Patent- und Markenrecht

Markenbeschwerdeverfahren – “IR LAB (IR-Marke)” – keine Unterscheidungskraft

Aktenzeichen  30 W (pat) 56/12

Datum:
3.7.2014
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG
§ 37 Abs 1 MarkenG
§ 107 MarkenG
§ 113 MarkenG
Art 5 MAbk Madrid
Art 6quinquies Abschn B Nr 2 PVÜ
Spruchkörper:
30. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die IR-Marke 944 621
hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juli 2014 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker sowie der Richterinnen Winter und Uhlmann
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die unter der Nummer 944621 international registrierte Marke
2
sucht für die Waren der Klasse 9
3
“monitors (computer hardware); electronic tags for goods; camcorders; cameras (photography); optical lenses; lightning arresters; electric theft prevention installations; solar batteries”
4
um Schutz für die Bundesrepublik Deutschland nach.
5
Durch Beschlüsse vom 14. Juni 2011 und 6. August 2012, von denen letzterer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, hat die Markenstelle für Klasse 9 IR des Deutschen Patent- und Markenamtes der IR-Marke den Schutz für folgende Waren wegen fehlender Unterscheidungskraft verweigert:
6
“monitors (computer hardware); electronic tags for goods; camcorders; cameras (photography); optical lenses; electric theft prevention installations”.
7
Zur Begründung hat sie ausgeführt, die schutzsuchende Marke bestehe aus einer sprach- und werbeüblich gebildeten Kombination der beschreibenden Bestandteile “IR” und “LAB”. “IR” sei die übliche Abkürzung von Infrarot(technik), “LAB” sei eine beliebte Abkürzung für “Labor” oder “Laboratorium” und werde nicht nur zur Bezeichnung von Arbeits- und Forschungsstätten für wissenschaftliche Versuche, sondern auch zur Benennung forschungs- und entwicklungsfreudiger Hersteller benutzt. Die Wortkombination werde daher unmittelbar als verkürzter Gesamtbegriff im Sinne von “Infrarotlabor(atorium)” verstanden. In dieser Bedeutung sei die Wortzusammenstellung auch bereits in Verwendung. Alle von der Zurückweisung erfassten Waren könnten mittels Infrarot-Technik funktionieren. Der angesprochene Verkehr werde die Wortzusammensetzung deshalb dahingehend verstehen, dass es sich um Waren handele, die aus einem Labor oder einer Entwicklungsstätte kämen, die sich mit der Nutzung von Infrarotstrahlen befasse. Die Grafik des Zeichens vermittle keine Schutzfähigkeit, weil sie sich auf die Verwendung einer in der Werbung gebräuchlichen Schriftart im Fettdruck beschränke.
8
Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Markeninhaberin. Sie führt aus, das schutzsuchende Zeichen sei eine fantasievolle Wortneuschöpfung. Seine Grafik lege es nahe, es als ein Wort und nicht als Zusammenfügung von Abkürzungen wahrzunehmen. Aber auch bei Wahrnehmung der Bestandteile “IR” und “LAB” fehle dem Zeichen nicht die erforderliche Unterscheidungskraft, weil diese Bestandteile keinen deutlich beschreibenden Aussagegehalt aufwiesen. Es handele sich dabei nicht um gebräuchliche Fachabkürzungen, zumal die Recherchebelege nur an englischsprachiges Fachpublikum gerichtet seien. Die Buchstabenfolge “IR” könne unterschiedliche Bedeutungen wie “Industrieroboter” oder “Information Retrieval” haben. Auch die Gesamtbuchstabenfolge “IR LAB” werde unterschiedlich, etwa für ein Labor für integrierte Rezeptionsforschung oder für eine Software für “Impulse Response Libraries” verwendet. Daher sei zweifelhaft, ob der angesprochene Verkehr mit “IR” überhaupt die Abkürzung für “Infrarotstrahlung” verbinde. Auch “LAB” könne neben “Labor” unzählige andere Bedeutungen haben. Das Verständnis im Sinne eines Hinweises auf ein Infrarotlabor als Herstellungsort liege nicht nahe, weil es sich bei den beanspruchten Waren um Massenwaren handele, die nicht in Laboren hergestellt, sondern maschinell gefertigt würden.
