Patent- und Markenrecht

Markenbeschwerdeverfahren – “Vineyard Weinhandel/Weinbar” – Freihaltungsbedürfnis – keine Unterscheidungskraft – religiöse Anstößigkeit

Aktenzeichen  27 W (pat) 559/11

Datum:
26.6.2012
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG
§ 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG
§ 8 Abs 2 Nr 5 MarkenG
Spruchkörper:
27. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Markenanmeldung
30 2010 045 975
hat der 27. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts am 26. Juni 2012 durch Vorsitzenden Richter Dr. Albrecht, Richter Kruppa und Richterin Werner
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Für die Dienstleistungen
2
“Einzelhandels- und Großhandelsdienstleistung für Wein, Weinzubehör und Speisen; Verpflegung von Gästen”
3
ist die Wortmarke 30 2010 045 975
4
Vineyard Weinhandel / Weinbar
5
angemeldet.
6
Die Markenstelle hat die Anmeldung mit Beschluss vom 12. Juli 2011 wegen fehlender Unterscheidungskraft gemäß § 37 Abs. 1, § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG zurückgewiesen.
7
Das ist damit begründet, im Zusammenhang mit gastronomischen Dienstleistungen sei “vineyard” als englisches Adäquat für “Weinberg” zu verstehen. Dabei sei es aus markenrechtlicher Sicht ohne Belang, ob die Verwendung des englischsprachigen Begriffs im Deutschen für “Weingarten”, “Rebberg”, “Weingut” oder “Weinberg” stehe, die letztlich alle auf einen Wein erzeugenden Betrieb verwiesen. Somit lägen, auch wenn der Begriff “Vineyard” in unterschiedlicher Weise interpretiert werde, immer nur verschiedene Facetten desselben Sinngehalts vor, ohne dass dies mehrdeutig von dem beschreibenden Sinn wegführe.
8
Auch die von der Anmelderin vorrangig gesehene Bedeutung von “vineyard” als Religionsgemeinschaft helfe nicht, den Mangel an Unterscheidungskraft zu beheben. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung sei nicht davon auszugehen, dass die Benennung “Vineyard” für eine kaum mehr als 65 Gemeinden umfassende Religionsgemeinschaft bekannter sein solle als der im Englischwörterbuch nachweisbare Hinweis auf eine weinbaulich genutzte Fläche. Im Zusammenhang mit den beanspruchten Dienstleistungen sei ein Verständnis im Sinne von “Religionsgemeinschaft” auszuschließen.
9
Es könne dahingestellt bleiben, ob “Vineyard Weinhandel / Weinbar” auch als freizuhaltende Angabe für die beanspruchten Dienstleistungen in Betracht komme (§ 8 Absatz 2 Nr. 2 MarkenG).
10
Die Anmelderin hat dagegen Beschwerde eingelegt und diese damit begründet, “Vineyard” sei kein bekanntes Wort; “yard” wirke als Maßeinheit und führe von der Bedeutung “Weinberg” weg. Auch “vine” kenne der deutsche Verbraucher nicht als “Wein”, weil er dafür “wine” kenne. Im Internet fänden die Verbraucher bei einer Suche nach “Vineyard” sehr wohl zu der Religionsgemeinschaft, von der es auch in Hamburg schon drei Gemeinden gebe. Heutzutage gehe die Suche im Internet dem Nachschlagen in Wörterbüchern vor.
11
Sie beantragt sinngemäß,
12
den Beschluss der Markenstelle aufzuheben und die Marke einzutragen.
13
Der Senat hat die Anmelderin darauf hingewiesen, dass bei einem Verständnis von “vineyard” als Name einer Glaubensgemeinschaft § 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG zum Tragen kommen könnte. Dazu hat die Anmelderin ausgeführt, der Bedeutungsgehalt “Glaubensgemeinschaft” zeige lediglich, dass die von der Markenstelle angenommene Verkehrsanschauung nicht bestehe.
II.
14
Die zulässige Beschwerde, über die, nachdem die Anmelderin keine mündliche Verhandlung beantragt hat und auch der Senat eine solche für entbehrlich erachtet, ohne eine solche entschieden werden kann, hat in der Sache keinen Erfolg.
1)
15
Einer Registrierung der angemeldeten Wortfolge steht jedenfalls § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG entgegen.
16
Diese Vorschrift verbietet es, Zeichen als Marken einzutragen, die ausschließlich aus Teilen bestehen, welche zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit oder zur Bezeichnung sonstiger Merkmale der Dienstleistungen dienen können, unabhängig davon, ob und inwieweit sie bereits bekannt sind oder verwendet werden (vgl. Ströbele, FS für Ullmann, S. 425, 428).
17
Der Ausschluss solcher zur Beschreibung geeigneter Zeichen oder Angaben dient dazu, dass sie jedermann frei verwenden kann. Es ist daher nicht erlaubt, solche Zeichen oder Angaben durch ihre Eintragung als Marke einem einzigen Unternehmen vorzubehalten (vgl. EuGH GRUR 1999, 723, Rn. 25 – Windsurfing Chiemsee; GRUR Int. 2003, 632, Rn. 73 – Linde).
