Patent- und Markenrecht

30 W (pat) 801/18

Aktenzeichen  30 W (pat) 801/18

Datum:
10.12.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2020:101220B30Wpat801.18.0
Spruchkörper:
30. Senat

Tenor

In der Design-Nichtigkeitssache

betreffend das Design M9306710 – 0002
(hier: Nichtigkeitsverfahren N 63/16)
hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 10. Dezember 2020 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker, des Richters Merzbach, der Richterin Dipl.-Ing. Univ. Schenk und der Richterin Akintche
beschlossen:
1. Die Sache wird zum Zwecke der Einstellung des Verfahrens an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

Gründe

I.
1
Die Beschwerdeführerin war Inhaberin des eingetragenen Designs M9306710 – 0002 mit dem Anmeldetag 23. August 1993. Das Design war mit der Erzeugnisangabe „Ventile“ am 21. September 1993 in das beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) geführte Designregister eingetragen worden. Dafür waren folgende acht Darstellungen hinterlegt:
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2
Darstellung 1
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3
Darstellung 4 Darstellung 5 Darstellung 6
4
Darstellung 7 Darstellung 8
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Gegen dieses Design hat die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin mit Schriftsatz vom 7. November 2016 beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) einen Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit nach § 34a DesignG gestellt mit der Begründung, dem Design fehle die Geschmacksmusterfähigkeit, die Neuheit sowie die Eigentümlichkeit im Sinne des § 1 GeschmMG 1986.
6
Dem ihr durch das DPMA am 21. November 2016 gegen Empfangsbekenntnis zugestellten Nichtigkeitsantrag hat die Designinhaberin mit Schreiben vom 5. Dezember 2016 widersprochen.
7
Das angegriffene Design war Verfügungsdesign in einem zwischen den hiesigen Verfahrensbeteiligten anhängigen einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth (Az.: 3 O 7285/16). Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hatte das Landgericht mit Beschluss vom 9. November 2016 zurückgewiesen. Daraufhin hatte die Designinhaberin am 7. März 2017 Hauptsacheklage vor dem Landgericht München I eingereicht.
8
Die Designabteilung 3.5 des DPMA hat nach Durchführung des Nichtigkeitsverfahrens mit Beschluss vom 17. Oktober 2017 die Nichtigkeit des angegriffenen Designs wegen fehlender Eigentümlichkeit festgestellt, die Kosten des Verfahrens der Antragsgegnerin auferlegt und den Gegenstandswert – wie von den Verfahrensbeteiligten übereinstimmend vorgeschlagen – auf 150.000 Euro festgesetzt.
9
Das angegriffene Design sei zwar geschmacksmusterfähig und auch neu im Sinne von § 1 Abs. 2 GeschmMG a. F. Dem angegriffenen Design fehle jedoch die Eigentümlichkeit. Dessen ästhetischer Gesamteindruck werde maßgeblich durch die durchgängig runden Formen aller Bestandteile, also durch das Fehlen jeglicher Ecken und Kanten, sowie durch die gleichförmig rechtwinklige Ausrichtung der vom Gehäuse seitlich abstehenden Stutzen, durch die Flanschverbindungen und durch seinen Glanz bestimmt. Im Gesamteindruck wirke das Design auf den Durchschnittsbetrachter ausgewogen, gleichförmig-harmonisch und hochwertig. Zum bekannten Formenschatz gehöre das von der Antragstellerin angeführte E…- Ventil sowie die in den eingeführten Patentschriften abgebildeten Ventildarstellungen. Nicht belegt sei jedoch, dass das ebenfalls entgegengehaltene D…- Ventil zum vorbekannten Formenschatz gehöre, denn der dazu von der Antragstellerin vorgelegte Katalog datiere aus einer Zeit nach der Anmeldung des angegriffenen Designs. Im Gesamtvergleich mit dem vorbekannten Formenschatz sei zu berücksichtigen, dass das Erzeugnis „Ventil“ eine eindeutig technische Zweckbestimmung habe. Die Anforderungen an die eigenschöpferische Gestaltungshöhe dürften daher nicht zu niedrig angesetzt werden, denn der freie Formenschatz müsse jedem Formgestalter zur Benutzung offenstehen. Ausgehend hiervon übersteige die Gestaltung aus Sicht der Fachkreise, die sich aus Gestaltern und Herstellern von und Händlern mit Ventilen zusammensetzten, nicht das Durchschnittskönnen eines Mustergestalters auf dem Gebiet der Expansionsventile.
