Patent- und Markenrecht

3 Ni 30/17 (EP)

Aktenzeichen  3 Ni 30/17 (EP)

Datum:
15.10.2019
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2019:151019U3Ni30.17EP.0
Spruchkörper:
3. Senat

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache


betreffend das europäische Patent 1 948 131
(DE 50 2006 003 215)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 15. Oktober 2019 durch den Vorsitzenden Richter Schramm sowie die Richter Hermann, Dipl.-Chem. Univ. Dr. Jäger und Dipl.-Chem. Univ. Dr. Freudenreich und die Richterin Dipl.-Chem. Univ. Dr. Wagner
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 1 948 131 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass es folgende Fassung erhält:
1. Verwendung von mindestens einem Calcium-Chelatbildner und mindestens einem ophthalmologisch verträglichen Viskositätsregler zur Herstellung einer phosphatfreien und konservierungsmittelfreien pharmazeutischen Zusammensetzung zur Behandlung und/oder Prävention von Epitheldefekten in der Hornhaut und/oder Bindehaut des Auges,
dadurch gekennzeichnet,
dass die phosphatfreie pharmazeutische Zusammensetzung aus mindestens einem Calcium-Chelatbildner und mindestens einem ophthalmologisch verträglichen Viskositätsregler sowie optional einem pharmazeutischen Hilfsstoff oder mehreren pharmazeutischen Hilfsstoffen besteht, wobei die pharmazeutischen Hilfsstoffe aus der Gruppe ausgewählt werden, die aus anorganischen Salzen, Lösungsmitteln, Osmolaritätsreglern sowie Mischungen davon besteht, und dass der Viskositätsregler aus der Gruppe ausgewählt wird, die aus Hyaluronsäure, Hyaluronaten, Derivate davon und Mischungen davon besteht, wobei die Hyaluronsäure, das Hyaluronat und/oder deren Derivate ein Molekulargewicht aufweisen, das in einem Bereich von etwa 50.000 bis etwa 10.000.000 Dalton liegt.
2. Verwendung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet,
dass die Epitheldefekte aus der Gruppe, bestehend aus durch mechanische und/oder chemische Einwirkungen hervorgerufene Epitheldefekte, Epitheldefekte nach chirurgischen Eingriffen, Epitheldefekte durch Benetzungsstörungen der Augenoberfläche, Epitheldefekte durch Langzeitbehandlung mit Konservierungsmittel-haltigen pharmazeutischen Zusammensetzungen oder mit Kontaktlinsen, ausgewählt sind.
3. Verwendung nach einem Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet,
dass die phosphatfreie pharmazeutische Zusammensetzung zur Langzeitanwendung eingesetzt wird.
4. Verwendung nach Anspruch 3, dadurch gekennzeichnet,
dass die Langzeitanwendung bei Glaukomen und bei Allergien erfolgt.
5. Verwendung nach einem der Ansprüche 1 bis 4,
dadurch gekennzeichnet,
dass Ein- und/oder Ablagerungen von schwerlöslichen Calciumverbindungen in der Hornhaut und/oder Bindehaut des Auges, insbesondere eine Kalzifikation, verhindert und/oder reduziert werden.
6. Verwendung nach einem der Ansprüche 2 bis 5,
dadurch gekennzeichnet,
dass die Benetzungsstörungen aus der Gruppe, bestehend aus Sjögren-Syndrom, Sicca-Syndrom und Benetzungsstörungen des Auges bei Kontaktlinsenträgern, ausgewählt sind.
7. Verwendung nach einem der Ansprüche 2 bis 6,
dadurch gekennzeichnet,
dass die chirurgischen Eingriffe aus der Gruppe, bestehend aus chirurgischen Eingriffen am vorderen Augenabschnitt, Kataraktextraktion mit Linsenimplantation, refraktiv-chirurgischen Eingriffen, Eingriffen an der Hornhaut und Hornhauttransplantationen, und Eingriffen an der Bindehaut ausgewählt sind.
8. Verwendung nach einem der Ansprüche 1 bis 7,
dadurch gekennzeichnet,
dass die phosphatfreie pharmazeutische Zusammensetzung Calciumionen frei ist.
9. Verwendung nach einem der Ansprüche 1 bis 8, dadurch gekennzeichnet,
dass die Menge an Viskositätsregler etwa 0,005 Gew.-% bis etwa 5 Gew.-%, bevorzugt etwa 0,01 Gew.-% bis etwa 1 Gew.-%, jeweils bezogen auf das Gesamtgewicht der phosphatfreien pharmazeutischen Zusammensetzung, beträgt.
10. Verwendung nach einem der Ansprüche 1 bis 9, dadurch gekennzeichnet,
dass die Hyaluronsäure, das Hyaluronat und/oder deren Derivate ein Molekulargewicht aufweisen, das in einem Bereich von etwa 250.000 bis etwa 5.000.000 Dalton liegt.
11. Verwendung nach einem der Ansprüche 1 bis 10, dadurch gekennzeichnet,
dass das Hyaluronat Natrium-Hyaluronat ist.
12. Verwendung nach einem der Ansprüche 1 bis 11,
dadurch gekennzeichnet,
dass der Calcium-Chelatbildner aus der Gruppe ausgewählt wird, die aus Citratsalzen, Citronensäure, EDTA, EGTA und Mischungen davon besteht.
13. Verwendung nach einem der Ansprüche 1 bis 12,
dadurch gekennzeichnet,
dass die phosphatfreie pharmazeutische Zusammensetzung in Form einer Lösung, von Tropfen, eines Sprays, einer Suspension, Emulsion, eines Gels, einer Salbe, Paste, eines Puders, Pulvers, Granulats oder einer Tablette vorliegt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 1/5 und die Beklagte 4/5.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 17. November 2006 beim Europäischen Patentamt angemeldeten, die deutsche Priorität 10 2005 055 275 vom 17. November 2005 in Anspruch nehmenden und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland in der regionalen Phase erteilten Patents EP 1 948 131 B1, dessen Erteilung am 18. März 2009 veröffentlicht worden ist. Die Entscheidung über den Antrag auf Beschränkung wurde am 27. März 2013 mit der Veröffentlichung der B3-Schrift (im Folgenden als SP bzw. Streitpatent bezeichnet) bekannt gemacht. Vom Deutschen Patent- und Markenamt wird es unter der Nummer DE 50 2006 003 215 geführt. Das beschränkte Patent betrifft eine „Dexpanthenol-, calciumionen- und phosphatfreie pharmazeutische Zusammensetzung sowie Verwendung von Calcium-Chelatbildner und ophthalmologisch verträglichem Viskositätsregler“ und umfasst 19 Patentansprüche. Der einzige unabhängige Patentanspruch 1 der beschränkten Anspruchsfassung lautet wie folgt:
2
„1. Verwendung von mindestens einem Calcium-Chelatbildner und mindestens einem ophthalmologisch verträglichen Viskositätsregler zur Herstellung einer phosphatfreien und konservierungsmittelfreien pharmazeutischen Zusammensetzung zur Behandlung und/oder Prävention von Epitheldefekten in der Hornhaut und/oder Bindehaut des Auges.“
3
Die Klägerin greift das Streitpatent zuletzt in vollem Umfang an und stützt ihre Klage auf den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Neuheit und der fehlenden erfinderischen Tätigkeit sowie der mangelnden Ausführbarkeit. Zur Stütze ihres Vorbringens verweist sie auf folgende Dokumente:
4
SP EP 1 948 131 B3 (Streitpatent)
5
AN WO 2007/05201 A2 (Offenlegungsschrift)
6
D1 DE 101 61 110 A1
7
D2 DE 103 60 425 A1
8
D3 M. Daly et al., Cornea, 2005, 24, Seiten 761 bis 765
9
D4 N. F. Schrage et al., Burns 2001, 27, Seiten 459 bis 464
10
D5 N. F. Schrage et al., Graefe’s Arch. Clin. Exp. Ophthalmol., 2005, 243, Seiten 780 bis 784
11
D6 DE 196 26 479 A1
12
D7 EP 0 258 865 A2
13
D8 EP 1 358 883 A1
14
D9 R. Voigt, Pharmazeutische Technologie, Deutscher Apotheker Verlag Stuttgart 2000, 9. Aufl., Seite 494
15
D10 A. H. Kibbe (Ed.), Handbook of Pharmaceutical Excipients, The American Pharmaceutical Association and The Pharmaceutical Press, London, 2000, 3. Aufl., Seiten 140 bis 142, 191 bis 194
16
D11 R. Dolder und F. S. Skinner (Hrsg.), Ophthalmika, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart 1990, 4. Aufl., Seiten 115, 116, 393 bis 398
17
D13 JP H10-203960 A
18
D13a englische Übersetzung der D13
19
D14 M. Malhotra und D. K. Majumdar, Indian Journal of Experimental Biology, 2001, 39, Seiten 11 bis 24
20
D15 Biochrom, „MEM (Eagle) Flüssig- und Pulvermedium“, Seiten 58 bis 60, undatiert
21
D16 R. R. Pfister et al., Invest. Ophthalmol. Vis. Sci., 1981, Sep., Seiten 486 bis 490
22
Die Klägerin hält den Gegenstand von Patentanspruch 1 für nicht ausführbar, da die verwendete pharmazeutische Zubereitung durch den zwingend anwesenden Calcium-Chelatbildner Citrat bzw. EDTA, welche auch die Funktion eines Konservierungsmittels aufwiesen, nicht konservierungsmittelfrei sei. Ebenso erweise sich die Verwendung gemäß Patentanspruch 18 als nicht ausführbar. Denn EDTA habe zum einen die Funktion eines Calcium-Chelators und zum anderen die eines Arzneistoffes. Eine Bifunktionalität liege auch bei Hyaluronsäure und/oder Hyaluronat bzw. Chondroitinsulfat vor, die nach dem Streitpatent sowohl Viskositätsregler als auch Arzneistoff seien. Aufgrund dieser weiteren Funktionalität des zwingend vorhandenen Calcium-Chelatbildners und des Viskositätsreglers in der pharmazeutischen Zubereitung ergebe sich ein nicht lösbarer Widerspruch, der dazu führe, dass der Fachmann nicht in der Lage sei, die streitpatentgemäße Verwendung nach Anspruch 18 bereitzustellen.
23
Die Neuheit der Verwendung gemäß Patentanspruch 1 sei gegenüber den Lehren der Dokumente D1, D2, D7, D8 und D13 nicht gegeben, da diese sämtliche Bestandteile der streitpatentgemäßen Zubereitung offenbarten.
24
D1 beschreibe unmittelbar und eindeutig die Anwendung einer pharmazeutischen Zusammensetzung zur Behandlung der Erkrankung „Trockenes Auge“, die neben Dexpanthenol den Viskositätsregler Hyaluronsäure und einen Citratpuffer enthalte. Das Citrat besitze zusätzlich zu seiner Pufferfunktion auch noch die Funktion eines Calcium-Chelatbildners.
