Patent- und Markenrecht

Markenbeschwerdeverfahren – Löschungsverfahren – “Volks.Inspektion (Wort-Bild-Marke)” – Unterscheidungskraft – kein Freihaltungsbedürfnis – ständige Präsenz einer Vielzahl von gleichartig aufgebauten Wort-Bild-Zeichen aus der “Volks”-Markenfamilie auf dem deutschen Markt – betrieblicher Herkunftshinweis

Aktenzeichen  29 W (pat) 99/11

Datum:
21.12.2011
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG
§ 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG
§ 50 Abs 1 MarkenG
§ 54 MarkenG
Spruchkörper:
29. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache


betreffend die Marke 306 38 670.4
(Löschungsverfahren S 185/10)
hat der 29. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 21. Dezember 2011 durch die Vorsitzende Richterin Grabrucker und die Richterinnen Kortge und Dorn
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin ist Inhaberin der Wort-/Bildmarke
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Diese wurde am 16. Juni 2006 angemeldet und am 28. November 2006 in das Markenregister eingetragen für die Dienstleistungen der
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Klasse 35:
4
Einzelhandelsdienstleistungen mit Ersatzteilen für Kraftfahrzeuge; Einzelhandelsdienstleistungen mit Waren aus dem Bereich der Wartung, Reparatur und Instandhaltung von Kraftfahrzeugen; Merchandising; Online-Dienstleistungen eines e-Commerce-Abwicklers, nämlich Waren und Dienstleistungspräsentation, Bestellannahme, Lieferauftragsservice und Rechnungsabwicklung, auch im Rahmen von e-commerce; Vermittlung und Abschluss von Handelsgeschäften für andere über Online-Shops; telefonische und/oder computerisierte Bestellannahme für Teleshopping-Angebote für Dritte; Vermittlung von Handels- und Wirtschaftskontakten, auch über das Internet; Vermittlung und Abschluss von Verträgen über den An- und Verkauf von Waren und/oder Dienstleistungen; Dienstleistungen einer Werbeagentur; Werbung; Werbung in allen Medien, einschließlich Rundfunk-, Fernseh-, Kino-, Print-, Videotext-, Online- und Teletextwerbung; Verteilung von Werbematerial (Flugblätter, Prospekte, Drucksachen, Warenproben); Vorführung von Waren für Werbezwecke; Waren- und Dienstleistungspräsentationen; Aktualisierung von Werbematerial; Werbemittlung; Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations); Organisation und Veranstaltung von Werbeveranstaltungen; Sponsoring in Form von Werbung;
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Klasse 37:
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Fahrzeugservice, nämlich Wartung, Reparatur und Instandsetzung von Fahrzeugen; Reinigen und Polieren von Fahrzeugen;
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Klasse 38:
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Dienstleistungen eines Internet-Providers, nämlich Vermietung und Vermittlung von Zugriffszeiten zu Datennetzen und Computerbanken, insbesondere im Internet und/oder Intranet; Erbringen von Dienstleistungen in Verbindung mit Onlinediensten, nämlich Sammeln, Liefern und Übermittlung von Nachrichten und Informationen aller Art, einschließlich On-Demand und anderen elektronischen Mediendiensten; Bereitstellen von Internetzugängen (Software); Bereitstellung von Plattformen im Internet; Bereitstellung einer e-commerce Plattform im Internet; Bereitstellung von Portalen im Internet; Betrieb eines Teleshopping-Kanals, Betrieb von Chatlines, Chatrooms und Foren; Bereitstellung einer Hotline; Bereitstellen des Zugriffs auf in einer Datenbank gespeicherte Informationen, insbesondere auch vermittels interaktiv kommunizierender (Computer-)Systeme; Sammeln und Liefern von Nachrichten und allgemeinen Informationen im Rahmen der Dienstleistungen einer Presseagentur, auch elektronischer Art, sowie Ausstrahlung von (TV/Radio)-Programmen im World Wide Web; Ausstrahlen von Rundfunksendungen (Funk und Fernsehfunk).
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Mit am 20. Juli 2010 beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) eingegangenen Schriftsatz hat die Antragstellerin und Beschwerdeführerin die vollständige Löschung der vorgenannten Marke wegen Nichtigkeit aufgrund absoluter Schutzhindernisse gem. §§ 54, 50 Abs. 1 MarkenG i. V. m. § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG beantragt. Zur Begründung hat sie angeführt, der angegriffenen Marke fehle für die beanspruchten Dienstleistungen jegliche Unterscheidungskraft. Unter einer “Volksinspektion” werde nach allgemeinem Verständnis eine Inspektion durch das Volk verstanden. Sämtliche Dienstleistungen der angegriffenen Marke könnten Gegenstand einer “Volksinspektion” sein, insbesondere könnten die Geschäftsbetriebe, in denen derartige Dienstleistungen typischerweise erbracht würden, einer solchen Inspektion unterzogen werden. Dies gelte umso mehr, soweit automobilbezogene Dienstleistungen beansprucht würden. Staatliche Kontrollen seien im Grunde genommen nichts anderes als vom Volk veranlasste Inspektionen. Auch die grafische Ausgestaltung des angegriffenen Zeichens sei nicht geeignet, das Schutzhindernis zu überwinden, da sie sich im Rahmen des rein Werbeüblichen halte.