10
Gegen den Beschluss der Designabteilung hat die Antragsgegnerin und Designinhaberin mit Schriftsatz vom 2. November 2017 Beschwerde eingelegt.
11
Die Schutzdauer des beschwerdegegenständlichen Designs ist am 23. August 2018 abgelaufen. Im Designregister ist die Löschung des Designs am 19. Januar 2019 erfasst worden.
12
Mit Beschluss vom 18. Juni 2020 hat der Senat den Spruchkörper nach § 23 Abs. 4 Satz 3 DesignG um ein technisches Mitglied erweitert.
13
Zusammen mit der Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2020 hat der Senat wegen des Ablaufs der Schutzdauer des Streitdesigns der Antragstellerin aufgegeben, ergänzend zum Rechtsschutzbedürfnis für die Fortführung des Nichtigkeitsverfahrens vorzutragen.
14
In der mündlichen Verhandlung haben die Parteien erklärt, dass das Verletzungsverfahren vor dem Landgericht München I durch Abweisung der Verletzungsklage rechtskräftig erledigt ist. Ferner haben sie übereinstimmend das Verfahren für erledigt erklärt.
15
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
16
A. Das Nichtigkeitsverfahren ist von den Parteien in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt worden. Das Deutsche Patent- und Markenamt hat daher gemäß § 34a Abs. 2 Satz 3 DesignG das Verfahren noch durch Beschluss einzustellen, wozu die Sache zurückverwiesen wird.
17
B. Nachdem beide Beteiligten die Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist seitens des Senats nur noch eine Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens gemäß §§ 23 Abs. 4 Satz 5 DesignG, 84 Abs. 2 Satz 2 PatG i. V. m. § 91a ZPO zu treffen. Danach sind die Kosten des Beschwerdeverfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen.
18
1. Die Kostenentscheidung ist gemäß §§ 23 Abs. 4 Satz 5 DesignG, 84 Abs. 2 Satz 2 PatG i. V. m. § 91a ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu treffen. Dabei ist auf den voraussichtlichen Ausgang des Nichtigkeitsbeschwerdeverfahrens abzustellen (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 37. Aufl., § 91a, Rn. 47). Jedoch ist insoweit eine summarische Prüfung ausreichend (vgl. Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 91a, Rn. 24 m. w. N.).
19
2. Ausgehend von den vorgenannten Grundsätzen entspricht es billigem Ermessen, die Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen. Im vorliegenden Fall hätte die zulässige Beschwerde der Designinhaberin voraussichtlich Erfolg gehabt. Denn als Ergebnis der summarischen Prüfung ist davon auszugehen, dass im Falle einer Sachentscheidung das Design als schutzfähig erachtet worden wäre, § 1 GeschmMG a. F.
20
Die Voraussetzungen der Schutzfähigkeit des am 21. September 1993, mithin vor dem Stichtag 28. Oktober 2001, eingetragenen Streitdesigns bestimmt sich gemäß § 72 Abs. 2 DesignG nach dem Geschmacksmustergesetz 1986, dort nach § 1 GeschmMG. Dies gilt für die Voraussetzungen der Designfähigkeit, der Neuheit und der Eigentümlichkeit (vgl. Eichmann/Jestaedt/Fink/Meiser, EJFM, Designgesetz, 6. Aufl., § 72 Rn. 5).
21
a. Das eingetragene Design war geschmacksmusterfähig und neu im Sinne von § 1 Abs. 2 GeschmMG a. F. Die Designinhaberin hat die entsprechenden Ausführungen der Designabteilung als für sie günstig nicht angegriffen und auch die Beschwerdegegnerin ist dem nicht entgegengetreten.
22
b. Der Beurteilung der Designabteilung des DPMA, dem angegriffenen Design fehle die Eigentümlichkeit, vermag sich der Senat nach summarischer Prüfung nicht anzuschließen.
