Patent- und Markenrecht

Patentnichtigkeitsklageverfahren – „Codieren und Decodieren von Audiosignalen“ – zur Patentfähigkeit

Aktenzeichen  6 Ni 29/17 (EP)

Datum:
2.9.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2020:020920U6Ni29.17EP.0
Normen:
Art 2 § 6 Abs 1 Nr 1 IntPatÜbkG
Art 138 Abs 1 Buchst a EuPatÜbk
Art 52 EuPatÜbk
Art 56 EuPatÜbk
Spruchkörper:
6. Senat

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 0 931 386
(DE 598 00 189)
hat der 6. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts am 2. September 2020 durch die Vorsitzende Richterin Friehe sowie die Richter Dipl.-Ing. Müller, Werner, Dipl.-Phys. Univ. Dipl.-Wirtsch.-Phys. Arnoldi und Dipl.-Ing. Matter
für Recht erkannt:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des europäischen Patents 0 931 386 (Streitpatent), das am 13. März 1998, unter Inanspruchnahme der Priorität aus der deutschen Anmeldung 197 30 129 vom 14. Juli 1997, angemeldet und mit Wirkung auch für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilt worden ist. Die Erteilung ist am 5. Juli 2000 veröffentlicht worden. Das Streitpatent ist durch Zeitablauf am 13. März 2018 erloschen.
2
Das beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen 598 00 189.1 geführte Streitpatent trägt die Bezeichnung
3
“VERFAHREN ZUM SIGNALISIEREN EINER RAUSCHSUBSTITUTION BEIM CODIEREN EINES AUDIOSIGNALS”
4
und umfasst in der erteilten Fassung 13 Patentansprüche.
5
Die erteilten nebengeordneten Patentansprüche 1, 10 und 11 lauten wie folgt:
6
Die Patentansprüche 2 bis 9 sowie 12 und 13 sind unmittelbar oder mittelbar auf die Patentansprüche 1, 10 bzw. 11 rückbezogen.
7
Die Klägerin ist der Ansicht, dass das Streitpatent wegen des Nichtigkeitsgrunds der mangelnden Patentfähigkeit, nämlich wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit, für nichtig zu erklären sei. Dies stützt sie auf die folgenden Unterlagen:
8
D1    
SCHULZ, D.: Improving Audio Codecs by Noise Substitution, J. Audio Eng. Soc., Vol. 44, No. 7/8, Juli/August 1996, Seiten 593-598.
D2    
DE 195 09 149 A1
D3    
BOSI, M.; et. al.: ISO/IEC MPEG-2 Advanced Audio Coding, presented at the 101st Convention 1996 November 8-11, Los Angeles, California, Audio Engineering Society, AES preprint 4382 (N-1). Seiten 1 bis 31, und 11 Seiten Zeichnungen, Figuren 1.1 bis 9.1
D4    
NOLL, P.: Wideband Speech and Audio Coding, IEEE Communications Magazine, November 1993, Seiten 34-44
D5    
International Standard ISO/IEC 11172-3 First edition 1993-08-01: Information technology – Coding of moving pictures and associated audio for digital storage media at up to about 1,5 Mbit/s – Part 3: Audio. Seiten i – vi, 1 – 151
D6    
BRANDENBURG, K.; STOLL, G.: The ISO/MPEG-Audio Codec: A Generic Standard for Coding of High Quality Digital Audio, presented at the 92nd Convention 1992 March 24-27, Vienna, Audio Engineering Society, AES preprint 3336. Seiten 1 bis 16, 1 Seite mit Tabelle 1 und 5 Seiten Zeichnungen, Figuren 1a bis 11
D7    
BRANDENBURG, K.; et. al.: Aspec: Adaptive Spectral Perceptual Entropy Coding of High Quality Music Signals, presented at the 90th Convention 1991 February 19-22, Paris, Audio Engineering Society, AES preprint 3011 (A-4). Seiten 1 bis 10, und 1 Seite Zeichnungen, Figuren 1, 2
D8    
DE 196 28 292 A1
D9    
WO 96/37048 A2
D10     
EP 0 376 553 A2
D11     
International Standard ISO/IEC 13818-7 First edition 1997-12-01: Information technology – Generic coding of moving pictures and associated audio information – Part 7: Advanced Audio Coding (AAC). Seiten i – iv, 1 – 147
D12     
ISO/IEC 13818-7 First edition 1996(E) MPEG-2 Audio NBC (13818-7) Committee Draft. ISO/IEC JTC1/SC29/WG11 N1307 July 1996
D13     
International Standard ISO/IEC 14496-3 First edition 1999-12-15: Information technology – Coding of audio-visual objects – Part 3: Audio. Seiten i – iii, Subpart 1, Seiten 1 – 32, Subpart 2, Seiten 1 – 116, Subpart 3, Seiten 1 – 116, Subpart 4, Seiten 1 – 226, Subpart 5, Seiten 1 – 146, Subpart 6, Seiten 1 – 10
D14     
HERRE, J.; SCHULZ, D.: Extending the MPEG-4 AAC Codec by Perceptual Noise Substitution, presented at the 104th Convention 1998 May 16-19, Amsterdam, Audio Engineering Society, AES preprint 4720 (P11-4), Seiten 1 bis 14
D15     
HERRE, J.: Low-Complexity Tool for Perceptual Noise Substitution in the MPEG-4 T/F Coder, MPEG-4 Audio Proposol, INTERNATIONAL ORGANIZATION FOR STANDARDISATION; ISO/IEC JTC1/SC29/WG11; CODING OF MOVING PICTURES AND AUDIO; MPEG97/M2461, July 1997, 10 Seiten
D16     
JOHNSTON, J. D. et. al.: MPEG-2 NBC Audio Stereo and Multichannel Coding Methods, presented at the 101st Convention 1996 November 8-11, Los Angeles, Audio Engineering Society, AES preprint 4383 (N-2), Seiten 1 bis 14, 2 Seiten Zeichnungen, Figuren 1 bis 3
D17     
Unterlagen zur deutschen Prioritätsanmeldung 197 30 129.0 vom 14. Juli 1997
D18     
JOHNSTON, J. D.; FERREIRA, A. J.: Sum-Difference Stereo Transform Coding 1988 International Conference on Acoustics, Speech, and Signal Processing, ICASSP-88, April 1992, DOI: 10.1109/ICASSP.1992.225993, Seiten II-569 bis II-572
D19     
VAN DER WAAL, R. G.; VELDHUIS, R. N. J.: Subband Coding of Stereophonic Digital Audio Signals Proceedings of International Conference on Acoustics, Speech, and Signal Processing 14-17 April 1991 Toronto, Ontario, Canada, DOI: 10.1109/ICASSP.1991.151053, Seiten 3601 – 3604
9
Zwischen den Parteien ist ein Patentverletzungsverfahrens am Landgericht Mannheim (Az. …) anhängig gewesen, das sich gegenwärtig im Berufungsverfahren beim Oberlandesgericht Karlsruhe befindet, und in dem der hiesige Beklagte eine mittelbare Verletzung von Patentanspruch 11 durch u.a. die hiesige Klägerin behauptet.
