Patent- und Markenrecht

9 W (pat) 55/19

Aktenzeichen  9 W (pat) 55/19

Datum:
10.11.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2021:101121B9Wpat55.19.0
Spruchkörper:
9. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

hat der 9. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 10. November 2021 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Ing. Univ. Hubert sowie der Richter Kruppa, Dr.-Ing. Baumgart und Dipl.-Ing. Univ. Sexlinger
beschlossen:
1. Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluss der Patentabteilung 22 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 18.12.2018 aufgehoben.
2. Die Sache wird an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
1
Die Patentabteilung 22 des Deutschen Patent- und Markenamts hat den fristgerechterhobenen Einspruch der M… GmbH gegen das am 29. April 2015– unter Inanspruchnahme der französischen Priorität 1453852 vom 29. April 2014 – international angemeldete Patent mit dem Aktenzeichen 11 2015 002 049.7, eine
2
„Luftführung für ein Kraftfahrzeug“
3
betreffend, dessen Erteilung am 24. August 2017 veröffentlicht wurde, nach Anhörung durch den am 18. Dezember 2018 verkündeten Beschluss als unzulässig verworfen.
4
Mit Schriftsatz vom 14. Mai 2018, eingegangen beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) per Fax am selben Tag, hatte die Einsprechende mit Verweis auf druckschriftlichen Stand der Technik geltend gemacht, dass dem Gegenstand des Hauptanspruchs wie auch den Gegenständen der übrigen Ansprüche die Neuheit fehle; zumindest beruhten diese jedoch auf keiner erfinderischen Tätigkeit, u.a. mit Bezug auf die Druckschrift D2 (DE 10 2011 015 238 A1).
5
Die Patentinhaberin war dem Einspruchsvorbringen mit Schriftsatz vom 4. September 2018 entgegengetreten; aus ihrer Sicht lasse der Einspruchsschriftsatz eine ausreichende Substantiierung vermissen, zudem seien die Gegenstände nach den erteilten Ansprüchen 1 bis 7 neu und für die zuständige Fachperson nicht naheliegend.
6
Im Ladungszusatz vom 15. Oktober 2018 hat die Patentabteilung ihre vorläufige Auffassung mitgeteilt, wonach der Einspruch ausreichend substantiiert und daher in zulässiger Weise erhoben worden sei. Ferner habe sie zusätzliche Druckschriften ermittelt, die im Einspruchsverfahren Berücksichtigung fänden. Insbesondere der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 erscheine mangels erfinderischer Tätigkeit gegenüber dem zu beachtenden Stand der Technik nicht patentfähig.
7
Auf diesen Ladungszusatz hat die Pateninhaberin ihr Patentbegehren in der Fassung eines der Hilfsanträge 1 bis 5, eingereicht mit der Eingabe vom 30. November 2018, ergänzend hilfsweise verteidigt.
8
Gegen den am Ende der Anhörung ergangenen, auf die Unzulässigkeit des Einspruchs tenorierten Beschluss der Patentabteilung – jeweils eine schriftliche Ausfertigung der am 14. Januar 2019 von den Unterzeichnenden der Patentabteilung elektronisch signierten, mit Gründen versehenen Beschlussfassung haben die Beteiligten laut Empfangsbekenntnis am 15. Januar 2019 bzw. am 17. Januar 2019 erhalten – richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden gemäß Schriftsatz vom 12. Februar 2019, eingegangen beim DPMA per Fax am selben Tag.
9
Mit gerichtlichem Schreiben vom 15. Juli 2021 hat der Senat mitgeteilt, dass er hinsichtlich der Frage der Zulässigkeit voraussichtlich zur Bejahung tendiere und – bei einer insoweit möglichen unmittelbaren Entscheidung auch in der Sache – unter Berücksichtigung der bisherigen, lediglich im Rahmen des Einspruchsverfahren vorgebrachten schriftsätzlichen Ausführungen der Beteiligten zur Frage der Patentfähigkeit eher zur Aufrechterhaltung des Patents neige.
10
Daraufhin hat die Beschwerdeführerin ihre Beschwerde mit Schriftsatz vom 15. September 2021 mit Vorträgen zur aus ihrer Sicht hinreichenden Substantiierung des Einspruchsvorbringens sowie zur mangelnden Patentfähigkeit der Gegenstände nach den Patentansprüchen 1 in den Fassungen der Haupt- und Hilfsanträge 1 bis 5 begründet.