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Die Markeninhaberin und Beschwerdegegnerin hat dem Löschungsantrag widersprochen. Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass ein Kernpunkt ihrer geschäftlichen Tätigkeit die crossmediale Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen zur Bewerbung, Vertreibung und zum Absatz von sogenannten “Volks-Produkten” sei. Seit 2002 führe sie – die Beschwerdegegnerin, eine 100 %ige Tochter des deutschen Konzerns A… AG – sogenannte “Volks-Aktionen” durch, im Rah-men derer sie und ihr jeweiliger Kooperationspartner gemeinsam ein Produkt auswählten, welches dann exklusiv als “Volks-Produkt” herausgebracht werde. Sie habe in der Zeit von September 2002 bis November 2010 100 solcher “Volks-Aktionen” durchgeführt. Neben der Konzeption und den jeweiligen Namen/Logos bringe sie ihrerseits eine besondere Werbeleistung in die Kooperation ein, indem sie die – von ihrem jeweiligen Kooperationspartner eingebrachten – Produkte umfangreich in Zeitungsbeilagen, gegenseitigen Anzeigen in der BILD-Zeitung, der “BILD am Sonntag” sowie anderen Titeln der A… AG, auf dem eigenen Internetportal und in diversen anderen Medien bewerbe. Bis Ende November 2010 seien 61 gleichgebildete “Volks”-Marken beim DPMA registriert worden, daneben, eine Vielzahl von entsprechenden Gemeinschaftsmarken. Die Marken seien jeweils aus dem Bestandteil “Volks” und der Gattungsbezeichnung, die das konkrete Produkt beschreibe, sowie in einer dem Corporate Identity der BILD entsprechenden bildlichen Ausgestaltung zusammengesetzt. Die im Streit stehende Marke reihe sich zwanglos in die bekannte “Volks”-Markenserie ein. Die in allen Marken der Serie wiederkehrende bildliche Gestaltung (rot-schwarzer Balken, der Begriff “Volks” auf rotem Hintergrund, sowie eine Gattungsbezeichnung auf schwarzem Hintergrund), die unmittelbar an die allseits bekannte Gestaltung des BILD Logos angelehnt sei, spreche für die Wiedererkennbarkeit der einzelnen Marken sowie die Zuordnung zu ihrem Herkunftsbetrieb. Darüber hinaus sei dem Wortbestandteil der angegriffenen Marke kein im Vordergrund stehender erkennbarer Sinngehalt zu entnehmen.
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Die Markenabteilung 3.4 hat mit Beschluss vom 31. Mai 2011 den Löschungsantrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, unter Berücksichtigung der neuesten Rechtsprechung des 29. Senats zu den sog. “Volks”-Marken (vgl. u. a. BPatG 29 W (pat) 195/10 – Volks-Tippschein; 29 W (pat) 211/10 – Volks-Wäsche) könne der angegriffenen Marke in ihrer Gesamtheit das erforderliche Mindestmaß an Unterscheidungskraft nicht abgesprochen werden. Zunächst sei die Bedeutung des Wortbestandteils “Volksinspektion” in Bezug auf die beanspruchten Dienstleistungen nicht eindeutig und eigentümlich. Letztlich erreiche die Marke jedenfalls im Zusammenwirken mit der grafischen Gestaltung gerade noch das erforderliche Mindestmaß an Unterscheidungskraft. Sie weiche noch hinreichend von der üblichen Werbegrafik ab, so dass sie geeignet sei, das Erinnerungsvermögen des Verkehrs in herkunftshinweisender Form zu beeinflussen. Auffällig und nicht so geläufig sei hierbei insbesondere der viereckige weiße Punkt, der die Wortkombination in das rot unterlegte “Volks” und das schwarz unterlegte “Inspektion” trenne und aufgrund seiner Form fast wie ein nach unten gerutschter Bindestrich erscheine. Zum anderen sei die Integration in den weißen Rand ungewöhnlich.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Löschungsantragstellerin, mit der sie sinngemäß beantragt,
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den Beschluss der Markenabteilung 3.4 des DPMA vom 31. Mai 2011 aufzuheben und das DPMA anzuweisen, die Marke 306 38 670 zu löschen.
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Sie ist der Ansicht, der Wortbestandteil der angegriffenen Marke sei in Bezug auf die in Rede stehenden Dienstleistungen jedenfalls in einer seiner möglichen Bedeutungen, nämlich “Inspektion durch das Volk”, glatt beschreibend, so dass die an die Originalität des Bildbestandteils zu stellenden Anforderungen umso höher anzusetzen seien. Vorliegend handele es sich jedoch lediglich um einfachste grafische Gestaltungselemente, auch der viereckige weiße Punkt sei unscheinbar und trage nichts zur Unterscheidungskraft des Gesamtzeichens bei. An dem angegriffenen Zeichen bestehe darüber hinaus aus den genannten Gründen ein Freihaltebedürfnis i. S. d. § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG.
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Die Markeninhaberin und Beschwerdegegnerin beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Zur Begründung verweist sie – ergänzend zu ihrem Vorbringen im Amtsverfahren – auf ihren Vortrag in den beim 29. Senat seit Ende 2010 anhängig gewesenen 18 parallelen (einseitigen) Beschwerdeverfahren zu den sog. “Volks-Marken”, die jeweils Erfolg hatten, d. h. zu einer Aufhebung der die Anmeldung zurückweisenden Beschlüsse des DPMA führten (u. a. BPatG 29 W (pat) 195/10 – Volks-Tippschein). Mittlerweile (Stand: 24. November 2011) seien 73 gleichgebildete “Volks”-Marken beim DPMA registriert und mehr als 125 “Volks-Aktionen” durchgeführt worden, darunter auch eine Aktion zu “Volks-Inspektion” im Jahr 2009 in Kooperation mit dem Autoteilezulieferer A.T.U..
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In der mündlichen Verhandlung vom 21. Dezember 2011 wurden aus dem Verfahren 29 W (pat) 195/10 (Volks-Tippschein) verschiedene – von der dortigen Beschwerdeführerin (= hiesige Beschwerdegegnerin) vorgelegte – Unterlagen eingeführt (vgl. im Einzelnen hierzu das Protokoll Bl. 87/88 GA).
