Patent- und Markenrecht

Wirkungslosigkeit dieser Entscheidung

Aktenzeichen  3 Ni 30/14 (EP)

Datum:
8.12.2015
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Urteil
Spruchkörper:
3. Senat

Verfahrensgang

nachgehend BGH, 21. März 2017, Az: X ZR 48/16, Beschluss

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 1 648 908
(DE 60 2004 002 877)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung am 8. Dezember 2015 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Schramm, des Richters Dipl.-Chem. Dr. Egerer, des Richters Kätker sowie der Richter Dipl.-Chem. Dr. Wismeth und Dipl.-Chem. Dr. Freudenreich
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 1 648 908 wird im Umfang der Ansprüche 1 bis 7, 9, 11 und 13 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 9. Juli 2004 beim Europäischen Patentamt angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten Patents 1 648 908 (Streitpatent), das die Priorität der europäischen Anmeldung EP 03405551 vom 18. Juli 2003 in Anspruch nimmt.
2
Das in englischer Verfahrenssprache erteilte Streitpatent wird vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 60 2004 002 877 geführt und trägt die Bezeichnung „Process For Preparing Acylphosphanes And Derivatives Thereof“. Es umfasst 13 Patentansprüche, von denen die zueinander in Nebenordnung stehenden Patentansprüche 1 und 13 in der englischen Verfahrenssprache wie folgt lauten:
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen
3
In deutscher Sprache lauten sie:
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen
4
Wegen des Wortlauts der übrigen, unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche wird auf die Patentschrift EP 1 648 908 B1 verwiesen.
5
Die Klägerin, die das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 1 bis 7, 9, 11 und 13 angreift, macht den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend (Art. II § 6 (1) IntPatÜG i. V. m. Art. 138 (1) (a) EPÜ).
6
Sie stützt ihr Vorbringen unter anderem auf folgende Dokumente:
7
TM6 WO 2005/014606 A1;
8
TM7 EP 03 016 649.0 (Prioritätsdokument zu TM6);
9
TM8 WO 00/32612 A1;
10
TM9 US 3,397,039;
11
TM10 L. Brandsma et al., Synthetic Communications 24(2) (1994) 3219 bis
12
3223;
13
TM11 M.C.J.M van Hooijdonk, Dissertation 1999, Universität Utrecht;
14
TM12 K. Issleib, E. Priebe, Chem. Ber. 92 (1959) 3183 bis 3189;
15
TM13 K. Issleib, R. Kümmel, Z. Naturforschg. 22b (1967) 784 bis 785;
16
TM16 M.C.J.M van Hooijdonk et al, Phosphorus, Sulfur and Silicon 162 (2000) 39 bis 49;
17
TM17 F. Pass, H. Schindlbauer, Mh. Chem. 90 (1959) 148 bis 156;
18
TM18 US 5,472,992.
19
Nach Auffassung der Klägerin ist der angegriffene Teil des Streitpatents mangels Patentfähigkeit nichtig. Nachdem die Beklagte den angegriffenen Teil ihres Patents nur noch beschränkt verteidigt, macht die Klägerin geltend, dass den Gegenständen der angegriffenen Patentansprüche jedenfalls die erfinderische Tätigkeit fehle. Ausgehend von der Lehre der Druckschrift TM8 in Kombination mit einer der Druckschriften TM9 bis TM11 oder ausgehend von der Druckschrift TM18 in Kombination mit den Druckschriften TM17 unter Berücksichtigung von TM11, TM16, jeweils unter Berücksichtigung des Fachwissens, sei ihr Gegenstand nahegelegt. Entsprechendes gelte für die Gegenstände der Hilfsanträge.
20
Die Klägerin beantragt,
21
das europäische Patent 1 648 908 im Umfang der Ansprüche 1 bis 7, 9, 11 und 13 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
22
Die Beklagte beantragt,
23
die Klage mit der Maßgabe abzuweisen,
24
dass das Streitpatent im angegriffenen Umfang die Fassung des Hauptantrags,
25
hilfsweise eines der Hilfsanträge 1 oder 2,
26
sämtliche gemäß Schriftsatz vom 7. September 2015, erhält.
27
Gemäß Hauptantrag werden im Patentanspruch 1 in seiner erteilten Fassung die am Schluss des Verfahrensschritts (1) befindlichen Wörter „in Gegenwart einer Protonenquelle (Reduktion)“ durch die Wörter „in Gegenwart eines sterisch gehinderten Alkohols (Reduktion)“ ersetzt. Entsprechende Ersetzungen bzw. Beschränkungen werden auch in den weiteren Patentansprüchen 2, 3, 9 und 11 vorgenommen, wobei das entsprechende Merkmal in dem auf Patentanspruch 2 rückbezogenen Patentanspruch 3 wie folgt formuliert wird: „…; die Protonenquelle aus sterisch gehinderten Alkoholen ausgewählt ist; …“.
28
Außerdem enthalten die Patentansprüche 3 bis 5 gemäß Hauptantrag gegenüber der erteilten Fassung weitere Beschränkungen. Sie lauten wie folgt:
29
Patentanspruch 13 gemäß Hauptantrag lautet:
30
Gemäß Hilfsantrag 1 werden in Patentanspruch 1 stoffliche Einschränkungen in den Restebedeutungen der Produkte und damit auch der Edukte vorgenommen.
31
Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 lautet:
32
Die übrigen Patentansprüche 2 bis 13 gemäß Hilfsantrag 1 sind identisch mit den Patentansprüchen 2 bis 13 gemäß Hauptantrag.