10
Mit der am 4. Oktober 2017 erhobenen Nichtigkeitsklage hat die Klägerin das Patent zunächst im vollen Umfang angegriffen. Nach Erlöschen des Patents hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 2. September 2020 den Rechtsstreit bezüglich der gegen die Patentansprüche 1 bis 10 gerichteten Nichtigkeitsklage mit Wirkung ab 14. März 2018 in der Hauptsache unter Verwahrung gegen die Kostenlast für erledigt erklärt und ihre Klage nun noch gegen die Patentansprüche 11 bis 13 gerichtet.
11
Die Klägerin beantragt,
12
das europäische Patent 0 931 386 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in Umfang der Patentansprüche 11 bis 13 für nichtig zu erklären.
13
Der Beklagte hat sich unter Verwahrung gegen die Kostenlast der Erledigterklärung der Klägerin angeschlossen und darüber hinaus beantragt,
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die Klage abzuweisen,
15
hilfsweise die Klage abzuweisen soweit sie sich auch gegen eine der Fassungen der Ansprüche 11 bis 13 des Streitpatents nach den Hilfsanträgen I, la und II vom 2. September 2020 richtet.
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Der Beklagte tritt der Argumentation der Klägerin entgegen und hält den Gegenstand des Streitpatents in der erteilten Fassung, wenigstens aber in einer der verteidigten Fassungen, für schutzfähig. Zur Stützung ihrer Ausführungen hat sie sich u. a. auf folgende Druckschrift berufen:
17
NB2     
HERRE, J., et. al.: Intensity Stereo Coding presented at the 96th Convention 1994 February 26 – March 01, Amsterdam, Audio Engineering Society, AES preprint 3799 (P3.9), Seiten 1 bis 10
18
Der Senat hat den Parteien einen qualifizierten Hinweis vom 5. Dezember 2019 zugeleitet und hierin Fristen zur Stellungnahme auf den Hinweis und auf etwaiges Vorbringen der jeweiligen Gegenpartei gesetzt.
19
Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere des Inhalts der Hilfsanträge wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.
20
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit gem. Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m Art. 138 Abs. 1 lit. a, 52, 56 EPÜ liegt nicht vor.
21
I. Zum Gegenstand des Streitpatents
22
1. Das Streitpatent beschäftigt sich mit dem Codieren und Decodieren von Audiosignalen. Das als Moving Pictures Expert Group (MPEG) bekannte Standardisierungsgremium ISO/IEC Joint Technical Committee 1, Sub Committe 29, Working Group 11 sei 1988 gegründet worden, um digitale Video- und Audiocodierungsschemen für niedrige Datenraten zu spezifizieren. Der MPEG-1 Standard von 1992 liefere Rundfunkqualität in einem Einkanal- oder Zweikanalstereo-Modus bei einer Datenrate von 128 kb/s pro Kanal, während der eine Mehrkanalerweiterung bietende und zu MPEG-1 rückwärtskompatible MPEG-2 BC Standard von 1994 eine gute Audioqualität bei Datenraten von 640 – 896 kb/s für fünf Kanäle liefere.
23
Um die gleiche oder eine bessere Qualität bei einer Datenrate von maximal 384 kb/s zu erreichen, sei bis April 1997 der nicht-rückwärtskompatible MPEG-2 NBC Standard (Druckschrift D12) entwickelt worden, der auch als MPEG-2 AAC (advanced audio coding) bezeichnet werde. Er kombiniere eine hochauflösende Filterbank, Prädiktionstechniken und eine redundanzreduzierende Huffman-Codierung.
24
Effiziente Audiocodierverfahren entfernten Redundanzen aus den Audiosignalen durch Ausnutzen von Korrelationen zwischen Audioabtastwerten und Statistiken der Abtastwertdarstellung und entfernten Irrelevanzen (nichtwahrnehme Signalanteile) durch Ausnutzen der Frequenzbereichs- und Zeitbereichs-maskierungseigenschaften des menschlichen Gehörsystems.
25
Beim MPEG-2 AAC Codierer werde das aus dem zeitkontinuierlichen Audiosignal durch Abtasten erhaltene zeitdiskrete Audiosignal mit einer Fensterfunktion gefenstert, um aufeinanderfolgende Blöcke (frames) mit einer bestimmten Anzahl, z. B. 1024, von gefensterten, zeitdiskreten Abtastwerten zu erhalten. Nacheinander werde jeder Block des Audiosignals in den Frequenzbereich transformiert, beispielsweise mittels einer modifizierten diskreten Cosinustransformation (MDCT).