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
20
Die Beschwerde ist gemäß § 66 Abs. 1 und 2 MarkenG zulässig, aber unbegründet. Die Markenabteilung 3.4 des DPMA hat zu Recht die Löschung der Eintragung der angegriffenen Marke abgelehnt.
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1. Nach § 50 Abs. 1 MarkenG ist eine Marke zu löschen, wenn sie entgegen §§ 3, 7 oder 8 MarkenG eingetragen worden ist. Im Falle eines Eintragungshindernisses nach §§ 3, 7 oder 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 9 MarkenG muss dieses noch im Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde fortbestehen (§ 50 Abs. 2 Satz 1 MarkenG). Ferner kann bei einem Schutzhindernis gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1, 2 oder 3 MarkenG eine Löschung nur erfolgen, wenn der Löschungsantrag, der von jedermann gestellt werden kann (§ 54 Abs. 1 Satz 2 MarkenG), innerhalb von zehn Jahren seit dem Tag der Eintragung gestellt worden ist (§ 50 Abs. 2 Satz 2 MarkenG).
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a) Der Löschungsantrag vom 20. Juli 2010 ist innerhalb der seit dem 28. November 2006 laufenden Zehnjahresfrist gestellt worden.
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b) Die Antragsgegnerin hat dem ihr am 3. August 2010 zugestellten Löschungsantrag fristgerecht mit am 6. August 2010 beim DPMA eingegangenen Schriftsatz widersprochen.
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2. Der angegriffenen Marke standen weder im Zeitpunkt der Eintragung noch zum Entscheidungszeitpunkt absolute Schutzhindernisse, insbesondere auch nicht das der fehlenden Unterscheidungskraft oder des Freihaltebedürfnisses nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 MarkenG, entgegen.
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a) Unterscheidungskraft im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist die einem Zeichen innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel aufgefasst zu werden, welches die in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen als von einem bestimmten Unternehmen stammend kennzeichnet und diese Waren oder Dienstleistungen somit von denjenigen anderer Unternehmen unterscheidet (EuGH GRUR 2008, 608, 611 Rdnr. 66 f. – EUROHYPO; BGH GRUR 2010, 825, 826 Rdnr. 13 -Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2006, 850, 854 Rdnr. 18 – FUSSBALL WM 2006). Denn die Hauptfunktion der Marke besteht darin, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen zu gewährleisten. Da allein das Fehlen jeglicher Unterscheidungskraft ein Eintragungshindernis begründet, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, so dass jede auch noch so geringe Unterscheidungskraft genügt, um das Schutzhindernis zu überwinden (BGH a. a. O. – FUSSBALL WM 2006; a. a. O. – Marlene-Dietrich-Bildnis II; GRUR 2009, 411 Rdnr. 8 -STREETBALL; 778, 779 Rdnr. 11 – Willkommen im Leben; 949 f. Rdnr. 10 -My World). Wortmarken besitzen dann keine Unterscheidungskraft, wenn ihnen die maßgeblichen Verkehrskreise lediglich einen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsinhalt zuordnen (vgl. u. a. EuGH GRUR 2004, 674, 678 Rdnr. 86 – Postkantoor; BGH GRUR 2001, 1153 – anti KALK; GRUR 2005, 417, 418 – BerlinCard; a. a. O. Rdnr. 19 – FUSSBALL WM 2006; GRUR 2009, 952, 953 Rdnr. 10 – DeutschlandCard) oder wenn diese aus gebräuchlichen Wörtern oder Wendungen der deutschen Sprache oder einer geläufigen Fremdsprache bestehen, die – etwa wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung oder in den Medien – stets nur als solche und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden werden (vgl. u. a. BGH GRUR 2001, 1043, 1044 – Gute Zeiten – Schlechte Zeiten; BGH GRUR 2003, 1050, 1051 – Cityservice; a. a. O. – FUSSBALL WM 2006). Besteht eine Marke aus mehreren Elementen, ist bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft von der Gesamtheit der Marke auszugehen (BGH GRUR 2001, 162, 163 – RATIONAL SOFTWARE CORPORATION; a. a. O. – anti Kalk; GRUR 2011, 65 Rdnr. 10 – Buchstabe T mit Strich). Dabei hat sich die Prüfung darauf zu erstrecken, ob die Marke als solche, jedenfalls mit einem ihrer Elemente, den (geringen) Anforderungen an die Unterscheidungskraft genügt.
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b) Nach diesen Grundsätzen kann vorliegend nicht festgestellt werden, dass das verfahrensgegenständliche Wort-/Bildzeichen dem Schutzhindernis nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG unterliegt.
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Das angegriffene Zeichen, das sich aus Wort- und Bildelementen zusammensetzt, weist in seiner Gesamtheit keinen für die beanspruchten Dienstleistungen im Vordergrund stehenden beschreibenden Begriffsgehalt auf. Ein beschreibender Sinngehalt seiner Einzelbestandteile wird jedenfalls durch den eigenartigen Gesamtbegriff und die – die Mindestanforderungen an das Vorliegen einer noch so geringen Unterscheidungskraft erfüllende – grafische Ausgestaltung so weit überlagert, dass der Marke in ihrer Gesamtheit die erforderliche Unterscheidungskraft nicht mehr abgesprochen werden kann.
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aa) Der Text des angegriffenen Zeichens enthält die beiden in der deutschen Sprache geläufigen Wortelemente “Volks” und “Inspektion”, die durch einen Punkt getrennt sind.