25
Die Druckschrift D2 offenbare eine konservierungsmittel- und phosphatfreie Zusammensetzung enthaltend Hyaluronat als Viskositätsregler und ein Citratsalz mit der Funktion eines Calcium-Chelatbildners für die Herstellung einer pharmazeutischen Zusammensetzung, die zur Behandlung bei Benetzungsstörungen des Auges, d.h. des Sicca-Syndroms und von Epithelläsionen verwendet werde.
26
Die Druckschrift D7 gebe ein ophthalmologisches Präparat zur Behandlung von trockenen oder gereizten Augen an, das EDTA als Chelator oder Citrat als Calcium-Chelator enthalte. Gemäß den Beispielen II und IV sei zudem ein Cellulosederivat, wie Propylmethylcellulose, als Viskositätsregler in der Formulierung anwesend, welche weder Phosphat noch Konservierungsstoffe enthalte.
27
Ebenso erweise sich die Lehre der D8 als neuheitsschädlich, da sie eine pharmazeutische Zubereitung zur Behandlung von Epitheldefekten mit Natriumhyaluronat und Xanthan als Viskositätsregler und Natriumcitrat als Calicum-Chelatbilder angebe, die konservierungsmittel- und phosphatfrei sei.
28
Schließlich nehme auch die Lehre der D13/D13a den Gegenstand von Patentanspruch 1 vorweg, weil sie eine ophthalmische phosphatfreie Lösung mit antiseptischem Effekt angebe, die einen Puffer, einen Chelatbildner, wie Citrat oder EDTA, und Hyaluronsäure als Viskositätsregler enthalte.
29
Die Verwendung nach Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag beruhe auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
30
Die Zusammensetzung des Beispiels der D1 erfülle alle in Patentanspruch 1 definierten Anforderungen, sodass sich auch die vorteilhaften Wirkungen, insbesondere die synergistische Wirkung, einstelle. Das patentgemäße Beispiel 4 lasse keine Schlussfolgerung über die Ursache der Verkalkung und deren Heilung zu, da angesichts der geringen Löslichkeit mancher Calciumphosphate bereits ein geringer Gehalt an Phosphat genüge, um diese Ablagerungen zu bilden. Ein solcher Gehalt sei aber bei dem Beispiel 4 verwendeten phosphatfreien Medium, wie D15 belege, gegeben. Zudem enthalte das Medium auch Calciumchlorid, welches die Bildung von schwerlöslichen Calciumablagerungen fördere.
31
Auch die phosphatfreien Zusammensetzungen der D2, D7 und D8 enthielten neben Citrat einen Viskositätsregler, weshalb dieselben bzw. ähnliche Heilungsraten wie bei der Verwendung der pharmazeutischen Zubereitung gemäß dem streitpatentgemäßen Beispiel 4 auftreten müssten. Damit stellten die behaupteten Effekte, eine Vermeidung der Hornhautverkalkung und eine bessere Heilung, keine Verbesserung gegenüber dem Stand der Technik dar, sodass sie auch keine erfinderische Tätigkeit begründen könnten.
32
Im Wege einer Klageerweiterung greift die Klägerin auch noch die ursprünglich nicht angegriffenen Patentansprüche 4 und 7 an. Die Verwendung gemäß Anspruch 4 sei gegenüber der Lehre der Druckschrift D1 weder neu noch erfinderisch, weil diese aus Sicht des Fachmanns mit der Behandlung einer allergischen Konjunktivitis eine Langzeitbehandlung offenbare. Zudem sei die Verwendung auch nicht erfinderisch, da dem Streitpatent kein Hinweise zu entnehmen seien, dass eine Langbehandlung bei Glaukom oder Allergie mit einer besonderen Wirkung verbunden sei. Die Verwendung nach Anspruch 7 sei gegenüber D1 bzw. D8 weder neu noch erfinderisch, da die in den genannten Druckschriften verwendeten ophthalmischen Zubereitungen nach operativen Eingriffen bzw. bei Verletzung von Epithelzellen am Auge eingesetzt würden. Zudem zeige das Streitpatent keinen besonderen Effekt auf, der mit der Verwendung der pharmazeutischen Zubereitung bei speziellen operativen Eingriffen verbunden sei, sodass eine erfinderische Leistung für die Verwendung nach Anspruch 7 nicht erkennbar sei.
33
Zu den Hilfsanträgen, mit denen die Beklagte das Streitpatent weiter verteidigt und wegen deren Wortlaut auf den Schriftsatz vom 12. Juli 2019 Bezug genommen wird, vertritt die Klägerin folgende Auffassung:
34
Den Hilfsantrag 11 hält die Klägerin aufgrund der in Patentanspruch 1 auf „Vitamin A“ und „Xanthangummi“ gerichteten Disclaimer für unzulässig. Insbesondere Xanthangummi dürfe vor dem Hintergrund der Entscheidung „Phosphatidylcholin“ des Bundesgerichtshofs nicht ausgeschlossen werden, da es sich hierbei um einen notwendigen Bestandteil handele. Zudem fehle es dem Gegenstand gemäß Anspruch 1 von Hilfsantrag 11 an der erforderlichen Neuheit gegenüber D2, D7, D8 bzw. D13.
35
Die Verwendung gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrags 12 sei durch die D7, D8 und D13 ebenfalls neuheitsschädlich getroffen, da die Einführung des Molekulargewichts im Bereich von 50.000 bis 10.000.000 Dalton für die Viskositätsregler Hyaluronsäure, Hyaluronat bzw. deren Derivate zu keiner Abgrenzung führe, sodass keine andere Sachlage wie bei Hilfsantrag 11 vorliege.
36
Die Verwendung nach Patentspruch 1 des Hilfsantrags 13 sei im Hinblick auf den auszuschließenden Arzneistoff unklar, da das Patent keine klare Grenze zwischen Wirkstoff und Hilfsstoff ziehe. Das in D1 verwendete Dexpanthenol könne streitpatentgemäß sowohl als Wirkstoff als auch als Vitamin angesehen werden, wobei letzteres aber zu den Hilfsstoffen zähle.
37
Die Lehre des jeweiligen Patentanspruchs 1 der Hilfsanträge 13 und 14 sei jedenfalls gegenüber den Entgegenhaltungen D1, D2, D7, D8 und D13 weder neu noch erfinderisch.
38
Der Hilfsantrag 15 sei aus den schon bei Hilfsantrag 11 genannten Gründen nicht zulässig, da Patentanspruch 1 ebenfalls einen auf Xanthangummi gerichteten Disclaimer enthalte.
39
Die Verwendung gemäß dem jeweiligen Patentanspruch 1 der Hilfsanträge 16 bis 18 sei gegenüber den Druckschriften D1, D2, D8 bzw. D13 nicht mehr neu.
40
Die in Anspruch 1 des Hilfsantrags 19 genannte Mischung der Hilfsstoffe sei im Streitpatent nicht offenbart. Zudem fehle es dem Anspruch an der erforderlichen Klarheit, da das für die Isotonisierung erforderliche Wasser im Oberbegriff des Anspruchs nicht genannt sei. Zumindest sei aber die beanspruchte Verwendung gegenüber der D8 nicht neu, da die Formulierung 4 der D8 ebenfalls Glycerin und Natriumchlorid als Hilfsstoffe neben den Viskositätsregler Xanthan und Hyaluronsäure und Citrat als Calcium-Chelatbilder enthalte. Ein erfinderischer Effekt für die Hilfsstoffe Borsäure und Sorbitol sei im Streitpatent zumindest nicht gezeigt worden, sodass eine erfinderische Tätigkeit für die beanspruchte Verwendung nicht erkennbar sei.
41
Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 20 sei durch die Aufnahme des Merkmals „zur Behandlung und/oder Prävention von Ein- und Ablagerungen schwerlöslicher Calciumverbindungen in der Hornhaut und/oder Bindehaut des Auges durch Komplexierung physiologisch vorhandener Calciumionen“ unzulässig erweitert, da sich in der ursprünglichen Anmeldung hierfür keine Offenbarung finde. Auch mangele es dem Merkmal an der erforderlichen Klarheit, weil nicht erkennbar sei, ob physiologisch oder nicht-physiologisch vorhandene Calciumionen zu komplexieren seien. Nachdem die ophthalmischen Zusammensetzungen der Entgegenhaltungen D1, D2, D7, D8 und D13 die gleichen Bestandteile aufwiesen wie die der Zubereitung gemäß Patentanspruch 1, müsse im Sinne der Rechtsprechung „Memantin“ auch die gleiche Wirkung auftreten. Demzufolge sei die beanspruchte Verwendung nicht mehr neu. Im Übrigen liege auch keine erfinderische Leistung für die Bereitstellung einer solchen Zubereitung zur Behandlung der genannten Krankheitsbilder vor, weil bereits aus D3 bis D6 bekannt gewesen sei, dass phosphatfreie Mittel wünschenswert seien. Zudem sei in D5 angegeben, dass zur Vermeidung der Kalzifikation sowohl Calcium- wie auch Phosphationen in der Formulierung auszuschließen seien.
42
Die Klägerin beantragt,
43
das europäische Patent 1 948 131 mit der Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland, für nichtig zu erklären.
44
Die Beklagte beantragt,
45
die Klage abzuweisen, hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung eines der Hilfsanträge 11 bis 20 gemäß Schriftsatz vom 12. Juli 2019 erhält.
46
Hilfsantrag 11 schließt für die Zusammensetzung des Anspruchs 1 aus, dass diese Panthenol, Pantothensäure, Vitamin A und Xanthangummi enthält. Für Anspruch 17 ist nunmehr vorgesehen, dass die Zusammensetzung kein Moxaverin und/oder Heparin enthält.
47
Hilfsantrag 12 bestimmt für die Zusammensetzung des Anspruchs 1, dass diese kein Panthenol und Pantothensäure enthält und dass der Viskositätsregler aus der Gruppe ausgewählt wird, die aus Hyaluronsäure, Hyaluronaten, Derivaten davon und Mischungen davon besteht, wobei diese ein Molekulargewicht von etwa 50.000 bis etwa 10.000.000 Dalton aufweisen. Weiter ist Anspruch 10 gestrichen, die Nummerierung angepasst und im neuen Anspruch 10 der Bereich des Molekulargewichts auf etwa 250.000 bis etwa 5.000.000 Dalton beschränkt.
48
In Hilfsantrag 13 ist die Zusammensetzung des Anspruchs 1 dadurch gekennzeichnet, dass sie keinen weiteren Arzneistoff enthält. Die Ansprüche 17 und 18 sind unter Anpassung der Nummerierung gestrichen worden.
49
Anspruch 1 des Hilfsantrags 14 kombiniert die Einschränkungen der Zusammensetzung aus Hilfsantrag 13 mit dem Viskositätsregler aus Hilfsantrag 12. Ansprüche 10, 17 und 18 sind unter Anpassung der der Nummerierung gestrichen und das Molekulargewicht im neuen Anspruch 10 lautet wie im Hilfsantrag 12.
