12]). Jedoch entfällt die Bindungswirkung dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als objektiv willkürlich betrachtet werden muss (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2017, X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 15; Beschluss vom 9. Juni 2015, X ARZ 115/15, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 9; BayObLG, Beschluss vom 5. März 2020, 1 AR 144/19, juris Rn. 84; Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 16 f.; jeweils m. w. N.).
(2) Nach diesen Maßstäben bindet der Verweisungsbeschluss nicht.
Zwar lässt bloßer Rechtsirrtum die Bindungswirkung ebenso wenig entfallen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. April 1992, XII ARZ 8/92, NJW-RR 92, 902 [juris Rn. 3]) wie das Übersehen eines Gerichtsstands, der sich nicht aufdrängte und von den Parteien nicht thematisiert worden ist (BGH, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 11; Beschluss vom 17. Mai 2011, X ARZ 109/11, NJW-RR 2011, 1364 Rn. 12). Grobe Rechtsfehler können allerdings als extremer Verstoß gegen die den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) determinierenden Rechtsvorschriften zu qualifizieren sein und dazu führen, dass ein Verweisungsbeschluss nicht mehr als „im Rahmen der Gesetze ergangen“ angesehen werden kann, sondern bei objektiver Würdigung, auf die allein abzustellen ist, jeder Rechtsgrundlage entbehrt und daher als offensichtlich unhaltbar und deshalb willkürlich zu werten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. September 2002, X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634 [juris Rn. 16]).
Obwohl das verweisende Gericht die Bedeutung des Beklagtensitzes für die Zuständigkeitsfrage erkannt hat und dieser Sitz in der Schweiz liegt, hat es ausschließlich auf solche Zuständigkeitsvorschriften abgestellt, die es dem nationalen Prozessrecht entnommen hat, ohne die sich aufdrängende Frage ihrer Anwendbarkeit zu thematisieren und die vorrangigen Bestimmungen des bereits seit dem 1. Januar 2011 zwischen der Schweiz und der Europäischen Union in Kraft stehenden (revidierten) Luganer Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30. Oktober 2007 (ABl. EU 2009 L 147 S. 5; LugÜ) auch nur zu erwähnen. Darüber hinaus hat das verweisende Gericht die Verweisung und die ihr zugrunde liegende Annahme eines Erfüllungsorts am Abflugort mit einer gut überschaubaren (siebenzeiligen) Kommentarstelle begründet, deren letzter Satz unter Verweis auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt (veröffentlicht in RRa 2016, 58) zum Ausdruck bringt, dass sich beim Pauschalreisevertrag der oder ein Erfüllungsort nicht am Abflugort befinde.
Da sich das verweisende Gericht mit den Bestimmungen des Luganer Übereinkommens, dessen Anwendungsbereich offenkundig in zeitlicher, persönlicher, sachlicher und räumlicher Hinsicht eröffnet ist, nicht auseinandergesetzt und darüber hinaus bei der Anwendung des nationalen Rechts den zur Begründung der Entscheidung herangezogenen Quellen einen Inhalt beigemessen hat, den diese offenkundig nicht haben, ist die Verweisung bei objektiver Betrachtung trotz des von den Parteien übereinstimmend erklärten, vom Gericht allerdings provozierten Einverständnisses als willkürlich zu werten (vgl. BGH, NJW 2002, 3634 [juris Rn. 17]; anders im Fall einer Verweisung aufgrund einer von den Parteien übereinstimmend als Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands gewerteten Vertragsklausel: BGH, Beschluss vom 27. Mai 2008, X ARZ 45/08, NJW-RR 2008, 1309 [juris Rn. 10]).
bb) Eine örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Hamburg wurde nicht durch Gerichtsstandsvereinbarung, Art. 23 i. V. m. Art. 17 LugÜ, begründet.