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aaa) “Volks” ist der Genitiv des Substantivs “Volk”, welches eine “durch gemeinsame Kultur, Geschichte (und Sprache) verbundene große Gemeinschaft von Menschen” bzw. die “Masse der Angehörigen einer Gesellschaft, der Bevölkerung eine Landes, eines Staates” bezeichnet (Duden – Deutsches Universalwörterbuch, 6. Aufl. 2006 [CD ROM]). In der deutschen Sprache gibt es eine Reihe von geläufigen Begriffen, die aus einem Substantiv mit einem vorangestelltem “Volks-” gebildet sind. Diese zusammengesetzten Begriffe lassen sich in fünf Gruppen einteilen:
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(1) Begriffe, bei denen dem Bestandteil “Volks-” die Bedeutung “für alle/jedermann, von allen/jedermann, allen/jedermann zugänglich, alle/jedermann betreffend, sich an alle/jedermann wendend, von allen/jedermann ausgeübt” zukommt, wie “Volksaufstand, Volksbelustigung, Volksbrauch, Volksbücherei, Volkseinkommen, Volksempfinden, Volksfeind, Volksfest, Volksgemeinschaft, Volksgesundheit, Volksglaube, Volksheld, Volkshochschule, Volksnahrungsmittel, Volksschule, Volksseele, Volksseuche, Volkssport, Volkssprache, Volksstamm, Volkstracht, Volkstrauertag, Volkswirtschaft” (vgl. Duden – Deutsches Universalwörterbuch a. a. O.; Wortschatzportal Universität Leipzig, http://wortschatz.uni-leipzig.de).
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(2) Begriffe mit politischer Bedeutung, wie “Volksabstimmung, Volksarmee Volksbefragung, Volksbegehren, Volksdemokratie, Volksentscheid, Volksfront, Volkspartei, Volkssouveränität” (vgl. Duden – Deutsches Universalwörterbuch a. a. O.).
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(3) Begriffe, bei denen der Bestandteil “Volks-” auf etwas hinweist, das volkstümlich bzw. vom Geist und von der Überlieferung des Volkes geprägt oder getragen ist, wie “Volksdichtung, Volkskunst, Volkslied, Volksmedizin, Volksmärchen, Volksmund, Volksstück” (vgl. Duden – Deutsches Universalwörterbuch a. a. O.). Volkstümlich bedeutet “in seiner Art dem Denken und Fühlen des Volkes entsprechend, entgegenkommend” bzw. “dem Volk eigen”, “populär, gemeinverständlich” (Duden – Deutsches Universalwörterbuch a. a. O.). Es beinhaltet nicht das Verständnis von “einfaches/gehobenes Volk” bzw. “Schichten”.
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(4) Nur bei einem dieser zusammengesetzten Begriffe weist der Bestandteil “Volks-” einen Bezug zu sozialen Schichten auf, nämlich “Volkstheater” mit der Bedeutung “Theater, das (im Unterschied zum höfischen Theater) inhaltlich und finanziell von allen sozialen Schichten getragen wird (Duden – Deutsches Universalwörterbuch a. a. O.).
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(5) Vereinzelt und lediglich bei veralteten Begriffen kommt dem vorangestellten Element “Volks-” die Bedeutung “günstig, billig, preiswert” zu, wie etwa bei dem (veralteten) Begriff “Volksausgabe” mit der Bedeutung “einfach ausgestattete, preiswerte Buchausgabe” (Duden – Deutsches Universalwörterbuch a. a. O.). Die sogenannten “Volksprodukte” aus der Zeit des Dritten Reiches, wie “Volkswagen” und “Volksempfänger”, implizierten zwar, dass die Ware preiswert und für jedermann erschwinglich war und die niedrigen Preise diese Produkte für jedermann zugänglich machen sollten (vgl. Aufsatz “Luxus fürs Volk” vom 16. Dezember 2003 von Prof. Dr. König, TU in Berlin, www.uni-protokolle.de/-nachrichten/text/27195/); sie wurden damals als Mittel der Politik zur Sympathieerregung für die Ziele des Dritten Reiches eingesetzt. An Konnotationen aus der Zeit des Dritten Reiches, von der sich die deutsche Bevölkerung seit der Entstehung der Bundesrepublik distanziert hat und die im heutigen deutschen Sprachgebrauch nicht mehr üblich sind, knüpft der Senat nicht an, und dies nicht nur, weil sie ihm veraltet erscheinen, was im Übrigen dadurch belegt wird, dass ein “Volkswagen” heutzutage teurer ist als manch andere Kraftfahrzeugmodelle.
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bbb) Das Substantiv “Inspektion” hat die Bedeutungen “das Inspizieren”, “(regelmäßig vorgenommene) Überprüfung und Wartung eines Kraftfahrzeugs”, “prüfende Besichtigung durch einen Inspekteur der Bundeswehr” bzw. “Behörde, Dienststelle, der die Prüfung, Aufsicht über etwas obliegt” (Duden – Deutsches Universalwörterbuch, a. a. O.).
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ccc) Der Punkt zwischen den beiden Wortelementen ist optisch eine Zäsur und darf nicht unbeachtet bleiben. Denn auch ein für sich genommen schutzunfähiger Bestandteil kann für die Schutzfähigkeit des Gesamtzeichens Bedeutung erlangen. Der Umstand, dass ein Bindestrich oder – wie hier – ein Punkt aufgrund seiner orthografischen Funktion vom Verkehr nicht als eigenständiges Zeichen wahrgenommen werden mag, rechtfertigt es nicht, diesen Zeichenbestandteil bei der Prüfung der Schutzfähigkeit des angemeldeten Zeichens unberücksichtigt zu lassen. Da es sich um die Beurteilung eines zusammengesetzten Zeichens handelt, ist maßgeblich, welchen Gesamteindruck der Verkehr mit dem zusammengesetzten Zeichen verbindet (BGH a. a. O. Rdnr. 12 – Buchstabe T mit Strich).