33
Gemäß Hilfsantrag 2 werden in den Patentansprüchen 1, 2, 9 und 11 „Lösungsmittel“ als „aromatische Lösungsmittel“ konkretisiert. Ansonsten sind die Patentansprüche 1 bis 13 mit den Patentansprüchen 1 bis 13 gemäß Hilfsantrag 1 identisch.
34
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen. Sie verweist auf folgende Dokumente:
35
M1 Versuchsbericht (Dr. R. H. Sommerlade vom 15.04.2015)
36
M2 Tabellarische Zusammenfassung der Versuche
37
M3 Gutachterliche Stellungnahme (Prof. Dr. H. Grützmacher vom 15.04.2015)
38
M4 Expert Opinion (Prof. Dr. J. M. Goicoechea vom 02.09.15)
39
M5 Versuchsbericht (Dr. R. H. Sommerlade vom 05.09.2015)
40
Nach ihrer Auffassung ist der angegriffene Teil des Streitpatents neu gegenüber dem Stand der Technik, insbesondere gegenüber der Druckschrift TM6. Dies gelte jedenfalls für die nunmehr mit Hauptantrag und mit Hilfsanträgen 1 und 2 verteidigten Fassungen des Streitpatents im Hinblick auf die darin vorgenommene Beschränkung der Protonenquelle auf sterisch gehinderte Alkohole in Verfahrensschritt (1) des jeweiligen Patentanspruchs 1.
41
Zudem sei mit Patentanspruch 13 gemäß Hauptantrag klargestellt, dass das zu oxidierende oder sulfidierende Acylphosphan gemäß dem erfindungsgemäßen Verfahren hergestellt werde, so dass auch sein Gegenstand neu sei. Falls dieser Patentanspruch in der Weise weit ausgelegt werden sollte, dass er sich nicht (allein) auf die nach den Verfahren gemäß den Patentansprüchen 1 bis 12 bzw. den entsprechenden Teilen der Beschreibung gewonnenen Acylphosphane beziehe, so handele es sich jedenfalls um eine zulässige Beschränkung des Patents.
42
Weiterhin beruhten die Gegenstände der angegriffenen Patentansprüche des Streitpatents auf erfinderischer Tätigkeit. Diese könnten nicht durch den Stand der Technik, insbesondere nicht durch die Druckschriften TM8 bis TM13 und TM16 bis TM18 in Frage gestellt werden. Vielmehr sei es überraschend, dass eine Ausbeuteverbesserung gerade durch die Maßnahme einer Protonierung erzielt werden könne, von der der Fachmann eine deutlich reduzierte chemische Reaktivität der Zwischenstufe aufgrund einer verringerten negativen Ladung am Phosphoratom angenommen hätte.

Entscheidungsgründe

43
Die auf den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 a) EPÜ) gestützte Klage ist zulässig und erweist sich auch als begründet.
44
Das Streitpatent ist im angegriffenen Umfang wegen fehlender Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit a EPÜ) nichtig.
45
Soweit das Streitpatent im Wege der zulässigen Selbstbeschränkung nicht mehr verteidigt wird, war es mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland ohne Sachprüfung für nichtig zu erklären (zur st. Rspr. im Nichtigkeitsverfahren vgl. z. B. BGH GRUR 2007, 404, 405 – Carvedilol II; Busse/Keukenschrijver, PatG, 7. Aufl., § 82 Rdn. 90 m. w. Nachw.; Schulte/Voit, Patentgesetz, 9. Aufl., § 81 Rdn. 127).
I.
46
1. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Acylphosphanen und deren Derivate. Aus dem Stand der Technik sind verschiedene Verfahren zur Herstellung von Acylphosphanen sowie deren Oxiden und Sulfiden bekannt. Sie seien mit Nachteilen verbunden, insbesondere weil beträchtliche Mengen an unerwünschten Nebenprodukten erhalten werden (vgl. TM1 [0001]- [0006]).
47
2. Vor diesem Hintergrund ist die dem Streitpatent zugrunde liegende Aufgabe darin zu sehen, ein Verfahren bereit zu stellen, das von organischem Phosphorhalogenid ausgeht, das die sicherheitstechnischen Anforderungen erfüllt, und das sich wirtschaftlich effizient unter möglichst hohen Ausbeuten an Mono- und Bisacylphosphanen durchführen lässt (vgl. TM1 [0007], Schriftsatz der Beklagten vom 17. April 2015, S. 9).
48
3. Die Aufgabe wird durch ein Verfahren zur Herstellung von Acylphosphanen nach den Patentansprüchen 1 bis 12 sowie durch ein Verfahren zur Herstellung von Acylphosphanoxiden und -sulfiden nach Patentanspruch 13 gelöst.
49
Der Patentanspruch 1 weist in der mit Hauptantrag verteidigten Fassung folgende Merkmale auf:
50
1) Verfahren zur Herstellung von Acylphosphanen der Formel I
51
(mit den anspruchsgemäßen Restebedeutungen)
52
durch
53
2) Umsetzen eines Phosphorhalogenids der Formel IIa oder eines Phosphorhalogenidoxids der Formel IIb oder eines Phosphorhalogenidsulfids der Formel IIc
Abbildung in Originalgröße in neuem Fenster öffnen
54
(mit den anspruchsgemäßen Restebedeutungen)
55
2.1) mit einem Alkalimetall in einem Lösungsmittel (Metallierung)
56
2.2) in Gegenwart eines sterisch gehinderten Alkohols (Reduktion),
57
und
58
3) anschließende Umsetzung mit m Säurehalogeniden der FormelHal-CO-R2.