50
In Hilfsantrag 15 ist die Verwendung nach Anspruch 1 aus Hilfsantrag 14 darin ergänzt worden, dass kein Xanthangummi enthalten ist. Die übrigen Patentansprüche sind gegenüber der Fassung des Hilfsantrags 14 unverändert.
51
Hilfsantrag 16 schränkt den Anspruch 1 aus Hilfsantrag 14 noch dahin ein, dass es sich bei den Epitheldefekten um Benetzungsstörungen der Augenoberfläche handelt, wobei die Benetzungsstörungen aus der Gruppe aus Sjögren-Syndrom, Sicca-Syndrom und Benetzungsstörungen des Auges bei Kontaktlinsenträgern ausgewählt sind, wie sie Anspruch 6 aus Hilfsantrag 14 spezifiziert. Die Ansprüche 2, 6, 7, 10, 17 und 18 sind unter Anpassung der Nummerierung gestrichen und das Molekulargewicht im neuen Anspruch 7 lautet wie das im Anspruch 10 des Hilfsantrags 14.
52
Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 17 beschreibt die Zusammensetzung als dadurch gekennzeichnet, dass die phosphatfreie pharmazeutische Zusammensetzung aus mindestens einem Calcium-Chelatbildner und mindestens einem ophthalmologisch verträglichen Viskositätsregler sowie optional einem pharmazeutischen Hilfsstoff oder mehreren pharmazeutischen Hilfsstoffen besteht, wobei diese Hilfsstoffe aus der Gruppe des gestrichenen Anspruchs 15 stammen und der Viskositätsregler dem aus Anspruch 1 des Hilfsantrags 16 entspricht. Die Ansprüche 10, 14, 15 und 17 bis 19 sind unter Anpassung der Nummerierung gestrichen. Das Molgewicht im nunmehr geltenden Anspruch 10 ist wie in Anspruch 10 des Hilfsantrags 14 auf etwa 250.000 bis etwa 5.000.000 Dalton beschränkt worden.
53
Hilfsantrag 18 entspricht der aufrecht erhaltenen Fassung (vgl. Urteilstenor).
54
Die Beklagte führt im Wesentlichen aus, dass die Ausführbarkeit der Verwendung gemäß Patentanspruch 1 des Hauptantrags gegeben sei. Sie sei zudem neu und beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
55
Zur Stütze ihres Vorbringens reicht die Beklagte die folgende Druckschrift zur Akte:
56
D12 Wikipedia-Auszug „Arzneistoff“, 3 Seiten undatiert, Internet-Adresse:
57
https://de.wikipedia.org/w/index,php?title=Arzneistoff&oldid=157598169
58
Die Beklagte hält die geltend gemachte mangelnde Ausführbarkeit für vorgeschoben, es werde vielmehr mangelnde Klarheit bei dem Begriff „konservierungsmittelfrei“ in Patentanspruch 1 beanstandet. Auch die Verwendung gemäß Patentanspruch 18 in Bezug auf den dort genannten Begriff „Arzneistoff“ sei ausführbar, da dem Fachmann, wie D12 belege, geläufig sei, dass es dabei um einen pharmazeutischen Wirkstoff und nicht um einen Hilfsstoff handele.
59
Der Gegenstand des geltenden Patentanspruch 1 sei auch neu gegenüber der D1, da diese an keiner Stelle den Begriff Calcium-Chelatbildner verwende. Zur Einstellung des pH-Werts der Lösung werde lediglich ausgeführt, dass Citrat als ein möglicher Puffer eingesetzt werde. Eine Phosphatfreiheit werde damit aber nicht unmittelbar und eindeutig offenbart. Ferner gehe aus D1 auch nicht die beanspruchte Indikation zur Behandlung und/oder Prävention von Epitheldefekten hervor.
60
Auch die D2 nehme die patentgemäße Verwendung nach Anspruch 1 nicht vorweg, weil deren pharmazeutische Zusammensetzung ebenfalls nicht phosphatfrei sei. Darüber hinaus werde die Formulierung der D2 für andere Indikationen verwendet. Die D7 offenbare nicht unmittelbar und eindeutig eine Verwendung mit den patentgemäßen Merkmalen gemäß Patentanspruch 1. Weder in den beiden Beispielen II und IV noch in der Beschreibung werde ein Bezug zu Zusammensetzungen, die sowohl mindestens einen Calcium-Chelatbildner als auch mindestens einen ophthalmologisch verträglichen Viskositätsregler enthielten und die sich zur Behandlung und/oder Prävention von Epitheldefekten in der Hornhaut und/oder Bindehaut des Auges eigneten, hergestellt. Darüber hinaus sei in D7 nicht ausgeschlossen, dass die Formulierungen Phosphat enthielten.
61
Gleichfalls werde in der D8 nicht unmittelbar und eindeutig eine Verwendung einer phosphatfreien pharmazeutischen Zusammensetzung zur Behandlung und/oder Prävention von Epitheldefekten in der Hornhaut und/oder Bindehaut des Auges angegeben.
62
Für den Fachmann habe es auch nicht nahe gelegen, die im Beispiel der D1 genannte Zusammensetzung zur Behandlung und/oder Prävention von Epitheldefekten in der Hornhaut und/oder Bindehaut des Auges zu verwenden. Denn keiner der vorliegenden Entgegenhaltungen könne ein Hinweis dahingehend entnommen werden, dass diese spezielle Zusammensetzung zum genannten medizinischen Zweck einsetzbar sei.
63
Durch die Beispiele des Streitpatents werde im Übrigen deutlich, dass durch das Vorbeugen einer Kalzifikation, insbesondere durch eine verlängerte Verweildauer des Calcium-Chelatbildners auf der Augenoberfläche, bedingt durch den gleichfalls anwesenden Viskositätsregler und die Abwesenheit von Phosphat, eine verbesserte Heilung ermöglicht werde, was aber keiner der vorliegenden Druckschriften zu entnehmen sei.
64
Ergänzend führt die Patentinhaberin aus, dass der Fachmann aus genau denselben Gründen auch nicht ausgehend von Beispiel II oder IV der D7 bzw. der Formulierung der D8 in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruch 1 des Streitpatents gelangt wäre.
65
Die mit Schriftsatz vom 12. Juni 2019 vorgenommene Klageerweiterung sei unzulässig, weil die Beklagte ihr nicht zustimme und sie nicht sachdienlich sei. So seien die bisher von der Klägerin zitierten Druckschriften und vorgebrachten Argumente nicht dazu geeignet, die Patentfähigkeit der Patentansprüche 4 und 7 in Frage zu stellen. Insofern führe die beantragte Klageerweiterung zu einer Verzögerung des Verfahrens, da neue Argumente berücksichtigt werden müssten.
66
Mit den Hilfsanträgen 11 bis 20 würde jedoch der Klageerweiterung Rechnung getragen. Die Zulässigkeit der Hilfsanträge 11 bis 13 sei gegeben. Die jeweiligen Disclaimer im Patentanspruch 1 der Hilfsanträge 11 bis 16 würden die im Stand der Technik vorbeschriebenen Merkmale Panthenol, Pantothensäure, Vitamin A, Xanthangummi bzw. Arzneistoffe von der patentgemäß verwendeten Zubereitung ausnehmen. Diese Präzisierung stelle aber keine unzulässige Erweiterung dar, weil diese Substanzen weder notwendige Bestandteile der streitpatentgemäßen Zubereitung darstellten, noch seien sie technisch relevant. Die Disclaimer führten dazu, dass die beanspruchte Verwendung neu gegenüber D1, D2, D7, D8 und D13 sei. Darüber hinaus beruhe die Verwendung auch auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber D1, D2, D7 bzw. D8, da trotz der ausgenommenen Substanzen eine Wundheilung eintrete. Die D13 stelle schon deshalb keinen Ausgangspunkt dar, weil sie ein Antiseptikum betreffe, das Konservierungsmittel enthalte. In Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 17 bis 20 werde die pharmazeutische Zusammensetzung dahingehend beschränkt, dass sie nur noch aus den Komponenten Viskositätsregler, Calcium-Chelatbildner und optional aus bestimmten pharmazeutischen Hilfsstoffen bestehe. Dadurch würden aber Konservierungsmittel, Dexpanthenol, Vitamin A und Xanthangummi von der Zubereitung ausgeschlossen, sodass die beanspruchte Verwendung gegenüber D1, D7, D8 und D13 sowohl neu als auch erfinderisch sei, da für den Fachmann kein Anlass bestanden habe, auf diese in den genannten Dokumenten als erfindungswesentlich bezeichneten Substanzen zu verzichten.

Entscheidungsgründe

67
Die auf die Nichtigkeitsgründe der mangelnden Ausführbarkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 b) EPÜ) und der mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 a) EPÜ) gestützte Klage ist zulässig, insbesondere ist die Klageerweiterung auf die ursprünglich nicht angegriffenen Patentansprüche sachdienlich, da sie einer weiteren Nichtigkeitsklage vorbeugt.
68
Die Klage ist auch insoweit begründet, als das Patent gemäß Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 bis 17 verteidigt wird.
I.
69
1. Das Streitpatent betrifft die Verwendung von einem Calcium-Chelatbildner und einem ophthalmologisch verträglichen Viskositätsregler zur Herstellung einer phosphatfreien pharmazeutischen Zusammensetzung zur Behandlung und/oder Prävention von Epitheldefekten (vgl. SP [0001]).
70
Einleitend führt das Streitpatent aus, dass Viskositätsregler, insbesondere Hyaluronsäure bzw. Hyaluronate bei Benetzungsstörungen des Auges, d.h. bei dem Erkrankungsbild des „trockenen Auges“, das auch als Sicca-Syndrom bzw. Sicca-Symptomatik bezeichnet wird, und zur Behandlung von Epithelläsionen, die aus den Benetzungsstörungen resultiert, verwendet wird. Zur Therapie des „trockenen Auges“ werden bisher Augentropfen eingesetzt, die Hyaluronsäure und Phosphatpuffer enthalten. Nachteilig ist jedoch, dass die enthaltenen Phosphate mit dem körpereigenen Calcium bzw. Calciumionen oder mit den in pharmazeutischen Präparaten enthaltenen Calciumionen schwerlösliche Calciumphosphate bilden, die sich in oder auf der Hornhaut sowie der Bindehaut des Auges ablagern. Die Ein- und Ablagerungen, die auch als Kalzifikation bezeichnet werden, führen zur einer Trübung der Hornhaut, welche das Sehvermögen beeinträchtigen. Diese Degeneration wird auch als Hornhautbanddegeneration oder bandförmige Keratopathie bezeichnet (vgl. SP [0002] bis [0005]).
71
1.2 Ausgehend davon liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, eine pharmazeutische Zusammensetzung für die topische Applikation am Auge zur Behandlung und/oder Prävention von Epitheldefekten bereitzustellen, die keine Calciumphosphatablagerungen bedingt (vgl. SP [0006]).