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ddd) Die beiden Wortbestandteile verbinden sich im Sprachfluss zu dem sprachüblich gebildeten Gesamtbegriff “Volksinspektion”. Dieser Gesamtbegriff ist in den gängigen Lexika und Wortschatzdatenbanken (Duden – Deutsches Universalwörterbuch a. a. O.; Wortschatzportal Universität Leipzig a. a. O.) nicht nachweisbar und stellt daher eine sprachliche Neuschöpfung dar.
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Ausgehend von den obigen Feststellungen, dass das vorangestellte Wort “Volks-” bei zusammengesetzten Substantiven im heutigen Sprachgebrauch überwiegend die Bedeutung “für alle/jedermann” hat, kann die Wortverbindung “Volksinspektion” in ihrer Gesamtbedeutung allenfalls dahingehend verstanden werden, dass es sich um eine Inspektion für alle, für jedermann handelt. Jedoch ist im Einzelfall zu prüfen, ob dieser Wortkombination überhaupt ein sinnvoller Aussagegehalt entnommen werden kann.
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eee) In Bezug auf die beanspruchten Dienstleistungen ist die gegenständliche Wortverbindung in den Verkehrsgewohnheiten der fraglichen Branche jedenfalls keine Sachaussage.
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Selbst hinsichtlich der in Klasse 37 beanspruchten Dienstleistung “Fahrzeugservice, nämlich Wartung, Reparatur und Instandsetzung von Fahrzeugen”, die eine Inspektion von Fahrzeugen zum Gegenstand haben kann, lässt sich ein sinnvoller Aussagegehalt der Wortelemente des angegriffenen Zeichens für das angesprochene Publikum der Kraftfahrzeughalter nicht feststellen. In dieser Branche wird in den Angeboten für eine Fahrzeuginspektion allenfalls nach dem Fahrzeugmodell oder dem zu leistenden Serviceumfang differenziert (vgl. www.autogenau.de…, Anlage H3 zum Schriftsatz der Beschwerdegegnervertreter vom 29. November 2011, Bl. 70 GA). Es entspricht nicht den Kennzeichnungsgewohnheiten in dieser Branche, dass sich die Angebote für eine Fahrzeuginspektion an bestimmte soziologische Zielgruppen (Ober-/Mittel-/Unterschicht) richten, zumal eine solche Festlegung unsinnig wäre und die geschäftlichen Möglichkeiten solcher Unternehmen unnötig einschränken würde. Es gibt auch keine Verkehrsgewohnheit in diesem Bereich, dass eine Fahrzeuginspektion nur für das deutsche Volk (vgl. “DEM DEUTSCHEN VOLKE” über dem Reichstag) angeboten wird. Der Begriff “Volksinspektion” ist im Zusammenhang mit der fraglichen Dienstleistung auch nicht dahingehend zu verstehen, dass es sich um eine besonders billige, preisgünstige Fahrzeuginspektion handelt, da dem Element “Volks-” im heutigen Sprachgebrauch – wie oben dargelegt – nicht (mehr) die Bedeutung von “günstig, billig, preiswert” zukommt. Selbst wenn man einen solchen Bedeutungsgehalt hier annehmen würde, weist das angegriffene Zeichen trotzdem keinen sinnvollen Aussagegehalt auf, da die Inanspruchnahme einer Fahrzeuginspektion nicht nur finanziell Bessergestellten vorbehalten ist, vielmehr heutzutage (nahezu) jeder, der Halter eines Kraftfahrzeuges ist, sich auch eine Fahrzeuginspektion leisten kann. Vor diesem Hintergrund macht der Begriff “Volksinspektion” mit der Bedeutung, dass es sich um eine Fahrzeuginspektion für jedermann handelt, ebenfalls keinen Sinn und legt darüber hinaus den Unsinn einer solchen Aussage dar. Die von der Beschwerdeführerin angeführte Bedeutung des Begriffs im Sinne von “Inspektion durch das Volk” ist in diesem Zusammenhang ebenfalls sinnlos. Denn auch wenn automobilbezogene Dienstleistungen ihrerseits einer staatlichen Kontrolle unterzogen werden können, so ist nicht ersichtlich, inwieweit die Bezeichnung “Volksinspektion” Merkmale eines Fahrzeugservices selbst beschreiben soll.
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Mangels eines sinnvollen Aussagegehalts der Bezeichnung “Volksinspektion” in Bezug auf die vorgenannte, beanspruchte Dienstleistung kann ihr somit nicht jegliche Unterscheidungskraft abgesprochen werden.
42
Die obigen Ausführungen gelten entsprechend für die übrigen beanspruchten Dienstleistungen in den Klassen 35, 37 und 38, soweit ihnen nicht ohnehin jeglicher Bezug zu einer Inspektion fehlt.
43
bb) Die angegriffene Marke erhält zusätzlich durch die grafische Ausgestaltung die Funktion eines Unterscheidungsmittels.
44
Grundsätzlich kann einer Wortelemente enthaltenden Bildmarke – unbeschadet einer etwaigen fehlenden Unterscheidungskraft dieser Wortelemente – als Gesamtheit Unterscheidungskraft zugesprochen werden, wenn die grafischen Elemente ihrerseits charakteristische Merkmale aufweisen, in denen der Verkehr einen Herkunftshinweis sieht (BGH GRUR 1991, 136, 137 – NEW MAN; a. a. O. – anti Kalk; EuGH GRUR 2006, 229, 233 Rdnr. 73, 74 – BioID). Dabei vermögen allerdings einfache grafische Gestaltungen oder Verzierungen des Schriftbilds, an die sich der Verkehr etwa durch häufige werbemäßige Verwendung gewöhnt hat, eine fehlende Unterscheidungskraft der Wörter ebenso wenig aufzuwiegen, wie derartige einfache grafische Gestaltungselemente auch für sich wegen fehlender Unterscheidungskraft nicht als Marke eingetragen werden können. Es bedarf vielmehr eines auffallenden Hervortretens der grafischen Elemente, um sich dem Verkehr als Herkunftshinweis einzuprägen (BGH a. a. O. 1153, 1154 – anti Kalk; GRUR 2008, 710, 711 Rdnr. 20 – VISAGE).