59
Patentanspruch 13 weist in der mit Hauptantrag verteidigten Fassung das zusätzliche Merkmal auf:
60
4) Anschließende Oxidation oder Reaktion mit Schwefel des Acylphosphans der Formel I, I‘,I‘‘oder I‘‘‘ (vgl. Merkmal 1), die gemäß den Verfahren nach den Ansprüchen 1, 8, 9 oder 10 hergestellt sind, unter Bildung der entsprechenden Acylphosphan-Oxide und Acylphosphan-Sulfide.
61
In Patentanspruch 1 der nach Hilfsantrag 1 verteidigten Fassung sind die Restebedeutungen der Markush-Formeln der Produkte und Edukte eingeschränkt worden.
62
In Patentanspruch 1 der nach Hilfsantrag 2 verteidigten Fassung kommt hinzu
63
 2.1.1) das Lösungsmittel ist ein aromatisches Lösungsmittel.
64
4. Bei dem vorliegend zuständigen Fachmann handelt es sich um einen promovierten Chemiker der Fachrichtung Organische Chemie mit besonderer Erfahrung auf dem Gebiet der Synthese organischer Phosphorverbindungen.
65
5. Die in der Streitpatentschrift und in den vorgebrachten Druckschriften verwendeten Begriffe „Acylphosphine“ und „Acylphosphane“ einerseits sowie „Acylphosphinoxide“ und „Acylphosphanoxide“ andererseits bezeichnen jeweils ein und dieselbe Gruppe von Verbindungen. Während „Phosphan“ die von der IUPAC-Nomenklatur empfohlene Bezeichnung darstellt, wird vor allem in der englischsprachigen Fach- und Patentliteratur weiterhin der altherkömmliche Begriff „Phosphin“ verwendet (vgl. z. B. TM8 S. 1 Abs. 1; TM11 Titel), so auch in den Bezeichnungen einschlägiger Handelsprodukte.
66
Alkyl- und Acylphosphane sind organochemische Derivate des Phosphans bzw. Phosphins PH3. Es existieren demnach Mono-, Di- und Trialkyl(aryl,acyl)phosphane. Hinzu kommen Alkyl(aryl,acyl)-Bis-Phosphane mit einer Phosphor-Phosphor-Bindung.
67
Im Phosphan PH3 und seinen Alkyl-, Aryl- oder Acylderivaten RPH2, R2PH und R3P liegt Phosphor jeweils in der niedrigsten Oxidationsstufe -3 vor. In den Halogeniden PCl3, RPCl2 und R2PCl liegt Phosphor in höheren Oxidationsstufen vor: +3 in PCl3, +1 in RPCl2 und -1 in R2PCl. Die alkyl-, aryl- und/oder acylsubstituierten Phosphane werden üblicherweise mittels Wasserstoffperoxid oder mit Persäuren zu den Phosphan-Oxiden R2PH(O) oder R3P(O) oxidiert, wobei die Oxidationsstufe des Phosphors von -3 auf -1 und damit entsprechend der Elektronegativität und Wertigkeit des Sauerstoffs um +2 ansteigt.
68
Insofern führt sowohl die Reduktion von elementarem Phosphor (Oxidationsstufe 0) als auch von RPCl2 (Oxidationsstufe +1) und von R2PCl (Oxidationsstufe -1) zur Aufnahme von Elektronen durch das Phosphoratom und damit zur Erhöhung seiner Nucleophilie.
69
Bei der Reduktionsreaktion des Schrittes 1 gemäß Patentanspruch 1 nach Streitpatent nimmt die Oxidationsstufe ausgehend von beispielsweise Cl2PR zu (RC=O)2PR deshalb von +1 zu -3 hin ab, wobei die Elektronen von dem Alkalimetall als Reduktionsmittel geliefert werden, das ausweislich der Ausführungsbeispiele des Streitpatents wegen der für diese Reduktion erforderlichen 4 Elektronen pro Edukt bevorzugt in mindestens 4-molarem Überschuss eingesetzt wird (vgl. TM1 Tabellen 1 bis 8, sowie die dem Streitpatent nächstkommende TM8, Beisp. 1).
II.
70
Der Gegenstand des Streitpatents, soweit angegriffen, in den nach Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 und 2 verteidigten Fassungen der Patentansprüche ist nicht patentfähig (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a) EPÜ).
71
1. Bereits gegen die Zulässigkeit der nach Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 und 2 gegenüber der erteilten Fassung vorgenommenen Änderungen bestehen Bedenken.
72
a) Zwar ist die Einschränkung auf sterisch gehinderte Alkohole (als Protonenquelle) in den jeweiligen Patentansprüchen nicht zu beanstanden (vgl. TM1 und WO 2005/014605 A2, jeweils Anspr. 4 i. V. m. Anspr. 3 sowie Beisp. 1 bis 11, 15 bis 19).
73
Die lediglich in den Hilfsanträgen 1 und 2 vorgenommene stoffliche Einschränkung des Produktkollektivs und damit auch des entsprechenden Eduktkollektivs kann sich aber weder auf einen in der ursprünglichen Beschreibung noch einen in der Patentschrift als bevorzugt hervorgehobenen Teilgegenstand stützen (vgl. TM1 [0038] ff. und Beispiel 19).
74
Fraglich ist auch die Zulässigkeit der in Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 des Weiteren vorgenommene Änderung in „aromatische“ Lösungsmittel insoweit, als für die Festlegung auf jedwedes aromatische Lösungsmittel weder in der Patentschrift noch in den ursprünglichen Unterlagen eine konkrete Offenbarung vorhanden ist (vgl. TM1 [0078] „aromatic hydrocarbons“).
75
Im Übrigen ist die Einschränkung auf aromatische Lösungsmittel und auf sterisch gehinderte Alkohole in den betreffenden Anspruchsfassungen auch nicht durchgehend vorgenommen worden.
