Patent- und Markenrecht

29 W (pat) 10/19

Aktenzeichen  29 W (pat) 10/19

Datum:
17.6.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2022:170622B29Wpat10.19.0
Spruchkörper:
29. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2012 022 812
(Nichtigkeitsverfahren S 167/15)
hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 9. Februar 2022 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Mittenberger-Huber, die Richterin Seyfarth und den Richter Posselt
beschlossen:
1. Auf die Beschwerden der Nichtigkeitsantragstellerinnen und Beschwerdeführerinnen zu 1) und zu 2) wird der Beschluss der Markenabteilung 3.4. des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 19. Dezember 2018 insoweit aufgehoben, als die Löschungsanträge für nachfolgende Waren zurückgewiesen worden sind:
Klasse 10:
orthopädische Artikel; Orthopädische Schuhwaren und solche zur Rehabilitation, zur Fußgymnastik und Therapie sowie sonstigen medizinischen Zwecken und deren Teile, einschließlich orthopädischer Schuhe, auch derartige Schuhe mit Fußbett oder orthopädischen Fußstützen sowie Fuß- und Schuheinlagen; derartige Fußstützen sowie Fuß- und Schuheinlagen und deren Teile, auch in der Form starrer thermoplastischer Einlagen, Schuhbauteile und Schuheinbauteile zur orthopädischen Schuhzurichtung, insbesondere Passteile, Keile, Kissen, Einlegesohlen, Innensohlen, Schaumpolster, Schaumpelotten sowie Fußformsohlen, auch in Form von vollplastischen Einlagen mit orthopädischem Fußbett aus Naturkork, Thermokork, Kunststoff, Latex oder geschäumten Kunststoffmaterialien auch aus elastischer Verbundmasse aus Kork, Latex-Mischungen oder Kunststoff-Kork-Mischungen; orthopädische Fuß- und Schuheinlagen; orthopädische Stützen für Füße und Schuhe; orthopädische Schuhwaren, insbesondere orthopädische Sandalen und Slipper, orthopädische Einlegesohlen; Einlagen, auch aus Kunststoff, Latex oder geschäumten Kunststoffmaterialien, auch aus elastischer Verbundmasse aus Kork-Latex-Mischungen oder Kunststoff-Kork-Mischungen;
Klasse 18:
Leder und Lederimitationen sowie Waren daraus, soweit in Klasse 18 enthalten; Häute und Felle; Reise- und Handkoffer; Regenschirme, Sonnenschirme und Spazierstöcke; Peitschen, Geldbörsen; Taschen; Handtaschen; Dokumentenkoffer; Hüfttaschen; Kleidersäcke für die Reise; Schlüsseletuis (Lederwaren); Kosmetikkoffer; Kulturbeutel; Kulturtaschen; Reisetaschen; Rucksäcke;
Klasse 25:
Bekleidungsstücke, Kopfbedeckungen, Schuhwaren, auch Bequemschuhwaren und solche für Arbeit, Freizeit, Gesundheit und Sport, einschließlich Sandalen, Gymnastiksandalen, Pantoletten, Slipper, Clogs, auch mit Fußbett, insbesondere mit anatomisch geformten Tieffußbett, Fußstützen sowie Fuß- und Schuheinlagen, Schutzeinlagen; Teile und Zubehör derartiger Schuhwaren, nämlich Schuhoberteile, Absätze, Laufsohlen, Einlegesohlen, Innensohlen, Schuhbodenteile, auch Fußbettungen, Fußstützen, Fuß- und Schuheinlagen, insbesondere mit Fußbett oder anatomisch geformtem Tieffußbett aus Naturkork, Thermokork, Kunststoff, Latex oder geschäumten Kunststoffmaterialien, auch aus elastischer Verbundmasse aus Kork-Latex-Mischungen oder Kunststoff-Kork-Mischungen; Innensohlen; Einlegesohlen; Schuhwaren, nämlich Schuhe und Sandalen; Stiefel, Schuhe, Sandalen, Slipper sowie Teile und Fittings für alle vorgenannten Waren, soweit in Klasse 25 enthalten; Gürtel.
Insoweit wird die Löschung der angegriffenen Marke angeordnet.
2. Im Übrigen werden die Beschwerden zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Beschwerdeführerinnen wenden sich gegen die (Teil-)Zurückweisung ihrer Löschungsanträge gegen die Marke 30 2012 022 812 durch die Markenabteilung 3.4 des Deutschen Patent- und Markenamtes (DPMA).
2
Das am 29. März 2012 angemeldete Bildzeichen (schwarz/weiß)
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen
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ist am 31. Mai 2012 unter der Nummer 30 2012 022 812 für die Waren der
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Klasse 10:
5
Chirurgische, ärztliche, zahn- und tierärztliche Instrumente und Apparate, künstliche Gliedmaßen, Augen und Zähne; orthopädische Artikel; chirurgisches Nahtmaterial, chirurgisches Nahtmaterial für operative Zwecke; Orthopädische Schuhwaren und solche zur Rehabilitation, zur Fußgymnastik und Therapie sowie sonstigen medizinischen Zwecken und deren Teile, einschließlich orthopädischer Schuhe, auch derartige Schuhe mit Fußbett oder orthopädischen Fußstützen sowie Fuß- und Schuheinlagen; derartige Fußstützen sowie Fuß- und Schuheinlagen und deren Teile, auch in der Form starrer thermoplastischer Einlagen, Schuhbauteile und Schuheinbauteile zur orthopädischen Schuhzurichtung, insbesondere Passteile, Keile, Kissen, Einlegesohlen, Innensohlen, Schaumpolster, Schaumpelotten sowie Fußformsohlen, auch in Form von vollplastischen Einlagen mit orthopädischem Fußbett aus Naturkork, Thermokork, Kunststoff, Latex oder geschäumten Kunststoffmaterialien auch aus elastischer Verbundmasse aus Kork, Latex-Mischungen oder Kunststoff-Kork-Mischungen; orthopädische Fuß- und Schuheinlagen; orthopädische Stützen für Füße und Schuhe; orthopädische Schuhwaren, insbesondere orthopädische Sandalen und Slipper, orthopädische Einlegesohlen; Einlagen, auch aus Kunststoff, Latex oder geschäumten Kunststoffmaterialien, auch aus elastischer Verbundmasse aus Kork-Latex-Mischungen oder Kunststoff-Kork-Mischungen;
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Klasse 18:
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Leder und Lederimitationen sowie Waren daraus, soweit in Klasse 18 enthalten; Häute und Felle; Reise- und Handkoffer; Regenschirme, Sonnenschirme und Spazierstöcke; Peitschen, Pferdegeschirre und Sattlerwaren; Geldbörsen; Taschen; Handtaschen; Dokumentenkoffer; Hüfttaschen; Kleidersäcke für die Reise; Schlüsseletuis (Lederwaren); Kosmetikkoffer; Kulturbeutel; Kulturtaschen; Reisetaschen; Rucksäcke;
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Klasse 25:
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Bekleidungsstücke, Kopfbedeckungen, Schuhwaren, auch Bequemschuhwaren und solche für Arbeit, Freizeit, Gesundheit und Sport, einschließlich Sandalen, Gymnastiksandalen, Pantoletten, Slipper, Clogs, auch mit Fußbett, insbesondere mit anatomisch geformten Tieffußbett, Fußstützen sowie Fuß- und Schuheinlagen, Schutzeinlagen; Teile und Zubehör derartiger Schuhwaren, nämlich Schuhoberteile, Absätze, Laufsohlen, Einlegesohlen, Innensohlen, Schuhbodenteile, auch Fußbettungen, Fußstützen, Fuß- und Schuheinlagen, insbesondere mit Fußbett oder anatomisch geformtem Tieffußbett aus Naturkork, Thermokork, Kunststoff, Latex oder geschäumten Kunststoffmaterialien, auch aus elastischer Verbundmasse aus Kork-Latex-Mischungen oder Kunststoff-Kork-Mischungen; Innensohlen; Einlegesohlen; Schuhwaren, nämlich Schuhe und Sandalen; Stiefel, Schuhe, Sandalen, Slipper sowie Teile und Fittings für alle vorgenannten Waren, soweit in Klasse 25 enthalten; Gürtel; Schals; Halstücher;
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in das beim DPMA geführte Register eingetragen worden.
11
Die Antragstellerin und hiesige Beschwerdeführerin zu 1) hat am 22. Juli 2015 die vollständige Löschung der Marke wegen absoluter Schutzhindernisse nach §§ 3, 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 und 10 MarkenG a. F. (Verfahren S 167/15), die Antragstellerin und Beschwerdeführerin zu 2) am 16. Juli 2015 die vollständige Löschung der Marke wegen absoluter Schutzhindernisse nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 und 10 MarkenG a. F. (Verfahren S 163/15) beantragt.
12
Den Nichtigkeitsanträgen, die der Inhaberin der angegriffenen Marke am 5. August 2015 bzw. am 10. August 2015 zugestellt worden waren, hat diese mit jeweils beim DPMA am gleichen Tag eingegangenen Schriftsätzen vom 5. Oktober 2015 und vom 9. Oktober 2015 widersprochen.