26
Bei dem Quantisieren der Spektralwerte werde das Quantisierungsrauschen durch die quantisierten Signale selbst maskiert und somit unhörbar. Dazu berechne ein psychoakustisches Modell Maskierungsschwellen unter Berücksichtigung der speziellen Eigenschaften des menschlichen Gehörs und abhängig von dem vorliegenden Audiosignal. Benachbarte Spektralwerte würden zu sogenannten Skalenfaktorbändern zusammengefasst, die an die Frequenzgruppen des menschlichen Gehörsystems angelehnt seien. Durch Verstärkung der Spektralwerte der einzelnen Skalenfaktorbänder mit unterschiedlichen Skalenfaktoren werde eine gezielte Formung des Quantisierungsrauschens erreicht.
27
Nach der Quantisierung der in Skalenfaktorbändern gruppierten und ggf. durch Skalenfaktoren verstärkten Spektralwerte würden diese codiert. Dabei würden Sätze von beispielsweise jeweils 1024 quantisierten Spektralwerten derart in Abschnitte (sections) eingeteilt, dass jeder Abschnitt mittels einer einzigen Huffman-Codiertabelle (codebook) codiert werde. Diese werde aus 12 möglichen Tabellen so ausgewählt, dass sich für den jeweiligen Abschnitt der höchste Codiergewinn ergebe. Das Bilden der Abschnitte sei dynamisch und variiere von Block zu Block, um die Anzahl der für die Spektralwerte zu übertragenden Bits zu minimieren. Aus Codiereffizienzgründen könnten Abschnittsgrenzen nur an Skalenfaktorbandgrenzen vorhanden sein. Die gewählte Huffman-Codiertabelle werde durch eine mit vier Bits binär codierte Codiertabellennummer gekennzeichnet.
28
Für jeden Abschnitt würden die Länge des Abschnitts, gemessen in Skalenfaktorbändern, die Huffman-Codiertabellennummer und die Skalenfaktoren der in dem Abschnitt enthaltenen Skalenfaktorbänder als Seiteninformationen an den Decodierer übertragen (Streitpatentschrift, Absätze 0002 bis 0009).
29
Die Streitpatentschrift führt zum Stand der Technik weiter aus, dass die aus der Veröffentlichung SCHULZ, D.: Improving Audio Codecs by Noise Substitution, J. Audio Eng. Soc., Vol. 44, No. 7/8, Juli/August 1996, Seiten 593-598 (D1) bekannt gewordene Rauschsubstitution Beachtung fände. Obwohl das menschliche Gehörsystem nicht in der Lage sei, den exakten Zeitverlauf eines rauschhaften Signals zu erfassen, codierten übliche Algorithmen sogar die Wellenform des weißen Rauschens. Somit würden hohe Bitraten für solche Informationen verwendet, die nicht hörbar seien. Zur Verringerung dieser überflüssigen Codierung würden nach der Lehre der D1 rauschhaltige Signalkomponenten erfasst und mit Informationen über ihre Pegel, ihren Frequenzbereich oder ihren zeitlichen Ausdehnungsbereich codiert, was zu außerordentlich großen Biteinsparungen führen könne. Die Rausch-substitutionstechnik der D1 ermögliche somit eine Datenreduktion bei Audiosignalen.
30
Der Codierer erfasse in dem gesamten Spektrum des Audiosignals rauschartige oder rauschhafte Gruppen von Spektralwerten, die nicht wie üblich quantisiert und mittels einer Huffman-Codiertabelle redundanz-codiert zum Empfänger übertragen würden. Stattdessen werde nur eine Kennung zur Anzeige der Rauschsubstitution sowie ein Maß für die Energie der rauschhaften Gruppe von Spektralwerten als Seiteninformationen übertragen. Im Empfänger bzw. im Decodierer würden dann für die substituierten Koeffizienten Zufallswerte (Rauschen) mit dem übertragenen Energiemaß eingesetzt. Die rauschhaften Spektralwerte würden also durch Zufallsspektralwerte mit entsprechendem Energiemaß substituiert.
31
Die nach der D1 realisierbaren erheblichen Datenrateneinsparungen seien mit MPEG-2 AAC Standard nicht möglich, denn dieser unterstütze die Rauschsubstitution nicht (Streitpatentschrift, Absätze 0010 bis 0016).
32
2. Die Aufgabe der vorliegenden Erfindung bestehe darin, den bestehenden Standard MPEG-2 AAC um die Möglichkeiten der Rauschsubstitution derart zu erweitern, dass weder die grundsätzliche Codiererstruktur noch die Struktur der vorhandenen Bitstromsyntax angetastet werde (Streitpatentschrift, Absatz 0017).
33
Dazu schlägt das Streitpatent in der erteilten Fassung (Hauptantrag) neben einem Verfahren zur Rauschsubstitution nach Anspruch 1 und einem Verfahren zum Codieren eines Audiosignals nach Anspruch 10 auch ein Verfahren zum Decodieren eines Audiosignals nach dem noch streitgegenständlichen Anspruch 11 vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:
34
11 Verfahren zum Decodieren eines codierten Audiosignals mit folgenden Schritten:
35
11.1 Empfangen eines Bitstroms;
36
11.2 Redundanz-Decodieren von nichtrauschhaften Gruppen aufgrund einer durch eine Codiertabellennummer angezeigten Codiertabelle und Requantisieren von redundanz-decodierten, quantisierten Spektralwerte [sic!];
37
11.3 Erfassen einer rauschhaften Gruppe von Spektralwerten aufgrund einer zusätzlichen Codiertabellennummer, die einer solchen Gruppe zugeordnet ist;
38
11.3a Erfassen eines Maßes für die Energie der Spektralwerte in der rauschhaften Gruppe aufgrund von der Gruppe zugeordneten Seiteninformationen;
39
11.3b Erzeugen von Rausch-Spektralwerten für die rauschhafte Gruppe, wobei das Maß der Energie der Rausch-Spektralwerte in der rauschhaften Gruppe gleich dem Maß für die Energie von Spektralwerten der rauschhaften Gruppe in dem ursprünglichen Signal ist;
40
11.4 Transformieren der requantisierten Spektralwerte und der Rausch-Spektralwerte in den Zeitbereich, um ein decodiertes Audiosignal zu erhalten.