11
Ihre gegenteilige Auffassung hat die Patentinhaberin bzw. Beschwerdegegnerin mit Schriftsatz vom 20. September 2021 dargelegt.
12
Auf die Terminsladung vom 7. Oktober 2021, in der der Senat seine vorläufige Meinung über die Zulässigkeit des Einspruchs nochmals bekräftigte und u.a. auf die Möglichkeit der Zurückverweisung der Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt gemäß § 79 Abs. 3 Nr. 1 PatG hinwies, hat die Beschwerdeführerin unter dem Vorbehalt einer dahingehenden Beschlussfassung ihren Antrag auf mündliche Verhandlung mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2021 zurückgenommen. Nach der im Schriftsatz vom 22. Oktober 2021 vorgetragenen Auffassung der Beschwerdegegnerin erfüllt zum einen das Einspruchsvorbringen nicht die Anforderungen an eine substantiierte Einspruchsbegründung und zum anderen ist in dieser Frage zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHs) erforderlich.
13
In der mündlichen Verhandlung am 10. November 2021 hat der Vertreter der Einsprechenden und Beschwerdeführerin den Antrag gestellt,
14
den Beschluss der Patentabteilung 22 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 18.12.2018 aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
15
Der Vertreter der Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin beantragte,
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die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen,
17
hilfsweise die Rechtsbeschwerde zuzulassen, für den Fall, dass der Senat bei der im Ladungszusatz geäußerten vorläufigen Auffassung bleibt
18
„Der Einspruch sei zulässig, jedenfalls im Hinblick auf den Neuheitsangriff auf Basis der Druckschrift D2“,
19
weil diese Auffassung von der Rechtsprechung anderer Senate des Bundespatentgerichts derart divergiert, dass eine Entscheidung des BGHs notwendig ist, um die einheitliche Rechtsprechung zu sichern.
20
Der Patentanspruch 1 des angegriffenen Patents hat laut der veröffentlichten Fassung gemäß DE 11 2015 002 049 B4 – im Weiteren mit SPS kurzbezeichnet – folgenden Wortlaut:
21
1. Luftführung (1) für ein Kraftfahrzeug, die einen Rahmen mit zwei Öffnungen (13, 15) aufweist, die durch einen Führungsabschnitt (11) getrennt sind:
22
– eine erste Öffnung (13) für den Einlass des von außerhalb des Kraftfahrzeugs stammenden Luftstroms,
23
– eine zweite Öffnung (15) für die Führung des Luftstroms, der zu einem Luftfiltergehäuse (17) zugelassen wird, wobei die zweite Öffnung (15) zum einen über den Führungsabschnitt (11) mit der ersten Öffnung (13) und zum anderen mit dem Luftfiltergehäuse (17) strömungsverbunden ist,
24
– eine Dichtung (18), die dazu vorgesehen ist, mit der zweiten Öffnung (15) und mit dem Eingang des Luftfiltergehäuses (17) in Kontakt zu sein,
25
dadurch gekennzeichnet, dass die Dichtung (18) mit der Luftführung (1) oder dem Gehäuse (17) des Luftfilters einstückig ausgebildet ist.
26
Wegen des Wortlauts der sich an den Patentanspruch 1 anschließenden Unteransprüche wird auf die Patentschrift und hinsichtlich weiterer Einzelheiten einschließlich des schriftsätzlichen Vorbringens der Verfahrensbeteiligten im Beschwerde- und Einspruchsverfahren im Übrigen auf die Akte verwiesen.
II.
27
1. Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde der Einsprechenden ist statthaft und auch sonst zulässig (§ 73 Abs. 1 und 2 Satz 1 PatG, § 6 Abs. 1 Satz 1 PatKostG).
28
2. Sie erweist sich nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vom 10. November 2021 auch als insofern begründet, als der angegriffene Beschluss aufzuheben und das Verfahren nach § 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG zur weiteren Bearbeitung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen ist, da dort über die Frage der Patentfähigkeit des Streitpatents noch nicht entschieden wurde.