76
b) Gegen die Einschränkung der oberen Grenze des Temperaturbereichs auf 120 o C in Unteranspruch 3 der jeweiligen Anträge, die weder aus der ursprünglichen Beschreibung noch aus der Patentschrift explizit hervorgeht und in den Ausführungsbeispielen sogar mehrfach überschritten wird, bestehen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH GRUR 1990, 510 – Crackkatalysator I; BGH GRUR 2000, 591 – Inkrustierungsinhibitoren) keine Bedenken.
77
c) Die seitens der Beklagten als Klarstellung bezeichnete Einschränkung des Verfahrens gemäß Patentanspruch 13 auf solche Edukte bzw. Zwischenprodukte, die nach den Patentansprüchen 1, 8, 9 oder 10 hergestellt sind, ist zulässig. Zwar besteht für reine Klarstellungen im Zuge des Nichtigkeitsverfahrens kein Anlass. Da es sich jedoch tatsächlich um eine Einschränkung zur Vermeidung der Nichtigkeit des erteilten Patentanspruchs 13 wegen fehlender Neuheit handelt, ist diese Anspruchsänderung zulässig.
78
2. Das Verfahren nach Patentanspruch 1 gemäß Haupt- und Hilfsanträgen ist zwar neu, da in keiner der vorgebrachten Druckschriften und Dokumente sämtliche Merkmale des anspruchsgemäßen Verfahrens beschrieben sind.
79
Insbesondere steht die TM6, die gegenüber der dem Streitpatent zugrunde liegenden Anmeldung nachveröffentlicht ist, und aufgrund ihres früheren Zeitrangs gemäß Art 54 Abs. 3 EPÜ bei der Neuheitsbewertung zu berücksichtigen ist, nach Einschränkung des Merkmals 2.2 auf den Stoffbegriff „sterisch gehinderte Alkohole (als Protonenquelle)“ der Neuheit nicht mehr entgegen.
80
3. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Haupt- und Hilfsanträgen beruht jedoch nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Dies gilt zunächst für den Patentanspruch 1 nach Hauptantrag.
81
Maßgebend für die Beurteilung der erfinderische Tätigkeit des Verfahrens zur Herstellung von Acylphosphanen der Formel I gemäß dem jeweiligen Patentanspruch 1 der geltenden Anträge ist die erste Reaktionsstufe (Merkmale 2 bis 2.2) und damit die Umsetzung eines entsprechend der Struktur der Endprodukte alkylierten und/oder arylierten Phosphorhalogenids mit einem Alkalimetall in einem nicht definierten Lösungsmittel (Metallierung) in Gegenwart eines sterisch gehinderten Alkohols (Reduktion). Für den Fachmann ist es ohne weiteres ersichtlich, dass die Reduktion mit der Metallierung einhergeht. Die Gegenwart von sterisch gehinderten Alkoholen vermag an der Oxidationsstufe des Phosphors nichts zu ändern.
82
Die an die erste Reaktionsstufe anschließende Umsetzung des erhaltenen Reaktionsgemisches mit einem dem gewünschten Endprodukt entsprechend substituierten organischen Säurehalogenid (Merkmal 3) geht hingegen – offensichtlich und unter den Beteiligten unstreitig – nicht über den Stand der Technik hinaus und liefert somit keinen erfinderischen Beitrag.
83
a) Den Ausgangspunkt zum Auffinden einer Lösung des dem Streitpatent zugrunde liegenden Problems stellt die vorveröffentlichte Druckschrift TM8 dar, die Verfahren zur Herstellung von Mono- und Bisacylphosphanen sowie deren Oxiden und Sulfiden und damit Verfahren der Gattung des Streitpatents betrifft (vgl. TM8 z. B. Abstract).
84
Aus der sehr großen Zahl streitpatentgemäß hergestellter Mono- und Bisacylphosphane sowie deren oxidierter und sulfurierter Weiterverarbeitungsprodukte (vgl. TM1 Anspr. 1 Formel I und Anspruch 13 Formel IV) lagen insbesondere die bereits geraume Zeit vor dem Zeitrang des Streitpatents etablierten Handelsprodukte Bis-(2,4,6-trimethylbenzoyl)-phenylphosphanoxid (Irgacure 819), 2,4,6-Trimethylbenzoyl-diphenylphosphanoxid (Lucirin TPO) sowie die handelsüblichen Gemische aus Irgacure 819 und Lucirin TPO einschließlich deren Herstellungsverfahren im Blickfeld des Fachmanns, was nicht nur im Streitpatent (vgl. a. a. O. Beisp. 1 bis 9 sowie 13 und 14), sondern auch in der TM8 (vgl. a. a. O. Beisp. 1, 14 und 16) zum Ausdruck kommt. Der Fachmann wird deshalb unmittelbar die die Herstellung der Handelsprodukte Irgacure 819 und Lucirin TPO betreffenden Beispiele 1 und 14 der TM8 ins Auge fassen und die darin beschriebenen Arbeitsweisen insbesondere auf ihre Eignung in einem mit der Herstellung kommerzieller Produkte üblicherweise einhergehenden großtechnischen Produktionsverfahren hin untersuchen. Im Vordergrund der üblicherweise durchzuführenden Verfahrensentwicklung vom Labormaßstab der TM8 über den Pilotmaßstab bis hin zur großtechnischen Produktion (Scaling-up) stehen wirtschaftliche, sicherheitstechnische und umweltrelevante Fragen des gesamten Herstellungsprozesses einschließlich der Aufarbeitung des gewünschten Produkts. Der Fachmann wird daher aus Gründen der Wirtschaftlichkeit dem erheblich preisgünstigeren Natrium den Vorzug gegenüber dem in Beispiel 1 und in weiteren Ausführungsbeispielen der TM8 eingesetzten Lithium geben (TM8 Anspr. 7). Darüber hinaus wird er aus Gründen der Explosionsgefahr und damit der Produktionssicherheit nach Alternativen zu dem in TM8 eingesetzten Ether Tetrahydrofuran suchen, da dieser mit Luftsauerstoff explosive Peroxide bildet.