13
Mit Beschluss vom 19. Dezember 2018 hat die Markenabteilung 3.4 des DPMA diese beiden Nichtigkeitsverfahren – sowie sechs weitere Verfahren, die jedoch nicht mehr beschwerdegegenständlich sind – unter dem führenden Verfahren S 167/15verbunden, die teilweise Löschung der Marke wegen fehlender Unterscheidungskraft für die Waren „Pferdegeschirre und Sattlerwaren“ in Klasse 18 und „Schals; Halstücher“ in Klasse 25 angeordnet und die Löschungsanträge im Übrigen zurückgewiesen.
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Als räumlich begrenztes, in sich abgeschlossenes und klares Bildzeichen sei die angegriffene Marke abstrakt unterscheidungskräftig und damit markenfähig i. S. d. § 3 Abs. 1 MarkenG. Es handele sich nicht um ein konturloses Flächenmuster – ein solches sei als sonstige Marke eintragbar -, sondern um eine Bildmarke. Die zeitlich frühere Eintragung der Schuhsohle als Design stehe dem Markenschutz nicht entgegen. Zum einen handele es sich dabei um ein anderes als das angegriffene Bildzeichen, zum anderen könnten die Schutzrechte Design und Marke unabhängig voneinander bestehen. Auch die Schutzhindernisse des § 3 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG lägen nicht vor. Es handele sich weder um eine warenbedingte Form oder ein Abbild der Ware noch bestehe das Zeichen aus einer Form, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich sei. Das Zeichen stelle weder die Form einer Schuhsohle noch eine Schuhsohle dar, sondern eine Art Knochenmuster in einem Quadrat. Es sei nicht zulässig, diese Darstellung mit Gestaltungselementen, die nicht Teil des Zeichens seien, zu ergänzen. Die Bildmarke gebe auch nicht vor, an welcher Stelle der Waren sie benutzt werde. Auch § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG habe der Eintragung nicht entgegengestanden. Das Zeichen beschreibe weder Merkmale der beanspruchten Waren noch handele es sich um eine Abbildung derselben oder von Teilen davon. Bei Schuhsohlen sei es nicht üblich, durch Zeichen auf den Schuhen auf das Profil hinzuweisen. Bei den übrigen Waren sei es ebenfalls nicht gängig, dass mithilfe eines quadratischen Bildes auf eine entsprechende Gestaltung z. B. der Oberfläche der Ware aufmerksam gemacht werde. Für die Waren „Pferdegeschirre und Sattlerwaren“ (Klasse 18) sowie „Schals und Halstücher“ (Klasse 25) entbehre das Zeichen jedoch jeglicher Unterscheidungskraft gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG. Die angegriffene Bildmarke bestehe aus einem grauen Quadrat mit jeweils vier senk- und vier waagrechten Schlangenlinien, die der Nachbarlinie jeweils gespiegelt seien und sich regelmäßig kreuzten. Die dunkel umrandeten, im Kern helleren Linien seien an den Kreuzungspunkten jeweils unterbrochen und liefen dort spitz zu. Dadurch entstehe eine räumliche Wirkung und ein an den Kreuzungspunkten hell vom übrigen Muster abgehobenes schmales Kreuz. Alle Bogenlinien seien gleich lang und jeweils paarig achsensymmetrisch. An den Kreuzungspunkten entstünden windmühlenartige Kreuzungen. In der Fläche hingegen entstünden durch die Grafik in beiden Ausrichtungen Abfolgen von waagrechten und senkrechten „Knochen“. Es handele sich nicht um eine lediglich einfache geometrische oder sonstige grafische Gestaltung, sondern diese verfüge über gewisse Eigenart und Wiedererkennungswert. Die Bildmarke bilde keine der beanspruchten Waren oder deren Merkmale naturgetreu ab. Bei der Frage, welche Form der Anbringung des Zeichens an oder auf der Ware der Prüfung zugrunde gelegt werde, komme es darauf an, ob es praktisch bedeutsame und naheliegende Möglichkeiten gebe, das Zeichen so zu verwenden, dass es der Verkehr ohne weiteres als Marke verstehe. Demnach stehe dem Zeichen die fehlende Unterscheidungskraft nur für die Waren „Pferdegeschirre; Sattlerwaren“ (Kl. 18) und „Schals; Halstücher“ (Kl. 25) entgegen. Schals und Halstücher könnten eine quadratische Form und somit ein entsprechendes Muster haben. Auch bei Pferdegeschirren und Sattlerwaren seien vergleichbare dekorative Einprägungen üblich, so dass der Verkehr darin keinen Hinweis auf den Hersteller sehe. Die übrigen beanspruchten Waren seien für entsprechende Einprägungen entweder zu klein (z. B. chirurgische Instrumente) oder regelmäßig gar nicht mit Herstellerhinweisen versehen (z. B. künstliche Augen und Zähne). Soweit ein Herstellerhinweis üblicherweise auf der Ware direkt oder auf einem Etikett oder auf der Verpackung angebracht werde, sei auch das angegriffene quadratische Bildzeichen geeignet, entsprechend genutzt und damit als Herstellerkennzeichen wahrgenommen zu werden. In der Schuhbranche sei eine Verwendung des Bildzeichens als abgegrenztes Bild (Logo) auf der Schuhsohle oder an der Schuhaußenseite naheliegend und praktisch bedeutsam, während eine Verwendung als flächendeckendes Schuhsohlenprofil aufgrund der quadratischen Form ausscheide. Die Markenabteilung mache sich die Ausführungen des EuGH in seiner Entscheidung vom 13.09.2018 (C-26/17) nicht zu eigen. Dieser sei an die Tatsachenfeststellungen des EuG gebunden gewesen, wonach bei Zeichen, die mit dem Erscheinungsbild der Ware verschmelzen könnten, eine aus ihrem Wesen folgende Wahrscheinlichkeit bestehe, dass das Zeichen als Oberflächenmuster verwendet werde. Damit habe das EuG die – im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mindestens ebenso wahrscheinliche oder sogar wahrscheinlichste – Verwendungsmöglichkeit, nämlich die für eine Bildmarke typischste Verwendung als in sich abgeschlossenes zweidimensionales Bildzeichen, nicht berücksichtigt. Maßgeblich sei die Marke in ihrer eingetragenen Form, und dies sei vorliegend keine Mustermarke. Selbst wenn einige Schuhsohlen der Markeninhaberin ein Knochenmuster in Form des angegriffenen Zeichens enthalten würden, könne man daraus nicht den Schluss ziehen, dass es sich bei dem Schutzgegenstand um eine Oberflächengestaltung handeln solle. Soweit die Unterscheidungskraft fehle, sei sie nicht durch Verkehrsdurchsetzung gem. § 8 Abs. 3 MarkenG überwunden worden. Das vorgelegte demoskopische Gutachten befasse sich nicht mit dem angegriffenen Zeichen, sondern mit dem Abbild einer Schuhsohle, und sei daher unbeachtlich. Die Antragsgegnerin habe die Marke in erster Linie mit dem Ziel der markenrechtlichen Absicherung und nicht in Behinderungsabsicht angemeldet, so dass keine Bösgläubigkeit i. S. d. 8 Abs. 2 Nr. 10 MarkenG vorliege.
15
Gegen diesen Beschluss der Markenabteilung 3.4. wenden sich die Nichtigkeitsantragstellerinnen mit ihren Beschwerden.