23
aa. Ein Design ist eigentümlich im Sinne des § 1 Abs. 2 GeschmMG a.F., wenn es in den für die ästhetische Wirkung maßgebenden Merkmalen als das Ergebnis einer eigenpersönlichen, form- oder farbenschöpferischen Tätigkeit erscheint, die über das Durchschnittskönnen eines Mustergestalters mit der Kenntnis des betreffenden Fachgebiets hinausgeht (vgl. BGH GRUR 1975, 81, 83 – Dreifachkombinationsschalter; GRUR 1977, 547, 549 f. – Kettenkerze). Es muss zumindest eine schöpferische Leistung vorliegen, die über das Können eines Durchschnittsgestalters und damit über das rein Handwerksmäßige hinausgeht. Die Prüfung der Eigentümlichkeit und ihres Grades ist – anders als die Prüfung der Neuheit – nicht durch einen Einzelvergleich des zu prüfenden Musters mit Entgegenhaltungen, sondern durch einen Gesamtvergleich mit den vorbekannten Formgestaltungen vorzunehmen (vgl. BGH GRUR 2001, 503, 505 – Sitz-Liegemöbel, m. w. N.). Nur durch einen solchen Vergleich mit der (gerade) auf dem betreffenden Gebiet geleisteten formgestalterischen Vorarbeit in ihrer Gesamtheit und in Verbindung mit den zur Verfügung stehenden freien Formen lässt sich feststellen, ob ein Muster einen schöpferischen Gehalt aufweist, wie er für den Geschmacksmusterschutz erforderlich ist und welcher – den Schutzumfang bestimmender – Eigentümlichkeitsgrad erreicht ist (vgl. BGH GRUR 1996, 767, 769 – Holzstühle, m. w. N.). Der Gesamtvergleich muss ausgehen von der Feststellung des Gesamteindrucks des Musters und der Gestaltungsmerkmale, auf denen dieser Gesamteindruck beruht.
24
Für die Beurteilung, welchen ästhetischen Gesamteindruck ein Muster vermittelt und durch welche Eigenschaften dieser Gesamteindruck bestimmt wird, ist die Auffassung des für geschmackliche und ästhetische Fragen aufgeschlossenen und mit ihnen einigermaßen vertrauten Durchschnittsbetrachters maßgebend (vgl. BGH GRUR 2001, 503, 505 – Sitz-Liegemöbel, m. w. N.). Für den Vergleich des so ermittelten ästhetischen Gesamteindrucks des Musters mit den vorbekannten Formgestaltungen kommt es jedoch nicht darauf an, welche Kenntnis ein Durchschnittsbetrachter von dem bereits vorhandenen Formenschatz besitzt. Entscheidend ist vielmehr – wie bei der Beurteilung der Frage der Neuheit des Musters –, welche Formgestaltungen bei den inländischen Fachkreisen als bekannt anzusehen sind; denn von deren Durchschnittskönnen und Durchschnittswissen soll sich das Muster oder Modell durch seine schöpferische Eigentümlichkeit abheben (vgl. BGH GRUR 1977, 547, 550 – Kettenkerze).
25
Der Umstand, dass die Gestaltung mit technischen Vorteilen verbunden ist, hindert nicht, dem Muster Eigentümlichkeit beizumessen. Die Schutzfähigkeit nach § 1 Abs. 2 GeschmMG a.F. ist – worauf die Beschwerdeführerin zu Recht hingewiesen hat – nur ausgeschlossen, soweit es sich um Formgestaltungen handelt, die objektiv ausschließlich technisch bedingt sind. Der Geschmacksmusterfähigkeit steht bei einem Gebrauchszwecken dienenden Erzeugnis nicht entgegen, dass seine Gestaltung in dem maßgeblichen Merkmal zugleich oder sogar in erster Linie dem Gebrauchszweck dient und ihn fördert, der ästhetische Gehalt demnach in die ihrem Zweck gemäß gestaltete Gebrauchsform eingegangen ist (vgl. BGH GRUR 1981, 269, 271 – Haushaltsschneidemaschine II; GRUR 2005, 600, 603 – Handtuchklemmen, m. w. N.).
26
Nach diesen Grundsätzen kann dem Design nicht die Eigentümlichkeit abgesprochen werden.
