Patent- und Markenrecht

Patentbeschwerdeverfahren – “Computerprogramm für ophtalmologische Eingriffe” – zur Patentfähigkeit  – kein Computerprogramm – patentierbare technische Lehre

Aktenzeichen  21 W (pat) 46/07

Datum:
15.7.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
Normen:
§ 1 Abs 3 Nr 3 PatG
§ 1 Abs 4 PatG
Spruchkörper:
21. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache
betreffend die Patentanmeldung 10 2004 033 819.1-55

hat der 21. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 15. Juli 2010 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Dipl.-Phys. Dr. Winterfeldt sowie der Richter Baumgärtner, Dipl.-Ing. Bernhart und Dipl.-Ing. Veit
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse A 61 F des Deutschen Patent- und Markenamts vom 9. Oktober 2007 aufgehoben und das Patent DE 10 2004 033 819 erteilt.
Bezeichnung: Verfahren zum Erzeugen von Steuerdaten eines Lasersystems für ophthalmologische Eingriffe
Anmeldetag: 13. Juli 2004
Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zugrunde:
Patentansprüche 1 bis 15, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 15. Juli 2010;
Beschreibung, Seiten 1 bis 16, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 15. Juli 2010;
9 Blatt Zeichnungen Figuren 1 bis 10, gemäß Offenlegungsschrift.

Gründe

I
1
Die Patentanmeldung wurde am 13. Juli 2004 mit der Bezeichnung “Computerprogramm für ophthalmologische Eingriffe” beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht. Die Offenlegung erfolgte am 9. Februar 2006.
2
Im Prüfungsverfahren sind die Druckschriften
3
D1 WO 02/07660 A2 und
4
D2 DE 100 14 480 A1
5
in Betracht gezogen worden.
6
In der Beschreibung der Patentanmeldung sind noch die Druckschriften
7
D3 WO 01/85075 A1
8
D4 MANNS F. et. al.: Ablation profiles for wavefront-guided correction of myopia and primary spherical aberration. In: Journal of Cataract and Refractive Surgery, Vol. 28, Mai 2002, Seiten 766 – 774 und
9
D5 HUANG D. et. al.: Mathematical Model of Corneal Surface Smoothing After Laser Refractive Surgery. In: American Journal of Ophthalmology, Vol. 135, No. 3, März 2003, Seiten 267 – 278
10
genannt.
11
Die Prüfungsstelle für Klasse A 61 F hat die Anmeldung mit Beschluss vom 9. Oktober 2007 zurückgewiesen. Der Zurückweisung lagen die am 18. September 2007 eingereichten Patentansprüche 1 bis 18 zugrunde. Zur Begründung ist in dem Beschluss ausgeführt, dass der auf ein Verfahren zum Erzeugen eines Computerprogramms gerichtete Patentanspruch 1 keinen technischen Vorgang beschreibe und daher auch nicht Grundlage für die Erteilung eines Patents sein könne. Des Weiteren gelte das mit dem gemäß Anspruch 1 erzeugten Computerprogramm ausführbare Verfahren gemäß § 5 Abs. 2 PatG nicht als gewerblich anwendbare Erfindung, weil es ein Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen Körpers sei. Schließlich gelange der Fachmann in Anbetracht der Druckschriften D1 und D2 auch auf naheliegende Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1.
12
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Anmelderin, die in der mündlichen Verhandlung neue Patentansprüche 1 bis 15 eingereicht hat, mit denen sie ihre Anmeldung weiter verfolgt.
13
Patentanspruch 1 lautet danach wie folgt (Merkmalsgliederung hinzugefügt):
14
M1 Verfahren zum Bestimmen eines Veränderungsprofils für die refraktive Augenchirurgie und zum Erzeugen von Steuerdaten eines Lasersystems, dessen emittierte Strahlung einen chirurgischen Eingriff bewirkt, mit folgenden Schritten:
15
M2 – Eingabe von Daten durch einen Benutzer,
16
M3 – Aufnahme von Messdaten bezüglich des zu behandelnden Auges,
17
M4 – Generieren eines Veränderungsprofils auf Basis der eingegebenen Daten und Messdaten,
18
M5 – Generieren von Steuerdaten auf Basis des Veränderungsprofils zum Steuern der Laserstrahlung,
19
M6 – Simulieren eines Behandlungsergebnisses mit den Steuerdaten aufgrund des genannten Veränderungsprofils,
20
M7 – Bewerten des genannten Behandlungsergebnisses unter Anwendung vorgegebener Kriterien,
21
M8 – im Falle einer negativen Bewertung iteratives Generieren eines anderen Veränderungsprofils auf Basis anderer Daten oder iteratives Generieren anderer Steuerdaten zum Steuern der Laserstrahlung, und
22
M9 – Übergeben der Steuerdaten an eine Steuerung des Lasersystems im Falle einer positiven Bewertung bei der Bewertung des genannten Behandlungsergebnisses.