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Die Beschwerdeführerin zu 1) trägt zur Begründung vor, es handele sich nicht um eine räumlich begrenzte Bildmarke, sondern um die zweidimensionale Darstellung eines Teils eines sich gleichförmig in alle Richtungen ausbreitenden Musters. Reihe man mehrere dieser Bilder nebeneinander, erkenne man, dass die Marke keine Konturen habe. Das Zusammenfügen ergebe ein nahtloses Muster. Abgesehen davon, dass es den Begriff „Mustermarke“ im MarkenG nicht gebe, und auch keine Marke mit dieser Bezeichnung eingetragen sei, gebe das DPMA auf seiner Homepage die zweidimensionale Darstellung einer „Mustermarke“ vor. Die Markeninhaberin selbst ordne ihre Marke als Mustermarke ein und benutze sie (nur) so. Da Schuhsohlen immer zunächst in großflächigen Rechtecken hergestellt würden, könne die Abbildung des gegenständlichen Musters sehr wohl eine Schuhsohle darstellen, und somit der Schutzausschließungsgrund des § 3 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG einschlägig sein. Die Darstellung einer Schuhsohle sei nicht nur durch die Form einer Schuhsohle möglich. Bei der angegriffenen Marke handele es sich aber nicht um das Bild einer Schuhsohle, sondern eines Sohlenprofils. Mithin bestehe sie ausschließlich aus charakteristischen Merkmalen, die durch die Art der Ware selbst bedingt seien, so dass § 3 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG einschlägig sei. Zudem seien die genannten Merkmale zur Erreichung einer technischen Wirkung i. S. d. § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG erforderlich. Das Markenmuster bestehe aus einer „auxetischen“ (dehnbaren) Struktur. Beispiele der Deutschen Gesellschaft für Materialforschung für sog. auxetische Materialien zeigten Darstellungen, die mit der angegriffenen Marke beinahe identisch seien. Durch die Verwendung sog. auxetischer Materialien könnten bei Laufsohlen die technischen Wirkungen „Griffigkeit, Antirutsch, guter Halt, längere Lebensdauer“ erreicht werden, womit die Markeninhaberin sogar werben würde. Da die angegriffene Marke ausschließlich aus einer auxetischen Struktur bestehe, seien wesentliche Merkmale technisch bedingt. Ob die Wirkung auch anderweitig erreicht werden könne, sei unerheblich, da es auf Formalternativen nicht ankomme. Die auxetische Struktur der beanspruchten Waren werde durch die Bildmarke unmittelbar beschrieben, weshalb das Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG entgegenstehe. Schließlich fehle dem angegriffenen Zeichen die erforderliche Unterscheidungskraft. Das banale und rein dekorative Muster könne naturgemäß als Oberflächenmuster verwendet werden. Die Markenabteilung habe die Frage der Unterscheidungskraft im Gegensatz zu den Entscheidungen des EuG und des EuGH beurteilt, obgleich sie an diese Rechtsprechung gebunden sei. Entgegen der Auffassung der Markenabteilung handele es sich nicht um ein räumlich begrenztes und in sich abgeschlossenes Bild, sondern um ein banales Muster. Es gebe keine praktisch bedeutsamen und naheliegenden Möglichkeiten, das Zeichen bei den Waren, für die es Schutz beanspruche, so zu verwenden, dass es vom Verkehr ohne weiteres als Marke verstanden werde. Nach den Feststellungen des EuGH sei das streitgegenständliche Zeichen prädestiniert, als Oberflächenmuster verwendet zu werden. An diese Bewertung sei das DPMA gebunden. Sie entspreche auch der ständigen Rechtsprechung zu vergleichbaren Zeichen, z. B. BPatG, Beschluss vom 28.06.2006, 26 W (pat) 40/03; Beschluss vom 16.02.2011, 28 W (pat) 551/10; Beschluss vom 05.04.2004, 30 W (pat) 17/04; EuG, Urteil vom 21.04.2015, T-359/12; Urteil vom 19.09.2012, T-326/10; Urteil vom 19.06.2019, T-307/17. Dadurch, dass die Markeninhaberin das Zeichen nur als Oberflächenmuster benutze, trage sie dem Umstand Rechnung, dass derartige Muster im Bereich der beanspruchten Waren nicht als Herkunftshinweis verwendet würden. Im Bekleidungsbereich finde sich der Herstellerhinweis z. B. auf der linken Brustseite in Form eines Logos und/oder des Namens. Bei Schuhen befinde sich der Herstellerhinweis in der Regel im Fußbett oder als Aufnäher auf der Außenseite, auch hier üblicherweise ein Wort-/Bildzeichen, nie aber ein banales, konturloses Muster. Auch bei Lederwaren, wie Handtaschen, seien Wortmarken oder Initialen zur Herkunftsbezeichnung üblich. Nicht nachvollziehbar sei insbesondere, wie das Zeichen auf den Waren „chirurgische, ärztliche, zahn- und tierärztliche Instrumente“ herkunftshinweisend angebracht werden könne. Das Anbringen am Griff dieser Instrumente sorge allenfalls für die Rutschfestigkeit. Schließlich könne es nicht darauf ankommen, ob ein derartiges Oberflächenmuster extra für eine bestimmte Verwendung designt sei.
17
Im Verfahren vor dem DPMA hat die Beschwerdeführerin zu 1) weiterhin vorgetragen, die Inhaberin der angegriffenen Marke habe bösgläubig im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 10 MarkenG gehandelt, da ihr im Zeitpunkt der Anmeldung jeglicher Benutzungswille gefehlt und sie die Anmeldung wettbewerbs- und sittenwidrig in Kenntnis der Registrierung eines identischen Schuhsohlenmusters für einen Dritten vorgenommen habe.
18
Die Beschwerdeführerin zu 2) hat sich im Beschwerdeverfahren schriftsätzlich nicht zur Sache geäußert. In der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdeführervertreterin erklärt, sie halte das Zeichen für freihaltebedürftig. Es handele sich um eine sehr banale Gestaltung, die bei einer Verkehrsbefragung dazu führen dürfte, dass das angesprochene Publikum davon ausgehen werde, dass mehrere Unternehmen eine solche verwendeten.
19
Im Verfahren vor dem DPMA hat sie vorgetragen, das HABM habe die Erstreckung der Schutzwirkung einer identischen IR-Marke zurückgewiesen (R 1952/2013-1, 15. Mai 2014). Die rechtlichen Erwägungen des HABM seien auf die identische deutsche Marke zu übertragen. Einer Bildmarke, die aus einem grafisch gezeichneten, beliebig in alle Richtungen fortzusetzenden geometrischen Muster bestehe, das dazu gedacht sei, auf der Oberfläche der erfassten Waren (z. B. Schuhsohlen, Lederwaren, Handtaschen oder Bekleidungsstücke) appliziert oder eingeprägt zu werden, fehle jegliche Unterscheidungskraft, wenn der Verkehr darin nur einen warenbeschreibenden Hinweis oder rein dekorative, ornamentale Zier- und Gestaltungselemente der betreffenden Waren erblicke. Die für dreidimensionale Marken entwickelte Rechtsprechung, wonach nur ein erheblich von der Norm oder Branchenüblichkeit abweichendes Zeichen Unterscheidungskraft haben könne, gelte auch für die zweidimensionale Darstellung der Ware bzw. für eine Bildmarke, die aus einem Teil der Form der mit ihr gekennzeichneten Waren bestehe. Denn der Verkehr nehme sie ohne besonderes Nachdenken als Darstellung eines besonders interessanten oder ansprechenden Details wahr, aber nicht als Herkunftshinweis. Dies treffe auf das vorliegende Zeichen zu, das lediglich ein grafisch gezeichnetes, geometrisches Muster sei, das offensichtlich dazu bestimmt sei, in beliebiger Fortsetzung in sämtliche Richtungen auf der Oberfläche der erfassten Waren appliziert zu werden bzw. deren Oberfläche zu verzieren. Das Zeichen wirke damit rein dekorativ. Außerdem beachte der Verbraucher die Sohlenunterseite seiner Schuhe in der Regel nicht oder nur am Rande und erwarte Aussagen zur betrieblichen Zuordnung der Ware nur in den Bereichen der Innensohle oder des Obermaterials der Schuhaußen- oder Innenseite. Sollte ein Zeichen an der Schuhunterseite angebracht sein, sei dies getrennt von übrigen Sohlenprofilmustern und erkennbar hervorgehoben (z. B. GEOX, Lloyd, Clarks etc.). Es handele sich bei einem derartigen schlangenlinien- oder wellenförmigen Sohlenprofil um ein höchst banales, in der Schuhindustrie seit mehr als zwei Jahrzehnten verbreitetes und branchenübliches dekoratives Gestaltungsmerkmal, das von vielen Herstellern verwendet werde. So gebe es eine Vielzahl entsprechend gestalteter Gesundheitssandalen, deren dekorative Sohlengestaltung keine kennzeichnende Funktion habe. Aber auch bei anderen Waren begegneten dem Verbraucher dem vorliegenden Muster ähnliche oder identische schlangenlinien- bzw. wellenförmige Muster als dekoratives Gestaltungselement (z. B. Vasen, Textilien, Tapeten, Kunst). Das DPMA und das HABM habe der Darstellung einer mit Schlangenlinienmuster bedruckten Schuhsohle die Unterscheidungskraft abgesprochen; wenn aber schon einem Bildzeichen, das das erfasste Produkt grafisch abbilde, die Unterscheidungskraft fehle, müsse dies erst recht für einen bloßen Teilausschnitt dieses Musters gelten.
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Die Marke sei zudem wegen Bösgläubigkeit der Markeninhaberin im Zeitpunkt der Anmeldung am 29. März 2012 zu löschen. Zu diesem Zeitpunkt sei ein mit der angegriffenen Marke identisches Muster zur Verzierung von Schuhsohlen bereits seit vielen Jahren in Gebrauch gewesen. In Kenntnis der Branchengewohnheiten und des schutzwürdigen Besitzstandes ihrer Wettbewerber habe die Markeninhaberin diese von der weiteren Nutzung des Musters ausschließen und sie schädigen wollen, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Damit habe sie die Sperrwirkung der Marke zweckfremd im Wettbewerbskampf eingesetzt.
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Die Beschwerdeführerinnen zu 1) und zu 2) beantragen,
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den Beschluss der Markenabteilung 3.4 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 19. Dezember 2018 aufzuheben, soweit die Anträge auf Löschung der Marke 30 2012 022 812 zurückgewiesen wurden.
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Die Inhaberin der angegriffenen Marke und Beschwerdegegnerin beantragt sinngemäß,
24
die Beschwerde zurückzuweisen.
25
Die angegriffene Marke wurde mit Veröffentlichungsdatum 10. September 2021 auf die Beschwerdegegnerin umgeschrieben. Mit anwaltlichem Schreiben vom 1. Februar 2022 hat die Beschwerdegegnerin die Übernahme des Verfahrens erklärt.
26
In der Sache verweist die Beschwerdegegnerin auf das bisherige Vorbringen und die Ausführungen der Markenstelle im Beschluss vom 19. Dezember 2018. Der Löschungsantrag befasse sich ausschließlich mit Schuhwaren, so dass er die übrigen Waren der Klassen 25, 10 und 18 nicht betreffe. Doch selbst wenn er auf alle Waren bezogen sei, liege keiner der geltend gemachten Löschungsgründe vor.