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Die Beschwerdeführerin stellt den Antrag,
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1. den Beschluss der Markenstelle für Klasse 9 IR vom 14.6.2011 und den Beschluss der Markenstelle für Klasse 9 IR vom 6.8.2012 aufzuheben und
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2. der Marke den Schutz in Deutschland für alle beanspruchten Waren zu gewähren.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
13
Die zulässige Beschwerde der IR-Markeninhaberin hat in der Sache keinen Erfolg. Auch nach Auffassung des Senats fehlt der IR-Marke die Unterscheidungskraft gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG, Art. 6 quinquies B Nr. 2 PVÜ, weshalb ihr der Schutz in der Bundesrepublik Deutschland zu Recht von der Markenstelle verweigert worden ist (§§ 107, 113, 37 Abs. 1 MarkenG, Art. 5 Abs. 1 MMA).
14
1. Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist nach ständiger Rechtsprechung im Hinblick auf die Hauptfunktion einer Marke, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren bzw. Dienstleistungen zu gewährleisten, die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel für die von der Marke erfassten Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens gegenüber solchen anderer Unternehmen aufgefasst zu werden (vgl. EuGH GRUR 2010, 228 Rn. 33 – Audi (Vorsprung durch Technik); GRUR 2006, 220 Rn. 27 – BioID; BGH GRUR 2010, 935 Rn. 8 – Die Vision; GRUR 2010, 138 Rn. 23 – ROCHER-Kugel; GRUR 2006, 850, 854 Rn. 18 – FUSSBALL WM 2006; MarkenR 2004, 39 – City Service). Die Unterscheidungskraft einer Marke ist dabei zum einen in Bezug auf die genannten Waren oder Dienstleistungen und zum anderen im Hinblick auf die Anschauung der maßgeblichen Verkehrskreise zu beurteilen, die sich aus den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchern dieser Waren oder Durchschnittsempfängern dieser Dienstleistungen zusammensetzen (vgl. EuGH GRUR 2008, 608 – EUROHYPO; MarkenR 2004, 99 – Postkantoor; BGH GRUR 2009, 411 – STREETBALL).
15
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind Wortmarken nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG wegen fehlender Unterscheidungskraft von der Eintragung ausgeschlossen, wenn ihnen entweder ein für die fraglichen Waren und Dienstleistungen im Vordergrund stehender beschreibender Begriffsgehalt zugeordnet werden kann (BGH GRUR 2005, 417, 418 – Berlin Card; GRUR 2001, 1151, 1152 – marktfrisch) oder wenn es sich um Angaben handelt, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren und Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. BGH GRUR 2010, 1100 Rn. 23 – TOOOR!; GRUR 2009, 411 Rn. 9 – STREETBALL; GRUR 2006, 850 Rn. 19 – FUSSBALL WM 2006; GRUR 1998, 465, 468 – Bonus).
16
Bei der Prüfung ist nach der Rechtsprechung des BGH von einem großzügigen Maßstab auszugehen, d. h. jede noch so geringe Unterscheidungskraft reicht aus, um das Schutzhindernis zu überwinden (vgl. BGH GRUR 2001, 1151 – marktfrisch). Allerdings darf die Prüfung dabei nicht auf ein Mindestmaß beschränkt werden, sondern sie muss gründlich und vollständig ausfallen (vgl. EuGH WRP 2003, 735 – Libertel-Orange; a. a. O. – Postkantoor).
17
2. Die schutzsuchende Wort-/Bildmarke erfüllt nach den obengenannten Grundsätzen selbst diese geringen Anforderungen nicht, da sie eine Sachaussage beinhaltet, die sich ausschließlich in der Beschreibung der beanspruchten Waren (vgl. BGH a. a. O. – marktfrisch) erschöpft, und auch ihre Grafik nicht geeignet ist, dem Zeichen Unterscheidungskraft zu vermitteln.
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Die Wort-/Bildmarke setzt sich – erkennbar durch den Abstand zwischen den Buchstaben R und L – aus den zwei getrennten Buchstabenfolgen “IR” und “LAB” zusammen. Bei derartigen, aus mehreren Bestandteilen kombinierten Marken ist es zulässig, zunächst die Bestandteile getrennt zu betrachten, soweit die Beurteilung des Schutzhindernisses auf einer sich anschließenden Prüfung der Gesamtheit dieser Bestandteile beruht (vgl. EuGH GRUR 2004, 943, 944 – SAT.2; GRUR 2006, 229, 230 – BioID).