23
Der nebengeordnete Patentanspruch 4 lautet (Merkmalsgliederung hinzugefügt):
24
N1 Verfahren zum Erzeugen von Steuerdaten, gemäß denen mit Laserstrahlung ein ophthalmologischer Eingriff durchgeführt wird, mit zumindest folgenden Schritten:
25
N2 (a) Erzeugen eines individualisierten Augenmodells unter Verwendung patientenbezogener Daten, insbesondere der Ausgangsform der Hornhaut,
26
N3 (b) Bestimmen einer anzustrebenden Referenzhornhautform mittels iterativer dreidimensionaler inverser Strahl-Rückverfolgung an dem Augenmodell,
27
N4 (c) Bestimmen der Differenz zwischen der Referenzhornhautform und der Ausgangsform zur Gewinnung eines Ausgangsbearbeitungsprofils,
28
N5 (d) Ableiten von Steuerdaten zum Steuern der Laserstrahlung, insbesondere Positionsdaten für die Orte der Wechselwirkung zwischen der Laserstrahlung und der Hornhaut,
29
N6 (e) Simulieren der Wechselwirkung zwischen gemäß den Steuerdaten gesteuerter Laserstrahlung und der Hornhaut unter Zugrundelegung des individualisierten Augenmodells, um unter Abarbeitung des Ausgangsbearbeitungsprofils eine simulierte Hornhautform zu erhalten,
30
N7 (f) Vergleichen der simulierten Hornhautform mit der Referenzhornhautform unter Anwendung vorgegebener Kriterien zur Bestimmung, ob ein Unterschied zwischen der simulierten Hornhautform und der Referenzform innerhalb oder außerhalb einer vorgegebenen Toleranz liegt, und
31
N8 (g) iteratives Wiederholen der Schritte (d) bis (f) mit geänderten Steuerdaten bis der Vergleich einen Unterschied innerhalb der Toleranz ergibt.
32
Der nebengeordnete Patentanspruch 8 lautet (Merkmalsgliederung hinzugefügt):
33
N1’ Verfahren zum Erzeugen von Steuerdaten, gemäß denen mit Laserstrahlung ein ophthalmologischer Eingriff an einer Augenlinse durchgeführt wird, mit zumindest folgenden Schritten:
34
N2’ (a) Erzeugen eines individualisierten Augenmodells unter Verwendung patientenbezogener Daten, insbesondere der Ausgangsform der Augenlinse,
35
N3’ (b) Bestimmen einer anzustrebenden Referenzlinsenform mittels iterativer dreidimensionaler inverser Strahl-Rückverfolgung an dem Augenmodell,
36
N4’ (c) Bestimmen der Differenz zwischen der Referenzlinsenform und der Ausgangsform zur Gewinnung eines Ausgangsbearbeitungsprofils,
37
N5’ (d) Ableiten von Steuerdaten zum Steuern der Laserstrahlung, insbesondere Positionsdaten für die Orte der Wechselwirkung zwischen der Laserstrahlung und der Augenlinse,
38
N6’ (e) Simulieren der Wechselwirkung zwischen gemäß den Steuerdaten gesteuerter Laserstrahlung und der Augenlinse unter Zugrundelegung des individualisierten Augenmodells, um unter Abarbeitung des Ausgangsbearbeitungsprofils eine simulierte Augenlinsenform zu erhalten,
39
N7’ (f) Vergleichen der simulierten Augenlinsenform mit der Referenzlinsenform unter Anwendung vorgegebener Kriterien zur Bestimmung, ob ein Unterschied zwischen der simulierten Augenlinsenform und der Referenzlinsenform innerhalb oder außerhalb einer vorgegebenen Toleranz liegt, und
40
N8 (g) iteratives Wiederholen der Schritte (d) bis (f) mit geänderten Steuerdaten bis der Vergleich einen Unterschied innerhalb der Toleranz ergibt.