29
3. Der Einspruch der Beschwerdeführerin ist ausreichend substantiiert und auch sonst zulässig.
30
Im unbestritten fristgerecht eingereichten Schriftsatz vom 14. Mai 2018 hat sich die Einsprechende u.a. mit dem auf der Druckschrift D2 basierenden Neuheitsangriff auf einen Widerrufsgrund i.S. des § 21 PatG berufen; dies wurde vorliegend von der Beschwerdegegnerin auch nicht in Abrede gestellt.
31
Des Weiteren ist der Einspruch zu begründen; der sich aus § 59 Abs. 1 Satz 4 PatG ergebenden Substantiierungspflicht genügt eine Einspruchsbegründung bereits dann, wenn sie die für die Beurteilung des behaupteten Widerrufsgrundes rechtfertigenden Tatsachen innerhalb der Einspruchsfrist im Einzelnen so darlegt, dass der Patentinhaber und insbesondere das Deutsche Patent- und Markenamt daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen des Widerrufsgrundes ziehen können (vgl. BGH GRUR 2009, 1098 – Leistungshalbleiterbauelement). Dabei kann es ausreichen, die maßgeblichen Umstände in knapper Form vorzutragen (vgl. BGH GRUR 1993, 651 – Tetraploide Kamille). Aus der Einspruchsbegründung hat sich insofern zumindest der technische Zusammenhang zwischen dem Gegenstand des angegriffenen Patents und dem entgegen gehaltenen Stand der Technik für die zu definierende Fachperson als sachkundigen Lesenden, – der auch maßgebend für den Umfang der Würdigung ist – zu ergeben, als sie sich zumindest mit dem Kern der Erfindung auseinandersetzen muss (vgl. Patentgesetz mit EPÜ, Schulte, 10. Auflage, § 59, Rn. 95 und Rn. 99).
32
Wesentlich ist, dass die Tatsachen für die Fachperson auf dem jeweiligen Gebiet einen bestimmten Tatbestand erkennen und sich auf ihre Richtigkeit nachprüfen lassen (vgl. BGH GRUR 1997, 740 – Tabakdose). Von diesen Tatsachen sind alle sonstigen Ausführungen zu unterscheiden, welche die rechtliche Schlussfolgerung aus diesen Tatsachen auf eine bestehende oder fehlende Patentfähigkeit des Streitpatents betreffen und die vom Gesetz als formelle Voraussetzung für die Zulässigkeit des Einspruchs nicht gefordert werden.
33
Folgerichtig ist daher z.B. die Ermittlung dessen, was sich aus Sicht der angesprochenen Fachperson aus dem Streitpatent als unter Schutz gestellte technische Lehre ergibt – nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – auch kein Tatsachenvortrag auf den sich § 59 Abs. 1 Satz 4 PatG allein bezieht, sondern Rechterkenntnis und dementsprechend vorrangige Aufgabe des erkennenden Senats (vgl. BGH GRUR 2007, 859, 860 – Informationsübermittlungsverfahren I) bzw. im Einspruchsverfahren der Patentabteilung.
34
Ausgehend von diesen Leitlinien ist der vorliegende Einspruch als hinreichend substantiiert anzusehen.
35
Mit den offensichtlich die Diktion der Beschreibungseinleitung der Streitpatentschrift aufgreifenden Ausführungen zum Gegenstand des angegriffenen Patents unter Punkt 1 auf Seite 3 des Einspruchsschriftsatzes hat die Einsprechende der beanspruchten „Luftführung für ein Kraftfahrzeug“ das sich unmittelbar aufdrängende Verständnis unterlegt, wonach der Begriff „Luftführung“ allein auf eine durch die Funktion qualifizierte Anordnung ohne Einschluss des Luftfiltergehäuses gerichtet ist; ansonsten hat die Einsprechende – aufgrund der hierfür bei der zweiteiligen Anspruchsfassung im Kennzeichenteil definierten Anordnung und Ausbildung des Dichtelements und auch nach dem Umfang der hierauf gerichteten Beschreibung – den vom Streitpatent selbst als Kern der Erfindung apostrophierten Erfindungsgedanken hervorgehoben.
