Aktenzeichen 27 W (pat) 242/09
Leitsatz
TIANO
Ist die Priorität einer Marke strittig, ist ein Widerspruch aus ihr mit der prozessualen Sorgfaltspflicht vereinbar, auch wenn sich letztlich die angegriffene Marke als prioritätsälter erweist.
Tenor
BESCHLUSS
In der Beschwerdesache
betreffend die Marke 307 10 073
(hier: Kostenentscheidung)
hat der 27. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 19. Januar 2010 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Albrecht, Richter Schwarz und Richter Kruppa
beschlossen:
I. Der Beschluss der Markenstelle vom 17. März 2009 wird insoweit aufgehoben, als der Beschwerdeführerin die Kosten auferlegt werden.
II. Der Beschluss der Markenstelle vom 1. September 2009 wird aufgehoben.
III. Die Beschwerdegebühr ist zu erstatten.
Gründe
I.
1
Gegen die am 20. Februar 2007 angemeldete Marke 30710073.3 hat die Beschwerdeführerin am 20. August 2007 Widerspruch aus ihrer Marke 30734172, die sie am 25. Mai 2007 angemeldet hatte, eingelegt. Diesen Widerspruch hat die Markenstelle mit Beschluss vom 17. März 2009 als unzulässig verworfen und der Beschwerdeführerin die Kosten des Widerspruchsverfahrens auferlegt.
2
Gegen die Kostenauferlegung hat die Beschwerdeführerin Erinnerung erhoben und vorgetragen, ihr seien die Schriftsätze der Gegenseite nicht zugestellt worden. Damit habe sie nicht erfahren, dass die Inhaberin des angegriffenen Zeichens einen Prozessbevollmächtigten eingeschaltet habe. Hätte sie dies gewusst, hätte sie den Widerspruch sofort zurückgezogen. Sie habe zwar von seiner Einschaltung im Anmeldeverfahren gewusst, aber nicht von der im Widerspruchsverfahren.
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Ihr Widerspruch sei nicht von Anfang an offensichtlich ohne Aussicht auf Erfolg gewesen. Sie habe um den Anmeldetag und die zu beanspruchende Priorität noch gestritten.
4
Die Beschwerdegegnerin hält dem entgegen, die Beschwerdeführerin habe bereits das Widerspruchsschreiben im August 2007 auch an den Anwalt der Beschwerdegegnerin gesendet. Sie habe also von dessen Einschaltung gewusst.
5
Die Markenstelle hat durch Beschluss vom 1. September 2009 die Erinnerung zurückgewiesen und der Beschwerdeführerin die Kosten auch des Erinnerungsverfahrens auferlegt.
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Dies ist damit begründet, zwar sei bei Einlegung des Widerspruchs noch eine frühere Priorität der Widerspruchsmarke denkbar gewesen, dies habe die Beschwerdeführerin aber nicht vorgetragen. Auf den Hinweis, dass sie aus einer prioritätsjüngeren Marke keinen Widerspruch einlegen könne, habe die Beschwerdeführerin nicht reagiert – obwohl sie seit Mai 2008 gewusst habe, dass sie keine bessere Priorität in Anspruch nehmen könne.
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Mit am 14. September 2009 beim Bundespatentgericht eingegangenem Schriftsatz hat die Beschwerdeführerin sinngemäß beantragt,
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die Beschlüsse vom 17. März 2009 und vom 1. September 2009 insoweit aufzuheben, als ihr Kosten auferlegt wurden.
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Sie ist der Ansicht, es habe keine Pflicht der Widersprechenden bestanden, auf die Inanspruchnahme der Priorität hinzuweisen. Ein Widerspruch gegen eine eingetragene Marke vor dem Deutschen Patent- und Markenamt richte sich nach § 42 MarkenG. Die Anforderungen an Form und Inhalt des Widerspruchs würden dabei durch die §§ 29, 30 MarkenV näher bestimmt. Eine Widerspruchsbegründung sei grundsätzlich nicht erforderlich.
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Auch sei es nicht sorgfaltspflichtwidrig gewesen, dass sie den Widerspruch nicht zurückgenommen, sondern den Beschluss abgewartet habe. Die bloße Nichtrücknahme eines Widerspruchs wäre allenfalls dann ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht, wenn dadurch weiterer Aufwand entstanden wäre, etwa durch eine mündliche Verhandlung. Entsprechend habe das Bundespatentgericht (GRUR 1999, 1002, 1006 f. – Sapen II) eine Kostenauferlegung sogar für den Fall abgelehnt, dass ein Widerspruch aus einer zweifelsfrei nicht benutzten Marke nach Schonfristablauf und Benutzungseinrede nicht zurückgenommen worden sei.
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Damit könne ihr nicht vorgeworfen werden, dass sie den Widerspruch nach der Mitteilung des Amtes vom 5. Mai 2008 darüber, der Anmeldetag der Widerspruchsmarke werde nicht verschoben, nicht zurückgenommen habe.
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Der Widerspruch sei nur deshalb unzulässig gewesen, weil der Widerspruchsmarke die Priorität aus der österreichischen Erstanmeldung nicht gewährt worden sei, da die Markenanmeldung per Telefax erst um 00.02 Uhr am 25. Mai 2007 eingegangen sei. Fristablauf für die Prioritätswahrung sei aber um Mitternacht gewesen.
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Gemäß § 91 Abs. 1, 4 MarkenG wäre jedoch Wiedereinsetzung möglich.
14
Eine Wiedereinsetzung könne in einem solchen Fall auch ohne Antrag gewährt werden (§ 91 Abs. 4 MarkenG).
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Unter Berücksichtigung dieser Umstände sei es nicht ohne weiteres erkennbar gewesen, dass der Widerspruch keine Aussicht auf Erfolg gehabt habe. Die Möglichkeit der Anerkennung der Priorität der Widerspruchsmarke habe damit noch immer bestanden.
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Auch die Kosten der Erinnerung seien ihr nicht ohne weiteres entgegen § 63 Abs. 1 Satz 1 MarkenG aus Billigkeitsgründen aufzuerlegen.
II.
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1) Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.
18
Eine vom Grundsatz des § 63 Abs. 1 Satz 3 MarkenG – nach dem jeder Verfahrensbeteiligte seine Kosten selbst zu tragen hat – abweichende Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen auf die Widersprechende war nicht angemessen. Zwar musste die Widersprechende frühestens am 5. Mai 2008 davon ausgehen, dass der Widerspruch aufgrund der nicht anerkannten Priorität keinen Erfolg haben wird; dass sie den Widerspruch danach nicht zurückgenommen hat, führte aber zu keinen weiteren Kosten, welche ihr aus Billigkeitsgründen aufzuerlegen wären.
19
Die Einlegung des Widerspruchs war im Hinblick auf die strittige Prioritätslage mit der prozessualen Sorgfaltspflicht zu vereinbaren. Dass ein Widersprechender die Zurückweisung seines Widerspruchs hinnimmt, kann mannigfaltigen Motiven entsprechen. Eine vorausgehende Sorgfaltspflichtsverletzung belegt dies nicht.
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2) Die Kosten dieses Verfahrens sind keinem der Beteiligten aufzuerlegen, auch wenn Kostenbeschwerden kontradiktorische Verfahren darstellen. Die Beschwerdeführerin hat zwar in der Sache obsiegt. Die dafür ausschlaggebenden Gründe hat sie jedoch erst nach und nach vorgetragen.
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3) Allerdings ist die Beschwerdegebühr zu erstatten, da die Markenstelle im Erinnerungsverfahren die Prioritätslage an Hand ihrer Verwaltungsakte hätte prüfen können.