27
bb. Ausgehend von der Merkmalsbeschreibung, die die Designabteilung ihrer Beurteilung zugrunde gelegt hat und die nur geringfügig zu ergänzen ist, verfügt das Design, das ein sog. Expansionsventil zeigt, über folgende Merkmale:
28
1. Das Ventil besteht aus glänzendem Material und umfasst folgende Bestandteile:
29
2. ein zylindrisches Zentralgehäuse,
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3. drei zylindrische am Zentralgehäuse angeordnete Stutzen unterschiedlichen Durchmessers, die
31
a) mittig eingeschnürt sind,
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b) an ihrem Ende leicht aufgebogen sind und von denen
33
c) die beiden Stutzen mit dem größten und dem kleinsten Durchmesser
34
aa) seitlich und
35
bb) rechtwinklig am Zentralgehäuse angebracht sind
36
cc) sich gegenüberliegen und
37
dd) in Richtung der Längsachse des Zentralgehäuses zueinander versetzt sind, während
38
d) der Stutzen mit dem mittelgroßen Durchmesser
39
aa) das Gehäuse nach unten fortsetzt und
40
bb) sich dabei von unten nach oben einmalig aufweitet,
41
4. sattelförmige Flansche, die
42
a) aus den beiden seitlichen Stutzen gezogen sind und
43
b) diese seitlichen Stutzen mit dem Zentralgehäuse verbinden,
44
5. ein rundes Deckelelement, das
45
a) einen größeren Durchmesser als das Zentralgehäuse hat,
46
b) nach oben hin im Außenbereich plan ist,
47
c) eine zentrale Aufwölbung aufweist,
48
6. ein Kapillarrohr, das
49
a) aus der zentralen Aufwölbung sich senkrecht nach oben erstreckt,
50
b) in einem Abstand zum Deckel (dreifache Deckelhöhe) waagerecht zu einer Spule aufgerollt ist und
51
c) im aufgerollten Zustand einen größeren Durchmesser als das Deckelelement aufweist,
52
7. ein tropfenförmiges Fühlerelement,
53
a) welches über das Kapillarrohr mit dem Deckelelement verbunden ist und
54
b) in etwa so lang ist wie Gehäuse und Deckelelement zusammen.
55
(1) Die Gestaltungsmerkmale haben weitgehend technische Funktionen.
56
Vereinzelt mag auch von einer ausschließlich technischen Bedingtheit eines Elements – so z. B. dem Deckelelement (Merkmalsgruppe 5) – auszugehen sein oder eine solche zumindest naheliegen. Diese Elemente können zwar die Eigentümlichkeit nicht begründen (vgl. BGH GRUR 2008, 790 Rn. 21 – Baugruppe), immerhin aber – wie im vorliegenden Fall – von geringem Einfluss auf den Gesamteindruck sein (vgl. hierzu Eichmann/v. Falckenstein, Geschmacksmustergesetz, 2. Aufl., 1996, § 1 Rn. 36).
57
Den von beiden Verfahrensbeteiligten vorgelegten Abbildungen von verschiedenen Ventilen ist aber zu entnehmen, dass die technische Funktion der meisten Gestaltungselemente auch auf andere Weise realisierbar ist, so dass sie nicht ausschließlich technisch bedingt sind. Insofern besteht freier Raum für Gestaltungsmöglichkeiten.
58
(2) So kann beispielsweise die Verbindung zwischen den Stutzen und dem Zentralgehäuse technisch auch auf andere Weise gelöst werden. Die Anbindung der Stutzen durch sattelförmige Flansche (Merkmal 4) bei dem Streitdesign ist daher nicht ausschließlich technisch bedingt, sondern variierbar. Gleiches gilt in Bezug auf die gleichförmig rechtwinklige Ausrichtung der vom Zentralgehäuse seitlich abstehenden Stutzen (Merkmal 3 c) bb)) und hinsichtlich der Maße und Proportionen des Fühlerelements (Merkmal 7).
59
cc. Als vorbekannte Form kann allenfalls das sog. E…-Ventil berücksichtigt werden.