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aaa) Das verfahrensgegenständliche Zeichen zeigt zwei Wortelemente in weißer Farbe und einheitlicher Schriftart auf einem rot/schwarzen Balken mit grauer Umrandung, wobei das Wortelement “Volks” auf rotem und das Wortelement “Inspektion” auf schwarzem Hintergrund steht. Das (kleinere) rote und das (größere) schwarze Rechteck innerhalb des Balkens werden durch eine vertikale weiße Linie voneinander getrennt. Diese Linie wird wiederum von einem rechteckigen weißen Punkt, der sich zwischen den beiden Wortelementen an der Textunterkante befindet, durchbrochen.
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bbb) Diese bildliche Ausgestaltung der angegriffenen Marke genügt noch den an die Unterscheidungskraft zu stellenden (geringen) Mindestanforderungen.
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Die einzelnen Gestaltungsmittel, aus denen das vorliegend zu beurteilende Zeichen zusammengesetzt ist – insbesondere die rechteckigen Formen, in denen die Wortelemente untergebracht sind, die Inverswiedergabe der Wortbestandteile (d. h. in Form von weißen Buchstaben auf dunklem farbigen Hintergrund) sowie die Umrahmung der Gesamtmarke – mögen hier je für sich genommen noch als werbeüblich anzusehen sein. Der Beurteilung der Schutzfähigkeit ist jedoch im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung die ganz konkrete Gesamtgestaltung zugrunde zu legen; nur sofern diese selbst ebenfalls als werbeüblich anzusehen ist, kommt eine Schutzversagung in Betracht. Die Bedeutung, die einem einzelnen Bestandteil für den Gesamteindruck eines mehrgliedrigen Zeichens zukommt, hängt maßgeblich auch davon ab, in welcher Beziehung er innerhalb der konkreten Gestaltung des jeweiligen Gesamtzeichens zu den übrigen Zeichenbestandteilen steht (BGH GRUR 2011, 148 – Goldhase II). Auch die Komplexität der Gestaltung ist ein Indiz für die Schutzfähigkeit, denn je höher diese ausfällt, umso eher wird der Verkehr geneigt sein, in der grafischen Wiedergabe der Gesamtmarke nicht nur den beschreibenden Inhalt der Wortbestandteile wahrzunehmen, sondern sie als Herkunftshinweis aufzufassen (BPatG 27 W (pat) 32/08 – Neue Post). Eine solche schutzbegründende Komplexität kann vorliegend aber nicht verneint werden. So werden die jeweiligen Hintergründe der Wortbestandteile verschiedenfarbig gehalten; die Gesamtmarke enthält insgesamt vier Farben (rot, schwarz, weiß, grau). Hinzu tritt der in Form eines weißen Rechtecks dargestellte Punkt zwischen den beiden Wortelementen, der die zwischen den Farbfeldern vertikal verlaufende weiße Linie durchbricht, wodurch der Punkt besonders auffällt und charakteristisch wirkt. Die ganz konkrete Zusammenstellung dieser verschiedenen Gestaltungsmittel, auch wenn sie für sich genommen werbeüblich sein mögen, genügt damit noch, um der bildlichen Ausgestaltung des angegriffenen Zeichens nicht jegliche Unterscheidungskraft absprechen zu können.
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ccc) Weiter ist zu berücksichtigen, dass für die Beschwerdegegnerin von 2004 bis Ende 2011 bereits 73 entsprechend gebildete deutsche Wort-/Bildmarken aus der “Volks”-Markenfamilie u. a. für Dienstleistungen der Klassen 35 und 38 eingetragen sind, die jeweils aus dem Bestandteil “Volks” und der Gattungsbezeichnung, die das konkrete Produkt beschreibt, sowie einer der Grafik des vorliegenden Zeichens entsprechenden bildlichen Ausgestaltung (rot/schwarzer Balken mit grauer Umrahmung, der Begriff “Volks” auf rotem Hintergrund, die jeweilige Gattungsbezeichnung auf schwarzem Hintergrund, weiße Buchstaben, weiße Trennlinie, rechteckiger Punkt zwischen den Wortelementen) zusammengesetzt sind, wie beispielsweise die eingetragenen Marken
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(30 2008 007 702, eingetragen am 21. April 2008 für Waren und Dienstleistungen der Klassen 25, 35, 38);
50
(30 2009 000 798, eingetragen am 8. Juli 2009 für Waren und Dienstleistungen der Klasen 25, 35, 38);
51
(30 2009 000 5672, eingetragen am 1. Juli 2009 für Waren und Dienstleistungen der Klassen 3, 5, 35, 38);
52
(30 2009 016 935, eingetragen am 27. Oktober 2009 für Waren und Dienstleistungen der Klassen 30, 35, 38);
53
(30 2009 016 945, eingetragen am 27. Oktober 2009 für Dienstleistungen der Klassen 35, 38, 42);
54
(30 2009 016 921, eingetragen am 4. November 2009 für Waren und Dienstleistungen der Klassen 20, 35, 38);
55
(30 2009 068 410, eingetragen am 19. Mai 2010 für Waren und Dienstleistungen der Klassen 3, 5, 35, 38);
56
(30 2009 061 595, eingetragen am 2. August 2010 für Waren und Dienstleistungen der Klassen 9, 35, 38, 41);
57
(30 2009 061 597, eingetragen am 2. August 2010 für Waren und Dienstleistungen der Klassen 9, 35. 38, 41).