72
1.3 Gelöst wird diese Aufgabe durch die Verwendung einer pharmazeutischen Zusammensetzung gemäß dem beschränkt aufrechterhaltenen Patentanspruch 1 mit folgenden Merkmalen:
73
a) Verwendung von
74
a-i) mindestens einem Calcium-Chelatbildner und
75
a-ii) mindestens einem ophthalmologisch verträglichen Viskositätsregler
76
b) zur Herstellung einer
77
b-i) phosphatfreien und
78
b-ii) konservierungsmittelfreien pharmazeutischen Zusammensetzung
79
c) zur Behandlung und/oder Prävention von Epitheldefekten in der Hornhaut und/oder Bindehaut des Auges.
80
1.4 Bei dem vorliegend zuständigen Fachmann handelt es sich um ein Team von Fachleuten, dem ein pharmazeutischer Technologe mit mehrjähriger Berufspraxis auf dem Gebiet der Formulierung von Ophthalmika und ein Augenarzt angehören.
II.
81
Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag erweist sich mangels Patentfähigkeit als nicht bestandsfähig, weil dessen Gegenstand nicht neu ist.
82
1. Vor der Beurteilung der Patentfähigkeit des Hauptantrags ist zunächst der Sinngehalt der Merkmale a-i), a-ii), b-i) und b-ii) des Patentanspruchs 1 zu ermitteln.
83
1.1 Bei den mindestens einem Calcium-Chelatbildner gemäß Merkmal a-i) handelt es sich gemäß der Streitpatentschrift um einen Stoff, der eine Ausfällung von Calciumsalzen durch Komplexierung und/oder Bindung der Calcium-Ionen verhindert (vgl. SP [0032]). Exemplarisch werden Citratsalze, Citronensäure, EDTA (Ethylendiamintetraessigsäure), EGTA (Ethylenglykol-bis-(2-aminoethyl)-N,N,Nʹ,Nʹ-tetraessigsäure) oder Mischungen davon genannt (vgl. SP Patentanspruch 13 und [0033]), wobei die Verwendung von Citrat als vorteilhaft beschrieben ist, weil es zugleich die Funktion eines Puffers hat (vgl. SP [0034]). Demzufolge lässt die Lehre des Streitpatents eine mehrfache Funktionalität für die Substanzen gemäß Merkmal a-ii) zu.
84
1.2 Das Streitpatent definiert den Begriff „Viskositätsregler“ in Merkmal a-ii) als einen Stoff mit einer viskositätserhöhenden Wirkung (vgl. SP [0017]), die zu einer erhöhten Verweildauer der pharmazeutischen Zusammensetzung auf der Augenoberfläche führt (vgl. SP [0021]). Darüber hinaus hat der Viskositätsregler noch die Funktion eines Gleit- und Schmiermittels sowie Benetzers für das Auge (vgl. SP [0021], [0022], [0025], [0042]). Bei den streitpatentgemäßen Viskositätsregler handelt es sich um Chondroitinsulfat, Polyacrylamid, Polyacrylsäure, Polyacrylharze, Polyethylenglycol, Cellulosederivate, Polysaccharide, Polyvinylpyrrolidon, Hyaluronsäure, Hyaluronate, Derivate davon und/oder Mischungen davon (vgl. SP Patentanspruch 10 und [0024]).
85
1.3 Eine „phosphatfreie“ Zusammensetzung im Sinne von Merkmal b-i) liegt dann vor, wenn keine Phosphationen vorhanden sind bzw. deren Konzentration weniger als 7 mmol/l beträgt (vgl. SP [0015]). Damit werden von der Lehre des Streitpatents auch solche Zusammensetzungen als phosphatfrei erachtet, die geringe Konzentrationen an Phosphationen enthalten.
86
1.4 Ferner ist strittig, ob der in Merkmal b-ii) von Patentanspruch 1 genannte Begriff „konservierungsmittelfrei“ analog zu dem Merkmal „phosphatfrei“ geringe Mengen an Konservierungsmitteln in der streitpatentgemäßen Zubereitung erlaubt. Nachdem Anspruch 1 dem Fachmann keine weitergehende Information zu einer Konzentration der Konservierungsmittel liefert, wird er sich der Beschreibung des Streitpatents zuwenden. Dieser kann er entnehmen, dass solche Konservierungsmittel, wie bspw. Benzalkoniumchlorid, die zu einer Epithelschädigung führen, nicht enthalten sein dürfen (vgl. SP [0044]). Eine noch erlaubte Grenzkonzentration, wie sie bei dem Merkmal „phosphatfrei“ angegeben ist, findet sich dagegen für die Konservierungsmittel in der Streitpatentschrift nicht. Folglich versteht der Fachmann unter einer konservierungsmittelfreien Zubereitung eine Zusammensetzung, die überhaupt keine Konservierungsmittel enthält. Allerdings bedeutet dies nicht, dass auch Antioxidantien oder Synergisten für Konservierungsmittel von der Zubereitung ausgeschlossen sind. Denn nach Patentansprüchen 14 und 15 können weitere pharmazeutische Hilfsstoffe wie Antioxidantien anwesend sein. In Patentanspruch 15 sind zwar auch Konservierungsmittel als weitere pharmazeutische Hilfsstoffe aufgeführt, welche Patentanspruch 1 aber ausschließt. Diesen Widerspruch wird der Fachmann dahingehend auflösen, dass er Konservierungsmittel als weitere pharmazeutische Hilfsstoffe ausschließt. Zudem setzt der Fachmann Antioxidantien und Synergisten für Konservierungsmittel nicht mit ophthalmischen Konservierungsmittel gleich, weil sie nicht über eine ausreichende antimikrobielle Wirkung verfügen (vgl. D10 S. 191, re. Sp. Abs. „10. Typical Properties“, „Antimicrobial activity“; vgl. D14 S. 21 li. Sp. „Preservatives“).
87
2. Ob die Verwendung von mindestens einem Calcium-Chelatbildner und mindestens einem ophthalmisch verträglichen Viskositätsregler zur Herstellung einer phosphatfreien und konservierungsmittelfreien pharmazeutischen Zusammensetzung zur Behandlung und/oder Prävention von Epitheldefekten in der Hornhaut und/oder Bindehaut des Auges gemäß dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag ausführbar ist, muss vorliegend nicht geklärt werden, da diese Verwendung jedenfalls nicht neu ist.
88
In der Druckschrift D7 wird eine wässrige ophthalmische Zubereitung für die Behandlung von trockenen und/oder irritierten Augen, insbesondere zur Regeneration von geschädigten Epithelzellen der Hornhaut und Bindehaut des Auges beschrieben (vgl. D7, Patentanspruch 1, S. 2 Z. 49 bis 52, S. 3 Z. 6 bis 8). Die Zubereitung enthält gelöstes Vitamin A als physiologisch verträglichen freien Radikalfänger und einen physiologisch verträglichen Chelator für multivalente Metallkationen, welche in der Tränenflüssigkeit und im externen Augengewebe vorhanden sind (vgl. D7 Patentanspruch 1, S. 3 Z. 55 bis 57). Die ophthalmische Zubereitung kann zusätzlich noch Propylmethylcellulose oder ein anderes vergleichbares Cellulosederivat als Befeuchtungs- bzw. Benetzungsmittel enthalten, welches den Effekt von Mucin („Schleimstoff“), einem natürlichen Bestandteil von Tränen, simuliert und mithin eine viskositätserhöhende Wirkung hat (vgl. D7 S. 5 Z. 18 bis 20; vgl. SP zur Definition „Mucin und dessen Funktion“ [0025] letzt. Satz). In D7 wird zwar der Begriff „Viskositätsregler“ im Zusammenhang mit der Propylmethylcellulose nicht unmittelbar erwähnt, allerdings ist dem Fachmann geläufig, dass das Cellulosederivat Propylmethylcellulose ein Viskositätsregler ist (vgl. D7 S. 5 Z. 18 bis 20; vgl. gutachterlich D11 S. 394, re. Sp. 1. Abs. letzt. Satz, S. 396 li. Sp. Abs. „Halbsynthetische und synthetische Substanzen“). Als Metallkationen-Chelatoren werden EDTA und Citrationen genannt, wobei letztere insbesondere als Chelatoren für Calciumkationen offenbart werden (vgl. D7 S. 3/4 seitenübergr. Abs., S. 4 Z. 50 bis 52). Als weitere Funktion haben die Citrationen eine Pufferfunktion inne. Gemäß der Lehre der D7 stellen sie zudem den gegenüber Phosphationen bevorzugten Puffer dar (vgl. D7 S. 4 Z 36 bis 40, Z. 56 bis 58). Eine Verwendung von Konservierungsmitteln wird in der D7 nicht erwähnt, sodass die Zubereitung als konservierungsmittelfrei anzusehen sind. Entsprechende Konservierungsmittel-freie wie auch Phosphat-freie Zubereitungen werden in den Beispielen II und IV angegeben, die jeweils Citrationen als Calcium-Chelatbildner und Propylmethylcellulose als ophthalmisch verträglichen Viskositätsregler enthalten (vgl. D7 S. 6 Z. 1 bis 22, Z. 45 bis 56). Nachdem die streitpatentgemäße Verwendung des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag Vitamin A als weiteren Bestandteil der pharmazeutischen Zusammensetzung nicht ausschließt, ist die beanspruchte Verwendung gegenüber der D7 nicht neu.
89
Entgegen dem Einwand der Patentinhaberin muss ein neuheitsschädlicher Gegenstand nicht zwingend auch im Patentanspruch der Entgegenhaltung entnehmbar sein. Es genügt vielmehr, soweit der Gegenstand im Einklang mit der Lehre der Entgegenhaltung steht, wenn er in der Beschreibung oder als Beispiel genannt wird. Dies ist vorliegend der Fall, da die D7 dem Fachmann eindeutig lehrt einen Polymethylcellulose als Viskositätsregler einzusetzen, um wie das Streitpatent auch den Effekt von Mucin zu erzielen. Ebenso lehrt D7 dem Fachmann den Viskositätsregler in Kombination mit einen Calcium-Chelatbilder zur Behandlung von Epitheldefekten zu verwenden.
90
3. Die weiteren Ansprüche 2 bis 13 bedürfen keiner isolierten Prüfung, weil die Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung erklärt haben, dass sie die Antragsstellung nach Haupt- und Hilfsanträgen als geschlossene Anspruchssätze verstehen (vgl. BGH GRUR 2007, 862 – Informationsvermittlungsverfahren II; BGH GRUR 1997, 120 – Elektrisches Speicherheizgerät).
III.
91
Das Streitpatent hat auch in der Fassung der Hilfsanträge 11 bis 17 keinen Bestand.
92
1. Der jeweilige Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 11 und 15 ist nicht zulässig.
93
1.1 Die Verwendung nach Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 11 weist gegenüber der des Hauptantrags folgende zusätzliche Merkmale auf:
94
d) dass die phosphatfreie pharmazeutische Zusammensetzung
95
d-i) kein Panthenol und keine Pantothensäure,
96
d-ii) kein Vitamin A und
97
d-iii) kein Xanthangummi enthält.