36
Die den Wortlaut des Hauptanspruchs unverändert wiedergebende, von der Einsprechenden aufgeführte Merkmalsgliederung dient hierbei offensichtlich der Herausstellung als solcher erkannter Einzelmerkmale des Oberbegriffs (Merkmale M1.1 bis M1.10 gemäß Gliederung Seite 4 des Einspruchsschriftsatzes) – die insoweit im Stand der Technik als bekannt vorausgesetzt werden konnten – und des kennzeichnenden Teils (M1.11 und M1.12) sowie der vereinfachten Bezugnahme bei der Führung des Nachweises der Vorwegnahme im Stand der Technik.
37
Mit der subjektiven Feststellung zum „einzigen Merkmal im Kennzeichen von Anspruch 1“ – „Dabei ist auszulegen, was der Sinngehalt des Merkmals „einstückig“ bedeutet“ (vgl. Seite 5, Absatz 2 des Einspruchsschriftsatzes) – kommt indirekt die insoweit vertretbare Auffassung der Einsprechenden zum Ausdruck, dass den übrigen Merkmalen des Oberbegriffs ein gleichsam dem Wortlaut und dem als bekannt vorausgesetzten Stand der Technik folgender Sinngehalt unterstellt wird, der keines weiteren Eingehens bedarf.
38
Eingangs der Abhandlung zum behaupteten Widerrufsgrund mangelnder Neuheit gegenüber dem in der Beschreibungseinleitung des angegriffenen Patents zitierten Dokument D2 unter Punkt 2.1 in Absatz 2 auf Seite 6 des Einspruchsschriftsatzes wird mit der Aussage „Die Luftführung bildet auch einen Rahmen mit zwei Öffnungen, nämlich die Lufteinlassöffnung und die Luftauslassöffnung“ dem den „Rahmen“ erläuternden Merkmal M1.3 zurecht implizit die Bedeutung zugewiesen, ein Bauteil zu bezeichnen, dem zumindest anteilig die Funktion der „Luftführung“ zukommt, indem es eben einen Strömungsweg von einer ersten Öffnung zu einer zweiten Öffnung vorgibt, ohne dessen Gestalt näher zu definieren. Da das angegriffene Patent zur Ausgestaltung des „Rahmens“ – der nicht Gegenstand von Weiterbildungen nach den Unteransprüchen ist – über die Implikationen des Anspruchs 1 hinaus keine Vorgaben macht und das betreffende Merkmal M1.3 im Oberbegriff einer zweiteiligen Anspruchsfassung geführt wird, konnte es somit vom angegriffenen Patent selbst als bekannt bzw. üblich im in der Beschreibungseinleitung zitierten Stand der Technik – also auch der Druckschrift D2 – angesehen werden. Insoweit waren nicht nur Spekulationen über spezielle Ausgestaltungen des so bezeichneten „Rahmens“ obsolet, selbst der ausdrücklichen Feststellung, dass dessen Gestaltung im Übrigen in das Ermessen der Fachperson gestellt ist, bedurfte es nicht.
39
Soweit die Patentabteilung hinsichtlich der den „Rahmen“ und die „Öffnungen“ betreffenden Merkmale bemängelt hat, dass aus dem Vortrag der Einsprechenden nicht eindeutig genug hervorgehe, welche der Gehäuse der beiden Kanalteile 2 und 3 in der Druckschrift D2 als Rahmen anzusehen sei, kam es hierauf nicht an. Ebenso wenig kann aus einer von der Patentabteilung als Versäumnis herausgestellten fehlenden Darlegung, was unter einem „Führungsabschnitt“ zu verstehen sei, eine mangelnde Befassung mit der patentierten Erfindung abgeleitet werden.
40
Mit der Wiedergabe des zusammengefassten Inhalts der Merkmale M1.1 bis M1.8 unter Punkt 2.1 im zweiten Absatz auf Seite 6 des Einspruchsschriftsatzes, nach der dem „Rahmen“ und dem „Luftfiltergehäuse“ keine besondere Bedeutung zukommt, hat die Einsprechende als Adressat der durch die Patentschrift vermittelten Lehre den sich ihr aufdrängenden Sinngehalt in seiner Gesamtheit zum Gegenstand der Auseinandersetzung mit dem Stand der Technik gemacht.