41
Der nebengeordnete Patentanspruch 12 lautet (Merkmalsgliederung hinzugefügt):
42
N1’’ Verfahren zum Erzeugen von Steuerdaten, gemäß denen mit einer Lichtquelle ein Eingriff an einer künstlichen Augenlinse durchgeführt wird, mit zumindest folgenden Schritten:
43
N2’’ (a) Erzeugen eines individualisierten Augenmodells unter Verwendung patientenbezogener Daten, insbesondere der Ausgangsform und der Brechungsindexverteilung der künstlichen Augenlinse,
44
N3’’ (b) Bestimmen einer anzustrebenden Referenzlinse (Form und Brechungsindexverteilung) mittels iterativer dreidimensionaler inverser Strahl-Rückverfolgung an dem Augenmodell,
45
N4’’ (c) Bestimmen der Differenz zwischen der Referenzlinse (Form und Brechungsindexverteilung) und der Ausgangslinse (Form und Brechungsindexverteilung) zur Gewinnung eines Ausgangsbearbeitungsprofils,
46
N5’’ (d) Ableiten von Steuerdaten zum Steuern der Lichtquelle, insbesondere der Positionsdaten für die Orte der Wechselwirkung zwischen der Lichtstrahlung und der künstlichen Augenlinse,
47
N6’’ (e) Simulieren der Wechselwirkung zwischen gemäß den Steuerdaten gesteuerter Lichtstrahlung und der künstlichen Augenlinse unter Zugrundelegung des individualisierten Augenmodells, um unter Abarbeitung des Ausgangsbearbeitungsprofils eine simulierte Augenlinse (Form und Brechungsindexverteilung) zu erhalten,
48
N7’’ (f) Vergleichen der simulierten Augenlinse (Form und Brechungsindexverteilung) mit der Referenzlinse (Form und Brechungsindexverteilung) unter Anwendung vorgegebener Kriterien zur Bestimmung, ob ein Unterschied zwischen der simulierten Augenlinse und der Referenzlinse innerhalb oder außerhalb einer vorgegebenen Toleranz liegt, und
49
N8 (g) iteratives Wiederholen der Schritte (d) bis (f) mit geänderten Steuerdaten bis der Vergleich einen Unterschied innerhalb der Toleranz ergibt.
50
Hinsichtlich der geltenden Unteransprüche 2 und 3, 5 bis 7, 9 bis 11 und 13 bis 15 wird auf die Anlage zum Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
51
Die Anmelderin beantragt,
52
den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse A 61 F des Deutschen Patent- und Markenamts vom 9. Oktober 2007 aufzuheben und das Patent DE 10 2004 033 819 zu erteilen mit den Patentansprüchen 1 bis 15 und der Beschreibung, Seiten 1 bis 16, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 15. Juli 2010, sowie mit der Zeichnung, Figuren 1 bis 10, gemäß Offenlegungsschrift.
53
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
II
54
Die Beschwerde ist zulässig und hat mit den vorgenommenen Änderungen und nach Neufassung der Patentansprüche auch insoweit Erfolg, als sie zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Erteilung des Patentes führt. Die beanspruchten Verfahren unterliegen nicht den Patentierungsausschlüssen nach § 1 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 PatG oder § 5 Abs. 2 PatG a. F. (§ 2a Abs. 1 Nr. 2 PatG). Die Verfahren nach den geltenden nebengeordneten Patentansprüchen 1, 4, 8 und 12 sind gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik neu und beruhen diesem gegenüber auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
55
1. Die geltenden Patentansprüche 1 bis 15 sind zulässig, denn sie sind in den am Anmeldetag eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart.
56
Der geltende Patentanspruch 1 gründet auf dem ursprünglichen Anspruch 1 und ist nunmehr auf ein Verfahren gerichtet. Die in ihm angegebenen Merkmale entsprechen den Schritten des Verfahrens, das ausgeführt wird, wenn das Computerprogramm nach dem ursprünglichen Anspruch 1 bestimmungsgemäß auf einem Rechner abläuft. Das Verfahren nach dem neuen Patentanspruch 1 ist daher durch die ursprüngliche Offenbarung gedeckt.
57
Die auf das Verfahren nach Patentanspruch 1 rückbezogenen geltenden Unteransprüche 2 und 3 entsprechen inhaltlich den ursprünglichen Ansprüchen 2 und 3.
58
Die geltenden nebengeordneten Patentansprüche 4, 8 und 12 sind unter Änderung des Begriffes “Steuerprogramm” in “Steuerdaten” in der Bezeichnung aus den ursprünglichen Ansprüchen 4, 8 und 12 hervorgegangen.