60
(1) Zutreffend ist die Designabteilung davon ausgegangen, dass das D…- Ventil der Designinhaberin nicht zum vorbekannten Formenschatz gehört. Denn es kann nicht festgestellt werden, dass dieses entgegengehaltene Ventil vor dem Anmeldetag des angegriffenen Designs offenbart worden ist. Nur solche Gestaltungsformen, die den inländischen Fachkreisen im Anmeldezeitpunkt bekannt waren oder bekannt sein konnten, gehören dem bei der Beurteilung der Eigentümlichkeit eines Geschmacksmusters zu berücksichtigenden vorbekannten Formenschatz an. Der Katalog, den die Antragstellerin hierzu vorgelegt hat, datiert aus der Zeit nach der Anmeldung des angegriffenen Designs. Zwar ist in dem Katalog ausgeführt, dass es das genannte Ventil seit rund 50 Jahren mit nur „wenigen Modifizierungen“ gibt. Um welche Modifizierungen es sich dabei im Einzelnen handelt und welche genaue Formgestaltung das T…-Ventil zum Anmeldetag des angegriffenen Designs tatsächlich hatte, ist jedoch nicht belegt. Die Antragstellerin trifft nach allgemeinen Grundsätzen die Beweislast dafür, dass das entgegengehaltene Muster zum vorbekannten Formenschatz gehört (vgl. EJFM, a. a. O., § 5 Rn. 39 m. w. N.). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass es sich bei dem T…- Ventil um ein solches der Designinhaberin selbst handelt. Die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr liegen nicht vor. Macht die Antragstellerin geltend, dass die Formgestaltung des entgegengehaltenen T…Ventils vorbekannt ist, so treten durch die dadurch bedingte Offenbarung die internen Vorgänge gerade aus der Sphäre der Antragsgegnerin heraus, so dass eine sekundäre Darlegungslast der Antragsgegnerin zu der Frage, welche Form ihr T…Ventil am Anmeldetag des Streitdesigns hatte, nicht in Betracht kommt.
61
(2) Die Designabteilung hat zu Unrecht als zum vorbekannten Formenschatz gehörend auch die in den Patentschriften 1 219 749, 1 959 547, 23 40 836 und 1 282 379 enthaltenen technischen Schnittzeichnungen von Ventildarstellungen angesehen. Diesen zweidimensionalen abstrakten Darstellungen kann nämlich nicht unmittelbar ein konkretes äußeres Erscheinungsbild entnommen werden, wie die Beschwerdeführerin zutreffend eingewandt hat. Insofern reicht es nicht aus, dass mit den Längsschnittansichten lediglich gewisse Vorstellungen einer Formgestaltung verbunden werden.
62
(3) Als einzige Entgegenhaltung kommt daher das wie nachfolgend abgebildete E…-Ventil in Betracht:
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63
Die Antragstellerin hat hierzu ein Blatt mit der Unternehmensgeschichte der Firma O… E… mit Angaben bis zum Jahr 2014 vorgelegt, auf dem am rechten Rand eine Anzeige wiedergegeben ist, wie sie sich in der Zeitschrift „Kältetechnik“ aus dem Jahr 1955 befunden haben soll. In dieser Anzeige ist das E…-Ventil mit der oben dargestellten Abbildung enthalten. Das Blatt mit der Unternehmensgeschichte ist auf der Internetseite www.vhkk.org/page/geschichte/index.php einzusehen. Die Beschwerdeführerin hat allerdings, da sie das Original der Anzeige aus der Zeitschrift „Kältetechnik“ aus dem Jahr 1955 nicht aus eigener Wahrnehmung kenne, mit Nichtwissen bestritten, dass das in dieser Anzeige gezeigte Ventil zum vorbekannten Formenschatz gehört. Wenngleich es daher der darlegungs- und beweispflichtigen Antragstellerin oblegen hätte, die Originalzeitschrift mit der in Bezug genommenen Anzeige vorzulegen oder ansonsten für die Veröffentlichung Beweis anzutreten, kann zu ihren Gunsten von der Vorbekanntheit des oben wiedergegebenen E…-Ventils ausgegangen werden. Denn dessen Form weicht ohnehin – wie im Weiteren ausgeführt wird – erheblich von der Gestaltung des Streitdesigns ab.
64
dd. Aus der Sicht des für geschmackliche und ästhetische Fragen aufgeschlossenen und damit einigermaßen vertrauten Durchschnittsbetrachters weist das Design im Vergleich zu der vorbekannten Form des E…-Ventils einen deutlich abweichenden Gesamteindruck auf.