98
In der Entscheidung „Phosphatidylcholin“ hat der Bundesgerichtshof für einen Disclaimer das Kriterium aufgestellt, dass dieser nur solche Merkmale ausnehmen darf, welche nicht als notwendige Bestandteile oder als vorteilhaft in den Anmeldeunterlagen angesehen werden. Zudem hat er festgestellt, dass eine solche Beschränkung des Anspruchs auch mit den Kriterien, die die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentsamts zur Herstellung der Neuheit gegenüber dem Stand der Technik entwickelt hat, im Einklang steht. Danach steht es einer Zulässigkeit des Disclaimers im Sinne eines negativ formulierten technischen Merkmals, durch das bestimmte Ausführungsformen ausgeschlossen werden sollen, entgegen, wenn sich die dadurch bewirkte Beschränkung als technisch relevant erweist (vgl. BGH GRUR 2017, 1105, Rn 24, 26 – Phosphatidylcholin). Übertragen auf den vorliegenden Streitfall bedeutet dies, dass mit Xanthangummi ein technisch notwendiger Bestandteil aus dem Schutzgegenstand von Patentanspruch 1 ausgeschlossen wird, was nicht zulässig ist. Gemäß Merkmal a-ii) des Patentanspruchs 1 ist aber ein ophthalmisch verträglicher Viskositätsregler in der verwendeten Zubereitung zwingend erforderlich. Der Viskositätsregler kann streitpatentgemäß aus der Gruppe ausgewählt sein, welche Chondroitinsulfat, Polyacrylamid, Polyacrylsäure, Polyacrylharze, Polyethylenglykol, Cellulosederivate, Polysaccharide, Polyvinylalkohol, Polyvinylpyrrolidon, Hyaluronsäure, Hyaluronaten, Derivate davon und Mischungen davon umfasst (vgl. II. 1.2). In der ursprünglichen Anmeldung bzw. im Streitpatent wird Xanthangummi zwar nicht explizit genannt, allerdings ist dem Fachmann bekannt, dass es sich bei Xanthangummi um ein natürliches Polysaccharid handelt, das die Funktion eines Viskositätsreglers hat (vgl. gutachterlich H.P. Fiedler, Lexikon der Hilfsstoffe für Pharmazie, Kosmetik und angrenzende Gebiete, Editio Cantor Verlag Aulendorf, 1996, Bd. II, S. 1682, Stichwort „Xanthangummi“). Nachdem Viskositätsregler einen technischen notwendigen Bestandteil der zu verwendenden ophthalmischen Formulierung darstellen, führt die Ausnahme des Viskositätsreglers Xanthangummi dazu, dass Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 11 unzulässig erweitert ist.
99
Soweit die Beklagte geltend macht, dass die mit dem Disclaimer „Xanthangummi“ bewirkte Beschränkung technisch nicht relevant sei, weil die gewünschte Wundheilung auch ohne Xanthangummi eintrete und daher keine unzulässige Erweiterung vorliege, kann dem nicht gefolgt werden. Beispiel 4 der Patentschrift mag zwar die Verwendung einer pharmazeutischen Formulierung betreffen, die als Viskositätsregler nur Natriumhyaluronat enthält, allerdings kann daraus nicht abgeleitet werden, dass nach der Patenterteilung beliebige Viskositätsregler vom Anspruchswortlaut durch einen Disclaimer ausgeschlossen werden können, sowie ein neuheitsschädlicher Stand der Technik auftaucht. Denn dadurch wird die patentierte Lehre in einer Art und Weise beschnitten, dass eine neue Lehre gebildet wird, die ursprünglich nicht offenbart ist. Mithin wird die erfindungsgemäße Lehre des Streitpatents aufgegeben, die die Verwendung eines ophthalmologisch verträglichen Viskositätsregler jedweder Art beinhaltet. Eine solche Vorgehensweise steht aber nicht mit der Rechtsprechung „Phosphatidylcholin“ des BGHs im Einklang. Denn in dieser Entscheidung ist zur Herstellung der Neuheit lediglich ein pharmazeutischer Hilfsstoff von der Zubereitung und nicht ein maßgeblicher Wirkstoff ausgenommen worden.
100
1.2 Die Verwendung nach Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 15 weist gegenüber der des Hauptantrags die zusätzlichen Merkmale auf:
101
d) dass die phosphatfreie pharmazeutische Zusammensetzung
102
d-iii) kein Xanthangummi und
103
d-iv) keinen weiteren Arzneistoff enthält,
104
e) dass der Viskositätsregler aus der Gruppe ausgewählt wird, die aus Hyaluronsäure, Hyaluronaten, Derivate davon und Mischungen davon besteht,
105
e-i) wobei die Hyaluronsäure, das Hyaluronat und/oder deren Derivate ein Molekulargewicht aufweisen, das in einem Bereich von etwa 50.000 bis etwa 10.000.000 Dalton liegt.
106
Nachdem das Merkmal d-iii) von Patentanspruch 1 des Hilfsantrag 15 identisch mit dem Disclaimer gemäß Merkmal d-iii) des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 11 ist, weil es ebenfalls die Anwesenheit des Viskositätsreglers Xanthangummi in der pharmazeutischen Zusammensetzung ausschließt, obwohl Viskositätsregler ein notwendiger Bestandteil der beanspruchten Zusammensetzung sind, gelten die vorangegangen Ausführungen in Abschnitt III. 1.1 hier gleichermaßen. Demzufolge ist auch der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 15 unzulässig erweitert.
107
2. Die Verwendung gemäß Patentanspruch 1 in der jeweiligen Fassung der Hilfsanträge 12, 13, 14, 16 und 17 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
108
2.1 Der Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 12 unterscheidet sich vom Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 11 dadurch, dass er nur noch den unbestritten ursprünglich offenbarten Disclaimer gemäß Merkmal d-i) enthält und dass zusätzlich der Viskositätsregler auf Hyaluronsäure, Hyaluronate gemäß der Merkmalsgruppe e) eingeschränkt worden ist. Diese Merkmale haben folgenden Wortlaut:
109
d) dass die phosphatfreie pharmazeutische Zusammensetzung
110
d-i) kein Panthenol und keine Pantothensäure enthält und
111
e) dass der Viskositätsregler aus der Gruppe ausgewählt wird, die aus Hyaluronsäure, Hyaluronaten, Derivate davon und Mischungen davon besteht,
112
e-i) wobei die Hyaluronsäure, das Hyaluronat und/oder deren Derivate ein Molekulargewicht aufweisen, das in einem Bereich von etwa 50.000 bis etwa 10.000.000 Dalton liegt.
113
Die Verwendung nach Patentanspruch 1 ist sowohl in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen wie auch in der Streitpatentschrift offenbart (vgl. AN Ansprüche 10, 19, 20 und 26, S. 10 Z. 10 und 11; vgl. SP Patentansprüche 1, 10, 11 und 17). Die Patentansprüche 2 bis 18 basieren auf den erteilten Patentansprüchen 2 bis 9 und 11 bis 19 bzw. den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 11 bis 18 und 20 bis 28.
114
Der Fachmann, der nach einer Lösung für die patentgemäße Aufgabe sucht, ist mit der Entwicklung auf dem Gebiet der Ophthalmika, die zur Behandlung von Epitheldefekten eingesetzt werden, vertraut (vgl. Abs. I. 1.4). Er kennt daher alle bis zu dem für das Streitpatent maßgeblichen Zeitrang in diesem Fachgebiet veröffentlichten Forschungsergebnisse. Bei seinen Recherchen wird der Fachmann daher auch die D8 heranziehen, die eine pharmazeutische Zusammensetzung für die topische Behandlung und/oder Prävention von Epitheldefekten des Auges betrifft (vgl. D8 [0001]). Als re-epithelialisierende Agenzien werden gemäß D8 Xanthangummi und Hyaluronsäure verwendet, die beide eine viskositätserhöhende Wirkung haben und damit einen Viskositätsregler gemäß dem streitpatentgemäßen Merkmal a-ii) darstellen. Zwar schließt die Definition gemäß Merkmal e) Xanthangummi als Viskositätsregler von der pharmazeutischen Zusammensetzung nach Patentanspruch 1 aus, allerdings hat Xanthangummi gemäß D8 auch die Funktion eines Gelbildners bzw. eines Benetzers (vgl. D8, S. 2 [0010], [0015], S. 3 [0026], [0027], S. 9 [0077] und [0078]), welche weiterhin Bestandteile der verwendeten Zubereitung sind (vgl. Hilfsantrag 12 Patentansprüche 1 und 14). Demzufolge entspricht die Zusammensetzung der pharmazeutischen Zubereitung der D8 im Hinblick auf die Bestandteile Hyaluronsäure als Viskositätsregler und Xanthangummi als Gelbildner bzw. Benetzer der Zubereitung gemäß Patentanspruch 1.
115
In dem Dokument D8 wird das genaue Molekulargewicht der hochmolekularen Hyaluronsäure nicht angegeben, jedoch ist das üblicherweise auf dem Fachgebiet verwendete Molekulargewicht der Hyaluronsäure dem Fachmann fraglos bekannt. So weist die Hyaluronsäure gemäß D2 in einer ophthalmischen Zubereitung zur Behandlung des „Trockenen Auges“ ein Molekulargewicht im Bereich von 50.000 bis 10.000.000 Dalton auf (vgl. D2 S. 2 [0002], [0003], S. 5 [0042], S. 5/6 [0051]).
116
Zusätzlich zu Xanthangummi und hochmolekularer Hyaluronsäure enthält die pharmazeutische Zubereitung gemäß D8 noch als weitere Bestandteile Puffer, Isotonisierungsmittel, Antioxidantien und pH-Regulierungsmittel (vgl. D8, Patentanspruch 11, S. 2 [0016] und [0018]). Als Puffer werden insbesondere das auf dem Fachgebiet gebräuchliche Phosphat, Borat, Acetat bzw. eine Mischung von Citrat und Phosphat genannt, wobei in den Formulierungen der Ausführungsbeispiele 4 und 7 Citrat in Gegenwart des weiteren Puffers Tris-Base/HCl eingesetzt wird (vgl. D8 S. 2/3 [0020], S. 4 und 5, Formulation 4 und 7). Citrat hat zusätzlich noch die Funktion eines Antioxidans (vgl. D8, S. 3 [0022]). Die Zubereitungen der D8 enthalten weder Konservierungsmittel noch Panthenol und/oder Pantothensäure (vgl. D8, S. 3 [0030]). Demzufolge bedurfte es, um zur streitpatentgemäßen Verwendung gemäß Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 12 zu gelangen, einer Anregung für die Prävention und/oder Behandlung von Epitheldefekten in der Hornhaut und/oder Bindehaut des Auges unter Vermeidung einer Kalzifikation eine Zubereitung einzusetzen, die phosphatfrei ist und einen Calcium-Chelatbildner enthält.
