Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Zur Beweiskraft einer Zustellungsurkunde

Aktenzeichen  3 S 75/20

Datum:
16.12.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 38958
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 180, § 182, § 234 Abs. 3, § 415, § 418

 

Leitsatz

Der Beklagte wandte sich mit seiner Berufung gegen die amtsgerichtliche Verwerfung seines Einspruchs gegen ein gegen ihn ergangenes Versäumnisurteil als verspätet und damit unzulässig sowie gegen die amtsgerichtliche Ablehnung seines Antrags auf Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist. Das Landgericht Bamberg wies mit Beschluss vom 16.12.2020, Az. 3 S 75/20, auf die Aussichtslosigkeit der Berufung hin, da von einer wirksamen Zustellung des Versäumungsurteils an den Beklagten auch ohne dessen tatsächliche Kenntnisnahme auszugehen und eine Wiedereinsetzung nach Ablauf der Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO nicht mehr möglich sei. Daraufhin wurde die Berufung vom Beklagten zurückgenommen. Die Entscheidung ist rechtskräftig. (Rn. 2 – 13)

Tenor

1. Die Kammer beabsichtigt, die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Bamberg vom 09.10.2020, Az. 0120 C 304/18, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Da die Berufung mithin keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
3. Die Kammer beabsichtigt weiterhin, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 8.584,49 EUR festzusetzen.
4. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.