58
Die Beschwerdegegnerin hat glaubhaft dargelegt, dass sie von September 2002 bis Februar 2011 im Rahmen der crossmedialen Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen insgesamt 122 sog. “Volks-Aktionen” durchgeführt hat, die jeweils wenige Wochen angedauert haben (vgl. Übersicht “Volks-Aktionen” – Stand 7. Februar 2011, Anlage zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 9. Februar 2011 im Verfahren 29 W (pat) 195/10, dort Bl. 173/174 GA). Neben der Konzeption und den jeweiligen Namen/Logos bringt die Beschwerdegegnerin eine besondere Werbeleistung in die Kooperation ein, indem sie die – von ihrem jeweiligen Kooperationspartner eingebrachten – Produkte umfangreich in Zeitungsbeilagen, gegenseitigen Anzeigen in der BILD-Zeitung, der “BILD am Sonntag” sowie anderen Titeln der A… AG, auf dem eigenen Internetportal und in diversen anderen Medien bewirbt. Die Absatzzahlen der bis Februar 2011 durchgeführten “Volks-Aktionen” belaufen sich auf insgesamt über … Millionen Euro (vgl.Anlage H 8 zum Schriftsatz vom 19. November 2010, Bl. 69/70 GA 29 W (pat) 195/10), insgesamt sind rund … Millionen “Volks-Produkte”verkauft worden, d. h. im Durchschnitt hat jeder zweite Bundesbürger ein solches Produkt erworben. Die Bewerbung von verschiedenen “Volks-Produkten” ergibt sich ebenfalls aus den von der Beschwerdegegnerin in dem Verfahren 29 W (pat) 195/10 vorgelegten und in das hiesige Verfahren eingeführten Unterlagen (Anzeigen zu verschiedenen “Volks-Aktionen”, Anlage H 12 zum Schreiben vom 7. Februar 2011, Bl. 152 – 161 GA 29 W (pat) 195/10, und Anlage H 17 zum Schriftsatz vom 14. März 2011, Bl. 218 – 235 GA 29 W (pat) 95/10; Pressestimmen zu den Volks-Produkten, Anlage zum o. g. Protokoll, Bl. 175 GA 29 W (pat) 195/10) und ist dem Senat auch aus eigener Wahrnehmung in den Medien bekannt.
59
Die ständige Präsenz einer Vielzahl von – insbesondere hinsichtlich Layout, Design, Farbgebung und Struktur – gleichartig aufgebauten Wort-/Bildzeichen aus der “Volks”-Markenfamilie auf dem deutschen Markt seit nunmehr mindestens sieben Jahren rechtfertigt den Schluss, dass sich der Verkehr inzwischen an diese Art der Aufmachung als Kennzeichnung der jeweiligen Produkte gewöhnt hat und darin einen betrieblichen Herkunftshinweis sieht (EuGH GRUR 2010, 228 Rdnr. 59 – Vorsprung durch Technik). Hierfür spricht zudem die erkennbare Verwandtschaft der “Volks”-Marken zur Stammmarke –
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(30135695) der A… AG, die Hauptgesellschafterin der Beschwerdegegnerin ist, und der offensichtliche Bezug zu der beim deutschen Publikum allgemein bekannten BILD-Zeitung.
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ddd) Indiziell für die Schutzfähigkeit der angegriffenen Marke spricht, dass die Grafik für sich allein schon als Bildmarke
62
(306 73 949) seit 14. Mai 2007 eingetragen ist, so dass von einer Schutzfähigkeit der bildlichen Ausgestaltung als solcher ausgegangen werden muss. Es mag sich zwar lediglich um eine Platzhaltermarke handeln, was dem DPMA zweifellos erkennbar sein musste, dennoch kam es zu ihrer Eintragung. Eine Schutzfähigkeit nunmehr zu verneinen, bleibt allein dem Verfahren nach § 50 MarkenG vorbehalten. Dieser grafischen Gestaltung kann daher innerhalb des angemeldeten Gesamtzeichens jedenfalls zum heutigen Zeitpunkt nicht jegliche Unterscheidungskraft abgesprochen und sie nur als werbemäßig angesehen werden. Abgesehen davon tritt sie auch durch die -nicht sachbezogenen – Wortbestandteile nicht vollkommen in den Hintergrund, sondern ist zumindest als gleichwertig anzusehen (siehe oben unter bbb).
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eee) Eine andere Beurteilung folgt auch nicht daraus, dass die angesprochenen Verkehrskreise in dem angegriffenen Zeichen neben dem Herkunftshinweis auch gleichzeitig eine Werbebotschaft für die damit gekennzeichneten beschwerdegegenständlichen Dienstleistungen erkennen. Denn zum einen schließen sich die Identifizierungsfunktion der Marke einerseits und die Werbewirkung andererseits nicht aus, zum anderen steht der anpreisende Charakter des angegriffenen Zeichens nicht derart im Vordergrund, dass der Verkehr ihm nicht mehr einen Herkunftshinweis entnehmen kann (EuGH a. a. O. Rdnr. 44 und 45 – Vorsprung durch Technik; BGH a. a. O. Rdnr. 28 – My World). Die betriebliche Herkunftshinweiswirkung der Marken aus der “Volks”-Markenfamilie ergibt sich für das Publikum insbesondere aus folgenden Faktoren, die zum Teil kumulativ auftreten:
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– Die Bewerbung der “Volks-Aktionen” durch prominente Testpersonen, wie beispielsweise die “Volks-Farbe” durch Fußball-Weltmeister Andy Brehme, der “Volks-Wanderschuh” durch Biathlon-Olympiasiegerin Uschi Disl, das “Volks-Los” durch TV-Moderator Frank Elstner, der “Volks-Rasierer” durch Ex-Tennisprofi Carl-Uwe Steeb, die “Volks-Arznei” durch die Skisportlegenden Rosi Mittermaier und Christian Neureuther, das “Volks-Frühstück” durch Fußball-Weltmeister Karl-Heinz Riedle und die “Volks-Fernbedienung” durch TV-Moderator Hendrik Hey. Hieraus entnimmt der Verkehr einen Qualitätshinweis, da die Prominenten das Produkt laut den Anzeigen getestet haben und hiervon überzeugt (“begeistert”) sind.