Die Verfahrenserklärungen der Parteien, nämlich der Verweisungsantrag des Klägers und die Einverständniserklärung der Beklagten zu der vom Gericht avisierten Verweisung, beinhalten keine klar und deutlich zum Ausdruck gekommene materielle Willenseinigung der Parteien über das zuständige Gericht, wie sie zum Zustandekommen einer (schriftlichen) Gerichtsstandsvereinbarung nach der insoweit autonom auszulegenden Regelung des Art. 23 Abs. 1 LugÜ erforderlich wäre (vgl. dazu: EuGH, Urt. v. 9. Dezember 2013, C-116/02, EuZW 2004, 188 Rn. 51 – Gasser zum insoweit wortgleichen Art. 17 EuGVÜ; Urt. v. 10. März 1992, C-214/89, NJW 1992, 1671 [juris Rn. 13 f.] – Powell Duffryn; Urt. v. 14. Dezember 1976, Rs. 24/76, NJW 1977, 494 [juris Rn. 7] – Colzani ./. Rüwa; Magnus, IPRax 2016, 521 [522 f.]; vgl. auch BGH, NJW-RR 1994, 126 [juris Rn. 8] zu § 38 ZPO).
cc) Der Verbrauchergerichtsstand gemäß Art. 15 Abs. 1 Buchst. c, Abs. 3, Art. 16 Abs. 1 Alternative 2 LugÜ liegt gleichfalls nicht beim Amtsgericht Hamburg, sondern entweder beim Amtsgericht Zeven oder beim Amtsgericht Eckernförde oder auch bei diesen beiden Gerichten mit der Folge, dass der Kläger die ihm nach § 35 ZPO grundsätzlich zustehende Wahl auszuüben hätte.
Gegenstand des Verfahrens ist die Klage eines Verbrauchers gegen dessen Vertragspartner wegen eines Anspruchs, der seinen Grund in einem Vertrag hat, der dadurch zustande gekommen ist, dass die Beklagte ihre gewerbliche Tätigkeit (auch) auf den Wohnsitzstaat des Verbrauchers ausgerichtet hat, Art. 15 Abs. 1 Buchst. c LugÜ. Dies ergibt sich aus einer Zusammenschau der vorgelegten Reiseunterlagen einschließlich der Regelungen über die Zustellungsbevollmächtigte in den von der Beklagten gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen und dem Internetauftritt der Beklagten. Aus den Reiseunterlagen ergibt sich außerdem, dass der Vertrag eine Pauschalreise i. S. d. Art. 15 Abs. 3 LugÜ betrifft (vgl. hierzu: Paulus in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 59. EL Stand: April 2020, Art. 17 VO [EG] 1215/2012 Rn. 83 m. w. N.; zur Auslegung des Luganer Übereinkommens in Übereinstimmung mit den Parallelvorschriften der Brüssel-Ia-VO sowie der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union: EuGH, Urt. v. 2. Mai 2019, C-694/17, juris Rn. 27 – Pillar Securitisation zu Art. 15 LugÜ; BGH, Urt. v. 7. Juni 2016, KZR 6/15, BGHZ 210, 292 Rn. 17 – Pechstein/International Skating Union zu Art. 6 Nr. 1 LugÜ). Im Inland kann die Klage daher im Verbrauchergerichtsstand, Art. 16 Abs. 1 Alternative 2 LugÜ erhoben werden.
Dies vermag allerdings nicht die Zuständigkeit des Amtsgerichts Hamburg zu begründen, weil der Wohnsitz des Klägers, Art. 59 Abs. 1 LugÜ i. V. m. § 7 BGB, jedenfalls nicht in dessen Gerichtsbezirk liegt. Art. 16 Abs. 1 LugÜ regelt in seiner zweiten Alternative aber nicht nur die internationale, sondern zugleich die örtliche Gerichtszuständigkeit.
dd) Vorliegend ist vor einer etwaigen Verweisung an das – gegebenenfalls noch zu ermittelnde – Wohnsitzgericht zu klären, ob daneben eine örtliche Zuständigkeit des angerufenen Amtsgerichts München nach Art. 5 Nr. 5 LugÜ oder Art. 23 Abs. 5 i. V. m. Art. 17 Nr. 2 LugÜ oder Art. 24 Satz 1 LugÜ besteht, denn eine Verweisung an ein anderes zuständiges Gericht setzt die eigene Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts voraus. Zwischen mehreren zuständigen Gerichten kann der Kläger wählen; diese Wahl wird in bindender Weise mit der Klageerhebung zu einem zuständigen Gericht ausgeübt. Eine nochmalige Wahl durch Stellen eines Verweisungsantrags scheidet dann aus.