59
Die geltenden Unteransprüche 5 bis 7, 9 bis 11 und 13 bis 15 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 5 bis 7, 9 bis 11 und 13 bis 15.
60
2. Die Erfindung betrifft nach der geltenden Bezeichnung ein Verfahren zum Erzeugen von Steuerdaten eines Lasersystems für ophthalmologische Eingriffe.
61
Gemäß der Beschreibung der Anmeldung ist es Stand der Technik, chirurgische Eingriffe zur Korrektur von Fehlsichtigkeiten mit Laserstrahlung durchzuführen, die mit Teilen des Auges (bspw. der Hornhaut) in Wechselwirkung tritt, um dessen optische Eigenschaften zu ändern (vgl. Offenlegungsschrift, Abs. [0002]). Auch sei es bekannt, eine künstliche Augenlinse in das Auge zu implantieren, deren Form und optische Wirkung nach der Implantation durch Lichteinwirkung (bspw. UV-Licht) verändert werden können (Abs. [0003]).
62
Auf Basis von klinischen Daten (bspw. zur Fehlsichtigkeit) und theoretischen Augenmodellen werde die zu erzielende Formänderung an den optischen Strukturen des Auges berechnet. Aus der Differenz zwischen der präoperativen Form und der gewünschten theoretischen postoperativen Form der zu bearbeitenden Augenstruktur ließen sich Behandlungsprofile bzw. Veränderungsprofile ableiten (bspw. das abzutragende Hornhautvolumen), gemäß denen der Laser gesteuert werde (Abs. [0004]).
63
Es sei auch bekannt, aufgrund von Annahmen über den von jedem Laserschuss bewirkten Gewebeabtrag, ein Steuerprogramm in Raum und Zeit für die Laserpulse zu erstellen. Hierbei würden auch empirisch erfasste Einflussfaktoren, wie bspw. die Wundheilung, berücksichtigt. Die Position (x, y, z) der einzelnen Laserpulse werde in der Regel in Bezug auf eine Referenzachse (bspw. die Sichtlinie) berechnet (Abs. [0005] bis [0008]).
64
Aus der WO 01/85075 A1 ( D3 ) sei es bekannt, bei der Bestimmung von Ablationsprofilen zur Lasersteuerung verschieden Einflussfaktoren, wie bspw. Reflexionsverluste beim Abtrag oder unterschiedliche Abtragwirkung der Laserpulse durch unterschiedliche Auftreffwinkel auf die Hornhautoberfläche, zu berücksichtigen (Abs. [0009]).
65
Die bekannten Techniken seien insofern verbesserungsfähig, als sie in aller Regel nicht patientenspezifisch seien, sondern auf statistisch gewonnenen postoperativen klinischen Ergebnissen beruhten, und bei der Profilberechnung Annahmen und Vereinfachungen zugrunde gelegt würden (Abs. [0010] u. [0011]).
66
3. Aufgabe der Erfindung ist es daher, Verfahren zum Erzeugen von Steuerdaten eines Lasersystems bereitzustellen, aufgrund derer verbesserte ophthalmologische Behandlungsergebnisse erzielt werden können (vgl. geltende Beschreibungseinleitung).
67
4. Zur Lösung dieser Aufgabe wird gemäß den beanspruchten Verfahren eine iterative Simulation einer augenchirurgischen Behandlung mit einem Lasersystem auf einem Rechner durchgeführt. Im Rahmen dieser Simulation werden Steuerdaten eines Lasersystems für einen nachfolgenden chirurgischen Eingriff erzeugt.
68
Den Verfahren nach den geltenden selbständigen Patentansprüchen 1, 4, 8 und 12 stehen patenthindernde Gründe nicht entgegen. Die weiteren Unteransprüche betreffen vorteilhafte Ausgestaltungen der beanspruchten Verfahren und auch die übrigen Unterlagen erfüllen insgesamt die gesetzlichen Anforderungen.
69
4.1. Mit den Verfahren nach den Patentansprüchen 1, 4, 8 und 12 werden keine Computerprogramme als solche i. S. v. § 1 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 PatG beansprucht.