41
3. Als zuständigen Fachmann sieht der Senat ein Team von Fachleuten, das mit der Weiterentwicklung des MPEG-2 AAC Standards beauftragt ist. Aufgabe des Teams ist damit insbesondere die Vorbereitung von Änderungsvorschlägen, die von der zuständigen Arbeitsgruppe, der ISO/IEC JTC1/SC29/WG11 (International Organization for Standardization (ISO) / International Electrotechnical Commission (IEC) Joint Technical Committee 1 Subcommittee 29 Working Group 11; vgl. D5, Seite iv, Absätze 2 und 3) diskutiert und bewertet werden. Zumindest ein Teammitglied ist auch Mitglied dieser Arbeitsgruppe.
42
Die Notwendigkeit dieser Zusammenarbeit ergibt sich aus der Natur der Aufgabenstellung, denn der Fachmann bedarf für die Weiterentwicklung des MPEG-2 AAC Standards der Kenntnisse und Erfahrungen, die bisher und künftig in Verbindung mit der Entwicklung dieses Standards relevant sind und gerade auch in der zuständigen Arbeitsgruppe diskutiert werden (vgl. auch BGH, Urteil vom 11. Januar 2018 – X ZR 38/16 – Rn. 24).
43
Jedes Teammitglied verfügt über einen Universitätsabschluss als Diplom-Ingenieur bzw. Master der Fachrichtung Elektro- oder Nachrichtentechnik oder Informatik und über eine mehrjährige Berufserfahrung und einschlägige Kenntnisse auf dem Gebiet der digitalen Signalverarbeitung, insbesondere der Codierung und Decodierung von Audiosignalen.
44
4. Die Lehre des Streitpatents und die Merkmale des Anspruchs 11 bedürfen der Erläuterung.
45
a) Das Streitpatent integriert die aus der Veröffentlichung D1 als solche bekannte Rauschsubstitution in einen Audio-Codec (Codec = Verbund aus Codierer und Decodierer) mit Transformationscodierung, insbesondere in den MPEG-2 AAC Standard. Daher besteht die dem Streitpatent zugrunde liegende objektive Aufgabe, die frei von Lösungselementen ist, in der Integration der Rauschsubstitution in einen Audio-Codec mit Transformationscodierung.
46
b) Der nach Merkmal 11.1 empfangene Bitstrom umfasst die im Codierer aus dem zeitlichen Verlauf in den Frequenzbereich transformierten, quantisierten und codierten nichtrauschhaften Anteile des Audiosignals sowie Steuerinformationen, insbesondere über die im Codierer als rauschhaft erfassten Komponenten.
47
aa) Der Codierer transformiert das zeitdiskrete, wertkontinuierliche Audiosignal in den Frequenzbereich und erzeugt dabei die im Merkmal 11.2 genannten Spektralwerte. Der im Ausführungsbeispiel genannte MPEG-2 AAC Codierer verwendet eine modifizierte diskrete Cosinustransformation (MDCT) (Streitpatentschrift, Abs. 0005; D3, S. 6, Kap. 3; D12, S. 9, 1.1.86.), die eine endliche Eingangssignalfolge in eine endliche Summe von gewichteten Cosinusfunktionen mit unterschiedlichen Frequenzen transformiert, wobei die reellen Gewichtungsfaktoren der Cosinusfunktionen die Spektralwerte darstellen.
48
Von der Transformationscodierung, wie sie in den Standards MPEG-1 Layer III und MPEG-2 AAC verwendet wird, ist die sogenannte Subbandcodierung zu unterscheiden, die beispielsweise im MPEG-1 Layer II Standard zum Einsatz kommt. Bei ihr werden keine Spektralwerte erzeugt, vielmehr verbleibt die Signalverarbeitung im Zeitbereich, vgl. die Figuren 3 und 6 der Druckschrift D6:
49
Druckschrift D6, Figur 3 (Subbandcodierung bei MPEG-1 Layer II) mit Kolorierung und Kommentierung durch den Senat
50
Druckschrift D6, Figur 6 (Transformationscodierung bei MPEG-1 Layer III) mit Kolorierung und Kommentierung durch den Senat
51
bb) Unter einer im Merkmal 11.2 genannten nichtrauschhaften Gruppe von Spektralwerten versteht der Fachmann benachbarte Spektralwerte, die im Codierer als tonal, also als nicht rauschhaft, erfasst, gruppiert, quantisiert und mittels einer Codiertabelle redundanzcodiert werden.
52
Beim MPEG-2 AAC Standard findet eine erste Gruppierung der Spektralwerte in sogenannte Skalenfaktorbänder statt. Der Frequenzbereich der zu codierenden Audiosignale ist in 49, entsprechend einem psychoakustischen Modell festgelegte, Skalenfaktorbänder aufgeteilt, deren Bandbreite von niedrigen zu hohen Frequenzen ansteigt, vgl. D12, S. 37, Tabelle 3.5 und D3, Fig. 5.1:
53
D3, Figur 5.1: Der Frequenzbereich im MPEG-2 AAC Standard ist in 49 Skalenfaktorbänder eingeteilt, die jeweils zwischen 4 und 32 bzw. 96 Spektralwerte umfassen
54
In Abhängigkeit von den Signaleigenschaften werden die Spektralwerte eines Skalenfaktorbandes ggfs. mit einem Skalenfaktor multipliziert, um eine unter psychoakustischen Gesichtspunkten günstige Quantisierung und insbesondere Maskierung des Quantisierungsrauschens zu erzielen. An den Decodierer werden die Skalenfaktoren als Seiteninformationen übertragen (Streitpatentschrift, Abs. 0006). Die Quantisierung erfolgt im MPEG-2 AAC Standard mittels einer nichtlinearen Funktion (Streitpatentschrift, Abs. 0021; D12, S. 43).