85
b) Im Einzelnen werden gemäß TM8 zunächst organische Mono- und/oder Dihalogenphosphane mit einem Alkalimetall oder mit Magnesium in Kombination mit Lithium in einem Lösungsmittel, erforderlichenfalls in Gegenwart eines Katalysators zur Reaktion gebracht, anschließend mit Acylhalogeniden zu den gewünschten Acylphosphanen umgesetzt und gegebenenfalls nachfolgend oxidiert oder mit Schwefel umgesetzt (vgl. TM8 Anspr. 1 und 2 i. V. m. Anspr. 14 sowie S. 8 Abs. 3, S. 10 le Abs. bis S. 11 Abs. 2 – Merkmale 1, 2, 2.1 und 3). Anhaltspunkte für den Einsatz eines sterisch gehinderten Alkohols (Merkmal 2.2) bei der Umsetzung der organischen Mono- und/oder Dihalogenphosphane mit Alkalimetall in einem Lösungsmittel (Merkmal 2.1), ob als Protonenquelle oder in anderer Funktion, ergeben sich aus dieser Druckschrift nicht.
86
c) Die Bestandsfähigkeit des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag hängt deshalb davon ab, ob der Fachmann ausgehend von TM8 Anlass hatte, nach günstigeren Verfahrensgestaltungen zu suchen, und ob er aus dem vorgebrachten Stand der Technik unter Einbeziehung seines Wissens und Könnens die Anregung bekommen konnte, ein Verfahren zur Herstellung von Acylphosphanen gemäß TM8 durch die Zugabe eines sterisch gehinderten Alkohols (Merkmal 2.2) auszugestalten. Dies ist nach Überzeugung des Senats der Fall, zumal grundsätzlich ein Anlass zur Verfahrensoptimierung besteht, so auch ausgehend von der Lehre der TM8 mit besonderem Blick auf einschlägige Handelsprodukte (vgl. TM8 Beisp. 1 und 14).
87
Dabei wird der Fachmann ausgehend von der TM8, der wie dem Streitpatent die gattungsgemäße Aufgabe eines verbesserten, für die Produktion geeigneten Verfahrens zur Herstellung der Mono- und Bisacylphosphane als Zwischenprodukte auf dem Weg zu den betreffenden handelsüblichen Oxiden zugrunde liegt (vgl. TM8 S. 1 vorle Abs. bis S. 2 Abs. 1), den Stand der Technik unter Berücksichtigung seines Wissens und Könnens insbesondere nach Informationen betreffend die Umsetzung bzw. Metallierung und Reduktion der entsprechend alkylierten Phosphorhalogeniden durch ein Alkalimetall, insbesondere Lithium und Natrium, untersuchen.
88
d) In der vorveröffentlichten Dissertation TM11, die öffentlich zugängliche Fachliteratur darstellt und von der der Fachmann schon wegen des Titels einen Überblick über die Herstellung von Phosphanen erwarten durfte, findet er Anhaltspunkte und Anregungen, die ihn unmittelbar zu einer Ausgestaltung der ersten Reaktionsstufe (Merkmale 1, 2 und 2.1) entsprechend dem Merkmal 2.2 gelangen lassen (vgl. TM11 insbes S. 4 Punkt 3, S. 25 bis 40 Chapter 3 sowie S. 41 bis 59 Chapter 4).
89
d.1) Im Einzelnen vermittelt die TM11 bereits in ihrer Einleitung die Lehre, dass Dichlor- und Monochlorphosphane mittels eines Alkalimetalls zu den entsprechend substituierten sekundären und primären Phosphanen R2PH und RPH2 reduziert werden (vgl. TM11 S. 4 scheme 1.5, die zweite und dritte Reaktionsgleichung). Die sowohl im Streitpatent als auch in der TM8 als Edukte eingesetzten Monochlor- und Dichlorphosphane werden gemäß TM11 auch aus Phosphortrichlorid PCl3 hergestellt (vgl. TM11 S. 4 Abschnitt 3 le Satz). Damit bezieht sich auch die TM11, unter anderem, auf gleiche bzw. vergleichbare Ausgangsverbindungen bzw. Edukte wie die TM8 (vgl. TM8 S. 11 le Abs. bis S. 12 Abs. 2) und das Streitpatent. Die im Zuge der Metallierung und Reduktion von Mono- bzw. Diorganylphosphordi- bzw. monochlorid mit dem Alkalimetall sich bildenden wasserstoffsubstituierten Phosphane RPH2, deren Phosph(an)ide RP2- bzw. R2P- bzw. metallierte Derivate stellen in der TM11, so auch im Streitpatent und in der TM8, lediglich Zwischenstufen dar, die ohne Isolierung in situ unmittelbar mit Acylhalogeniden zu den Acylphosphanen umgesetzt werden. Wasserstoffsubstituierte Phosphane kommen damit in der TM11 gerade nicht als Ausgangsverbindungen vor, die es – wie dem Fachmann ohnehin geläufig – wegen ihrer schwierigen Handhabbarkeit zu vermeiden gilt.