70
Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss eine Anmeldung, die ein Computerprogramm oder ein durch ein Datenverarbeitungsprogramm verwirklichtes Verfahren zum Gegenstand hat, über die für die Patentfähigkeit unabdingbare Technizität hinaus verfahrensbestimmende Anweisungen enthalten, die die Lösung eines konkreten technischen Problems mit technischen Mitteln zum Gegenstand haben (BGH GRUR 2010, 613 ff. – Dynamische Dokumentengenerierung, m. w. N.). Wegen des Patentierungsausschlusses für Computerprogramme als solche (§ 1 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 4 PatG) vermögen regelmäßig erst solche Anweisungen die Patentfähigkeit eines Verfahrens zu begründen, die eine Problemlösung mit derartigen Mitteln zum Gegenstand haben. Nicht der Einsatz eines Computerprogramms selbst, sondern die Lösung eines technischen Problems mit Hilfe eines (programmierten) Rechners kann vor dem Hintergrund des Patentierungsverbotes eine Patentfähigkeit zur Folge haben (vgl. a. a. O.).
71
Diese Voraussetzungen sind bei der vorliegenden Anmeldung erfüllt:
72
Ihr liegt objektiv das Problem zugrunde, Steuerdaten für ein Lasersystem zu erzeugen, mit dem ein augenchirurgischer Eingriff durchgeführt werden kann. Dies ist eine konkrete technische Problemstellung.
73
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt eine Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln auch dann vor, wenn der Ablauf eines Datenverarbeitungsprogramms, das zur Lösung des Problems eingesetzt wird, durch technische Gegebenheiten außerhalb der Datenverarbeitungsanlage bestimmt wird (vgl. a. a. O., Tz. 27). Dies ist hier der Fall. Der Ablauf der beanspruchten Verfahren wird durch die technischen Parameter des Lasersystems bestimmt (bspw. Energie der Laserstrahlung; Intensitätsverteilung im Laserstrahl; Laserpulsdauer), die als Daten eingegeben (vgl. Figur 4: “Kalibrierung/Fluence”) oder als Messdaten aufgenommen (vgl. geltender Anspruch 3) werden können und die beim Generieren bzw. Ableiten der Steuerdaten und der anschließenden Simulation des Behandlungsergebnisses bzw. der Wechselwirkung der Laserstrahlung mit dem Auge berücksichtigt werden müssen, bestimmt. Damit erfolgt die Lösung des o. g. technischen Problems mit technischen Mitteln.
74
4.2. Die Patentansprüche 1, 4, 8 und 12 sind nicht auf ein Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers gerichtet, so dass sie nicht unter das Patentierungsverbot § 5 Abs. 2 PatG a. F. (= § 2a Abs. 1 Nr. 2 PatG) fallen.
75
Die beanspruchten Verfahren haben nur die Simulation einer augenchirurgischen Behandlung mit einem Lasersystem zum Gegenstand, um Steuerdaten für das Lasersystem zu erzeugen. Diese Simulation ist der eigentlichen chirurgischen Behandlung vorgelagert . Die Verfahren enden mit der Übergabe der Steuerdaten an das Lasersystem (Merkmal M9 im Anspruch 1) bzw. mit dem Erhalten der endgültigen Steuerdaten bei Erreichen des Iterationszieles (Merkmal N8 in den Ansprüchen 4, 8 und 12):
76
In der Beschreibung der Patentanmeldung ist zwar als weitere Möglichkeit auch die Berücksichtigung von Messungen am Auge (vgl. Offenlegungsschrift, Abs. [0032]) bzw. der momentanen Parameter (bspw. Energie, Strahlpositionierung) des Lasersystems (Fig. 2 i. V. m. Abs. [0044]) während des chirurgischen Eingriffs genannt, um während der tatsächlichen Behandlung die Steuerdaten für den Laser anzupassen. Der Wortlaut der geltenden Patentansprüche bringt jedoch klar zum Ausdruck, dass nur das simulierte und nicht das tatsächliche Behandlungsergebnis bewertet bzw. mit dem gewünschten theoretischen Behandlungsergebnis verglichen werden soll. So ist im geltenden Patentanspruch 1 als letzter Verfahrensschritt (Merkmal M9 ) angegeben, dass die Steuerdaten an das Lasersystem im Falle eine positiven Bewertung des (zuvor) genannten Behandlungsergebnisses, also des in den vorhergehenden Schritten (Merkmale M6 und M7 ) simulierten und bewerteten Behandlungsergebnisses, übergeben werden sollen.