55
Eine weitere Gruppierung der Spektralwerte bzw. der Skalenfaktobänder erfolgt im MPEG-2 AAC Codierer durch eine unter statistischen Gesichtspunkten erfolgende Zusammenfassung eines oder mehrerer benachbarter Skalenfaktorbänder in sogenannte Abschnitte (Streitpatentschrift, Abs. 0007 – 0009; D12, S. 39, Abs. 4), wobei die Spektralwerte jedes Abschnitts mittels der am besten geeigneten aus 12 möglichen Huffman-Codiertabellen redundanz-codiert werden (D12, S. 41, Tab. 4.2).
56
cc) An den Decodierer werden neben den solchermaßen quantisierten und redundanz-codierten Spektralwerten die im Merkmal 11.2 genannten Codiertabellennummern als Seiteninformationen übertragen (je Abschnitt eine Nummer), mit deren Hilfe die Spektralwerte der Abschnitte im Decodierer redundanz-decodiert werden.
57
dd) Anschließend werden im Decodierer die Spektralwerte requantisiert (Merkmal 11.2). Beim MPEG-2 AAC Standard werden zuvor noch die Spektralwerte der einzelnen Skalenfaktorbänder mit dem Inversen der empfangenen Skalenfaktoren multipliziert.
58
ee) Danach werden die nichtrauschhaften Gruppen von redundanz-decodierten und requantisierten Spektralwerten gemäß Merkmal 11.4 vom Frequenz- in den Zeitbereich transformiert (beim MPEG-2 AAC Standard mittels einer IMDCT, vgl. D12, S. 65, Kap. 11.3.1) und bilden einen Teil des decodierten Audiosignals, das nach einer (analogen) Weiterverarbeitung z. B. mit einem Abspielgerät ausgegeben werden kann.
59
ff) Die Merkmale 11.3, 11.3a und 11.3b beschäftigen sich mit der Behandlung der rauschhaften Gruppen von Spektralwerten.
60
Zu der Frage, wie der Codierer erfasst, ob eine Gruppe von Spektralwerten eine rauschhafte Gruppe ist, verweist das Streitpatent (Absätze 0012 und 0013) auf die aus der Veröffentlichung D1 bekannten Methoden. Danach kann die Entscheidung auf den Spektralwerten selbst, auf dem zeitlichen Audiosignal oder beiden basieren (Anspruch 9).
61
Der Codierer vergibt einer als rauschhaft erfassten Gruppe eine zusätzliche Codiertabellennummer (Merkmal 11.3). Beim MPEG-2 AAC Standard handelt es sich um eine der “freien” Tabellennummer 12 oder 13 (Streitpatentschrift, Abs. 0019), die nicht auf eine der 12 Huffman-Codiertabellen mit den Codiertabellennummer 0 bis 11 verweist. Vielmehr signalisiert die zusätzliche Codiertabellennummer (z. B. 13) dem Decodierer, dass die entsprechende Gruppe, im MPEG-2 AAC Standard ein Abschnitt, rauschhaft ist und ihre Spektralwerte weder quantisiert und redundanz-codiert noch übertragen werden.
62
Für die rauschhafte Gruppe wird jeweils ein Maß für die Energie der darin enthaltenen Spektralwerte bestimmt und an den Decodierer als Seiteninformation übertragen (Merkmal 11.3a). Bei der Realisierung der Rauschsubstitution im MPEG-2 AAC Standard ist dies nicht nur ein Wert pro Abschnitt, sondern ein Wert je Skalenfaktorband (Anspruch 3), womit trotz der relativen groben, nämlich abschnittsweisen Signalisierung der Rauschhaftigkeit, zumindest die Information über die Rauschenergie genauer, nämlich auf Skalenfaktorbandebene, an den Decodierer übertragbar ist.
63
Dieser erzeugt aus den entsprechenden Angaben Rausch-Spektralwerte der als rauschhaft signalisierten Gruppen, deren Energiemaß gleich demjenigen der entsprechenden Gruppen des ursprünglichen, nunmehr substituierten Rausch-Signals ist (Merkmal 11.3b). Die Erzeugung der Rausch-Spektralwerte im Decodierer erfolgt typischerweise mittels eines Zufallszahlengenerators (Streitpatentschrift, Abs. 0014, Anspruch 12).
64
gg) Zuletzt transformiert der Decodierer die Spektralwerte der nichtrauschhaften Gruppen und die Rausch-Spektralwerte gemeinsam zurück in den Zeitbereich, um ein decodiertes Audiosignal zu erhalten (Merkmal 11.4).
65
II. Zur erteilten Fassung (Hauptantrag)
66
Dem Anspruch 11 des Streitpatents in der erteilten Fassung steht der Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. a) EPÜ nicht entgegen, weil der hiermit unter Schutz gestellte Gegenstand sowohl gegenüber dem Stand der Technik nach den MPEG-2 AAC Standard (D12) als auch gegenüber dem Aufsatz über die Rauschsubstitution (D1) als neu und gegenüber einer Kombination der D12 und der D1 als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend gilt. Die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 11 hat auch die Klägerin nicht in Abrede gestellt.