27
§ 3 Abs. 2 MarkenG sei nicht einschlägig. Die Bildmarke erschöpfe sich weder in der Darstellung einer Schuhsohle noch handele es sich um eine Positionsmarke. Sie könne daher zwar unter anderem auf einer Schuhsohle, aber auch an vielen anderen Stellen verwendet werden. Selbst wenn man das Bild als Oberflächenmuster ansehen würde, erschöpfe sich dieses nicht in der Grundform der Ware, so dass keine warenbedingte Form i. S. d. § 3 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG vorliege. § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG sei ebenfalls nicht einschlägig. Es treffe nicht zu, dass die geschützte Gestaltung notwendig sei, um eine technische Wirkung, nämlich die Rutschfestigkeit von Sohlen, zu erreichen. Eine solche werde durch das Material oder die Profildicke bestimmt. Außerdem könne ein zweidimensionales Bildzeichen als solches keine technisch-funktionalen Eigenschaften besitzen. Zudem enthalte das Zeichen auch nicht-technische Gestaltungsmerkmale, so dass es jedenfalls nicht ausschließlich aus einer Form, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich sei, bestehe.
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Dem Bildzeichen fehle zudem weder die Unterscheidungskraft noch sei es freihaltebedürftig. Für die die Löschungsreife einer Marke tragenden tatsächlichen Voraussetzungen seien die Antragstellerinnen darlegungs- und beweispflichtig. Aus den von den Antragstellerinnen herangezogenen Entscheidungen des HABM, des britischen und französischen Markenamtes sowie aus angeblich zurückgewiesenen deutschen Markenanmeldungen könne man für das vorliegende Verfahren keine relevanten Schlussfolgerungen ziehen. Auch die von den Antragstellerinnen herangezogenen Entscheidungen des Bundespatentgerichts zu schutzunfähigen Bildmarken seien auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Grundlage für die Beurteilung der Unterscheidungskraft sei die angemeldete Marke als solches, unabhängig von der tatsächlichen Benutzung. Die Bildmarke gebe nicht vor, an welcher Stelle der betreffenden Waren sie benutzt werden solle. Die Bewertung der Eintragungsfähigkeit eines Zeichens dürfe nicht zur Vorwegnahme der Frage führen, ob ein Zeichen im konkreten Fall markenmäßig benutzt werde, denn die Eintragungsfähigkeit sei abstrakt und nicht anhand möglicher konkreter Verwendungsformen zu beurteilen. Weder handele es sich um eine naturgetreue Abbildung der Waren noch um ein typisches Oberflächenmuster oder eine für die betreffenden Waren typische einfache grafische Gestaltung. Das abstrakte Bild sei in seiner Erscheinung in sich abgeschlossen, eigentümlich und ungewöhnlich. Es beschränke sich nicht auf die Darstellung eines üblichen und leicht zu bezeichnenden dekorativen ornamentalen Musters, weiche von den vom Senat angeführten Beispielen einfacher Musterungen ab und reihe sich gerade nicht in eine Vielzahl vergleichbarer Muster ein. Der Großteil der beanspruchten Waren weise üblicherweise kein Oberflächenmuster auf, so zum Beispiel die orthopädischen Waren der Klasse 10 ebenso wie künstliche Gliedmaßen etc. oder die in Klasse 10 und 25 geschützten Teile von Schuhwaren, wie Innensohlen, Keile, Polster und Füllungen. Soweit bei Waren der Klasse 18 teilweise Einprägungen vorkämen, wiesen diese keinerlei Ähnlichkeit mit der in Rede stehenden Bildmarke auf. Selbst wenn man von der Darstellung eines Musters einer Schuhsohle ausgehen würde, sei bei solchen gerade dieses Muster nicht anzutreffen, wie die von den Antragstellerinnen vorgelegten Beispiele aus dem Marktumfeld zeigten. Die Tatsache, dass das Zeichen auch ornamentalen bzw. dekorativen Charakter haben könne, stehe nach der Rechtsprechung des BGH der Unterscheidungskraft nicht entgegen. Es sei eine Frage des Einzelfalls, ob ein Bildzeichen, das aus einer sich wiederholenden Sequenz von Bestandteilen zusammengesetzt sei, nur als dekoratives Element bzw. als schmückendes Detail wahrgenommen werde. Außerdem sei, wie die Markenstelle zutreffend festgestellt habe, eine Verwendung im Etikett, als Emblem oder auf der Verpackung naheliegend und daher zu berücksichtigen. Wenn eine grafische Darstellung auf einem Etikett vorhanden sei, handele es sich um eine Marke/ein Emblem des Herstellers, und der Verkehr erkenne darin einen Herkunftshinweis. Schließlich könne die verfahrensgegenständliche Marke auch zusätzlich in einer Weise auf der Verpackung der beanspruchten Waren angebracht sein, dass der Verkehr gerade nicht auf eine dekorative Musterung schließe.
29
Dass der Verkehr in dem bereits vor vierzig Jahren auf dem deutschen Markt eingeführten Muster selbst bei Verwendung auf Schuhsohlen einen Herkunftshinweis erkenne, zeige unter anderem eine im Jahr 2014 durchgeführte Online Studie der Firma The Nielsen Company sowie eine im Juli 2015 durchgeführte repräsentative Verkehrsbefragung des Instituts Pflüger, wonach eine erhebliche Zahl des Verkehrs angegeben habe, dass es sich um ein besonderes Muster handele bzw. dieses ein Hinweis auf die Inhaberin sei. Da das Zeichen weder ausschließlich die Form der Waren wiedergebe noch geeignet sei, irgendeine inhaltliche Aussage über die Waren zu treffen, bestehe auch kein Freihaltebedürfnis. Schließlich könne keine Bösgläubigkeit mangels eines Benutzungswillens festgestellt werden. Die Markeninhaberin setze das Zeichen seit 40 Jahren erfolgreich als Kennzeichen für ihre Schuhwaren ein und verfolge damit vorrangig den Zweck, ihre eigenen Geschäfte zu fördern. Ob und in welchem Umfang die Inhaberin auf den Schuhsohlen weitere Elemente verwende, wie etwa die Wortmarke „BIRK“, sei unerheblich, weil solche Elemente nicht Bestandteil der angegriffenen Marke seien.
30
Das Urteil des EuG vom 09.11.2016 (T-579/14) könne auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden; es sei nicht bindend, da es sich auf den EU-Schutzrechtsanteil der IR-Marke 1132742 beziehe und nicht die deutsche Rechtslage betreffe. Nach der Rechtsprechung des BGH, könne bei mehreren möglichen Verwendungsformen nicht nur auf eine, möglicherweise nicht kennzeichnende, Form abgestellt werden. Auch nach der Rechtsprechung des EuGH (C-307/11 P Deichmann/HABM) dürfe nicht „irgendeine“, sondern nur die wahrscheinlichste Verwendungsform zugrundegelegt werden.
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Mit Hinweis vom 3. Januar 2022 hat der Senat seine vorläufige Rechtsauffassung dargelegt, wonach dem angegriffenen Zeichen für einen Großteil der Waren die erforderliche Unterscheidungskraft fehlen dürfte.
32
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
33
Die nach § 66 Abs. 1 Satz 1 MarkenG zulässigen Beschwerden haben im tenorierten Umfang auch in der Sache Erfolg.
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1. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens haben sich die Vorschriften des Markengesetzes mit Wirkung vom 14. Januar 2019 geändert. Eine für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Änderung der Rechtslage folgt daraus nicht (BGH GRUR 2020, 411 – #darferdas? II).
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Die Eintragungshindernisse der fehlenden Unterscheidungskraft aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. b und des Freihaltebedürfnisses aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2008/95/EG (MarkenRL a. F.) finden sich nun in Art. 4 Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie (EU) 2015/2436 (MarkenRL) und werden unverändert umgesetzt durch § 8 Abs. 2 Nr. 1 und 2 MarkenG.
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Das Eintragungshindernis der bösgläubigen Anmeldung aus Art. 3 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2008/95/EG (MarkenRL a. F.) findet sich nun in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2436 (MarkenRL) und wird unverändert umgesetzt durch § 8 Abs. 2 Nr. 14 MarkenG n. F., die mit der zuvor und auch im Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke gültigen Vorschrift des § 8 Abs. 2 Nr. 10 MarkenG a. F. übereinstimmt. Da vorliegend die Löschungsanträge vor dem 14. Januar 2019 gestellt worden sind, ist § 50 Abs. 2 MarkenG in seiner bisher geltenden Fassung (im Folgenden MarkenG) weiter anzuwenden (§ 158 Abs. 8 MarkenG n. F.).Die neue Fassung des § 50 Abs. 1 MarkenG ist seit ihrem Inkrafttreten am 14. Januar 2019 anwendbar, da insoweit keine Übergangsregelung existiert (vgl. BGH GRUR 2021, 1195  Rn. 10 – Black Friday; GRUR 2020, 1089 Rn. 24 – Quadratische Tafelschokoladenverpackung II). Weiter anzuwenden ist die verfahrensrechtliche Vorschrift des § 54 MarkenG in der bis zum 30. April 2020 geltenden Fassung (vgl. Art. 5 Abs. 3  MarkenrechtsmodernisierungsG ).