(1) Gemäß Art. 15 Abs. 1 LugÜ bestimmt sich die Zuständigkeit bei Verbrauchersachen nach den Regelungen des 3. Teils Abschnitt 4 des LugÜ „unbeschadet des Artikels 5 Nummer 5“. Daher kommt grundsätzlich neben dem Verbrauchergerichtsstand ein wahlweise zur Verfügung stehender Gerichtsstand am Ort einer inländischen Niederlassung der Beklagten gemäß Art. 5 Nr. 5 LugÜ in Betracht. Diese Norm regelt wiederum neben der internationalen auch die örtliche Zuständigkeit (vgl. Paulus in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 17 VO [EG] 1215/2012 Rn. 16 f.).
Zwar bestehen auf der Grundlage des Akteninhalts derzeit keine hinreichenden Erkenntnisse dahingehend, dass die im Inland ansässige Zustellungsbevollmächtigte die tatsächlichen Voraussetzungen einer (Zweig-)Niederlassung im Sinne des autonom auszulegenden Begriffsverständnisses erfüllt (hierzu: Paulus in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 7 VO [EG] 1215/2012 Rn. 239, 242 f.; Thole in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2018, Brüssel Ia-VO Art. 7 Nr. 5 Rn. 122 f.). Auch für einen darüber hinaus erforderlichen Bezug des Streitstoffs zum Betrieb einer möglicherweise in München ansässigen Niederlassung (vgl. Paulus in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivilund Handelssachen, Art. 7 VO [EG] 1215/2012 Rn. 246; Thole in Wieczorek/Schütze, ZPO, Brüssel Ia-VO Art. 7 Nr. 5 Rn. 124 f.) ist derzeit nichts vorgetragen oder aus den Reisedokumenten ersichtlich, zumal nach den vom Kläger vorgelegten Anlagen die Buchung über ein Reisebüro in Hamburg vorgenommen worden sein dürfte.
Allerdings hat der Kläger vortragen lassen, ihm sei bewusst gewesen, dass beim Amtsgericht München eine örtliche Zuständigkeit bestehe, er habe die ihn überraschende Anregung, einen Verweisungsantrag zu stellen, jedoch bereitwillig aufgegriffen. Ihm ist daher Gelegenheit zu geben, zu den tatsächlichen Voraussetzungen einer Gerichtszuständigkeit in München näher vorzutragen. Eine Amtsermittlung findet allerdings nicht statt. Die vom angerufenen Gericht von Amts wegen zu prüfende örtliche Zuständigkeit beschränkt sich vielmehr auf den dem Gericht unterbreiteten oder offenkundigen Prozessstoff, wobei die Sachurteilsvoraussetzungen grundsätzlich von der klagenden Partei darzulegen sowie gegebenenfalls zu beweisen sind und es dem Gericht obliegt, lückenhaften Vortrag durch geeignete Hinweise aufzuklären (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2015, X ARZ 115/15, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 12; Urt. v. 31. Januar 1991, III ZR 150/88, NJW 1991, 3095 [juris Rn. 24]; OLG Hamm, Beschluss vom 5. Januar 2015, 32 SA 88/14, juris Rn. 24; OLG Frankfurt, Beschluss vom 5. November 2012, 11 AR 212/12, NJW-RR 2013, 511 [juris Rn. 14]; Toussaint in BeckOK ZPO, § 12 Rn. 12; Schultzky in Zöller, ZPO, § 12 Rn. 13; Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 41. Aufl. 2020, Vorb § 253 Rn. 12; Patzina in Münchener Kommentar zur ZPO, § 12 Rn. 55).