67
a) Der MPEG-2 AAC Standard war am Prioritätstag als sogenannter Committee Draft (D12) veröffentlicht, d. h. in einer Entwurfsfassung der für die Weiterentwicklung der MPEG-Standards verantwortlichen ISO Arbeitsgruppe 11 (D12, Deckblatt: ISO/IEC JTC1/SC29/WG11). Da der Fachmann, wie ausgeführt, ein Team von Fachleuten ist, das mit der Weiterentwicklung des MPEG-2 AAC Standards beauftragt ist und mindestens eine Teammitglied Mitglied der Arbeitsgruppe 11 ist, kennt der Fachmann die D12 und ist bemüht, diesen Standard, insbesondere hinsichtlich möglicher Datenratenreduzierungen, weiter zu optimieren.
68
Dabei gehört es zu seinen Pflichten, die Veröffentlichungen auf dem Gebiet der Audio-Codecs auf ihre diesbezügliche Eignung zu überprüfen.
69
b) Insofern ist ihm der Aufsatz D1 bekannt, der sich mit der Verbesserung von Audio-Codecs durch Rauschsubstitution beschäftigt (D1, Titel) und auf MPEG Standards Bezug nimmt (S. 598, re. Sp.: [3] (= D6) … [8] (= D7) …[9] (Vorgängerversion von D5) … [10]). Ziel der D1 ist die Verringerung der Datenrate und/oder eine Codierung der nichtrauschhaften Signalanteile mit einer erhöhten Auflösung und Gesamtqualität (S. 593, Abstract, re. Sp., Abs. 1).Sie lehrt verschiedene Möglichkeiten der Erfassung von tonalen und rauschhaften Komponenten im Zeit- oder Frequenzbereich (Abstract).
70
Für das Streitpatent ist die in Kapitel 2.1 beschriebene Kombination der Rauschsubstitution mit der adaptiven Transformationskodierung (ATC) relevant, weil der MPEG-2 AAC Standard (D12), wie dargelegt, eine solche verwendet:
71
D1, S. 596, Fig. 4 mit Kolorierung und Erläuterungen des Senats
72
Der obere linke Schaltungsblock (time frequency transformation) transformiert das im Zeitbereich vorliegende digitale Audiosignal (digital audio) in den Frequenzbereich und liefert Spektralwerte (frequency values of original sound), die mit Spektralwerten (frequency values of predicted sound) verglichen werden, die im unteren Schaltungszug mittels eines im Zeitbereich arbeitenden Prädiktors (predictor) und einer Transformation des prädiktierten Signals in den Frequenzbereich gewonnen werden. Die Vergleichsschaltung (noise detection) klassifiziert die einzelnen Spektralwerte als tonal (tonal frequency values) oder als rauschhaft (noisy frequency values). Da eine Signalisierung der Eigenschaft “rauschhaft” für einzelne Spektralwerte keine Datenratenreduktion ermöglichen würde, werden benachbarte tonale und rauschhafte Spektralwerte gruppiert (noisy and tonal grouping). Rauschhafte Spektralwerte, die keine rauschhaften Nachbarn haben, werden als tonal gekennzeichnet. Daraus ergibt sich, dass rauschhafte Gruppen jeweils mindestens drei unmittelbar benachbarte Spektralwerte umfassen.
73
Die D1 führt weiter aus, dass bei einem Stereo-Audiosignal mit einer Korrelation zwischen rauschhaften Spektralwerten im linken und rechten Kanal entweder eine Korrelationsinformation an den Decodierer übertragen (dafür gibt die D1 keine Lösung an) oder die Erkennung rauschhafter Komponenten auf den Frequenzbereich über 5 KHz beschränkt werden müsse (Seite 596, linke Spalte, 2. Absatz). Letzteres sieht die D1 vor, denn nur in dem hohen Frequenzbereich könne das menschliche Gehörsystem zeitliche Differenzen zwischen den beiden Kanälen nicht mehr unterscheiden, so dass dafür im Decodierer problemlos unkorrelierte Rauschsignale für die beiden Kanäle verwendet werden könnten.
74
Zusätzlich gibt die D1 an, dass bei einer Transformation mit einer Frequenzauflösung von 40 Hz nur eine zeitliche Auflösung von 20 ms erreicht werden könne, was zu groß im Vergleich zu den 2 ms sein, die das menschliche Gehörsystem auflösen könne. Daher müssten für die zu substituierenden Rausch-Spektralwerte nicht nur Informationen über ihren Frequenzbereich (frequency range) und die durchschnittliche Energie (average power levels), sondern auch über die zeitliche Hüllkurve (noise envelopes) der als rauschhaft erfassten Gruppen von Spektralwerten von dem Codierer an den Decodierer übertragen werden. Außerdem werde keine Rauschsubstitution durchgeführt, wenn sich innerhalb der gegebenen Blocklänge die Rauschfarbe ändere.
75
Wie dargelegt, spricht die D1 bezüglich der Kombination von Rauschsubstitution und adaptiver Transformationscodierung (ATC) von einer Gruppierung von benachbarten tonalen und rauschhaften Spektralwerten. Sie schweigt jedoch dazu, wie die Gruppierung der rauschhaften Spektralwerte mit der Aufteilung des Frequenzbereichs für die tonalen Spektralwerte bei einem ATC nutzenden Standard zusammenwirkt (S. 595, re. Sp., Abs. 1: combination with conventional “tonal” compression using masking effects … the use of masking effects requires splitting the entire frequency band).
76
c) Die Funktionsweise eines Audio-Codecs nach dem MPEG-2 AAC Standard (D12) wurde bereits erläutert. Nur die Codiertabellennummern 1 bis 11 verweisen auf Codiertabellen, mit deren Hilfe die quantisierten, in Skalenfaktorbänder und Abschnitte gruppierten tonalen Spektralwerte codiert werden (D12, S. 41, Tab. 4.2).