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2. Die Beschwerdegegnerin hat das Verfahren als Rechtsnachfolgerin der ursprünglichen Markeninhaberin gemäß § 28 Abs. 2 MarkenG übernommen.
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3. Die Anträge auf Nichtigerklärung und Löschung der eingetragenen Marke sind zulässig.
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Soweit sie auf § 8 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 MarkenG gestützt werden, sind sie innerhalb der 10-Jahresfrist des § 50 Abs. 2 Satz 2 MarkenG gestellt worden. Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat den Löschungsanträgen zudem rechtzeitig innerhalb der Zweimonatsfrist des § 54 Abs. 2 Satz 2 MarkenG widersprochen, so dass die Voraussetzungen für eine inhaltliche Prüfung nach § 54 Abs. 2 Satz 3 MarkenG erfüllt sind.
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4. Die Anträge auf Nichtigerklärung und Löschung der angegriffenen Marke 30 2012 022 812 sind in der Sacheüberwiegend begründet. Der Eintragung der streitgegenständlichen Marke steht und stand im Zeitpunkt der Anmeldung im tenorierten Umfang das Schutzhindernis der fehlenden Unterscheidungskraft nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG entgegen.
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Eine Marke wird nach § 50 Abs. 1 MarkenG n. F. auf Antrag für nichtig erklärt und gelöscht, wenn sie entgegen §§ 3, 7, 8 MarkenG eingetragen worden ist. Die Nichtigerklärung und Löschung kann nur erfolgen, wenn das Eintragungshindernis sowohl im Zeitpunkt der Anmeldung des Zeichens als auch gemäß § 50 Abs. 2 S. 1 MarkenG – mit Ausnahme der Feststellung der Bösgläubigkeit – noch im Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde besteht (vgl. BGH GRUR 2021, 1195 Rn. 11 – Black Friday; GRUR 2018, 301 Rn. 9 – Pippi-Langstrumpf-Marke; GRUR 2016, 378 Rn. 14 – LIQUIDROM; GRUR 2015, 1012 Rn. 8 – Nivea-Blau; GRUR 2014, 565 Rn. 10 und Rn. 18 – smartbook).
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Für die absoluten Löschungsgründe nach § 50 Abs. 1 MarkenG n.F. gilt ferner, dass eine Löschung nur erfolgen kann, wenn das Vorliegen von Schutzhindernissen zu den jeweils maßgeblichen Zeitpunkten zweifelsfrei feststeht. Ist eine solche Feststellung auch unter Berücksichtigung der von den Beteiligten vorgelegten und von Amts wegen zusätzlich ermittelten Unterlagen nicht möglich, muss es – gerade in Grenz- oder Zweifelsfällen – bei der Eintragung der angegriffenen Marke sein Bewenden haben (vgl. BGH a. a. O. Rn. 18 – smartbook; BPatG GRUR 2006, 155 – Salatfix).
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Nach Maßgabe dieser Grundsätze lag sowohl im Anmeldezeitpunkt und liegt auch im Zeitpunkt der Entscheidung über den Nichtigkeitsantrag der von beiden Beschwerdeführerinnen geltend gemachte Löschungsgrund der fehlenden Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG für einen Teil der eingetragenen Waren vor (hierzu nachfolgend b)).
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a) Die von der Beschwerdeführerin zu 1) geltend gemachten Nichtigkeitsgründe des § 3 MarkenG standen bzw. stehen der Eintragung allerdings nicht entgegen.
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aa) Das beschwerdegegenständliche Zeichen    ist markenfähig im Sinne von § 3 Abs. 1 MarkenG. Es wurde als (zweidimensionale) Bildmarke angemeldet und eingetragen. Bildmarken („Abbildungen“) sind ausdrücklich in der beispielhaften Aufzählung markenfähiger Zeichen in § 3 Abs. 1 MarkenG genannt und somit abstrakt geeignet, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Die Ausführungen der Beschwerdeführerin zu 1) zur Mustermarke ändern an dieser Einordnung nichts. Selbst wenn das Zeichen als Mustermarke im Sinne einer „sonstigen Marke“ eingetragen wäre, wäre es geeignet, im Register so dargestellt zu werden, dass es den Bestimmtheitsanforderungen des § 3 Abs. 1 MarkenG genügt.
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bb) Auch das Schutzhindernis des § 3 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG steht der Eintragung nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift sind Zeichen nicht als Marke schutzfähig, die ausschließlich aus einer Form bestehen, die durch die Art der Ware selbst bedingt ist. Von dieser Vorschrift werden auch zweidimensionale Bildmarken erfasst, soweit sie die Form der Waren oder ihrer Verpackungen darstellen. Unter dem Begriff „Form“ wird dabei allgemein die Gesamtheit der Linien oder Konturen verstanden, die die betreffende Ware räumlich begrenzen (vgl. EuGH GRUR 2019, 513 Rn. 36 Textilis ua/Svenskt Tenn). Nach diesen Maßstäben gibt das angegriffene Zeichen keine der beschwerdegegenständlichen Waren in ihrer Form wieder. Insoweit sind Bildmarken, die dekorative zweidimensionale Muster zeigen, auch wenn diese Muster auf Waren, wie z. B. Stoffen aufgebracht werden sollen, von dem Schutzhindernis des § 3 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG bereits aus diesem Grund nicht umfasst (vgl. EuGH a. a. O. Rn. 46 – Textilis ua/Svenskt Tenn; Hacker in Ströbele/Hacker/Thiering, MarkenG, 13. Auflage, § 3 Rn. 104). Das Argument der Beschwerdeführerin zu 1), Schuhsohlen würden aus Quadraten hergestellt, verfängt insofern nicht.
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cc) Schließlich besteht das Zeichen nicht ausschließlich aus einer Form, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist, § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG. Die Beschwerdeführerin zu 1) macht geltend, die mit dem dargestellten Muster gezeigte Struktur sei technisch bedingt i. S. d. § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG, da mit ihr technische Wirkungen wie Griffigkeit, Antirutsch, guter Halt und längere Lebensdauer erreicht werden sollen. Der Hinweis auf die Erläuterungen der Deutschen Gesellschaft für Materialkunde e.V. zu „auxetischen Materialien“ stützt dieses Argument jedoch nicht, da die dort geschilderten Wirkungen nicht auf der optischen Struktur beruhen, sondern auf einem besonderen Material. Ein solches ist in der Darstellung des Musters durch die Bildmarke nicht erkennbar. Solange aber nicht erkennbar ist, dass die wesentlichen Formmerkmale technisch bedingt sind, ist das Schutzhindernis des § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG nicht erfüllt.
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b) Für einen Großteil der beanspruchten Waren fehlt dem angegriffenen Zeichen jedoch die erforderliche Unterscheidungskraft gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG. Insoweit haben die Beschwerden der Nichtigkeitsantragstellerinnen Erfolg.
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Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, das die in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (EuGH GRUR 2015, 1198 Rn. 59f. – Nestlé/Cadbury [Kit Kat]; MarkenR 2012, 304 Rn. 23 – Smart Technologies/HABM [WIR MACHEN DAS BESONDERE EINFACH]; GRUR 2010, 228 Rn. 33 – Audi AG/ HABM [Vorsprung durch Technik]; GRUR 2008, 608 Rn. 66 f. – Eurohypo AG/HABM [EUROHYPO]; BGH GRUR 2020, 411 Rn. 10 – #darferdas? II; GRUR 2018, 301 Rn. 11 – Pippi-Langstrumpf-Marke; GRUR 2016, 934 Rn. 9 – OUI; GRUR 2015, 173 Rn. 15 – for you; GRUR 2013, 731 Rn. 11 – Kaleido; GRUR 2012, 1143 Rn. 7 – Starsat). Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen zu gewährleisten (EuGH a. a. O. – Audi AG/ HABM [Vorsprung durch Technik]; BGH a. a. O. – #darferdas? II; a. a. O. – OUI). Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (BGH a. a. O. – Pippi-Langstrumpf-Marke; a. a. O. – OUI). Ebenso ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr ein als Marke verwendetes Zeichen in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen so aufnimmt, wie es ihm entgegentritt, ohne es einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (EuGH GRUR 2004, 428 Rn. 53 – Henkel; BGH a. a. O. Rn. 15 – Pippi-Langstrumpf-Marke; a. a. O. Rn. 10 – OUI; a. a. O. Rn. 16 – for you; GRUR 2014, 872 Rn. 13 – Gute Laune Drops).
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Maßgeblich für die Beurteilung der Unterscheidungskraft zum relevanten Anmeldezeitpunkt (BGH GRUR 2013, 1143 Rn. 15 – Aus Akten werden Fakten) sind einerseits die beanspruchten Waren oder Dienstleistungen und andererseits die Auffassung der beteiligten inländischen Verkehrskreise, wobei auf die Wahrnehmung des Handels und/oder des normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der fraglichen Waren oder Dienstleistungen abzustellen ist (EuGH GRUR 2019, 1194 Rn. 20 – AS/DPMA [#darferdas?]; a. a. O.Rn. 67 – Eurohypo AG/HABM [EUROHYPO]; GRUR 2006, 411 Rn. 24 – Matratzen Concord AG/Hukla Germany SA [MATRATZEN]; GRUR 2004, 943 Rn. 24 – SAT 2; BGH GRUR 2014, 376 Rn. 11 –grill meister).