77
Die Verfahren nach den Patentansprüchen 4, 8 und 12 enden bereits mit dem Erreichen des Iterationsziels (Merkmal N8 ), wenn der Vergleich des in den vorhergehenden Verfahrensschritten simulierten mit dem gewünschten Ergebnis der Laserbehandlung einen Unterschied innerhalb einer vorgegebenen Toleranz ergibt. Somit sind nur die der eigentlichen chirurgischen Behandlung vorgelagerten Simulationsverfahren zum Erzeugen von Steuerdaten eines Lasersystems unter Schutz gestellt, nicht auch die weitere nur in der Beschreibung genannte Möglichkeit (vgl. a. a. O.), während des chirurgischen Eingriffs mit dem Lasersystem die Steuerdaten anzupassen, indem die während des Eingriffs gewonnenen Messdaten berücksichtigt werden. Diese nachgeordnete Anpassung ist somit auch kein zwangsläufig notwendiger Verfahrensschritt bei der Durchführung der beanspruchten Verfahren.
78
4.3. Das Verfahren nach Patentanspruch 1 ist gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik neu. Es wird dem zuständigen Fachmann, einem Medizin-Physiker mit Erfahrung in der Entwicklung von Lasersystemen für die Augenchirurgie und deren Steuerungen, der über medizinisches Wissen auf dem Gebiet der Augenheilkunde verfügt bzw. in ständigem Kontakt mit Augenärzten steht, durch diesen Stand der Technik auch nicht nahe gelegt.
79
4.3.1. Die Druckschrift D1 betrifft ebenso wie der Anmeldungsgegenstand die Verbesserung der Vorhersage von Behandlungsergebnissen bei der refraktiven Augenchirurgie mit einem Laser. Bei dem bekannten Verfahren werden statistische Daten sowie präoperative und postoperative Messungen am Auge berücksichtigt (vgl. Seite 5, Zeile 31 bis Seite 6, Zeile 17 und Seite 28, Zeilen 9 bis 32). Das Veränderungsprofil des zu operierenden Auges (specifications for ablation), d. h. die Darstellung des angestrebten Ziels der Behandlung, und die Steuerdaten für den Laser werden mit Hilfe entsprechender Programme, die auf einem Computersystem ablaufen, bestimmt und modifiziert (vgl. Seite 39, Zeilen 4 bis 8 und Zeilen 20 bis 24 und Seite 40, Zeilen 1 bis 10) [= Merkmal M1 ]. Hierzu werden Daten in das Computersystem eingegeben und Messdaten des zu behandelnden Auges aufgenommen (vgl. Seite 39, Zeilen 12 bis 14 und Seite 40, Zeilen 5 bis 8) [= Merkmale M2 und M3 ]. Auf Basis der eingegebenen Daten und Messdaten wird ein Veränderungsprofil (specifications for ablation) generiert (vgl. Seite 40, Zeilen 9 bis 10), mit dem schließlich die Steuerdaten zum Behandeln des Auges erzeugt werden (vgl. Seite 39, Zeilen 22 bis 24 und Seite 40, Zeilen 14 bis 16) [= Merkmale M4 und M5 ]. Mit Hilfe der aufgenommenen Daten und Messdaten wird vor dem Eingriff das zu erwartende Behandlungsergebnis simuliert (vorhergesagt) (vgl. Seite 6, Zeilen 3 bis 17; Seite 7, Zeilen 25 bis 31 und Seite 28, Zeilen 24 bis 26) [= Merkmal M6 ].
80
Das Verfahren nach Anspruch 1 unterscheidet sich von dem aus der Druckschrift D1 bekannten Verfahren gemäß den Merkmalen M7 bis M9 dadurch, dass das Generieren des Veränderungsprofils und das Erzeugen der Steuerdaten, die schließlich an das Lasersystem übergeben werden, durch eine iterative Simulation der chirurgischen Behandlung mit Steuerdaten und durch Bewerten des simulierten Behandlungsergebnisses nach jeder Iteration, erfolgt; es ist daher neu.