117
Eine phosphatfreie Zubereitung in Betracht zu ziehen, gebietet bereits das fachmännische Wissen, weil der Fachmann bei der Verhinderung von Calciumphosphatablagerungen fraglos die Konzentration der für die Ablagerungen verantwortlichen Calcium- und Phosphationen im Blick hat. Eine Zuführung dieser Ionen durch Externa ist kontraindiziert und entspricht nicht dem fachmännischen Handeln. Demzufolge wird der Fachmann auch im Hinblick auf die gestellte Aufgabe der Vermeidung von Calciumphosphatablagerungen, die in D8 genannten Phosphatpuffer von vorneherein ausschließen und sich den anderen in der Druckschriften genannten Puffern zu wenden. Dabei fällt ihm insbesondere der in D8 verwendete Citratpuffer auf, der zugleich auch die Funktion eines Antioxidans hat und von dem ihm auch bekannt ist, dass er über eine dritte inhärente Funktion, die eines Calcium-Chelatbildners, verfügt. Durch die Ausbildung eines Calcium-Citrat-Chelatkomplexes werden freie, bspw. körpereigene Calciumionen komplexiert, sodass diese nicht mehr für Bildung eines schwerlöslichen Calciumphosphat-Salzes zur Verfügung stehen und demzufolge eine Kalzifikation des Auges ausbleibt (vgl. D7 S. 3 Z 55 bis S. 4 Z. 2, S. 4, Z. 52; vgl. D9 S. 494 Abschnitt „26.4.3.3.4 Schwermetallionen“; D10 S. 140 li. Sp. Abs. „6. Functional Category“). Der Einsatz eines Calcium-Chelatbildners und der Ausschluss von Phosphat in der Zubereitung gemäß D8 kann vor dem Hintergrund des Fachwissens somit nicht mit einer erfinderischen Tätigkeit in Verbindung gebracht werden.
118
2.2 Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 13 enthält gegenüber dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag das zusätzliche Merkmal
119
d) dass die phosphatfreie pharmazeutische Zusammensetzung
120
d-iv) keinen weiteren Arzneistoff enthält.
121
Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist in ursprünglichen Anmeldeunterlagen, wie auch im Streitpatent offenbart (vgl. AN Ansprüche 10 und 27, S. 10 Z. 10 und 11; vgl. SP Patentansprüche 1 und 18). Die Patentansprüche 2 bis 17 entsprechen den erteilten Patentansprüchen 2 bis 16 und 19 bzw. den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 11 bis 25 und 28.
122
Die in D8 genannten pharmazeutischen Formulierungen enthalten Hyaluronsäure und Xanthangummi als re-epithelialisierendes Mittel (vgl. Abs. III. 2.1). Beide Substanzen stellen aber entgegen der Ansicht der Patentinhaberin keine Arzneistoffe dar, da sie nur eine mechanische Schutzwirkung aufgrund ihrer viskositätserhöhenden Wirkung haben, die zur Ausbildung eines längeranhaftenden Films auf der Augenoberfläche führt (vgl. D8 S. 2 [0006] bis [0010], S. 3 [0025] bis [0027], [0030]). Als Arzneistoffe werden in D8 vielmehr pharmazeutische Wirkstoffe wie Antiinfektiva, Entzündungshemmer, Anästhetika und Mydriatika verstanden (vgl. D8 S. 3 [0030]). Diese Differenzierung steht auch im Einklang mit der im Streitpatent und in D12 genannten Definition von Arzneistoffen, die darunter einen pharmakologisch wirksamen Stoff versteht (vgl. SP [0054], D12, S. 1, 1. und 2. Abs.). Weiterhin wird dieses Verständnis auch von der Lehre des Streitpatents getragen, die Hyaluronsäure und Polysaccharide, zu denen Xanthangummi zählt, als Viskositätsregler einstuft. Damit wird aber die Verwendung gemäß Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 13 nicht weiter gegenüber D8 abgegrenzt, sodass die gleiche Sachlage vorliegt wie bei Hilfsantrag 12 und deshalb die dort genannten Gründe hier gleichermaßen gelten (vgl. Abs. III. 2.1). Folglich lag es für den Fachmann nahe, ausgehend von D8, welche die Verwendung einer pharmazeutischen Zubereitung zur Behandlung von Epitheldefekten der Hornhaut lehrt, welche die Viskositätsregler Xanthangummi und Hyaluronsäure enthält, unter Einbeziehung des fachmännischen Wissens, eine Verwendung nach Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 13 in Betracht zu ziehen.
123
2.3 Die Verwendung gemäß dem Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 14 enthält gegenüber dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 13 die zusätzlichen Merkmale
124
e) dass der Viskositätsregler aus der Gruppe ausgewählt wird, die aus Hyaluronsäure, Hyaluronaten, Derivate davon und Mischungen davon besteht,
125
e-i) wobei die Hyaluronsäure, das Hyaluronat und/oder deren Derivate ein Molekulargewicht aufweisen, das in einem Bereich von etwa 50.000 bis etwa 10.000.000 Dalton liegt
126
Bedenken gegen die nunmehr mit Patentanspruch 1 beanspruchte Verwendung bestehen nicht, da diese im beanspruchten Umfang sowohl in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen wie auch der Streitpatentschrift entnehmbar ist (vgl. SP Patentansprüche 1, 10, 11 und 18; AN Patentansprüche 10, 19, 20 und 27, S. 10, Z. 10 und 11). Dies gilt auch für die nachgeordneten Patentansprüche 2 bis 16 (vgl. SP Patentansprüche 2 bis 9, 11 bis 16 und 19; vgl. AN Patentansprüche 11 bis 18, 20 bis 25 und 28).
127
Die Aufnahme der Merkmalsgruppe e) in Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 14 führt aber nicht dazu, dass die beanspruchte Verwendung auf einer erfinderischen Leistung beruht. Wie schon bei Hilfsantrag 12 ausgeführt, umfasst der Wortlaut von Patentanspruch 1 auch solche pharmazeutische Zubereitungen die Gelbildner und Benetzer als pharmazeutische Hilfsstoffe enthalten können (vgl. Hilfsantrag 14, Patentansprüche 13 und 14). Nachdem Xanthangummi gemäß D8 diese Funktionen inne hat (vgl. Abs. III. 2.1) und es zugleich keinen Arzneistoff darstellt (vgl. Abs. III. 2.2.), ergibt sich keine andere Sachlage, wie sie schon bei Hilfsantrag 12 und 13 vorlag, sodass die dort genannten Gründe hier ebenfalls gelten.
128
2.4 Die Verwendung gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 16 weist gegenüber Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 14 folgendes weiteres Merkmal auf:
129
f) dass es sich bei den Epitheldefekten um Epitheldefekte durch Benetzungsstörungen der Augenoberfläche handelt, wobei die Benetzungsstörungen aus der Gruppe bestehend aus Sjögren-Syndrom, Sicca-Syndrom und Benetzungsstörungen des Auges bei Kontaktlinsenträgern ausgewählt sind.
130
Die Verwendung gemäß Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 16 ist im Streitpatent und auch in den ursprünglichen Unterlagen offenbart (vgl. SP Patentansprüche 1, 2, 6, 10, 11 und 18; AN Patentansprüche 10, 11, 15, 19, 20 und 27, S. 10 Z. 10 und 11). Dies gilt auch für die nachgeordneten Patentansprüche 2 bis 13 (vgl. SP Patentansprüche 3 bis 5, 8, 9, 11 bis 16 und 19; vgl. AN Patentansprüche 12 bis 14, 17, 18, 20 bis 25 und 28).
131
Die Aufnahme von Merkmal f) in Patentanspruch 1 führt gegenüber Hilfsantrag 14 nicht dazu, dass die beanspruchte Verwendung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Denn die D8 versteht unter Epitheldefekten des Auges zum einen solche Läsionen, die durch Fremdkörper verursacht sind, und zum anderen Abrasionen, Schnitte und Wunden, die bspw. durch Unfälle, Operationen oder Immunkrankheiten entstehen (vgl. D8 [0001] bis [0003]). Nachdem in D8 nicht erläutert ist, um welche Fremdkörper es sich handelt, ist der Sinngehalt dieses Begriffs vor dem Hintergrund des Wissens des vorliegend zuständigen Fachmanns zu ermitteln (vgl. Abs. I. 1.4). Der Fachmann wird auf dem Gebiet der Augenheilkunde auch eine Kontaktlinse als Fremdkörper ansehen (vgl. gutachterlich J.F. Collins, A.J. Augustin (Hrsg.), „Augenheilkunde“, Springer Verlag Berlin u.a., 1997, S. 24 re. Sp. Abs. „3.4.2 Hornhaut, Sklera, intraokulare Strukturen“ 1. und 2. Absatz, S. 25, spaltenübergr. Abs.). Somit ist aus der D8 auch die Behandlung von Epithedefekten bekannt, die durch Kontaktlinsen verursachte Benetzungsstörung hervorgerufen sind.
132
Der Einwand der Beklagten, die in D8 aufgeführten Gründe für die Epithelläsion der Hornhaut im Abschnitt [0002] seien allein dem Stand der Technik zu zurechnen und hätten somit nichts mit der Lehre der D8 zu tun, kann nicht durchgreifen. Denn im nachfolgenden Absatz [0003], in dem die Aufgabe formuliert ist, wird unmittelbar Bezug darauf Bezug genommen, da eine pharmazeutische Zubereitung zur Verfügung gestellt werden soll, die eine beschleunigte Re-epithelialisierung der Hornhaut bewirkt. Die Lösung dieser Aufgabe im folgenden Abschnitt [0004] der D8 nimmt sodann Bezug auf die Behandlung von Epithelwunden, welche aber nur in Abschnitt [0002] der D8 definiert sind. Demzufolge handelt es sich bei dem strittigen Abschnitt [0002] nicht um eine Abhandlung des Standes der Technik, sondern um eine Darstellung des allgemeinen Fachwissens betreffend Epithelwunden und deren Ursachen.
133
2.5 Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 17 enthält gegenüber dem
134
Patentanspruch 1 nach Hauptantrag die zusätzlichen Merkmale
135
e) wobei der Viskositätsregler aus der Gruppe ausgewählt ist, die aus Hyaluronsäure, Hyaluronaten, Derivate davon und Mischungen davon besteht,
136
e-i) wobei die Hyaluronsäure, Hyaluronaten und/oder deren Derivate ein Molekulargewicht aufweisen, das in einem Bereich von etwa 50.000 bis etwa 10.000.000 Dalton liegt und
137
g) wobei die phosphatfreie pharmazeutische Zusammensetzung aus mindestens einem Calcium-Chelatbildner und mindestens einem ophthalmologisch verträglichen Viskositätsregler sowie optional einem pharmazeutischen Hilfsstoff oder mehreren pharmazeutischen Hilfsstoffen besteht,
138
h) wobei die pharmazeutischen Hilfsstoffe aus der Gruppe ausgewählt werden, die aus
139
h-i) anorganischen Puffersubstanzen, organischen Puffersubstanzen, anorganischen Salzen, organischen Salzen, Lösungsmitteln, Lösungsvermittlern, Lösungsbeschleunigern, Salzbildnern, Emulgatoren, Solubilisatoren, Benetzern, Spreizmitteln, Anti-Oxidantien, Füll- und Trägerstoffen, Osmolaritätsreglern sowie Mischungen davon.