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Nach diesen Grundsätzen bemisst sich auch die Unterscheidungskraft von Bildzeichen. Denn die Kriterien für die Beurteilung der Unterscheidungskraft sind für alle Markenkategorien dieselben (EuGH GRUR-RR 2018, 507 Rn. 32+34 – Birkenstock Sales/EUIPO [Birkenstocksohle – Oberflächenmuster]; MarkenR 2004, 449, 450 – Glaverbel; Ströbele in Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 8 Rn. 330). Dabei ist zu berücksichtigen, dass von den maßgeblichen Verkehrskreisen nicht notwendig jede der Markenkategorien in gleicher Weise wahrgenommen wird und grafische Gestaltungen, die üblicherweise nur in dekorativer Form verwendet werden, regelmäßig nicht als Herkunftshinweis angesehen werden (EuGH a. a. O. Rn. 22 – Glaverbel; BPatG, Beschluss vom 28.06.2006, 26 W (pat) 40/03 – Oberflächenmuster). Ausstattungen wie insbesondere Musterungen, Ornamente oder Umrahmungen sind nicht unterscheidungskräftig, wenn sich ihre Bildwirkung darauf beschränkt, lediglich als ornamentales bzw. dekoratives Hervorhebungsmittel zu dienen (Ströbele in Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 8 Rn. 332).
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Stellen die Elemente eines Bildzeichens nur typische Merkmale der in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen dar oder erschöpft sich die bildliche Darstellung in üblichen Gestaltungselementen mit lediglich dekorativer Wirkung, an die der Verkehr etwa durch häufige Verwendung gewöhnt ist, fehlt einem Bildzeichen die erforderliche Unterscheidungskraft (BGH GRUR 2011, 158 Rn. 8; GRUR 2005, 257, 258 – Bürogebäude; GRUR 2001, 734, 735 – Jeanshosentasche).
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Gemessen an den vorgenannten Grundsätzen verfügt die angegriffene Bildmarke
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in Bezug auf die im Tenor genannten eingetragenen Waren nicht über die erforderliche Unterscheidungskraft. Denn sie beschränkt sich insoweit auf die Darstellung eines üblichen dekorativen, ornamentalen Musters, das von den angesprochenen Verkehrskreisen nicht als betrieblicher Herkunftshinweis verstanden wird.
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aa) Bei der Beurteilung des Verständnisses der eingetragenen Marke ist hinsichtlich der beanspruchten Waren neben den jeweiligen Fachkreisen auf breite Verkehrskreise abzustellen.
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bb) Bei der Marke      handelt es sich um eine (zweidimensionale) Bildmarke, die aus einem grauen Quadrat mit jeweils vier senkrechten und vier waagrechten Schlangenlinien, die sich regelmäßig kreuzen, besteht. Alle Bogenlinien sind gleich lang und paarweise jeweils achsensymmetrisch. An den Kreuzungspunkten laufen die Wellenlinien jeweils spitz zu, wodurch kleine schmale Kreuze entstehen, die optisch hervortreten und eine räumliche Wirkung erzeugen, die Knochen nicht unähnlich ist.
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cc) Selbst wenn man davon ausgeht, es handele sich um eine räumlich begrenzte, in sich abgeschlossene Bildmarke, kann man in der Darstellung ein Muster erkennen, das großflächig nebeneinander gereiht auf der Oberfläche der Waren aufgebracht oder als einzelnes Quadrat dekorativ bzw. als Applikation abgebracht sein kann.
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dd) Auch wenn die Kriterien für die Beurteilung der Unterscheidungskraft für alle Markenkategorien dieselben sind, ist zu berücksichtigen, dass nicht jede Markenkategorie von den maßgeblichen Verkehrskreisen in der gleichen Weise wahrgenommen wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn das fragliche Zeichen mit dem äußeren Erscheinungsbild der Ware, für die es angemeldet worden ist, übereinstimmt, wie dies der EuGH bereits mit Beschluss vom 28. Juni 2004 im Hinblick auf das Muster einer Oberflächengestaltung festgestellt hat (vgl. EuGH MarkenR 2004, 449, 450, Rn. 22 – Glaverbel). Nach der Entscheidung des EuGH zu der mit der beschwerdegegenständlichen Marke identischen IR-Bildmarke 1132742 (EuGH GRUR-RR 2018, 507 Rn. 41 – Birkenstock Sales/EUIPO [Birkenstocksohle – Oberflächenmuster]) ist die Rechtsprechung, die für dreidimensionale, aus dem Erscheinungsbild der Ware selbst bestehende Marken entwickelt worden ist, ebenfalls einschlägig für Bildmarken, die aus der zweidimensionalen Darstellung der Ware bestehen, oder auch, wenn es sich um ein Zeichen handelt, das aus einem auf der Oberfläche angebrachten Muster besteht (vgl. EuGH, a. a. O., Rn. 34 – Birkenstock Sales/EUIPO [Birkenstocksohle – Oberflächenmuster]). Dies gilt auch dann, wenn eine Marke nur einen Teil der bezeichneten Waren darstellt.
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ee) Ein als Bildmarke angemeldetes bzw. eingetragenes Zeichen kann nicht allein mit der Begründung als bloßes Oberflächenmuster qualifiziert werden, dass es im Fall einer unendlichen Wiederholung wie eine Musterung wirke. Wenn aber das angemeldete Bild bereits selbst aus einer sich wiederholenden Sequenz von Bestandteilen zusammengesetzt ist, besteht eine diesem Zeichen innewohnende Wahrscheinlichkeit, dass es nur als Oberflächenmuster verwendet wird (EuGH, a. a. O., Rn. 41 – Birkenstock Sales/EUIPO [Birkenstocksohle – Oberflächenmuster]; BPatG, Beschluss vom 30.03.2021, 29 W (pat) 9/18 – Camouflage). So wird die Aneinanderreihung einer geometrischen Grundform, die sich nach Art eines Musters auf eine größere Fläche erstreckt, regelmäßig nur als dekoratives Element, nicht aber als Produktkennzeichen aufgefasst (BGH GRUR 2017, 730 Rn. 26 – Sierpinski-Dreieck; Ströbele in Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 8 Rn. 332).
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Ob das Zeichen als Oberflächenmuster angesehen wird, ist anhand der Art der Waren zu beurteilen und kann von der tatsächlichen Verwendungsform des Zeichens abhängen. Es genügt, wenn die Verwendung als Oberflächenmuster möglich und nicht wenig wahrscheinlich ist.
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Dabei kommt es nach der neueren Rechtsprechung darauf an, ob nur eine Verwendung als Oberflächenmuster in Betracht kommt oder ob es andere wahrscheinliche Verwendungsformen gibt. Nach dem aufgrund des Vorabentscheidungsersuchens des Bundesgerichtshofs ergangenen Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH, GRUR 2019, 1194 Rn. 33 – AS/DPMA [#darferdas?]) muss die Unterscheidungskraft eines als Marke angemeldeten Zeichens unter Berücksichtigung aller relevanten Tatsachen und Umstände, einschließlich sämtlicher wahrscheinlicher Verwendungsarten der angemeldeten Marke, geprüft werden. Sind in der maßgeblichen Branche mehrere Verwendungsarten praktisch bedeutsam, müssen bei der Prüfung der Unterscheidungskraft alle diese verschiedenen Verwendungsarten berücksichtigt werden, um zu klären, ob der Durchschnittsverbraucher der erfassten Waren oder Dienstleistungen das Zeichen als Hinweis auf ihre betriebliche Herkunft wahrnehmen kann (vgl. EuGH, a. a. O., Rn. 25 – AS/DPMA [#darferdas?]). Verwendungsarten, die in der betreffenden Branche zwar denkbar, aber praktisch nicht bedeutsam sind und somit wenig wahrscheinlich erscheinen, sind dagegen für die Prüfung der Unterscheidungskraft irrelevant, es sei denn, der Anmelder hat konkrete Anhaltspunkte geliefert, die eine in der fraglichen Branche unübliche Verwendungsart in seinem Fall wahrscheinlich machen (vgl. EuGH, a. a. O.,  Rn. 26 – AS/DPMA [#darferdas?]). Es gilt nämlich zu vermeiden, dass das Markenregister, das zweckdienlich und genau sein muss, Zeichen umfasst, die es nur im Fall einer sehr spezifischen Verwendung ermöglichen, die damit gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen von denen anderer Unternehmen zu unterscheiden.
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Die Prüfung der Unterscheidungskraft kann mithin nur in den Fällen auf die wahrscheinlichste Verwendung der angemeldeten Marke beschränkt werden, in denen in der betreffenden Branche nur eine Verwendungsart praktisch bedeutsam ist (vgl. EuGH, a. a. O., Rn. 32 – AS/DPMA [#darferdas?]).
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Sind in der betreffenden Branche mehrere Verwendungsarten praktisch bedeutsam, müssen die Behörden im Einklang mit ihrer Verpflichtung, die Unterscheidungskraft des fraglichen Zeichens anhand aller relevanten Tatsachen und Umstände zu prüfen, diese verschiedenen Verwendungsarten berücksichtigen, um zu klären, ob der Durchschnittsverbraucher der erfassten Waren oder Dienstleistungen das Zeichen als Hinweis auf ihre betriebliche Herkunft wahrnehmen kann.