77
Die Codiertabellennummer 0 (zero codebook) signalisiert, dass für den zugehörigen Abschnitt keine Spektralwerte codiert und übertragen werden müssen (S. 31, Scale Factor Data Parsing and Decoding, Satz 1; S. 40, letzter Abs.). Die Codiertabellennummern 14 und 15 (intensity codebooks) zeigen an, dass für den zugehörigen Abschnitt in einem der beiden Stereokanäle anstelle codierter Spektralwerte Steuer-daten für das sogenannte Intensity Stereo Coding übertragen werden (S. 40 und 41 übergr. Abs., S. 50, Kap. 7.2.3, Abs. 2, letzter Satz).
78
Zu den Codiertabellennummern 12 und 13 heißt es in der D12, diese seien für zukünftige Erweiterungen des MPEG-2 AAC Standards reserviert (S. 11, 1.1.124; S. 41, Abs. 1, Tab. 4.2).
79
Danach ist aus dem MPEG-2 AAC Standard, zum Prioritätszeitpunkt als D12 veröffentlicht, hinsichtlich des Anspruchs 11 erteilter Fassung das folgende bekannt:
80
11 Verfahren zum Decodieren eines codierten Audiosignals
81
(Abbildung auf Seite 6)
82
mit folgenden Schritten:
83
11.1 Empfangen eines Bitstroms (13818-7 Coded Audio Stream);
84
(Abbildung auf Seite 6: Bitstream formatter empfängt den 13818-7 Coded Audio Stream)
85
11.2 Redundanz-Decodieren (Noiseless decoder) von nichtrauschhaften Gruppen (sections) aufgrund einer durch eine Codiertabellennummer (1, 2, …, 10, 11) angezeigten Codiertabelle (huffman codebook) und Requantisieren (Invers Quantizer) von redundanz-decodierten, quantisierten Spektralwerten
86
(Abbildung auf Seite 6: Noiseless decoder, invers quantizer)
87
11.3teils Erfassen einer rauschhaften
besonderen Gruppe von Spektralwerten aufgrund einer zusätzlichen Codiertabellennummer (0; 14; 15), die einer solchen Gruppe zugeordnet ist;
88
(D12, Seite 40, letzter Absatz: zero codebook, intensity codebooks; Seite 41, Tabelle 4.2)
89
11.4teils Transformieren der requantisierten Spektralwerte und der Rausch-Spektralwerte in den Zeitbereich, um ein decodiertes Audiosignal (Output Time Signal) zu erhalten.
90
(Abbildung auf Seite 6: Filterbank, Post processing)
91
Soweit stimmt der Gegenstand des Anspruchs 11 erteilter Fassung zwar mit dem aus dem MPEG-2 AAC Standard (D12) bekannten Verfahren zum Decodieren eines codierten Audiosignal überein.
92
Als Unterschied verbleibt jedoch, dass aus der D12 nicht bekannt ist, als “speziellen” Abschnitt eine rauschhafte Gruppe zu erfassen und diesem Abschnitt eine zusätzliche Codiertabellennummer zuzuweisen, um dem Decodier seine Rauschhaftigkeit zu signalisieren (Rest des Merkmals 11.3). Ebenso wenig ist das Erfassen eines Energiemaßes der Spektralwerte in der rauschhaften Gruppe aufgrund von der Gruppe zugeordneten Seiteninformationen (Merkmal 11.3a), das Erzeugen von Rausch-Spektralwerten entsprechend der erfassten Energiemaße (Merkmal 11.3b) und das Transformieren der erzeugten Rausch-Spektralwerte in den Zeitbereich (Rest von Merkmal 11.4) aus der D12 bekannt.
93
d) Wie dargelegt kennt und beachtet der Fachmann die Druckschrift D1, die eine deutliche Datenratenreduzierung bei einem Audio-Codec durch die Technik der Rauschsubstitution verspricht. Daher bemüht sich der Fachmann, diese aus der D1 bekannte technische Lehre in den MPEG-2 AAC-Standard zu übernehmen.
94
Dabei ergeben sich die Merkmale 11.3a, 11.3b und der Rest des Merkmals 11.4 für den Fachmann in naheliegender Weise, weil aus der D1 bekannt ist, die durchschnittliche Energie je rauschhafter Gruppe an den Decodierer zu übertragen und bei der Erzeugung der Rausch-Spektralwerte zu berücksichtigen (D1, S. 596, li. Sp., Abs. 2, die letzten beiden Sätze).
95
Jedoch ist nicht ersichtlich, welche Veranlassung der Fachmann haben sollte, bei dem Versuch der Integration der Rauschsubstitution in den MPEG-2 AAC Standard, die aus der D1 bekannte Gruppierung von zumindest drei benachbarten rauschhaften Spektralwerten so zu ändern, dass vollständige Abschnitte, die aus einem oder mehreren Skalenfaktorbändern bestehen, mittels einer zusätzlichen Codiertabellennummer als rauschhaft gekennzeichnet werden. Ein solches Vorgehen wäre eine radikale Abkehr von dem aus der D1 bekannten Konzept des Kennzeichnens von mindestens drei benachbarten Spektralwerten als rauschhaft, das völlig unabhängig von den für tonale Spektralwerte verwendeten Gruppierungskriterien arbeitet.