18
In dem angemeldeten Zeichen bezeichnen “Weinhandel” und “Weinbar” die Branche, in der die Marke zum Einsatz kommen soll, bzw. den Ort der Erbringung der beanspruchten Dienstleistungen.
19
Allein “Vineyard” könnte daher Markenschutz begründen. Die Markenstelle hat dafür aber Bedeutungen, “Weingarten”, “Rebberg”, “Weingut” und “Weinberg”, ermittelt, die im Kontext mit “Weinhandel / Weinbar” und im Zusammenhang mit den beanspruchten Dienstleistungen auch zu erwarten sind. Ob daneben andere Bedeutungen denkbar sind, die von einer beschreibenden Aussage wegführen, ist im Rahmen der Prüfung nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG ohne Belang.
2)
20
In diesen Zusammenhängen fehlt dem angemeldeten Zeichen nach Auffassung des Senats auch die Unterscheidungskraft, da Kontext und beanspruchte Dienstleistungen zu einem Verständnis führen, bei dem “Vine” als “Wein” wirkt und “vineyard” als ein damit jedenfalls zusammenhängender Begriff. Auch die Verbraucher, die die genaue Bedeutung nicht kennen, werden “vineyard” jedenfalls nicht als Unterscheidungsmittel verstehen, sondern als Fachbegriff dem Bereich Wein zuordnen.
21
Davon führt die im Zusammenhang mit “Weinhandel / Weinbar” wohl kaum zu erwartende Bedeutung “Religionsgemeinschaft” nicht weg, weil sie zu unbekannt ist.
3)
22
Soweit allerdings die Religionsgemeinschaft “Vineyard” bekannt ist, stünde dem angemeldeten Zeichen auch das Schutzhindernis des § 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG entgegen. Schon die Kommerzialisierung solcher Bezeichnungen durch Erteilung einer Marke als einem Ausschlussrecht im Geschäftsverkehr widerspricht den religiösen oder ethischen Wertvorstellungen beachtlicher Teile des angesprochenen inländischen Publikums und wird als anstößig empfunden. Erst recht verstößt es gegen die guten Sitten, den Namen einer Religionsgemeinschaft für einen Handelsbetrieb und für eine Weinbar zu verwenden.
23
Ob eine Marke religiös anstößig im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 5 Alt. 2 MarkenG ist, beurteilt sich unter Beachtung des durch Art. 4 Abs. 2 GG gewährleisteten Grundrechts auf Religionsausübungsfreiheit. Dieses Grundrecht wirkt nämlich in wertausfüllungsfähige und wertausfüllungsbedürftige Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe ein (Herzog, in Maunz-Düring, Grundgesetz-Kommentar, 2011, Art. 4 Rn. 71). Aus diesen Erwägungen ergibt sich die staatliche Verpflichtung, in Deutschland praktizierende Gläubige – gleich welcher Glaubensrichtung – vor das religiöse Empfinden beeinträchtigenden Markenregistrierungen auch dann zu schützen, wenn diese Gruppen keine Mehrheit innerhalb des maßgeblichen Publikums repräsentieren (BPatG, GRUR-RR 2012, 8 – 10 – Dakini; Beschluss vom 17. Januar 2007, 28 W (pat) 66/06, BeckRS 2007, 11446 – Buddha). Die Tolerierung und Achtung fremder Religionen ist – ungeachtet der in der Gesellschaft zu beobachtenden Tendenz zur Lockerung religiöser Bindungen (BPatG Mitt. 1988, 75 – espirito santo) – ein nach wie vor selbstverständliches und unabdingbares Gebot, mithin Grundvoraussetzung für das gedeihliche Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft. Viele Menschen, die selbst ohne feste weltanschauliche oder religiöse Bindung sind, respektieren die Haltung ihrer gläubigen Mitbürger; auch deshalb genießen die religiösen Vorstellungen selbst von Minderheiten Schutz (BPatG BlPMZ 1987, 133 – Coran). Auf die Sichtweise einer rein rechnerischen Mehrzahl der angesprochenen Verbraucher kommt es deshalb für die Feststellung einer religiösen Anstößigkeit bei der Auslegung von § 8 Abs. 2 Nr. 5 MarkenG nicht an.
24
Ausgehend von diesen Grundsätzen erweist sich die angegriffene Marke als religiös anstößig.
25
Dass religiöse Begriffe im Zusammenhang mit Wein seit langem verwendet werden (Altärchen, Frühmesse etc.), entspricht einer Tradition, die das Publikum an eine solche Verwendung so gewöhnt hat, dass es daran keinen Anstoß nimmt. Für die Bezeichnung von Glaubensgemeinschaften lässt sich eine solche Tradition und Gewöhnung jedoch nicht feststellen.
26
4) Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sieht der Senat keine Veranlassung, da die Entscheidung des Senats hinsichtlich § 8 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 MarkenG eine einzelfallbezogene Anwendung höchstrichterlich geklärter Beurteilungsgrundsätze ist.


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