41
Die Behauptung der Einsprechenden unter Punkt 2.1 im ersten Absatz auf Seite 6 des Einspruchsschriftsatzes – „Die Druckschrift D2 offenbart eine Luftführung für ein Kraftfahrzeug“ – zielt in Bezug „auf die Zusammenfassung der Druckschrift D2“, die eben auch eine zeichnerische Darstellung des dort so bezeichneten Luftführungskanals umfasst, offensichtlich auf eine Anordnung eben mit der Funktion der Führung eines Luftstroms gemäß den Merkmalen M1.1 und M1.2 ab. Diesen Offenbarungsgehalt unterstellt die Fachperson mit demselben Erkenntnishorizont bei der Erfassung des Inhalts der Druckschrift D2 auch unmittelbar dem dort an dieser Stelle bereits so bezeichneten „Luftführungskanal“. Einer näheren Erläuterung, dass hierbei das Führen einer Strömung der Kanalisierung gleichgesetzt wurde, wenn hierfür ein Bauteil vorhanden ist, dass den Weg durch entsprechende, gleichsam körperliche „Führungsabschnitte“ (Merkmal M1.3) vorgibt und insoweit anteilig einen Kanal ausbildet, bedurfte es hierbei nicht. Insoweit bezeichnet die erste Teilaussage im Merkmal M1.9, demnach die zweite Öffnung „über den Führungsabschnitt mit der ersten Öffnung verbunden ist“, eine offensichtliche Tautologie bzw. sogar einen Pleonasmus, der im Rahmen des Einspruchsvorbringens als solcher nicht herausgestellt werden brauchte, sondern vom Adressaten des Einspruchs als solcher ohne weiteres erkannt wurde.
42
Auf eine formale begriffliche Deckungsgleichheit sowie einer satzgenauen Angabe entsprechender Textpassagen zu den einzelnen Merkmalen kam es angesichts der sehr übersichtlichen Druckschrift D2 (9 Ansprüche, 1½ Seiten Beschreibung und 4 Figuren) der Einsprechenden hierbei auch nicht an. Gleichwohl hat sie unter Punkt 2.1 im letzten Absatz auf Seite 6 des Einspruchsschriftsatzes die Absätze [0001] bis [0003] und [0010] bis [0012] in der Druckschrift D2 als für die Merkmale M1.3 bis M1.8 relevante Textstellen angegeben und mit Hinweis auf die Figuren 1 bis 4 auch das weitere Merkmal 1.9 abgehandelt.
43
Beachtlich sind insoweit auch die Ausführungen der Einsprechenden in diesem Absatz zu Merkmal M1.10 gemäß der Gliederung der Einsprechenden, nach denen bei der aus der Druckschrift D2 hervorgehenden Anordnung „auch eine Dichtung, siehe Bezugszeichen 15 bis 18, vorgesehen“ sei, „die mit der zweiten Öffnung und mit dem Eingang des Luftfiltergehäuses in Kontakt“ stehe, wobei sie hierzu auf die Figuren 3 und 4 der Druckschrift D2 verweist. Dieser Kontext verdeutlicht, dass sich die Einsprechende hier sehr wohl auch auf die den Rahmen mit zwei Öffnungen betreffenden Merkmale im Oberbegriff bezogen hat, denn aus der definierten Lage der Dichtung ergibt sich für den sachkundigen Leser implizit auch die Verortung der zweiten Öffnung. Ob mit dem im Einspruchsschriftsatz der Offenbarung der D2 zwar nur pauschal unterstellten Führungsabschnitt, der die beiden offensichtlich voneinander beabstandeten Öffnungen trennen soll, auch die betreffenden Merkmale im Oberbegriff tatsächlich ihre Realisierung im Stand der Technik finden, stellt im Übrigen keine Frage der Substantiiertheit des Einspruchsvorbringens, sondern der Begründetheit dar.