19
Buchstabenfolgen sind grundsätzlich als betriebliche Herkunftsangabe geeignet. Wenn sie allerdings von den beteiligen Verkehrskreisen als gebräuchliche Abkürzung einer für die beanspruchte Ware oder Dienstleistung beschreibenden Angabe oder mit diesen in engem Bezug stehenden Sachangabe wahrgenommen werden, kann es ihnen an der erforderlichen Unterscheidungskraft fehlen (EuGH, GRUR Int. 2004, 328, 330 Rdnr. 31 – 34 – TDI; BPatG GRUR Prax 2013, 245 – LAPD; Beschluss vom 17. Januar 2013, 30 W (pat) 549/11 – ACB; Beschluss vom 18.10.2012, 30 W (pat) 54/11 – NC).
20
Die Buchstabenfolge IR bildet kein vollständiges Wort und wird als Abkürzung wahrgenommen. Die Abkürzung IR steht für “Infrarot” und hat daneben weitere Bedeutungen wie “Internationale Registrierung, Infanterieregiment, Internationaler Rat” (Duden, Das Wörterbuch der Abkürzungen, 6. Aufl. Mannheim, Zürich 2011). Im Zusammenhang mit den beanspruchten Waren der Klasse 9 und der nachfolgenden Buchstabenfolge “LAB” steht für die durch die beanspruchten Waren angesprochenen Verkehrskreise die Bedeutung “Infrarot” im Vordergrund. Mit dieser Bedeutung wird die Abkürzung im Bereich der Ingenieurwissenschaften verwendet (DABI Das Abkürzungsbuch für den Ingenieur, 2. Aufl. 1980 S. 172). “Infrarot” bezeichnet in der Physik unsichtbare Wärmestrahlen, die im Lichtspektrum unterhalb des Bereichs der noch sichtbaren Wärmestrahlen liegen (Duden Deutsches Universalwörterbuch, 4. Aufl. Mannheim 2001). Infrarot-Technik kommt in vielen Bereichen zur Anwendung, wie sich aus den Recherchebelegen des Amtes, aus den im Vorfeld der mündlichen Verhandlung übersandten weiteren Recherchebelegen des Senats und auch aus den von der Beschwerdeführerin selbst überreichten Recherchebelegen ergibt. Computermonitore sind mit Infrarot-Schnittstellen zur Informationsübertragung ausgestattet, Wärmebildkameras funktionieren mit Infrarot-Technik, entsprechende Aufnahmen können mit Camcordern hergestellt und aufgezeichnet werden. Dabei werden Linsen eingesetzt, die speziell für Infrarotaufnahmen entwickelt wurden. Auch für Diebstahlsicherungen bei Waren, Kraftfahrzeugen, im Bereich der Haustechnik und für zur Warensicherung verwendeten elektronischen Warenetiketten wird Infrarot-Technik eingesetzt. Bei den entsprechenden Produkthinweisen wird die Abkürzung “IR” für “Infrarot” häufig verwendet, sodass die Bedeutung der Abkürzung den angesprochenen Verkehrskreisen vertraut ist.
21
“LAB” ist die geläufige Abkürzung für “Labor, Laborant oder Laboratorium” (Duden Das Wörterbuch der Abkürzungen; DABI a. a. O. S. 191), also einer “Arbeits-, Forschungsstätte für naturwissenschaftliche, technische oder medizinische Zwecke” (Duden Universalwörterbuch; BPatG 24 W (pat) 508/11 – Audiolabs).
22
Die von den Waren “Monitore (Computer Hardware), elektronische Etiketten für Waren, Camcorder, Kameras (Fotografie) optische Linsen” und “elektrische Diebstahlsicherungsanlagen” angesprochenen Verkehrskreise setzen sich aus allgemeinen Verbrauchern sowie Fachverkehrskreisen zusammen, die die genannten Waren im Rahmen von wissenschaftlichen und gewerblichen Tätigkeiten erwerben und einsetzen. Jedenfalls der angesprochene Fachverkehr wird die Buchstabenfolge als Gesamtbegriff mit der Bedeutung “Infrarot-Labor” verstehen.