90
Gemäß TM11 wird die Reduktion mit Alkalimetall meist in Gegenwart eines bezüglich der P-Verbindung stöchiometrischen Überschusses an t-Butanol durchgeführt (vgl. TM11 S. 26 le Abs. i. V. m. S. 29 Table 3.2 und S. 32 Table 3.4; S. 43 le Abs. i. V. m. S. 44 Table 4.1, S. 48 Table 4.3 und S. 49 Table 4.4) und zwar sowohl in flüssigem Ammoniak (vgl. TM11 Chapter 3) als auch in diversen organischen Lösungsmitteln (vgl. TM11 Chapter 4). Daraus geht bereits unmittelbar die Funktion des t-Butanol als Protonendonor für intermediäre Phosph(an)id- oder Diphosph(an)id-Anionen hervor (vgl. TM11 S. 26 le Abs. und S. 43 le Abs.). Da von Patentanspruch 1 nach Hauptantrag jedes beliebige Lösungsmittel umfasst ist (Merkmal 2.1), kommt es ohnehin nicht darauf an, ob sich die betreffenden Ausführungen der TM11 auf flüssiges Ammoniak oder auf jedwedes organische Lösungsmittel, also auch auf die gemäß TM8 eingesetzten Ether, beziehen.
91
Der Fachmann wird deshalb ausgehend von TM8, die ihm die Merkmale 1, 2, 2.1 und 3 unmittelbar vorgibt, gemäß den Empfehlungen der TM11 (vgl. a. a. O. S. 26 le Abs. und S. 43 le Abs.) den Einsatz eines Protonendonors nicht nur in funktionaler Hinsicht in Betracht ziehen, sondern t-Butanol, einen sterisch gehinderten Alkohol (Merkmal 2.2), im Hinblick auf seine besonders herausgestellte Eignung (vgl. TM11 S. 33 und S. 49 bis S. 50, jeweils Concluding Remarks) unter Produktionsbedingungen auch tatsächlich untersuchen.
92
Damit gelangt der Fachmann ausgehend von der TM8 unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der TM11 in nahe liegender Weise zu einem Verfahren mit sämtlichen Merkmalen gemäß Patentanspruch 1 nach Hauptantrag, so dass dieser mangels erfinderischer Tätigkeit keinen Bestand hat.
93
d.2) Das hiergegen gerichtete Vorbringen der Beklagten, für den Fachmann bestehe kein Anlass zu einer Kombination der Lehre der TM8 mit der TM11, steht dem nicht entgegen. Die Beklagte stützt sich hierbei insbesondere auf das zu den (Handels)Produkten der TM8 unterschiedliche Spektrum von Edukten und Zielverbindungen der TM11, auf die dadurch bedingten anderen Reaktionsbedingungen sowie auf das Auffinden einer Theorie bzw. eines Reaktionsmechanismus (zu letzterem vgl. die nachveröffentlichte TM14).
94
Die Lehre der Druckschrift TM11 wird der Fachmann jedoch nicht deshalb unberücksichtigt lassen, weil die darin beschriebenen Synthesewege in der Regel von elementarem Phosphor oder PCl3 ausgehen und entweder in flüssigem Ammoniak oder in organischen Lösungsmitteln stattfinden. Denn sowohl elementarer Phosphor und PCl3 der TM11 als auch die Mono- oder Dihalogenphosphane der TM8 und der TM11 sowie des Streitpatents werden durch Alkalimetall reduziert. Dabei ist dem Fachmann geläufig, dass in Abhängigkeit von dem speziellen Edukt und den Reaktionsbedingungen von unterschiedlichen Reaktivitäten bei der Reduktion auszugehen ist.
95
Die TM11 gibt dem Fachmann auch ein Vorbild für die Ausbildung von metallierten Zwischenprodukten entsprechend der Formel V des Streitpatents und die anschließende Protonierung (vgl. TM1 Anspr. 2; TM11 S. 27 scheme 3.3 i. V. m. S. 26 vorle u le Abs.). Das gegenüber TM8 andere Spektrum der Edukte und Zielverbindungen der TM11 führt ihn nicht davon weg. Bedeutend sind für ihn vielmehr die Kenntnis der Zusammenhänge der Nucleophilie der als reaktive Zwischenstufen beim ersten Reaktionsschritt auftretenden metallierten Phosphorverbindungen bzw. Phosph(an)id-Anionen einerseits und der Elektrophilie und Reaktivität der umzusetzenden Alkyl- und Acylhalogenide, die seinem Grundwissen zuzurechnen sind und auch im Übrigen nicht über sein Wissen und Können hinausgehen.
96
d.3) Auch dem Vorbringen der Beklagten unter Bezugnahme auf ihr schriftsätzlich eingereichtes Reaktionsschema (vgl. Schrifts. d. Bkl. v. 17. April 2015, S. 19), wonach in der ersten Reaktionsstufe ein vollständig metalliertes Phosph(an)id benötigt und bei Zugabe von t-Butanol das zur weiteren Umsetzung mit Acylchlorid notwendige Phosph(an)id-Anion dagegen vernichtet werde, kann im Hinblick auf den Stand der Technik nicht beigetreten werden. Bereits die TM11 belegt das Wissen des Fachmanns, dass die Vernichtung der benötigten Phosph(an)id-Anionen jedenfalls bei Zugabe von t-Butanol gerade nicht eintritt (vgl. TM11 S. 49 le Abs. Satz 2 i. V. m. S. 27 Abs. unter scheme 3.2 sowie S. 47 Z. 8 bis 11).
97
Der Einwand der Beklagten, Beispiel 1 der TM8 erfordere die zwingende Aktivierung des Alkalimetalls durch Naphthalin sowie einen Ether zur Stabilisierung des Alkalimetalls mit der Folge, dass der Fachmann die TM11 ausgehend von der TM8 nicht herangezogen hätte, greift ebenfalls nicht. Denn der Möglichkeit einer Aktivierung von Natrium durch Naphthalin und andere Aromaten wird in der TM11 als eine alternative Verfahrensgestaltung mit t-Butanol als Protonenquelle zur Seite gestellt (vgl. TM11 Table 4.2 bis 4.4 im Gegensatz zu Table 4.1), die im Übrigen wegen des offen formulierten Verfahrensanspruchs 1 nach Hauptantrag auch streitpatentgemäß umfasst ist.