44
Hinsichtlich der erfindungswesentlichen Alternativen nach dem Kennzeichenteil (Merkmale M1.11 und M1.12) wird unter Punkt 2.1 im letzten Absatz der Seite 6 auf Absatz [0015] und Anspruch 1 der Druckschrift D2 Bezug genommen, denen eine an dem Gehäuse des Luftfilters oder an der Luftführung befestigte Dichtung zu entnehmen sei. Entsprechend dem auf Seite 5, Absätze 2 bis 4 des Einspruchsschriftsatzes dargelegten, von der Einsprechenden dem Begriff „einstückig“ unterstellten Sinngehalt, sei die „Dichtung entweder mit dem Gehäuse des Luftfilters oder mit der Luftführung zu einem Teil verbunden, also einstückig mit der Luftführung oder mit dem Gehäuse des Luftfilters ausgebildet.“
45
Insoweit hat sich die Einsprechende entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin und der Patentabteilung in hinreichender Weise mit einer Lehre des erteilten Patentanspruchs 1 insgesamt auseinandergesetzt, die dieser nach ihrem eigenen – fachpersönlichen – Verständnis vermittelt. Dass dieses nicht einem aus einer senatsseitigen Auslegung des Patentanspruchs ggf. abweichenden tatsächlich folgenden technischen Sinngehalt oder einem von der Patentinhaberin gewollten, aber sich aus dem Patent nicht zwingend aufdrängenden Verständnis entspricht, ist dabei unerheblich, denn die Auslegung des Patentanspruchs gehört bereits zur rechtlichen Würdigung, von der die Begründetheit eines Einspruchs abhängt. Die Zuweisung eines sich im Nachhinein als unzutreffend unterlegt herausstellenden Sinngehalts oder die Fehlinterpretation des substantiellen Gehalts einer Erfindung durch die Einsprechende innerhalb ihres Verständnishorizonts vermag aus diesem Grund nicht die Unzulässigkeit eines Einspruchs rechtfertigen, selbst wenn dadurch der Anschein erweckt wird, sie habe sich lediglich mit einer Teillehre befasst.
46
Die vorstehenden Ausführungen stehen im Übrigen auch im Einklang mit der von der Beschwerdegegnerin zitierten Entscheidung BGH X ZB 28/86 (vgl. BGH GRUR 1988, 364 – Epoxidations-Verfahren). Dem Leitsatz dieser Entscheidung, dass eine Einspruchsbegründung, die sich nur mit einem Teilaspekt der unter Schutz gestellten Erfindung, nicht aber mit der gesamten patentierten Lehre befasst, formal unvollständig und der so begründete Einspruch unzulässig ist, bezieht sich nämlich auf die Besonderheit des entschiedenen Falls, in welchem der Einspruch explizit darauf beschränkt war, dass der Hauptanspruch lediglich „abzuändern“ sei, damit ein bisher nur fakultativ formuliertes Merkmal zwingend Gegenstand des unter Schutz gestellten Verfahrensanspruchs wäre. Zur Begründung hat sie auf die Ausführungsbeispiele verwiesen, die alle mit diesem Merkmal „arbeiten“ würden; im Übrigen sei die Anwendung dieses Merkmals bei einem einschlägigen technischen Verfahren zwangsweise notwendig. Weitere konkrete Angaben, die für die Patentierungserfordernisse von Bedeutung sein können, wie die Beschäftigung mit den verbleibenden Merkmalen des Verfahrensanspruchs, hat die Einspruchsschrift nicht enthalten. Damit sollen die Ausführungen in dieser Entscheidung nach Überzeugung des Senats nur zum Ausdruck bringen, dass der eindeutig nur auf eine Teillehre eines Patentanspruchs beschränkte Einspruch gegen ein Streitpatent nicht zulässig sei.
47
Ebenso führt die von der Beschwerdegegnerin sowie von der Patentabteilung in ihrem Beschluss angeführte BGH- Entscheidung (BGH X ZB 4/02 bzw. BGH BIPMZ 2003, 241 – Automatisches Fahrzeuggetriebe) in Bezug auf die Substantiierung des Einspruchsvorbringens zu keiner von der Auffassung des Senats abweichenden Einschätzung. Nach dieser Rechtsprechung erfordert die Zulässigkeit eines Einspruchs, mit dem der Widerruf eines mehrere nebengeordnete Ansprüche umfassenden Patents begehrt wird, eben nicht, dass die Einsprechende Widerrufsgründe gegen sämtliche Nebenansprüche vorträgt. Denn nach § 59 (1) Satz 3 und 4 PatG ist es nicht Voraussetzung der Zulässigkeit, dass die Einsprechende Widerrufsgründe gegen sämtliche Haupt- und Nebenansprüche geltend macht, da bereits die substantiierte Darlegung von Umständen, die einen Widerruf für einen Teil des erteilten Patents stützen, den (Teil-)Widerruf nach § 21 (2) PatG rechtfertigen. Auch bei mehreren angefochtenen Patentansprüchen muss die Einsprechende mithin nicht zu jedem einzelnen Patentanspruch Widerrufsgründe substantiiert vortragen, um die Voraussetzung für die Zulässigkeit des Einspruchs zu erfüllen.