96
Der Auffassung der Klägerin, der Fachmann würde die aus der D12 bekannte zweistufige Gruppierung der Spektralwerte in Skalenfaktorbänder und Abschnitte niemals aufgeben, denn dies seien die zentralen Elemente der Quantisierung mittels eines psychoakustischen Modells und der Redundanz-Codierung mittels Huffman-Codiertabellen und deshalb würde es sich für den Fachmann in naheliegender Weise ergeben, die aus der D1 bekannte Gruppierung von drei benachbarten rauschhaften Spektralwerten so zu ändern, dass immer ganze Skalenfaktorbänder und insbesondere ganze Abschnitte, bestehend aus einem oder mehreren Skalenfaktorbändern, als rauschhaft gekennzeichnet würden, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Dies gilt auch, soweit die Klägerin annimmt, dass dann erleichternd für den Fachmann hinzukäme, dass er den aus der D12 bekannten – und dort dreimal begangenen – Weg zur Behandlung besondere Abschnitte (Codebücher 0, 14, 15) für die Signalisierung der Rauschsubstitution nur noch ein viertes Mal begehen müsse.
97
Zwar trifft es zu, dass der Fachmann stets bemüht ist, bei der Implementierung weiterer Funktionen (tools) in einen technischen Standard diesen so wenig wie möglich zu ändern (BGH, Urteil vom 22. November 2011 – X ZR 58/10 – E-Mail via SMS). Wenn dafür jedoch an der zu integrierenden, an sich bekannten Funktion, gravierende Veränderungen vorzunehmen sind, damit sie mit dem Standard zusammenarbeitet, spricht dies gegen ein Naheliegen.
98
Im streitgegenständlichen Fall müssten die aus der D1 bekannten Kriterien für die Kennzeichnung von benachbarten Spektralwerten als rauschhaft sehr deutlich verändert bzw. ergänzt werden. Denn die Einteilung des Frequenzbereichs nach der D12 in feste Skalenfaktorbänder und in diese weiter zusammenfassende Abschnitte widerspricht der ausschließlich signalabhängigen und damit von den Grenzen der Skalenfaktorbänder vollkommen unabhängigen Gruppierung rauschhafter Spektralwerte nach der D1.
99
Dabei ist zu berücksichtigen, dass, wie dargelegt, die aus der D12 bekannten Skalenfaktorbänder bei tiefen Frequenzen vier und bei höheren Frequenzen bis zu 32 bzw. 96 Spektralwerte umfassen. Da nach der Lehre der D1 nur Spektralwerte oberhalb von 5 KHz als rauschhaft gekennzeichnet werden können, müssten für die aus der D12 bekannten oberen Skalenfaktorbänder mindestens 32 Spektralwerte als rauschhaft erkannt werden, damit sie nach der Lehre der D1 als solche signalisiert werden. Damit würde der Fachmann keine erhebliche Datenratenreduzierung erwarten, wenn er die Lehre der D1 mit der festen Gruppierung des MPEG-2 AAC Standard (D12) umzusetzen versuchen würde.
100
Nach alledem ergibt sich der Gegenstand des Anspruchs 11 für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus der Kombination der D1 und D12.
101
e) Auf die Frage, ob die in der D1 wegen der zu groben Zeitauflösung von 20 ms vorgeschlagene Signalisierung einer Einhüllenden des Rauschsignals (noise envelopes) (D1, S. 596, li. Sp., Abs. 2) den Fachmann zusätzlich davon abhält, die Lehre der D1 auf die D12 anzuwenden, wie der Beklagte meint, kommt es nicht an. Gleiches gilt für das Gegenargument der Klägerin, der Fachmann erkenne, dass beim MPEG-2 AAC Standard aufgrund der geringen Zeitauflösung von 2,6 ms (D3, S. 3, Abs. 3, Punkt 1) bzw. der möglichen Umschaltung auf kürzere Blocklängen mit dem Ziel der besseren Zeitauflösung (D3, S. 8, letzter Abs.; D12, S. 65, Abs. 1), die in der D1 angesprochene Übertragung einer Einhüllenden ohnehin nicht länger erforderlich sei.
102
f) Die übrigen Druckschriften liegen weiter ab, so dass auch eine Kombination mit der D12 und/oder der D1 den Fachmann nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand des Streitpatents führt.
B.
103
Nebenentscheidungen
104
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. §§ 91 Abs. 1, 91a Abs. 1 S. 1 ZPO.
105
Soweit die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend teilweise für erledigt erklärt haben, war gemäß §§ 84 Abs. 2 S. 2, 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 91a Abs. 1 S. 1 ZPO (nur) noch über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dies rechtfertigt auch insoweit die im Tenor ausgesprochene Kostentragung durch die Klägerin.
106
Dafür ist der voraussichtliche Ausgang des Verfahrens maßgeblich, sofern er mit hinreichender Sicherheit prognostiziert werden kann (BGH, Urteil vom 21. August 2012 – X ZR 33/10, GRUR 2012, 1230 – MPEG-2-Videosignalcodierung Rn. 37 m. w. N.). Auf der Grundlage einer summarischen Prüfung sind dabei die (mutmaßlichen) Erfolgsaussichten der Klage im Zeitpunkt der Abgabe der Erledigungserklärungen zu beurteilen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2000 – X ZR 184/98, GRUR 2001, 140 – Zeittelegramm).
107
Der Sach- und Streitstand im Zeitpunkt der Erledigung der Hauptsache lässt erwarten, dass die Nichtigkeitsklage auch hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Teil der nebengeordneten Patentansprüche 1 und 10 keinen Erfolg gehabt hätte. Denn Anspruch 1 ist auf ein Verfahren zum Signalisieren einer Rauschsubstitution beim Codieren eines Audiosignals und Anspruch 10 auf ein Verfahren zum Codieren eines Audiosignals gerichtet, welches sowohl rauschhafte als auch nicht-rauschhafte Signalanteile enthält. Dabei verwendet das Codierverfahren nach Anspruch 10 das Verfahren nach Anspruch 1. Beide Ansprüche bilden das Spiegelbild zu dem im Anspruch 11 beschriebenen Decodierverfahren und erscheinen demnach ebenfalls patentfähig, da nicht nahegelegt.
108
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.


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