140
Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen, wie auch im Streitpatent offenbart (vgl. AN Ansprüche 10, 19, 20, 23 und 24, S. 10 Z. 10 und 11; vgl. SP Patentansprüche 1, 10, 11, 14 und 15). Die Patentansprüche 2 bis 13 leiten sich von den erteilten Patentansprüchen 2 bis 9, 11 bis 13 und 16 bzw. von den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 11 bis 18, 20 bis 22 und 25 her.
141
Die Verwendung der pharmazeutischen Zubereitung gemäß Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 17 ist im Vergleich zur Verwendung nach Patentanspruch 1 des Hauptantrags dahingehend beschränkt worden, dass die Zubereitung nunmehr nur noch aus den drei Komponenten Calcium-Chelatbildner, Viskositätsregler sowie optional pharmazeutischen Hilfsstoffe besteht. Nachdem aber ein Benetzer als pharmazeutischer Hilfsstoff in der Zubereitung nach wie vor enthalten sein kann, liegt keine andere Sachlage wie bei der Verwendung gemäß Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 14 vor, sodass die dort genannten Gründe hier ebenso gelten. Mithin beruht die beanspruchte Verwendung des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 16 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
142
2.6 Die weiteren Ansprüche in der Fassung der Hilfsanträge 12 bis 17 bedürfen keiner isolierten Prüfung, weil die Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung erklärt haben, dass sie die Antragsstellung nach Haupt- und Hilfsanträgen als geschlossene Anspruchssätze verstehen (vgl. BGH GRUR 2007, 862 – Informationsvermittlungsverfahren II; BGH GRUR 1997, 120 – Elektrisches Speicherheizgerät).
IV.
143
Die Klage ist nicht begründet, soweit die Beklagte das Streitpatent mit Hilfsantrag 18 verteidigt.
144
1. Der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 18 unterscheidet sich von Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 17 darin, dass die pharmazeutischen Hilfsstoffe gemäß Merkmal h-i) nunmehr auf folgende Substanzklassen beschränkt worden sind:
145
h-i‘) anorganischen Salzen, Lösungsmitteln, Osmolaritätsreglern sowie Mischungen davon.
146
2. Der Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 18 ist zulässig, weil sämtliche Merkmale dieser Anspruchsfassung der Offenlegungsschrift und der Streitpatentschrift zu entnehmen sind.
147
Der Anspruch 1 leitet sich von den erteilten Patentansprüchen 1, 10, 11, 14 und 15 bzw. von den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 10, 19, 20, 23 und 24 sowie S. 10 Z. 10 und 11 her. Die nachgeordneten Ansprüchen 2 bis 13 basieren auf den erteilten Patentansprüchen 2 bis 12 und 16 bzw. auf den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 11 bis 18, 20 bis 22 und 25.
148
3. Die Erfindung ist auch so deutlich und vollständig offenbart, dass sie ein Fachmann ausführen kann.
149
Eine Erfindung ist ausführbar, wenn ein Fachmann anhand der im Streitpatent enthaltenen Angaben unter gleichzeitigem Einsatz seines Fachwissens in der Lage ist, die offenbarte technische Lehre praktisch zu verwirklichen, wobei die beanspruchte Lehre eindeutig identifizierbar sein muss (vgl. Schulte/Moufang, PatG, 10. Aufl., § 34 Rdn 322, Nr. 3, Rdn 338). Dies ist vorliegend der Fall. Denn Patentanspruch 1 nennt dem Fachmann alle Bestandteile, aus denen die pharmazeutische Zusammensetzung besteht. Die Hauptbestandteile der Zusammensetzung sind mindestens ein Calcium-Chelat-Bildner und mindestens ein Viskositätsregler, wobei letzterer ausgewählt wird aus Hyaluronsäure, Hyaluronaten oder deren Derivate bzw. Mischungen davon. Darüber hinaus kann die pharmazeutische Zubereitung noch optional einen oder mehrere pharmazeutische Hilfsstoffe, ausgewählt aus anorganischen Salzen, Lösungsmitteln, Osmolaritätsregler oder Mischungen davon enthalten. Die Zubereitung muss zudem konservierungsmittel- und phosphatfrei sein, wobei gemäß der Lehre des Streitpatents eine Zubereitung mit einer Konzentration von bis zu 7 mmol/l Phosphat noch als phosphatfrei gilt (vgl. Abschnitt II. 1.3). Als Calcium-Chelatbildner werden dem Fachmann exemplarisch Citratsalze, Citronensäure, EDTA (Ethylendiamintetraessigsäure), EGTA (Ethylenglykol-bis-(2-aminoethyl)-N,N,Nʹ,Nʹ-tetraessigsäure) oder Mischungen davon genannt (vgl. Abs. II. 1.1). Die Chelatoren Citrat bzw. Citronensäure und EDTA verfügen zwar zusätzlich noch über die Eigenschaft eines Antioxidans bzw. eines Synergisten für klassische Konservierungsmittel, sie wirken aber allein nicht ausreichend konservierend, um sie als ophthalmische Konservierungsmittel einzusetzen (vgl. D10, S. 140, li. Sp. Abs. „6. Functional Category“ und „7. Applications in Pharmaceutical Formulation or Technology“, 2. Abs., S. 191, li. Sp. Abs. „6. Functional Category“, S. 191, li./re. Sp. „7. Applications in Pharmaceutical Formulation or Technology“, li. Sp. Abs. „10. Typical Properties“; vgl. D16 S. 21, li. Sp Abs. „Preservatives“; vgl. auch Abs. II. 1.4). Als klassische Konservierungsmittel sieht das Streitpatent solche Stoffe wie Benzalkoniumchlorid an (vgl. SP [0044]). Somit führt die Anwesenheit von Citrat/Citronensäure oder EDTA in der pharmazeutischen Zubereitung nicht dazu, dass die Zusammensetzung nicht konservierungsmittelfrei ist. Der Fachmann ist demzufolge mit den im Streitpatent genannten Informationen sehr wohl in der Lage eine erfindungsgemäße pharmazeutische Formulierung für die Behandlung von Epitheldefekten bereitzustellen.
150
4. Die Verwendung des Patentanspruchs 1 erweist sich als neu. Die Druckschriften D1, D2, D7, D8 und D13 nehmen die Gegenstände der mit dem Hilfsantrag 18 verteidigten Ansprüche nicht neuheitsschädlich vorweg.
151
4.1 Die Druckschrift D1 betrifft die Verwendung einer pharmazeutischen, konservierungsmittelfreien Zusammensetzung zur Behandlung von ophthalmologischen und rhinologischen Fehlfunktionen (vgl. D1 Sp 1 [0001], Sp 8 [0082]), die Panthenol und/oder Pantothensäure und Hyaluronsäure und/oder Hyaluronat sowie ggf. zusätzlich pharmazeutische Hilfsstoffe enthält (vgl. D1 Patentanspruch 1). In dem einzigen Ausführungsbeispiel der D1 ist eine pharmazeutische Zusammensetzung angegeben, die Dexpanthenol, Hyaluronsäure mit einem Molekulargewicht von 1,5 106 bis 3,5 106 Dalton, Natriumcitrat und einer wässrigen Citronensäurelösung besteht (vgl. D1 Sp 9/10 [0094]). Damit mag zwar eine phosphat- und konservierungsmittelfreie Zusammensetzung offenbart sein, die neben dem Viskositätsregler Hyaluronsäure auch den Puffer Citrat enthält (vgl. D1 Sp 4 [0034]), der zusätzlich die Funktion eines Calcium-Chelatbilders hat (vgl. Abs. II. 1.1; vgl. D10 S. 140 li. Sp. Abs. „6. Functional Category“), jedoch weist die beispielhafte Zubereitung darüber hinaus Panthenol („Dexpanthenol“) auf, welches aber kein Bestandteil der Zubereitung gemäß Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 18 ist.
152
Entgegen dem Vorbringen der Klägerin handelt es sich bei Dexpanthenol aber nicht um einen Osmolaritätsregler, sondern um einen Wirkstoff für die Behandlung von Epithelläsionen bzw. um einen Viskositätsregler (vgl. D1 Sp 7 [0013], [0074]). Der Klägerin kann zwar insoweit zu gestimmt werden, als Dexpanthenol, wie im Übrigen auch jeder andere anwesende Stoff, in der Zubereitung gemäß Beispiel 1 der D1 einen Osmolaritätsbeitrag zur Gesamtosmolarität allein aufgrund seiner vorhandenen Stoffmenge liefert. Dies bedeutet aber nicht, dass es sich dabei um einen Stoff zur Regelung der Osmolarität der Zubereitung handelt. Denn D1 nennt als Osmolaritätsregler vielmehr Natriumchlorid und Borsäure, die zur Isotonisierung und mithin zur Einstellung der Osmolarität dienen (vgl. D1 Sp 3 [0033] bis Sp 4 [0034]). Demzufolge offenbart die D1 keine Verwendung einer pharmazeutischen Zubereitung zur Behandlung und/oder Prävention von Epitheldefekten mit sämtlichen Merkmalen gemäß Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 18.
153
4.2 Die D2 offenbart die Verwendung von Hyaluronsäure, Hyaluronat und/oder deren Derivate zur Herstellung einer pharmazeutischen Zusammensetzung zur Behandlung Benetzungsstörungen am Auge, die im Rahmen von allergischen Komplikationen auftreten (vgl. D2 Patentanspruch 1, S. 5 [0042]). Die Hyaluronsäure bzw. das Hyaluronat haben u.a. die Funktion eines Viskositätsreglers (vgl. D2 S. 3 [0024] bis S. 4 [0026]). Ihr Molekulargewicht bewegt sich im Bereich von 50.000 bis 10.000.000 Dalton (vgl. D2 Patentanspruch 6). Die Zubereitung ist zudem konservierungsmittelfrei (vgl. D2 S. 5 [0043]). Als mögliche Puffersubstanzen werden Phosphatpuffer, Acetatpuffer, Acetat-Boratpuffer, Citratpuffer und Boratpuffer offenbart. In dem einzigem Ausführungsbeispiel der D2 enthält die pharmazeutische Zubereitung einen Phosphat-Puffer (vgl. D2 S. 4 [0033], S. 7 Beispiel 1). Der D2 kann daher nicht unmittelbar und eindeutig entnommen werden, dass deren Zubereitungen phosphatfrei sein müssen.
154
4.3 Die Entgegenhaltung D7 betrifft eine wässrige ophthalmische Lösung für die Behandlung von Epitheldefekten, die neben Citrat als Calcium-Chelatbildner und Puffer, Vitamin A als Radikalfänger und Propylmethylcellulose als ausschließlichen Viskositätsregler enthält (vgl. D7 Patentansprüche 1 und 10 bis 15, S. 2 Z. 4 bis 6 und 49 bis 52, S. 5 Z 18 bis 20). Demzufolge unterscheidet sich die in D7 offenbarte Verwendung einer pharmazeutischen Zusammensetzung von der streitpatentgemäßen Verwendung nach Anspruch 1 des Hilfsantrags 18 darin, dass sie anstelle der streitpatentgemäßen Viskositätsregler Hyaluronsäure, Hyaluronat bzw. deren Derivate Propylmethylcellulose enthält.