48
Die an die Begründungspflicht zu stellenden Anforderungen hat die Einsprechende – wie vorstehend dargelegt – jedenfalls insoweit erfüllt, als sie innerhalb der Einspruchsfrist zu allen Merkmalen des Patentanspruchs 1 zumindest unter Bezugnahme auf die Druckschrift D2 in ausreichendem Umfang Umstände vorgetragen hat, die eine Überprüfung des behaupteten Widerrufsgrundes durch die Patentinhaberin und die Patentabteilung ohne eigene Ermittlungen ermöglichen. Denn ein Einspruch ist bereits dann zulässig, wenn die Patentfähigkeit eines selbstständigen Anspruchs auch nur mit einer Druckschrift substantiiert angegriffen wird. Eine Überprüfung der Ausführungen zu den übrigen Druckschriften erübrigt sich deshalb.
49
Auch die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen (z.B. Zahlung der Einspruchsgebühr) für einen Einspruch sind gegeben. Ein Fehlen derartiger weiterer Voraussetzungen für die Zulässigkeit wurde auch nicht geltend gemacht.
50
Somit ist der angefochtene Beschluss aufzuheben, da der Einspruch zu Unrecht als unzulässig verworfen worden ist.
51
6. Der Senat macht von seinem ihm nach § 79 Abs. 3 PatG gewährten Ermessen insofern Gebrauch, als er davon absieht, in der Sache selbst über die Patentfähigkeit der beanspruchten Gegenstände zu judizieren.
52
Nach dieser Vorschrift kann das Gericht den angefochtenen Beschluss aufheben, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, wenn einer der in Nr. 1 bis 3 der zitierten Rechtsvorschrift aufgeführten Zurückverweisungsgründe vorliegt.
53
Hier besteht der Zurückverweisungsgrund nach § 79 Abs. 3 Nr. 1 PatG, denn das Patentamt hat noch nicht in der Sache selbst entschieden, da die Entscheidung über die Verwerfung des Einspruchs als unzulässig auf Gründen beruhte, die ein Eingehen auf die Frage des Vorliegens des geltend gemachten Einspruchsgrunds der mangelnden Patentfähigkeit entbehrlich gemacht hat.
54
Als Ermessenserwägungen hat der Senat einerseits berücksichtigt, dass die insgesamt etwas längere Verfahrensdauer, insbesondere in der Beschwerdeinstanz, eher doch für eine baldige abschließende Entscheidung und damit gegen eine Zurückverweisung sprechen dürfte. Andererseits spricht das Vorliegen zumindest eines Zurückverweisungsgrundes nach § 79 Abs. 3 PatG und der Instanzenverlust für eine Nachholung eines auf eine Sachentscheidung gerichteten patentamtlichen Verfahrens.
55
Die Verfahrensbeteiligten haben sich bezüglich der in Aussicht gestellten Zurückverweisung nicht geäußert. Dessen ungeachtet hat der Senat zugunsten der Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin auch den Umstand berücksichtigt, dass sie in der ungehinderten Verwertung ihres Schutzrechts solange eine Beeinträchtigung erfährt, wie es mit einem Einspruch behaftet ist. Allerdings geht eine Zurückverweisung nach § 79 Abs. 3 PatG für den Anmelder oder Patentinhaber zwangsläufig mit einer aufschiebenden Wirkung für das Erteilungs- oder Einspruchsverfahrens einher. Da das Patentgesetz in § 79 Abs. 3 PatG explizit die Möglichkeit der Zurückverweisung vorsieht, kann die damit notwendigerweise verbundene Verfahrensverlängerung und Einspruchsbehaftung des Streitpatents insoweit kein durchgreifender Grund sein, allein deshalb schon von einer Zurückverweisung abzusehen. Letztlich sprechen in der Gesamtbetrachtung nach Überzeugung des Senats gewichtigere Gründe zugunsten einer Zurückverweisung, so dass er sein Ermessen in diesem Sinne ausübt.