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Demnach gilt es, wie die Beschwerdegegnerin zutreffend geltend gemacht hat, festzustellen, für welche Waren nur eine Verwendung als Oberflächenmuster in Betracht kommt und bei welchen Waren (auch) andere Verwendungsformen zu berücksichtigen sind, bei denen der Verkehr ggf. einen Herstellerhinweis annimmt.
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Ausgehend hiervon sind daher die Kennzeichnungsgewohnheiten auf den hier einschlägigen Warenbereichen zu ermitteln. Es geht zunächst um die Feststellung, welche der beanspruchten Waren üblicherweise ein Muster aufweisen:
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(1) Wie die mit Senatshinweis vom 3. Januar 2022 sowie die bereits mit dem Beschluss der Markenabteilung übermittelten Rechercheunterlagen zeigen, sind „Chirurgische, ärztliche, zahn- und tierärztliche Instrumente“ der Klasse 10 üblicherweise weder mit einem Oberflächenmuster noch mit sonstigen Verzierungen und Applikationen versehen. Die Griffe solcher Instrumente weisen zwar manchmal eine „Riffelung“ auf, diese dient aber der Griffigkeit und nicht der Dekoration (vgl. Bl. 374-380 und 422-423 d. A.).
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Auch für „chirurgische, ärztliche, zahn- und tierärztliche Apparate“ konnten keine Feststellungen getroffen werden, dass diese üblicherweise gemustert sind (vgl. Bl. 381-385 und 424-425 d. A.).
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Gleiches gilt für „künstliche Gliedmaßen, Augen und Zähne“, die entweder in silber oder schwarz gehalten bzw. farblich dem menschlichen Körper angepasst sind (vgl. Bl. 426-429 d. A.) sowie für „chirurgisches Nahtmaterial, chirurgisches Nahtmaterial für operative Zwecke“ (Bl. 430 d. A.).
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(2) Die darüber hinaus beanspruchten Waren der Klassen 10, 18 und 25 können dagegen alle mit einem Muster versehen sein.
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Die in Klasse 10 beanspruchten Orthopädischen Schuhwaren und deren Teile, wie z. B. Fuß- und Schuheinlagen werden, oftmals auch um den orthopädischen Zweck zu überdecken und sie modisch zu gestalten, vielfach gemustert angeboten (vgl. Bl. 386-395 d. A.). Anders als die Markenstelle meint, tragen die orthopädischen Fuß- und Schuheinlagen keine aufgedruckten, eingeklebten oder eingeprägten Herstellerzeichen, die als Oberflächenmuster in Betracht kämen. So zeigen die Anlagen 16 und 17 zum Beschluss des DPMA vom 19. Dezember 2018 durchaus teilweise Oberflächenstrukturen, allerdings in nicht kennzeichnender Form. Soweit man bei manchen Sohlen ein Bildzeichen (ohne Namenszusatz) erkennen kann, handelt es sich bei einigen um den bloßen Hinweis darauf, dass die Sohlen aus echtem Leder sind. Im Übrigen ist jeweils ein Namensbestandteil erkennbar, ähnlich der Kennzeichnung der Markeninhaberin, bei der sich auf Schuhschachteln die angegriffene Bildmarke neben dem Namen „Birkenstock“ befindet oder das „Birk“ bereits in die Schuhsohle mit eingeprägt ist. Anlage 15 zeigt eine Schulterbandage bzw. –orthese, die mit einem Bildzeichen herstellerhinweisend gekennzeichnet ist, das aber wiederum keinem Oberflächenmuster ähnelt.
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Sämtliche in Klasse 18 beanspruchten Waren, wie z. B. Koffer, Taschen, Schirme, aber auch Häute und Felle, können ein großflächiges Muster aufweisen (vgl. Bl. 399-412 d. A.). Die Markenabteilung ist auch bei diesen Waren davon ausgegangen, dass ein „quadratisches Kennzeichen“ als Herkunftshinweis wahrgenommen würde. Die eingetragene Bildmarke ist zwar in der bildlichen Darstellung ein Quadrat, dennoch führt dies nicht davon weg, dass das Bild selbst aus einer sich wiederholenden Sequenz von Bestandteilen zusammengesetzt ist. Damit besteht eine diesem Zeichen innewohnende Wahrscheinlichkeit, dass es nur als Oberflächenmuster verwendet wird (vgl. EuGH GRUR-RR 2018, 507 Rn. 41 – Birkenstock Sales/EUIPO [Birkenstocksohle – Oberflächenmuster]). Die zum Beschluss des DPMA vorgelegten Anlagen 18-20 widerlegen dies nicht, sondern zeigen vielmehr, dass es sich bei den gemusterten Taschen, Geldbörsen und Koffern um solche handelt, bei denen der Herkunftshinweis nicht in der Musterung, sondern in der überwiegend ebenfalls sichtbaren Kennzeichnung mit einem (weiteren) Wortzeichen liegt.
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Schließlich sind bei den in Klasse 25 beanspruchten Waren die unterschiedlichsten dekorativen Muster gebräuchlich (vgl. Bl. 413-421 d. A.). Eine Gewohnheit, dass diese Waren herkunftshinweisend mit Zeichen, die als Oberflächenmuster verwendet werden können, gekennzeichnet sind, lässt sich auch hier nicht feststellen. Im Gegenteil zeigt Anlage 25 des DPMA Schuhwaren mit Mustern, die dekorativ sind, aber keine Herkunftsfunktion erfüllen. Die in der zweiten Reihe als dritte von links abgebildeten Herrenschuhe sind z. B. solche, die wegen ihrer typischen Lochung als „Budapester Schuhe“ bezeichnet werden, aber dennoch von ganz unterschiedlichen Herstellern gefertigt werden.
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Der Senat konnte jedenfalls keine eigenen Feststellungen dazu treffen, dass es für die im Tenor genannten Waren entsprechende Kennzeichnungsgewohnheiten gebe, wonach Bildzeichen, die aus zusammengesetzten Sequenzen mit sich wiederholenden Bestandteilen in Form von Oberflächenmustern bestehen, als Produktkennzeichen eingesetzt würden.
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(3) Mit Ausnahme der oben unter (1) genannten Waren eignet sich das in der verfahrensgegenständlichen Bildmarke dargestellte Muster somit zur Dekoration der eingetragenen Waren. Sie können entweder großflächig mit einem solchen Muster versehen sein oder das Muster an bestimmten Stellen als Applikation aufweisen. Insoweit werden die maßgeblichen Verkehrskreise das Zeichen unmittelbar und ohne besonderes Nachdenken als Darstellung eines dekorativ interessanten oder ansprechenden Details der fraglichen Ware – somit als beschreibende Angabe – und nicht als Hinweis auf deren betriebliche Herkunft wahrnehmen (vgl. EuG, Urteil vom 19. September 2012, T-50/11 – Fraas/HABM [Karomuster in Dunkelgrau, Hellgrau, Schwarz, Beige, Dunkelrot und Hellrot]). Hierbei spielt auch eine Rolle, dass das in Rede stehende Muster, wie die recherchierten Verwendungsbeispiele zeigen, im Vergleich zu anderen in den betroffenen Warenbereichen verwendeten Mustern nicht besonders heraussticht. Auch wenn man es nicht als „banal“ im eher abwertenden Sinne bezeichnen muss, hat es keine so besondere Eigenart, dass der Verkehr es als Herkunftshinweis und nicht nur als – möglicherweise interessantes – Muster wahrnehmen würde.
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Soweit bei den vorliegend betroffenen Waren neben der Verwendung des Zeichens als nach außen gerichtetem dekorativen Muster auch eine Verwendung zum Beispiel im Etikett eines Bekleidungsstückes bzw. auf der Innenseite einer Kopfbedeckung oder eines Schuhs zu berücksichtigen ist, wird der Verkehr auch bei dieser Verwendungsform den dekorativen Charakter des Zeichens, der diesem immanent ist, im Vordergrund sehen und ihm keine herkunftshinweisende Funktion beimessen. Es trifft, entgegen dem Vortrag der Beschwerdegegnerin, nicht zu, dass eine grafische Darstellung auf dem Etikett immer eine Marke ist und vom Verkehr als Herkunftshinweis erkannt wird. Denn wenn es sich, wie bei der Darstellung eines Musters, um eine beschreibende Angabe handelt, ändert auch das Anbringen an einer Stelle, an der sich (branchen)üblicherweise die Marke befindet, nichts an der fehlenden Unterscheidungskraft (vgl. BPatG, Beschluss vom 12.03.2020, 25 W (pat) 29/19 – Mädelsabend; Beschluss vom 09.10.2019, 29 W (pat) 519/18 – Mir all sin Kölle; Beschluss vom 04.04.2019, 30 W (pat) 511/17 – reggae jam). Wenn, wie die Beschwerdegegnerin vorträgt, das angegriffene Zeichen ergänzend zu dem Markennamen „Birkenstock“ auf der Verpackung der Waren angebracht ist, wird der Verkehr das Zeichen nur oder gerade deshalb der Beschwerdegegnerin zuordnen, weil auch der Herstellername angegeben ist. Dies spricht entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin nicht dafür, dass er das Bildzeichen in Alleinstellung als herkunftshinweisend wahrnimmt.