81
Eine Anregung für diese Vorgehensweise kann der Fachmann der Druckschrift D1 nicht entnehmen. Bei dem bekannten Verfahren erfolgt die Vorhersage (Simulation) des Behandlungsergebnisses aufgrund von präoperativen Messdaten und Messdaten nach einer “Störung” der Hornhaut (bspw. durch Abtragen einer Hornhautlamelle (flap)) und unter Berücksichtigung von statistischen Daten, die durch Vergleich der präoperativen Vorhersageergebnisse (Simulation) mit postoperativen Messungen nach Durchführung des Eingriffs gewonnen werden. Das der Vorhersage (Simulation) zugrunde liegende Modell wird auf diese Weise immer weiter verbessert (vgl. Seite 5, Zeile 31 bis Seite 6, Zeile 17 und Seite 28, Zeilen 24 bis 32). Eine iterative Simulation zur Erzeugung von Steuerdaten, wie vorliegend beansprucht, wird jedoch nicht durchgeführt. Zwar ist in der Druckschrift D1 ein “iteratives” Vorgehen bei der praktischen Durchführung der Augenbehandlung mittels Laser erwähnt (vgl. Seite 4, Zeilen 17 bis 27). Dies betrifft jedoch eine Vorgehensweise, bei der lediglich ein auf empirische Annahmen gestütztes Modell verwendet und ohne weitere Berücksichtigung der Biophysik des konkreten Auges eine Behandlung durchgeführt wird. Falls dabei das gewünschte Ergebnis nicht bei einer einmaligen Behandlung erzielt wird, sind bei der Lehre nach der D1 zwangsläufig weitere operative Nachbehandlungen notwendig. Grundsätzlich ist es aber Ziel der ärztlichen Tätigkeit, derartige Nachbehandlungen, die mit zusätzlichen Kosten, Schmerzen und Komplikationen verbunden sein können, zu vermeiden. Das grundlegende Bestreben geht daher in die Richtung, die Modelle so weit zu verbessern, dass möglichst keine Nachbehandlungen notwendig sind (vgl. Seite 4, Zeilen 22 bis 25). Eine Anregung zur Durchführung einer iterativen Behandlungssimulation zum Erzeugen von Steuerdaten gemäß den Merkmalen M7 bis M9 des Anspruchs 1, ist daher auch an dieser Stelle der Druckschrift D1 nicht zu entnehmen.
82
4.3.2. Aus der Druckschrift D2 ist ein Verfahren zum Erzeugen eines Veränderungsprofils (Behandlungsprofil 144) und von Steuerdaten (Steuerungssystem 156) eines Lasersystems (106) für einen augenchirurgischen Eingriff bekannt (vgl. die Figur 7C i. V. m. der Beschreibung auf Seite 16, Zeilen 34 bis 38 und 59 bis 68 und Seite 18, Zeilen 13 bis 26) [= Merkmal M1 ], mit den folgenden Schritten: Eingabe von Daten durch einen Benutzer und Aufnahme von Messdaten des zu behandelnden Auges (vgl. Seite 16, Zeilen 45 bis 58) [= Merkmale M2 und M3 ]; Generieren eines Veränderungsprofils (Ablationsprofil) auf Basis der eingegebenen Daten und Messdaten (vgl. Seite 3, Zeilen 13 bis 15) [= Merkmal M4 ]; Generieren von Steuerdaten auf Basis des Veränderungsprofils zum Steuern der Laserstrahlung [= Merkmal M5 ]; Simulieren eines Behandlungsergebnisses mit den Steuerdaten aufgrund des genannten Veränderungsprofils [= Merkmal M6 ]; und Bewerten des genannten Behandlungsergebnisses unter Anwendung vorgegebener Kriterien (vgl. Seite 3, Zeilen 15 bis 19) [= Merkmal M7 ].
83
Bei dem aus der Druckschrift D2 bekannten Verfahren ist ebenfalls nicht vorgesehen, im Falle einer negativen Bewertung ein anderes Veränderungsprofil auf Basis anderer Daten oder andere Steuerdaten zum Steuern der Laserstrahlung iterativ zu generieren (Merkmal M8 ) und diese Iteration bis zu einer positiven Bewertung des simulierten Behandlungsergebnisses fortzusetzen, um auf diese Weise die Steuerdaten für den beabsichtigten Eingriff zu gewinnen und schließlich an das Lasersystem zu übergeben (Merkmal M9 ). Es findet sich in dieser Druckschrift auch keinerlei Anregung für eine solche Vorgehensweise. Zwar ist aus der Druckschrift D2 die iterative Berechnung eines Ablationsprofils (Veränderungsprofil) für die Hornhaut durch Strahlrückverfolgung bekannt (vgl. Seite 10, Zeile 56 bis Seite 11, Zeile 28), bei der die Iterationsschleife so lange durchlaufen wird, bis die iterativ berechnete Wellenfront eine vorgegebene Zielwellenfront Φ G mit hinreichender Genauigkeit erreicht hat, und bei der nach Durchlaufen der Iterationschleife schließlich die endgültige Ablationstiefe ΔZ F (Veränderungsprofil) berechnet wird. Es handelt sich aber um eine rein numerische Berechnung des Hornhautablationsmusters aufgrund optischer und geometrischer Parameter des Auges, die zuvor durch eine Topografiemessung bzw. Wellenfrontmessung des Auges erhalten wurden. Die Simulation eines Behandlungsergebnisses mit Steuerdaten eines augenchirurgischen Lasersystems, wie beim Verfahren nach Patentanspruch 1, wird bei dieser iterativen Berechnung des Ablationsprofils nicht durchgeführt, so dass der Fachmann demzufolge in dieser Druckschrift auch keinerlei Hinweise erhält, gemäß der Lehre der Anmeldung vorzugehen.