Gründe

Auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Beklagtenseite in der Berufungsbegründung ist eine Abänderung der amtsgerichtlichen Entscheidung nicht veranlasst, da ihr ein Rechtsfehler zum Nachteil des Beklagten nicht zu entnehmen ist.
Das Amtsgericht hat im Ergebnis zu Recht den am 15.07.2020 erstmals eingegangenen Einspruch des Beklagten gegen das gegen ihn ergangene Versäumnisurteil vom 12.06.2018 als unzulässig verworfen und den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Einspruchsfrist zurückgewiesen. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird insoweit zunächst vollumfänglich auf die zutreffenden Erwägungen in der angegriffenen Entscheidung des Amtsgerichts vom 09.10.2020 Bezug genommen. Ergänzend ist zu bemerken:
1. Zunächst ist von einer wirksamen Zustellung von Terminsverfügung und Versäumnisurteil an die damals aktuelle Anschrift des Beklagten auszugehen.
Ausweislich der in den Akten befindlichen Postzustellungsurkunden wurde die Zustellung der Terminsverfügung und -ladung zum amtsgerichtlichen Termin vom 12.06.2018 am 05.04.2018 sowie das Versäumnisurteil vom 12.06.2018 am 15.06.2018 unter der seinerzeit korrekten Wohnanschrift des Beklagten im Sinne des § 180 ZPO durch Einlegung in den Briefkasten rechtswirksam zugestellt. Der Beklagte selbst trägt vor, dass an seiner damaligen Wohnanschrift ein gangbarer mit seinem Namen versehener Briefkasten zur Verfügung stand. Dabei gelten die in den Akten befindlichen Postzustellungsurkunden als öffentliche Urkunden im Sinne des § 415 ZPO mit der Beweiskraft des § 418 ZPO, so dass diese die Tatsache des Einlegens des Schriftstücks in den Briefkasten des Empfängers seitens des Zustellers bezeugen (vgl. dazu § 182 Abs. 1 ZPO sowie Schultzky, in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, 182 Rn. 14 m.w.N.). Mit dem Einlegen des Schriftstücks in den Briefkasten gilt dieses gemäß § 180 Satz 2 ZPO als zugestellt, wobei eine Kenntnisnahme durch den Adressaten hierfür nicht erforderlich ist. Unerheblich für die Wirksamkeit der Zustellung ist es insbesondere, wenn ein Dritter die Sendung dem Briefkasten entnommen und nicht an den Adressaten weitergeleitet hat (vgl. dazu Schultzky, a.a.O., § 180 Rn. 8 m.w.N.).
Den Gegenbeweis, dass die aus der Zustellungsurkunde mit der Beweiskraft des § 418 Abs. 1 ZPO hervorgehenden Tatsachen (Einlegung des Schriftstücks in den Briefkasten des Beklagten) unrichtig sind, vermochte der Beklagte nicht zu führen. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass die an den Gegenbeweis des § 418 Abs. 2 ZPO zu stellenden Anforderungen nicht überspannt werden dürfen (vgl. Schultzky, a.a.O., § 182 Rn. 15 m.w.N.). Allein der Umstand, dass die zugestellten Schriftstücke „unter nicht näher bekannten Umständen“ wenige Wochen bzw. wenige Tage nach dem ausweislich der Postzustellungsurkunden vermerkten Einlegen in den Briefkasten des Beklagten wieder in den Bereich der Post gelangt sind, genügt nicht, um den gegenläufigen Beweis zu führen, die Einlegung der Dokumente in den Briefkasten des Beklagten sei tatsächlich nicht erfolgt und somit unzutreffend vermerkt worden. Der Beklagte selbst trägt vor, dass der Briefkasten an seiner seinerzeitigen Wohnanschrift für den Postzugang zur Verfügung stand und ordnungsgemäß mit seinem Namen versehen war (vor dem Hintergrund der Wahrunterstellung dieser Behauptung bedurfte es keiner Einvernahme der beklagtenseits insoweit angebotenen Zeugen). Zum einen ist daher denkbar, dass der Beklagte oder aber eine dritte Person die Schriftstücke dem Briefkasten entnommen und sodann wieder in einen öffentlichen Briefkasten der Post geworfen hat, was an der Wirksamkeit der Zustellung nichts ändern würde. Zum anderen fällt auf, dass sich die für die gegenständlichen Zustellungen verantwortlichen Zusteller (T. und G.) ausweislich der aus den Postzustellungsurkunden hervorgehenden Vermerke und Unterschriften in der Person unterscheiden; dass binnen etwa zwei Monaten zwei unterschiedliche Briefzusteller nicht wahrheitsgemäße Zustellungsvermerke (Einlegen in den Briefkasten des Beklagten) beurkunden sollen, liegt indes nicht auf der Hand, zumal dem Vorbringen des Beklagten keine weiteren Unregelmäßigkeiten beim Postzugang im betreffenden Zeitraum (April bis Juni 2018) zu entnehmen sind.