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In der Bedeutung “Infrarot-Labor” stellt das Zeichen eine Sachangabe für die beanspruchten Waren dar (vgl. 25 W (pat) 69/04 – EDV-Labor). Sie können in einem Infrarot-Labor entwickelt oder auf ihre Funktionsfähigkeit getestet worden sein, was als Qualitätshinweis aufgefasst werden kann. Der Einwand der Beschwerdeführerin, dass es sich bei den Waren regelmäßig um Massenwaren handele, die industriell und nicht in Laboren gefertigt werden, steht dem nicht entgegen. Zum einen sind von den im Warenverzeichnis enthaltenen Warenbegriffen auch Spezialgeräte umfasst, zum anderen können auch Massenprodukte in Laboren entwickelt oder auf ihre Funktionsfähigkeit überprüft werden, insbesondere wenn sie wie Kameras, Camcorders und Linsen auch im Hochpreisbereich angeboten werden oder für betriebliche und wissenschaftliche Zwecke, bzw. wie Diebstahlsicherungen zum Schutz wertvoller Vermögenswerte dienen.
24
Monitore, Kameras, Camcorder und optische Linsen können zudem als Arbeitsgeräte in einem Infrarot-Labor zum Einsatz kommen. Nach den in der mündlichen Verhandlung überreichten Recherchen des Senats gibt es speziell für die Forschung entwickelte Monitore mit Infrarot-Technik. Infrarot-Kameras und optische Linsen werden bei Laboruntersuchungen eingesetzt, die Untersuchungsverläufe und -ergebnisse können mittels Camcordern aufgezeichnet werden. Deshalb kann das Zeichen auch als Hinweis auf die Bestimmung dieser Waren für ein Infrarot-Labor verstanden werden.
25
Der Umstand, dass die Buchstabenfolge für die beanspruchten Waren unterschiedliche beschreibende Bedeutungen haben kann, vermittelt ihr keine Unterscheidungskraft. Eine gewisse begriffliche Unbestimmtheit oder Mehrdeutigkeit kann die markenrechtlich erforderliche Unterscheidungskraft nicht begründen (vgl. BGH GRUR 2000, 882 – Bücher für eine bessere Welt; a. a. O. – Cityservice; EuGH GRUR 2004, 192 – DOUBLEMINT; GRUR 2004, 222 – BIOMILD; a. a. O. – Postkantoor).
26
Auch die Grafik ist nicht geeignet, der schutzsuchenden Marke das erforderliche Minimum an Unterscheidungskraft zu verleihen. Grundsätzlich kann einer Wortelemente enthaltenden Bildmarke, unbeschadet der Freihaltebedürftigkeit oder fehlenden Unterscheidungskraft dieser Wortelemente, als Gesamtheit Unterscheidungskraft zugesprochen werden, wenn die grafischen Elemente ihrerseits charakteristische Merkmale aufweisen, in denen der Verkehr einen Herkunftshinweis sieht (BGH GRUR 1991, 136, 137 – NEW MAN; GRUR 2001, 1153 – anti Kalk; EuGH GRUR 2006, 229, 233 Rdnr. 73, 74 – BioID). Dabei vermögen allerdings einfache grafische Gestaltungen oder Verzierungen des Schriftbilds, an die sich der Verkehr etwa durch häufige werbemäßige Verwendung gewöhnt hat, eine fehlende Unterscheidungskraft der Wörter ebenso wenig aufzuwiegen, wie derartige einfache grafische Gestaltungselemente auch für sich wegen fehlender Unterscheidungskraft nicht als Marke eingetragen werden können. Es bedarf vielmehr eines auffallenden Hervortretens der grafischen Elemente, um sich dem Verkehr als Herkunftshinweis einzuprägen (BGH a. a. O. 1153, 1154 – anti Kalk; GRUR 2008, 710, 711 Rdnr. 20 – VISAGE). Dies ist vorliegend aber nicht der Fall. Die Grafik beschränkt sich auf eine werbeübliche Schrift im Blocksatz ohne markante Elemente.
27
Wegen seines engen Sachbezugs zu den beanspruchten Waren fehlt der schutzsuchenden Marke die Unterscheidungskraft. Ob daneben auch ein Freihaltebedürfnis gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG besteht, kann dahinstehen.
28
Die Beschwerde konnte daher keinen Erfolg haben.


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