84
4.3.3. Auch die übrigen im Verfahren befindlichen Druckschriften stellen weder die Neuheit in Frage noch kann der Fachmann ihnen eine Anregung entnehmen, eine iterative Simulation einer augenchirurgischen Behandlung zur Erzeugung von Steuerdaten eines Lasersystems vorzusehen.
85
Aus der Druckschrift D3 ist ein Verfahren zum Erzeugen eines Steuerprogramms für ein Lasersystem für die Hornhautchirurgie des Auges bekannt (vgl. Seite 1, Zeilen 1 bis 12), bei dem der Einfluss des Winkels zwischen Laserstrahl und Hornhautoberfläche und die Reflexion des Laserstrahls berücksichtigt wird (vgl. Seite 7, Zeile 34 bis Seite 8, Zeile 6). Bei dem bekannten Verfahren wird die Ablationstiefe aus der Projektion der Wellenfront auf die Hornhaut iterativ berechnet (vgl. Seite 13, Zeilen 8 bis 23). Eine iterative Simulation der Behandlung zur Gewinnung des Ablationsprofils und der Steuerdaten des Lasersystems gemäß den Merkmalen M6 bis M9 des Patentanspruchs 1 wird nicht durchgeführt.
86
In der Druckschrift D4 ist die Berücksichtigung der verschiedenen okularen Oberflächen des Auges (corneal surface, lens surface) bei der Berechnung des Ablationsprofils beschrieben (vgl. Seite 768, Abschnitt “Correction of Primary Spherical Aberration” und Seite 770, linke Spalte, Abschnitt “Discussion”).
87
In der Druckschrift D5 ist ein mathematisches Modell für die nach einer Laserbehandlung durch Wundheilung auftretende Hornhautglättung (corneal surface smoothing) angegeben, anhand dessen der Prozess der Hornhautglättung simuliert werden kann (vgl. Seite 270, linke Spalte). Eine iterative Simulation der Behandlung zur Gewinnung des Ablationsprofils und der Steuerdaten eines Lasersystems, gemäß den Merkmalen M6 bis M9 des Anspruchs 1, ist in diesen Druckschriften nicht erwähnt.
88
Da aus keiner der im Verfahren befindlichen Druckschriften die Merkmale M8 und M9 des Verfahrens nach Patentanspruch 1 bekannt sind und sie auch keine Anregungen für diese Verfahrensschritte geben, kann auch eine Zusammenschau dieser Druckschriften den Fachmann nicht zu dem beanspruchten Verfahren führen. Auch unter Berücksichtigung seines Fachwissens und Könnens ergibt sich für den Fachmann keine entsprechende Anregung.
89
4.4. Die Verfahren nach den nebengeordneten Patentansprüchen 4, 8 und 12 weisen auch die die Patentfähigkeit des Anspruchs 1 tragenden Merkmale auf, wonach ein simuliertes Behandlungsergebnis (simulierte Hornhautform bzw. Augenlinsenform bzw. Augenlinse) durch Vergleich mit dem gewünschten Ergebnis bewertet wird (Merkmal N7 bzw. N7’ bzw. N7’’ ) und die Simulation iterativ solange mit geänderten Steuerdaten wiederholt wird, bis der Unterschied zwischen dem simulierten und gewünschten Behandlungsergebnis innerhalb einer vorgegebenen Toleranz liegt (Merkmal N8 ). Die beanspruchten Verfahren sind daher aus den genannten Gründen ebenfalls gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik neu und beruhen auch auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns.
90
4.5. Die Patentfähigkeit der Unteransprüche 2 bis 3, 5 bis 7, 9 bis 11 und 13 bis 15 wird von der der unabhängigen Patentansprüche 1, 4, 8 und 12 mitgetragen.


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