98
Schließlich ändert auch die seitens der Beklagten unter anderem unter Bezugnahme auf die in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents zitierte TM17 (vgl. TM1 S. 2 Z. 20 bis 24 i. V. m. TM17 S. 152, 154) vorgebrachte Alkoholzugabe erst nach der Metallierung und damit nach der vollständigen Umsetzung des Alkalimetalls nichts an der Bewertung der Lehre der TM11. Denn sowohl in den Ausführungsbeispielen des Streitpatents (vgl. z. B. TM1 S. 12 Beisp. 1 a und b) als auch in der TM11 (vgl. a. a. O. S. 27 Scheme 3.3 i. V. m. S 33 Experimental Section sowie S. 43 Scheme 4.3 S 50 Procedure A) wird zuerst das Alkalimetall als Reduktionsmittel und erst danach t-Butanol als Protonenquelle hinzugegeben. Die Frage nach dem genauen Ausmaß der Reduktion zum Zeitpunkt der Zugabe des t-Butanol stellt sich gemäß den geltenden Fassungen des Patentanspruchs 1 ohnehin nicht.
99
Der Fachmann wird jedenfalls nicht deshalb die TM11 im Zuge seiner Optimierungsarbeiten ausgehend von TM8 unberücksichtigt lassen, weil die experimentellen Einzelheiten zum Einsatz von t-Butanol als Protonendonor bzw. Protonenquelle neben Phosphortrichlorid meist von elementarem Phosphor und nicht unmittelbar von Mono- oder Diaryl- und/oder -alkylphosphorhalogeniden des Streitpatents und der TM8 ausgehen. Vielmehr wird er ohne Weiteres erkennen, dass den unterschiedlichen Ausgangsprodukten Phosphortrichlorid und elementarer Phosphor mit ihren unterschiedlichen Oxidationszahlen des Phosphors (+3 bzw. 0) durch eine einfache Anpassung des molaren Anteils an Reduktionsmittel Rechnung zu tragen ist (vgl. TM11 insbes Tables 4.1 bis 4.4, jeweils Fußnote a), und entsprechende stöchiometrische Gegebenheiten deshalb auch bei den Arylphosphordihalogeniden als Ausgangsverbindungen der TM8 (vgl. a. a. O. Beisp. 1) mit der Oxidationszahl +1 berücksichtigen.
100
In seinem Vorgehen bestärkt wird der Fachmann zudem durch die Information, dass schon Benzylphosphan wegen seiner gegenüber Alkylphosphanen höheren Acidität leichter metalliert wird (vgl. TM11 S. 45 Abs. unter Scheme 4.4), und er deshalb mit einer leichten zweifachen Substitution bei den gegenüber Alkylchloriden zudem erheblich reaktiveren und elektrophileren Acylchloriden rechnen konnte.
101
Entsprechendes gilt bezüglich des Einwands der Beklagten, dass gemäß Streitpatent und der TM8 – im Gegensatz zur TM11 – tertiäre Phosphane hergestellt werden. Denn sowohl im Streitpatent als auch in der TM11 treten gleiche bzw. vergleichbare Zwischenstufen auf, die – für den Fachmann ohne Weiteres erkennbar – ein Drehkreuz zur in-situ Weiterverarbeitung mit Elektrophilen und damit auch mit elektrophilen Acylhalogeniden zu den tertiären Mono- und Bisacylphosphanen darstellen, so dass er mit einer erfolgreichen Übertragung der Lehre der TM11 auf die Herstellungsverfahren der TM8 rechnen konnte.
102
d.4) Was die seitens der Beklagten eingereichten Unterlagen M1 bis M5 anbelangt, so führen diese zu keiner anderen Beurteilung. Aufgrund der positiven Bewertung von t-Butanol in der TM11 (vgl. a. a. O. S. 33 Concluding Remarks i. V. m. S. 26 le Abs., sowie S. 49 le Abs. Concluding Remarks i. V. m. S. 43 le Abs.) wird der Fachmann bei der Entwicklung eines Produktionsverfahrens für Mono- oder Bisacylphosphanoxide den Einsatz von t-Butanol nicht nur in Erwägung ziehen, sondern auch tatsächlich realisieren, wofür es keines erfinderischen Zutuns, sondern lediglich routinemäßiger Optimierung bedarf.
103
Die gutachtlich nachgestellten Versuche der M1 und M5 vermögen – ungeachtet der Frage nach ihrer Vergleichbarkeit zum Original in der TM8 – eine erfinderische Tätigkeit nicht zu begründen. Denn der Fachmann wird nicht nur t-Butanol einsetzen, sondern unter Berücksichtigung der Aufgabe allein aus Sicherheitsgründen auch den Lösungsmittelwechsel weg von Tetrahydrofuran hin zu den sich bereits aus der TM8 anbietenden aromatischen Lösungsmitteln Toluol oder Benzol vornehmen. Auf seine Präferenz für Natrium gegenüber Lithium als Alkalimetall schon aus wirtschaftlichen Überlegungen kommt es im Hinblick auf die Fassung des Merkmals 2.1 in dem jeweiligen Patentanspruch 1 sämtlicher Anträge ohnehin nicht an. Entsprechendes gilt für die Stellungnahmen M3 und M4 zum Inhalt der TM11, insbesondere zur Frage, ob der Fachmann t-Butanol als Protonenquelle im Zuge der Reduktion diverser Phosphorverbindungen als Edukte in Betracht gezogen hätte.