155
4.4 Das Dokument D8 beschreibt eine re-epithelialisierende pharmazeutische Zusammensetzung, die u.a. hochmolekulare Hyaluronsäure enthält, wobei das Molekulargewicht der Hyaluronsäure jedoch nicht spezifiziert wird (vgl. D8 Patentanspruch 7). Somit kann der D8 nicht unmittelbar und eindeutig eine pharmazeutische Zubereitung entnommen werden, die Hyaluronsäure, Hyaluronat und/oder deren Derivate mit einen Molekulargewicht von 50.000 bis 10.000.000 Dalton gemäß der Merkmalsgruppe e) von Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 18 enthält.
156
4.5 Die D13a betrifft eine ophthalmische Zubereitung, die ein kationisches Tensid als antiseptisches Mittel in einer niedrigen Konzentration, einen Puffer, einen Chelator und ein polymeres Polysaccharid enthält (vgl. D13a Patentanspruch 1). Bei dem polymeren Polysaccharid handelt es sich um Hyaluronsäure oder einem Salz davon bzw. Chondroitinsulfat oder einem Salz davon (vgl. D13a, S. 5 vorletzt. Abs.). Ebenso wie bei D8 wird jedoch auch in D13a das Molekulargewicht der Hyaluronsäure oder einem Salz davon nicht offenbart, sodass die Verwendung nach Patentanspruch 1 des Hilfsantrags 18 nicht neuheitsschädlich durch die Lehre der D13a vorweggenommen wird.
157
5. Die Verwendung gemäß Patentanspruch 1 beruht zudem auf einer erfinderischen Tätigkeit.
158
Zur Lösung der streitpatentgemäßen Aufgabe, eine pharmazeutische Zusammensetzung für die topische Applikation am Auge zur Behandlung und/oder Prävention von Epitheldefekten bereitzustellen, die keine Calciumphosphat-ablagerungen bedingt, konnte der Fachmann von der D8 ausgehen. D8 beschreibt – wie in III. 2.1 diskutiert – die Verwendung einer pharmazeutischen Zubereitung, die neben Xanthangummi auch Hyaluronsäure bzw. deren Salze enthält, zur Behandlung von Epitheldefekten am Auge (vgl. D8 Patentansprüche 7, 16, S. 2 [0001] bis [0003], [0006], [0011], [0012]). Darüber hinaus kann die ophthalmische Zubereitung noch isotonische Agenzien, Puffer, Lösungsmittel und Antioxidantien und Mittel zur pH-Werteinstellung enthalten (vgl. D8 S. 2 [0018]). Die Verwendung eines Konservierungsmittels wird in D8 nicht angesprochen, sodass die Formulierungen konservierungsmittelfrei sind. Als mögliche Puffer werden die für ophthalmische Formulierungen gebräuchlichen Puffer Phosphat, Borat, Acetat oder eine Mischung davon wie bspw. Citrat/Phosphat oder aber auch weniger übliche Puffer wie TrisCl, Histidin oder Arginin angegeben. In den beispielhaften Formulierung 4 und 7 wird der Citrat-Puffer nicht in Kombination mit Phosphat sondern in Gegenwart des weiteren Puffers TrisCl eingesetzt (vgl. S. 2/3 [0020], S. 3 bis 6, Formulierungen 1 bis 4, 6 bis 10). Allerdings gibt die D8 weder explizit noch implizit einen Hinweis darauf, eine pharmazeutische phosphatfreie Zusammensetzung zu verwenden, die aus mindestens einem Calcium-Chelatbildner und mindestens einem Viskositätsregler ausgewählt aus der Gruppe Hyaluronsäure, Hyaluronaten, Derivaten davon und Mischungen davon sowie optional einen oder mehreren pharmazeutischen Hilfsstoffen ausgewählt aus der Gruppe der anorganischen Salze, Lösungsmittel, Osmolaritätsregler bzw. Mischungen davon besteht, wobei die Hyaluronsäure, das Hyaluronat und/oder deren Derivate ein Molekulargewicht aufweisen, dass in einem Bereich von etwa 50.000 bis etwa 10.000.000 Dalton liegt.
159
Eine derartige Anregung erhält der Fachmann auch nicht aus dem weiteren Stand der Technik. So offenbart zwar die D1 die Verwendung einer konservierungsmittelfreien ophthalmischen Formulierung, die Hyaluronsäure und oder Hyaluronat als Viskositätsregler mit einem Molekulargewicht von 50.000 bis 10.000.000 Dalton aufweist. Allerdings liegt die Lehre der D1 in einer kombinierten Gabe von Hyaluronsäure bzw. Hyaluronat mit Panthenol bzw. Pantothensäure, die synergistisch wirken und so für den Erfolg der Behandlung von Benetzungsstörungen der Horn- und Bindehaut des Auges verantwortlich sind (vgl. D1 Patentansprüche 1, 3 und 9 bis 11, Sp 2 [0020], Sp. 2/3 [0021], Sp 7 [0069], Sp 7/8 [0074]). Des Weiteren lehrt die D1, dass zur Einstellung des pH-Werts Pufferlösungen wie beispielsweise Phosphat-, Acetat-, Acetat/Borat-, Citrat- und Boratpuffer verwendet werden (vgl. D1 Sp. 4 [0034]). Die Gesamtheit dieser Angaben der D1 veranlasst den Fachmann aber nicht dazu, die pharmazeutische Zusammensetzung der D1 phosphatfrei zu gestalten und zugleich Hyaluronsäure bzw. Hyaluronat mit einem Molekulargewicht von etwa 50.000 bis etwa 10.000.000 Dalton unter Verzicht auf Panthenol bzw. Pantothensäure zu verwenden, weil er ohne Panthenol bzw. Pantothensäure eine schlechtere Heilung befürchten musste.
160
Auch das Dokument D2 liefert dem Fachmann keinen Hinweis in Richtung der patentgemäßen Verwendung. Gemäß D2 enthält die verwendete ophthalmische Zubereitung zwar Hyaluronsäure, Hyaluronat und/oder deren Derivaten mit einem Molekulargewicht von 50.000 bis 10.000.000 Dalton (vgl. D2 Patentansprüche 1 und 6), allerdings ist die Zubereitung nicht phosphatfrei. In Abschnitt [0033] wird zwar ein Citratpuffer neben einem Phosphatpuffer und anderen gebräuchlichen Puffern angegeben. In der einzigen Beispielformulierung wird hingegen ausschließlich Phosphat als Puffer eingesetzt. Nachdem sich in dem Dokument kein Hinweis findet, dass eine Phosphatfreiheit ein wesentlicher Bestandteil der technischen Lehre der D2 ist, entnimmt der Fachmann der Druckschrift jedenfalls keine phosphatfreie Zubereitung (vgl. auch Abs. III. 4.2; vgl. D2 S. 4 [0033], S. 7 Beispiel 1).
161
Die Dokumente D3 bis D6 befassen sich jeweils mit der Kalzifikation des Auges, die bei der Behandlung mit Phosphat-Puffer-haltigen ophthalmischen Formulierungen auftritt (vgl. D3 S. 761, re. Sp. 1. vollst. Abs.; vgl. D4 S. 459 Abstract; vgl. D5 S. 780 Abstract: „Methods“, „Results“; vgl. D6 Sp 1 Z 27 bis 33). Zur Vermeidung der Kalzifikation durch die Ausbildung von Calciumphosphat-Ablagerungen schlagen die Dokumente vor, anstelle des Phosphat-Puffers einen anderen ophthalmisch verträglichen Puffer zu verwenden (vgl. D3 S. 764 bis 765, spaltenübergr. Abs.; vgl. D4 S. 463 li. Sp., letzt. Abs.; D5 S. 783 re. Sp. letzt. Abs.; vgl. D6 Patentansprüche 1 und 7). Die Dokumente weisen damit zwar auf eine phosphatfreie Formulierung hin, jedoch wird in keinem der Dokumente die Verwendung von Hyaluronsäure bzw. Hyaluronat mit einem Molekulargewicht von 50.000 bis 10.000.000 Dalton erwähnt. Damit liefern diese Dokumente dem Fachmann keinen Anreiz eine pharmazeutische Formulierung zur Behandlung von Epitheldefekten der Horn- und Bindehaut des Auges in Betracht zu ziehen, die einen Viskositätsregler der Merkmalsgruppe e) und einen Calcium-Chelator enthält.
162
Dies gilt auch für die Publikation D16, die sich mit der Behandlung von Alkali-verätzten Augen befasst und feststellt, dass bei der topischen Behandlung mit Citrat im Vergleich zu Ascorbat, Acetylcystein oder einer Mischung derselben die Wahrscheinlichkeit, dass eine Kalzifikation in Form einer einer Bandkeratopathie auftritt, deutlich verringert ist (vgl. D16 S. 486 Abstract). Damit entnimmt der Fachmann der D16 zwar, dass es vorteilhaft ist, einen Citratpuffer zu verwenden, jedoch liefert ihm das Dokument keinen Hinweis in Richtung des Viskositätsreglers der Merkmalsgruppe e).
163
Schließlich kann auch die Druckschrift D7 dem Fachmann keine weitere Anregung liefern, weil sie eine ophthalmische Zubereitung zur Behandlung von Epitheldefekten betrifft, die Vitamin A, einen Radikalfänger und einen Metall-Chelatbildner enthält. Das Vitamin A ist derjenige Bestandteil der Formulierung, der für die Heilung der Epitheldefekte faktisch verantwortlich ist (vgl. D7 Patentanspruch 1, S. 2 Z. 49 bis 52). Damit mag die Druckschrift zwar die Verwendung eines Metall-Chelatbildners anregen, allerdings hätte der Fachmann dieses technische Merkmal nicht isoliert herausgegriffen und auf die Lehre der D8 übertragen, da der Metall-Chelatbildner das geschädigte Gewebe vor dem Angriff von Leukozyten schützt (vgl. D7 S. 4 Z. 44 bis 55) und eine Kalzifikation in der D7 nicht angesprochen wird.
164
Die weiteren vorliegenden Dokumente D9, D10 und D14 sind von der Klägerin nur zur Darlegung des zum Prioritätszeitpunkts bekannten Fachwissen bzgl. der Chelatbildner EDTA und Citrat und ophtalmologischen Viskositätsreglern genannt worden. Sie können dem Fachmann aber keine weiteren Anregungen liefern, die dazu führen, dass sich die patentgemäße Verwendung in naheliegender Weise ergibt.
165
6. Der Patentanspruch 1 in der gemäß Hilfsantrag 18 verteidigten Fassung hat daher Bestand. Mit Patentanspruch 1 haben auch die auf ihn rückbezogenen, vorteilhafte Ausführungsformen betreffenden Ansprüche 2 bis 13 Bestand.
V.
166
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 1 ZPO.
167
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.


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