65
(1) Das Streitdesign wirkt im Gesamteindruck ausgewogen, gleichförmig-harmonisch und hochwertig. Dabei wird der Gesamteindruck des Designs bestimmt durch die durchgängig runden Formen aller Bestandteile, also durch das Fehlen jeglicher Ecken und Kanten, sowie die gleichförmig rechtwinklige Ausrichtung der vom Gehäuse seitlich abstehenden Stutzen, durch die sattelförmigen Flanschverbindungen, die die Rundung des Gehäuses aufnehmen und durch seinen Glanz.
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Das E… hat demgegenüber ein massives, gedrungenes Erscheinungsbild und vermittelt, vor allem wegen der Sechskantflächen der Gewinde und des seitlichen Stutzens, nicht annähernd einen so runden, harmonischen und schlanken Eindruck wie das angegriffene Design.
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(2) Zwar ist – worauf die Designabteilung zutreffend abgestellt hat – im Gesamtvergleich mit dem vorbekannten Formenschatz zu berücksichtigen, dass das Erzeugnis „Ventil“ eine technische Zweckbestimmung hat. Die Anforderungen an die hinreichende eigenschöpferische Gestaltungshöhe dürfen daher nicht zu niedrig angesetzt werden. Die Gestaltung des Streitdesigns stellt sich gleichwohl als Ergebnis einer Tätigkeit dar, die über das Durchschnittskönnen des Mustergestalters hinausgeht.
68
(3) Das Streitdesign zeigt in den Erscheinungsmerkmalen, bei denen gestalterischer Freiraum besteht, die mithin nicht ausschließlich technisch bedingt und daher bei der Beurteilung der Eigentümlichkeit zu berücksichtigen sind, erhebliche Abweichungen vom E…-Ventil.
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So erfolgt beispielsweise die Verbindung der Stutzen mit dem Zentralgehäuse durch sattelförmige Flansche (Merkmal 4). Diese nehmen die Rundung des Zentralgehäuses auf und tragen zur harmonisch runden Gesamtgestaltung bei. In dem E…- Ventil findet sich nichts Vergleichbares; dort dürfte der Stutzen, der unter einem Winkel von 45° zum Gehäuse verläuft, mit dem Zentralgehäuse einstückig gegossen sein. Flansche sind zwischen Gehäuse und Stutzen jedenfalls nicht erkennbar.
70
Auch das Fühlerelement (Merkmal 7) ist in Form, Maß und Proportion völlig anders gestaltet als beim E…-Ventil. Beim Streitdesign ist dieses tropfenförmig und in etwa so lang wie Gehäuse und Deckelelement zusammen (Merkmal 7 b)); es fügt sich in die Gesamtgestaltung ein. Der Fühler des E…-Ventils ist dagegen deut lich länger, stabförmig, läuft an den Enden spitz zu und verfügt darüber hinaus über eine längere Fühlerspitze; die äußere Form dieses Elements ist – anders als das Streitdesign – nicht abgestimmt auf die übrigen Erscheinungsmerkmale des E…-Ventils, sondern setzt sich erkennbar von dessen gedrungener, massiver Gestalt ab.
71
Der Schritt von den gestalterischen Elementen des E…-Ventils zu dem Streit design ist schon bei den vorgenannten Erscheinungsmerkmalen deutlich und nicht durch die schon vorgegebene Ergänzung oder Fortführung des bestehenden Formenschatzes entstanden. Der Gestalter des Streitdesigns hat seinen technischen Freiraum erkennbar genutzt und ihm ist es gelungen, alle Elemente frei von Ecken und Kanten auf eine harmonisch-runde Gestaltung auszurichten und eine besondere ästhetische Gesamtwirkung zu erreichen. Dies stellt eine schöpferische Leistung dar, die mehr als eine nur handwerksmäßige Gestaltungstätigkeit erfordert. Dem Design hätte daher die Eigentümlichkeit nicht abgesprochen werden können.
72
Der Antragstellerin sind demnach die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen.
73
C. Da eine isolierte Kostenentscheidung in einer patentgerichtlichen Beschwerdesache nicht rechtsbeschwerdefähig ist (vgl. EJFM, a. a. O., § 23 Rn. 45; Busse/ Keukenschrijver, Patentgesetz, 9. Aufl., § 100, Rn. 10), ist von einer Rechtsmittelbelehrung abzusehen.


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