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– Ein günstiger (Aktions-)Preis, wie beispielsweise das “Volks-Profispray” zum “Aktionspreis: 5,49 €”, die “Volks-Fernbedienung” zum “Aktionspreis: 24,99 €”, der “Volks-Wanderschuh” für “nur 79,75 €”, der “Volks-Rasierer” als “unschlagbares Ass zum fairen Preis von nur 99,00 €”; das “Volks-Telefon” als “Höchstkomfort zum Niedrigpreis … nur 59,99 €”, die “Volks-Zahnbürste” für “€ 29,99 statt € 44,99”, das “Volks-Sandwich nur für kurze Zeit zum Probierpreis 2,22 €” das “Volks-Notebook” für “nur 449 €”.
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– Eine Zugabe zum eigentlichen Produkt bzw. eine Sonderabgabegröße, wie z. B. bei der “Volks-Farbe”, bei der es zu jedem 750 ml Aktionsgebinde eine Magnetfahne fürs Auto gratis dazu gibt, beim “Volks-Profispray” mit 300 ml Inhalt “+ 30 ml EXTRA”, bei der “Volks-Versicherung”, bei der es beim Beratungsgespräch einen MP4-Player gratis gibt, beim “Volks-Menü” mit “+ 1 von 4 Design-Gläsern nach Wahl”, bei der “Volks-Arznei … mit den besonderen Extras: Kräutertee + Honig + Honig-Löffel” bzw. “nur jetzt mit dem gratis Designer-Teeglas”, oder beim “Volks-Notebook”, bei dessen Kauf man eine Notebook-Tasche oder einen Rucksack zum “einmaligen Vorzugspreis von jeweils nur 29,90 €” erhält.
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– Besondere Ausstattungsmerkmale bzw. Leistungsinhalte, wie die “Volks-Versicherung” mit “mehr Sicherheit dank 110%iger Beitragsgarantie”, das “Volks-Los” mit “zusätzlichen Gewinnchancen für alle”, das “Volks-Telefon … jetzt mit dem neuen KX-TG7521”, das “neue Volks-Sandwich” mit “der Extraportion Vollkorn-Geschmack”, das “Volks-Frühstück” mit “SuperSnack und Kaffee” oder das “Volks-Notebook”, bei dem der Kunde ohne Aufpreis aus acht verschiedenen Abdeckungen wählen kann.
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– Der jeweils gut sichtbare Hinweis in den Anzeigen und auf den Waren, dass es sich um “Eine gemeinsame Volks-Aktion von … (dem jeweiligen Kooperationspartner und) Bild.de” handelt (vgl. zu den obigen Ausführungen insgesamt die Anzeigen zu verschiedenen Volks-Aktionen, Bl. 152 – 169 und Bl. 218 – 235  GA 29 W (pat) 195/10, sowie die Pressestimmen zu den Volks-Produkten S. 13, 17, 18, 20, 24, 28, 30, 32, 34, 36, 38, 58, Anlage zum o. g. Protokoll, Bl. 175 GA 29 W (pat) 195/10).
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Die o. g. Faktoren vermitteln dem angesprochenen Publikum den Eindruck, dass die jeweiligen Produkte nicht lediglich von dem hinter Bild.de stehenden Unternehmen werbemäßig empfohlen werden, sondern dieses vielmehr auch Einfluss auf deren Auswahl und Besonderheiten hat verbunden mit der Botschaft, dass es das jeweilige Produkt nur im Rahmen seiner Volks-Aktionen zu diesem Preis bzw. mit den besonderen Dreingaben und/oder Ausstattungsmerkmalen gibt. Damit verfügen die Zeichen der “Volks”-Markenserie über die Eignung, die damit gekennzeichneten Produkte als solche eines bestimmten Unternehmens zu individualisieren.
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fff) Darüber hinaus ist auch bei den zur Kennzeichnung der beanspruchten Dienstleistungen praktisch bedeutsamen und naheliegenden Verwendungsmöglichkeiten der angegriffenen Marke auf Gegenständen, die bei der Erbringung der fraglichen Dienstleistungen zum Einsatz gelangen, wie insbesondere auf der Berufskleidung, auf Geschäftsbriefen und -papieren, Prospekten, Preislisten, Rechnungen, Ankündigungen und Werbedrucksachen, anzunehmen, dass der angesprochene Verkehr das Zeichen ohne weiteres als Marke versteht (BGH GRUR 2010, 825 Rdnr. 21 f. – Marlene-Dietrich-Bildnis II).
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c) Im Hinblick auf die fehlende Eignung der Wortverbindung “Volksinspektion” zur unmittelbaren Beschreibung der beanspruchten Dienstleistungen sowie die unterscheidungskräftige grafische Gestaltung unterliegt die angegriffene Marke auch keinem Freihaltebedürfnis nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG. Denn es wird nicht der Schutz für eine zeichenmäßige Verwendung der Wörter “Volks” und “Inspektion” in jedweder Form, sondern nur in der gegebenen grafischen Gestaltung gewährt. Diese bestimmt und beschränkt zugleich den Schutzbereich der beanspruchten Bezeichnung (vgl. BGH a. a. O. – NEW MAN).


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