(2) Daneben ist den Parteien Gelegenheit zu geben, sich zur Frage der Vereinbarung eines zusätzlichen fakultativen Gerichtsstands in München für Klagen des Verbrauchers gegen die Beklagte durch Einbeziehung deren Allgemeiner Geschäftsbedingungen zu äußern, Art. 23 Abs. 1, Abs. 5 i. V. m. Art. 17 Nr. 2 LugÜ.
(3) Außerdem wird die Frage einer – vorrangigen – örtlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts München aus Art. 24 Satz 1 LugÜ zu prüfen sein. Eine Zuständigkeitsbegründung kraft rügeloser Einlassung nach Art. 24 LugÜ kann auch die dem Schutz der typischerweise schwächeren Vertragspartei dienenden Zuständigkeitsvorschriften des Titels II Abschnitt 4 LugÜ verdrängen (vgl. E. Peiffer/M. Peiffer in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, VO (EG) 1215/2012 Art. 26 Rn. 9 zur entsprechenden Bestimmung der Brüssel-Ia-VO).
Eine rügelose Einlassung gemäß Art. 24 Satz 1 LugÜ begründet auch die örtliche Gerichtszuständigkeit. Einzelrechtliche Sondervorschriften der lex fori, wie § 39 Satz 2 i. V. m. § 504 ZPO, finden insoweit keine Anwendung. Die Bestimmung regelt außerdem abschließend den wiederum autonom auszulegenden Begriff der rügelosen Einlassung und den maßgeblichen Zeitpunkt für das Vorliegen einer solchen Einlassung.
Eine Einlassung in diesem Sinne liegt in jedem nach der Prozessordnung wirksam erklärten Verteidigungsvorbringen gegenüber dem Gericht, das unmittelbar auf Klageabweisung gerichtet ist (vgl. E. Peiffer/M. Peiffer in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, VO (EG) 1215/2012 Art. 26 Rn. 15, 17, 25). Sie begründet die örtliche Zuständigkeit des Gerichts unabhängig davon, ob die beklagte Partei ein Erklärungsbewusstsein hinsichtlich dieser Rechtsfolge hatte (vgl. E. Peiffer/M. Peiffer in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, VO (EG) 1215/2012 Art. 26 Rn. 16) und erfordert nicht zwingend eine Stellungnahme zur Hauptsache.
Selbst wenn die bisher aktenkundige Einlassung der Beklagten noch keine rügelose Einlassung in diesem Sinne darstellt, kommt eine Zuständigkeitsbegründung des Amtsgerichts München gemäß Art. 24 Satz 1 LugÜ noch in Betracht mit der Folge, dass eine Verweisung an das Gericht des Verbrauchergerichtsstands in einem solchen Fall ausscheidet. Wird – wie es vorliegend der Fall ist – ein schriftliches Vorverfahren gemäß § 276 ZPO durchgeführt, muss die Rüge der Unzuständigkeit spätestens in der schriftlichen Klageerwiderung – wenn auch nicht zwingend innerhalb der hierfür gesetzten Frist – erhoben werden. Lässt sich die Beklagte hingegen mit der – noch ausstehenden – Klageerwiderung rügelos auf das Verfahren ein, ist die Zuständigkeit des Amtsgerichts München bewirkt (vgl. E. Peiffer/M. Peiffer in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, VO [EG] 1215/2012 Art. 26 Rn. 31 ff.). Eine Verweisung an ein anderes Gericht kommt dann nicht mehr in Betracht.
ee) Aus diesen Ausführungen ergibt sich zugleich, dass sich in der vorliegenden Streitsache ein Rückgriff auf § 29 Abs. 1 ZPO zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts verbietet. Auch dies wird im Falle einer gegebenenfalls noch zu treffenden Entscheidung über eine Verweisung zu beachten sein.


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