Soweit erstmals in der Berufungsbegründung der Postmitarbeiter Z. zum Beweis der Fehleranfälligkeit von Postzustellungen, etwa im Hinblick auf das behauptete Verbuchen als „zugestellt“ vor dem Austragen des Schriftstücks, als Zeuge angeboten wird, ist der Beklagte damit in der zweiten Instanz ausgeschlossen, da die Einvernahme des Zeugen Z. den Rechtsstreit verzögen würde und der Beklagte die entsprechenden Erkundigungen unschwer auch bereits im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens einholen und damit auch den Zeugen in erster Instanz bereits hätte benennen können, vgl. dazu §§ 529 Abs. 1 Nr. 1, 531 ZPO. Im Übrigen wurde der Zeuge Z. mangels hinreichenden Bezugs zu den verfahrensgegenständlichen Zustellungsvorgängen vom 05.04.2018 und 15.06.2018 für keine entscheidungserhebliche Beweistatsache angeboten. Selbst wenn die in das Wissen des Zeugen Z. gestellten Behauptungen als wahr unterstellt würden, ist weiterhin denkbar, dass die gegenständlichen Zustellungen ordnungsgemäß in den Briefkasten des Beklagten bewirkt und sodann die eingelegten Schriftstücke von diesem oder aber einer dritten Person entnommen und an die Post zurückgeschickt wurden, was, wie bereits ausgeführt, nichts an der Wirksamkeit der Zustellungen ändern würde.
2. Zudem wurde dem Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Einspruchsfrist zurecht der Erfolg versagt. Zum einen ist das fehlende Verschulden des Beklagten an der Versäumung der Einspruchsfrist im Sinne des § 233 ZPO in Ansehung der vorstehenden Ausführungen nicht hinreichend glaubhaft gemacht, § 236 Abs. 2 ZPO. Zum anderen steht der Wiedereinsetzung vorliegend der Ablauf der Jahresfrist nach § 234 Abs. 3 ZPO entgegen.
Nach § 234 Abs. 3 ZPO kann die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, nicht mehr beantragt werden. Demnach endete die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO vorliegend Ende Juni 2019 ein Jahr nach Ablauf der Einspruchsfrist Ende Juni 2018.
Die absolute Ausschlussfrist des § 234 Abs. 3 ZPO soll eine unangemessene Verzögerung des Rechtsstreits verhindern und den Eintritt der Rechtskraft gewährleisten. Die Ausschlussfrist schützt insbesondere das Vertrauen des Gegners auf den Eintritt der materiellen Rechtskraft einer Entscheidung. Sie ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Es kann jedoch geboten sein, sie im Einzelfall ausnahmsweise nicht anzuwenden, wenn nur so die verfassungsmäßigen Rechte des Antragstellers des Wiedereinsetzungsgesuchs gewahrt werden können. Ein solcher Ausnahmefall wird etwa dann angenommen, wenn das Versäumen der Jahresfrist der Sphäre des Gerichts und nicht derjenigen des Antragstellers zuzurechnen ist (vgl. zum Komplex BGH, Beschluss vom 21. Januar 2016 – IX ZA 24/15 – Rn. 7/8 = NJW-RR 2016, 638/639; Grandel, in: Musielak/Voit, ZPO, 17. Auflage 2020, § 234 Rn. 6; Stackmann, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 234 Rn. 23/24 – jeweils mit weiteren Nachweisen). Eine solche Ausnahmekonstellation liegt hier indes nicht vor.
Insbesondere sind im hiesigen Streitfall die dargetanen Gründe, derentwegen der Beklagte die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO versäumt haben will (fehlende Kenntnis vom Versäumnisurteil vom 12.06.2018), nicht der Sphäre des Gerichts zuzurechnen. Das Amtsgericht hat die in Rede stehenden Schriftstücke (Terminsverfügung und Versäumnisurteil) dem Beklagten unter seiner damaligen Wohnanschrift durch Einlegen in den Briefkasten durch den Postzusteller gemäß § 180 ZPO wirksam zustellen lassen (siehe oben). Der Umstand einer etwaigen Unkenntnis des Beklagten von den in seinen Briefkasten eingelegten Schriftstücken kann nicht dem Gericht zugerechnet werden. Selbst wenn der Beklagte die fehlende Kenntnisnahme von den ihm zugestellten Schriftstücken nicht zu vertreten haben sollte, führt dies allein nicht zur Unanwendbarkeit der Ausschlussfrist des § 234 Abs. 3 ZPO. Diese greift nämlich selbst im Falle höherer Gewalt ein (so ausdrücklich BGH, Beschluss vom 21. Januar 2016 – IX ZA 24/15 – Rn. 9 m.w.N. = NJW-RR 2016, 638).
3. Nach alledem entspricht die Verwerfung des erst im Juli 2020 eingegangenen Einspruchs des Beklagten als unzulässig sowie die Ablehnung seines Wiedereinsetzungsantrags der Sach- und Rechtslage, auch wenn dieses Ergebnis aus Sicht des Beklagten nachvollziehbar bedauerlich ist.
Seine Berufung erweist sich daher als in der Sache aussichtslos.
1. Die Kammer beabsichtigt, die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Bamberg vom 09.10.2020, Az. 0120 C 304/18, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Da die Berufung mithin keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
3. Die Kammer beabsichtigt weiterhin, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 8.584,49 EUR festzusetzen.
4. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.


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