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ff) Auch der Hinweis der Beschwerdegegnerin auf das Ergebnis einer Verkehrsbefragung aus dem Jahr 2014 sowie einer Online-Studie aus dem Jahr 2015 ändert nichts an der Beurteilung der Schutzfähigkeit des beschwerdegegenständlichen Zeichens. Soweit die Beschwerdegegnerin sich auf eine Verkehrsdurchsetzung gemäß § 8 Abs. 3 MarkenG beruft, ist ihr Vortrag nicht ausreichend, um den erforderlichen Nachweis zu erbringen.
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Es ist Sache der Markeninhaberin, die Möglichkeit einer Verkehrsdurchsetzung zunächst schlüssig darzulegen und sodann zu belegen. Insoweit erforderlich ist ein Sachvortrag, aus dem sich ergibt, von wem, in welcher Form, in welchem Umfang, Zeitraum und Gebiet das Zeichen „als Marke“ benutzt worden ist (BGH GRUR 2021, 1526 Rn. 37 – NJW-Orange).
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Die Studie der Firma The Nielsen Company wurde erst im Mai 2014 durchgeführt, mithin nach der Markenanmeldung im Jahr 2012. Schon aus diesem Grund kann ihr keine Bedeutung für die maßgebliche Verkehrsauffassung im Anmeldezeitpunkt zukommen. Hinzu kommt, dass die Online-Studie, die die Marke „Birkenstock“ und deren Marktposition untersucht, u. a. danach fragt, durch welche Merkmale die „Birkenstock-Sandalen und -Schuhe“ charakterisiert werden. Durch diese suggestive Fragestellung erklärt sich das Ergebnis, wonach 44 % der deutschen Befragten die Sohle als charakteristisch bezeichnen. Daraus kann nicht geschlussfolgert werden, dass die Sohle als solche, ohne den Markennamen „Birkenstock“ mitzunennen, als Herkunftshinweis wahrgenommen würde. Denn die Tatsache, dass Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen herrührend erkannt werden, muss auf der Benutzung des Zeichens als Marke beruhen (vgl. EuGH GRUR 2014, 776 Rn. 40 – Deutscher Sparkassen- und Giroverband/Banco Santander [Sparkassen-Rot]; BGH GRUR 2015, 1012 Rn 23 – Nivea-Blau; Ströbele in Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O. § 8 Rn. 681).
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Nach dem Ergebnis der repräsentativen Verkehrsbefragung des Instituts Pflüger, die ebenfalls nach dem Anmeldezeitpunkt, nämlich im Juli 2015 durchgeführt wurde, sehen 24 % der Befragten in dem Muster einen Hinweis auf die Markeninhaberin. Unabhängig davon, dass bei dieser Befragung eine Schuhsohle als Ganzes gezeigt wurde und nicht das hier in Rede stehende quadratische Bild, liegt das Ergebnis weit unter den für eine mögliche Verkehrsdurchsetzung erforderlichen 50 % (vgl. BGH GRUR 2015, 1012 Rn. 35 – Nivea-Blau; GRUR 2014, 483 Rn. 34 – test).
80
c) Soweit die Beschwerdeführerinnen sich auf den Löschungsgrund der Bösgläubigkeit des § 8 Abs. 2 Nr. 10 MarkenG berufen, sind die Nichtigkeitsanträge unbegründet, da eine Bösgläubigkeit für den insoweit allein maßgeblichen Zeitpunkt der Anmeldung nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden konnte.
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Von der Bösgläubigkeit eines Anmelders im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 10 MarkenG ist dann auszugehen, wenn dieser das angemeldete Zeichen nicht als Marke, d. h. als Herkunftshinweis benutzen, sondern die formale Rechtsstellung als Inhaber des Kennzeichenrechts lediglich zum Zwecke der rechtsmissbräuchlichen oder sittenwidrigen Behinderung Dritter einsetzen will (EuGH GRUR 2009, 763 Rn. 44,45 – Lindt & Sprüngli/Franz Hauswirth; BGH GRUR 2016, 380 Rn. 16 – Glückspilz; GRUR 2009, 780  Rn. 11 – lvadal). Der Schutzversagungsgrund soll Anmeldungen von Marken erfassen, die von vornherein nicht dazu bestimmt sind, im Interesse eines lauteren Wettbewerbs Waren und Dienstleistungen als solche eines bestimmten Unternehmens zu individualisieren, sondern Dritte im Wettbewerb zu behindern (Hacker, Markenrecht, 5. Auflage, Rn. 182 und 184). Es müssen somit besondere Umstände hinzutreten, die das Verhalten des Anmelders als wettbewerbswidrig erscheinen lassen. Die rechtliche Beurteilung, ob eine Marke bösgläubig angemeldet worden ist, hat umfassend und unter Berücksichtigung aller im Einzelfall erheblichen Faktoren zu erfolgen (EuGH a. a. O. Rn. 37, 51–53 – Lindt & Sprüngli/Franz Hauswirth; BGH a. a. O. Rn. 18 – lvadal). Ein solch besonderer Umstand kann bei der Anmeldung sogenannter „Spekulationsmarken“ vorliegen, d. h. Marken, welche der Anmelder lediglich mit dem Ziel schützen lassen möchte, gutgläubige Dritte unter Druck zu setzen, ohne dass ein eigener ernsthafter Benutzungswille vorliegt (vgl. EuGH a. a. O. Rn. 44 – Lindt & Sprüngli/Hauswirth; BGH a. a. O. Rn. 17 – Glückspilz; GRUR 2001, 242  – Classe E; Ströbele in Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 8 Rn. 928 ff.). Des Weiteren hat der Bundesgerichtshof Bösgläubigkeit im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 10 MarkenG in den Fällen bejaht, in denen Marken mit dem Ziel angemeldet werden, den erkannten schutzwürdigen Besitzstand eines Vorbenutzers ohne rechtfertigenden Grund zu stören oder den weiteren Gebrauch der Bezeichnung durch den Vorbenutzer zu sperren (vgl. BGH GRUR 2008, 160 – CORDARONE; BGH GRUR 2001, 242 – Classe E; Ströbele in Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 8 Rn. 936 ff.). Schließlich ist eine Bösgläubigkeit anzunehmen, wenn der Anmelder die Marke zweckfremd als Mittel des Wettbewerbs einsetzen will (vgl. BGH GRUR 2012, 429 Rn. 10 – Simca;   GRUR 2008, 621, 624 Rn. 32 – AKADEMIKS; GRUR 2005, 414, 417 – Russisches Schaumgebäck; GRUR 2001, 242 – Classe E; Ströbele in Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 8 Rn. 955 ff. m. w. N.). Zwar gilt im Nichtigkeitsverfahren grundsätzlich das Amtsermittlungsprinzip, bei nicht ausreichend von Amts wegen aufzuklärenden Sachverhalten trifft jedoch die Feststellungslast für das Vorliegen des absoluten Schutzhindernisses der bösgläubigen Markenanmeldung den Nichtigkeitsantragsteller (vgl. BPatG MarkenR 2008, 181 – Salvatore Ricci/Nina Ricci; Beschluss vom 03.06.2020, 29 W (pat) 46/16 – ALPHA PLUS PROFILE; Ströbele in Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 8 Rn. 1032). Abzustellen ist insoweit ausschließlich auf den Zeitpunkt der Anmeldung und nicht daneben auch auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Löschungsantrag (vgl. EuGH a. a. O. Rn. 35 – Lindt & Sprüngli/Franz Hauswirth; BGH a. a. O. Rn. 12 – GLÜCKSPILZ). Dies schließt jedoch eine Berücksichtigung des Verhaltens des Anmelders vor und nach der Markenanmeldung nicht aus. Aus diesem Verhalten können sich vielmehr Anhaltspunkte für oder gegen eine zum Anmeldezeitpunkt vorliegende Behinderungsabsicht ergeben (vgl. BGH a. a. O. Rn. 14 – Glückspilz; BPatG, Beschluss vom 15.11.2017, 29 W (pat) 16/14 – YOU & ME; Ströbele in Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 8 Rn. 1043).
82
Weder die Feststellungen des Senats noch der Vortrag der Beschwerdeführerinnen lassen Umstände erkennen, die das Verhalten der Beschwerdegegnerin bei der Anmeldung ihrer Marke als bösgläubig erscheinen lassen. Für den von der Beschwerdeführerin zu 1) geltend gemachten fehlenden Benutzungswillen wurden ebenso wenig ausreichende Anhaltspunkte vorgetragen wie für die auch von der Beschwerdeführerin zu 2) geltend gemachte Störung eines berechtigten Besitzstandes. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Marke in erster Linie mit dem legitimen Ziel der eigenen markenrechtlichen Absicherung angemeldet worden ist, und eine Bösgläubigkeit im Zeitpunkt der Markenanmeldung nicht vorlag.
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5. Da im tenorierten Umfang schon das Schutzhindernis nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG vorliegt, kann dahinstehen, ob die angemeldete Bezeichnung insoweit auch freihaltebedürftig gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG ist.
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6. Für die übrigen Waren liegt weder fehlende Unterscheidungskraft gem. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG noch ein Freihaltebedürfnis gem. § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG vor. Die Beschwerden waren insoweit zurückzuweisen.
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7. Zu einer vom gesetzlichen Regelfall abweichenden Kostenentscheidung aus Billigkeitsgründen gemäß § 71 Abs. 1 S. 1 MarkenG besteht kein Anlass.

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