56
7. Der Senat hat die Rechtsbeschwerde nach § 100 Abs. 2 Nr. 2 PatG – wie von der Patentinhaberin mit Schriftsatz vom 22. Oktober 2021 und in der mündlichen Verhandlung beantragt – nicht zugelassen. Nach dieser Vorschrift besteht Veranlassung für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nur dann, wenn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert, beispielsweise ein Senat des Bundespatentgerichts von einer Entscheidung eines anderen Senats abweichen möchte (vgl. Schulte, Patentgesetz mit EPÜ, 10. Aufl., § 100 Rn.19).
57
Gegensätzlich zur Auffassung der Patentinhaberin und Beschwerdegegnerin existiert jedoch in der Rechtauffassung des Senats dahingehend, welche Anforderungen an die Zulässigkeit des Einspruchs zu stellen sind, weder eine grundsätzliche Abweichung zu den von ihr genannten Beschlüssen weiterer Senate des Bundespatentgerichts noch sind diese als einschlägig zu bezeichnen.
58
Die von der Beschwerdegegnerin in diesem Zusammenhang zitierte Entscheidung BPatG 20 W (pat) 365/05 vom 7. Juni 2010 ist mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar, da dort hinsichtlich der überwiegenden Anzahl von Merkmalen des Patentanspruchs 1 nur ein pauschaler Verweis auf einen Absatz in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents selbst erfolgte, in dem deren Bekanntheit im Stand der Technik behauptet wurde. Eine Offenbarungsstelle in der Entgegenhaltung selbst wurde indes nicht angegeben (vgl. Seite 9, Absatz 3). Dies gilt auf gleiche Weise auch für die Entscheidung BPatG 20 W (pat) 23/05 vom 26. Oktober 2009 mit Blick auf die Merkmale des Oberbegriffs, die im Einspruchsschriftsatz gleichsam nur pauschal mit Bezug auf die Streitpatentschrift abgehandelt wurden (vgl. Seite 9, Absatz 1).
59
Bei der weiterhin genannten Entscheidung BPatG 11 W (pat) 28/09 vom 17. Oktober 2013 stimmt der dort skizzierte Sachverhalt insoweit nicht mit dem vorliegenden überein, als dort nur pauschal auf die den Oberbegriff bildenden Merkmale eingegangen wurde, ohne sich mit diesen im Einzelnen auseinanderzusetzen oder entsprechende Textstellen zu benennen, die sich auf die Einzelmerkmale beziehen (vgl. Seite 7, Absatz 1).
60
Nach der Entscheidung des 19. Senats (BPatG 19 W (pat) 95/09 vom 6. Februar 2012) hat sich die Einsprechende im Einspruchsschriftsatz dort nicht einmal vollständig mit dem von ihr selbst in der mündlichen Verhandlung als Kern der Erfindung dargestellten Merkmal befasst (vgl. Seite 10, Absatz 4). Zudem geht sie davon aus, dass die Fachperson allein anhand des Wortlauts des Patentanspruchs 1 und des entgegengehaltenen druckschriftlichen Materials ohne Weiteres erkennen würde, bei welchen Merkmalen es sich um Selbstverständliches oder um redundante und daher überflüssige Angaben handele (vgl. Seite 10, Absatz 1). Dieser Einzelfall ist daher nicht auf den vorliegenden Tatbestand übertragbar.
61
Die von der Beschwerdegegnerin genannte frühere Entscheidung des Senats 9 W (pat) 410/05 vom 8. November 2010 hat einen Einspruchsschriftsatz zum Gegenstand, der keine Ausführungen zu den im Oberbegriff des Patentanspruchs 1 genannten Merkmalen enthält. Ein nachvollziehbarer Zusammenhang zwischen diesen streitgegenständlichen Merkmalen und dem druckschriftlichen Gegenstand wurde auf diese Weise im Gegensatz zum vorliegenden Fall nicht hergestellt.
62
Insoweit belegen die von der Beschwerdegegnerin zitierten Entscheidungen keine anderen Beurteilungsgrundsätze; eine Zulassung der Rechtsbeschwerde ist damit nicht veranlasst.


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