104
Bei dieser Sachlage erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren seitens der Klägerin vorgebrachten Druckschriften. Insbesondere kann dahinstehen, ob der Fachmann – wie von der Klägerin argumentiert – auch ausgehend von der Lehre der Druckschrift TM18, die photopolymerisierbare Zusammensetzungen mit Bisacylphosphanoxiden als Polymerisationskatalysator betrifft und daneben die Herstellung der Bisacylphosphanoxide unter anderem mit Natrium als Reduktionsmittel bereits in aromatischen Lösungsmitteln beschreibt (vgl. TM18 Abstract und Sp. 2 Z. 12 bis 64), in Zusammenschau mit der Lehre der TM11 und TM17 in nahe liegender Weise zum streitgegenständlichen Verfahren gelangen konnte.
105
4. Auch Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags 1 hat mangels erfinderischer Tätigkeit keinen Bestand. Da sich das anspruchsgemäße Verfahren ausschließlich durch Einschränkung der Restebedeutungen der Markush-Formeln IIa bis IIc der Edukte sowie einer entsprechenden Einschränkung der Restebedeutungen der Markush-Formeln I der Produkte unterscheidet und die im Blickfeld des Fachmanns liegenden Handelsprodukte weiterhin von diesen eingeschränkten Formeln erfasst werden, wird vollumfänglich auf die vorstehenden Ausführungen zum Hauptantrag verwiesen.
106
5. Das Streitpatent hat mangels erfinderischer Tätigkeit auch keinen Bestand in der Fassung des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 2, dessen erste Reaktionsstufe gegenüber Haupt- und Hilfsantrag 1 eingeschränkt ist auf die Durchführung der Reduktion mit einem Alkalimetall in einem aromatischen Lösungsmittel (Merkmal 2.1.1).
107
Im Zuge der Entwicklung eines von der TM8 ausgehenden Produktionsverfahrens zur Herstellung von Acylphosphanoxiden wird der Fachmann insbesondere die Arbeitsweisen der TM11 in organischen Lösungsmitteln betrachten. Aus der TM8 selbst geht bereits die Lehre zur Verwendung von Benzol oder Toluol in der Weiterreaktion der Acylphosphane zu den Acylphosphanoxiden hervor (vgl. TM8 S. 10 le Teilabs). Schon wegen der Empfehlung in der TM8, alle Reaktionsstufen auch ohne Isolierung der Zwischenprodukte in ein und demselben Lösungsmittel durchzuführen (vgl. TM8 Anspr. 1 u 2, jeweils le Satz, i. V. m. S. 8 le Abs. bis S. 9 Abs. 1 u vorle Abs.), lag es für den Fachmann nahe, die als Lösungsmittel für die letzte Reaktionsstufe der Oxidation zu den Mono- und Bisacylphosphanoxiden beschriebenen aromatischen Kohlenwasserstoffe Benzol oder Toluol (vgl. TM8 S. 10 le Teilabs) auch in den vorangehenden Reaktionsstufen einzusetzen. Er wird deshalb diejenigen Ausführungsformen der TM11 in seine experimentellen Untersuchungen einbeziehen, die sich – neben dem sterisch gehinderten Alkohol t-Butanol als Protonenquelle – mit den aromatischen Lösungsmitteln Benzol oder Toluol befassen (vgl. TM11 S. 43 Scheme 4.3 i. V. m. S. 44 Table 4.1). Um den beim Einsatz von Ethern als Lösungsmittel in einem Produktionsverfahren zu bewältigenden Sicherheitsproblemen aus dem Weg zu gehen, wird er die aus TM11 zu entnehmende Information, dass die Reaktion mit t-Butanol auch in Toluol oder Benzol allein und ohne Co-Lösungsmittel durchgeführt werden kann (vgl. TM11 S. 44 Table 4.1 Entry 10 i. V. m. le Abs. Satz 1), aufgreifen und orientierende Versuche mit Alkalimetall als Reduktionsmittel und t-Butanol als Protonenquelle in diesen aromatischen Lösungsmitteln durchführen.
108
Dass die meisten der betreffenden Ausführungsbeispiele der TM11 in Benzol oder Toluol mit Dimethoxyethan als Co-Lösungsmittel durchgeführt werden (vgl. TM11 S. 44 Table 4.1), wird dem Fachmann schon wegen der Sicherheitsproblematik ebenso den Einsatz von Benzol oder Toluol als aromatisches Lösungsmittel nahelegen. In Toluol ohne Co-Lösungsmittel sich bildenden Alkane als Nebenprodukte (vgl. TM11 S. 44 Table 4.1 entry 10) stehen dem nicht entgegen, denn er konnte damit rechnen, dass die gegenüber längerkettigen Alkylhalogeniden erheblich reaktiveren und elektrophileren Acylchloride besser mit dem Phosph(an)id-Anionen reagieren und dass darüber hinaus die Reaktion in Benzol oder Toluol ohne Dimethoxyethan auch schneller abläuft (vgl. TM11 S. 44 le Abs. Satz 1).
109
Der Wechsel des Lösungsmittels weg von einem Ether hin zu Toluol oder Benzol und damit zu einem aromatischen Lösungsmittel lag für die Entwicklung eines Produktionsverfahrens damit bereits aus der Lehre der TM8 heraus, ohne Berücksichtigung der TM11, aus Sicherheitsgründen auf der Hand. Die Ausführungen der TM11 zur prinzipiellen Eignung von Toluol oder Benzol in der ersten Reaktionsstufe bestärken den Fachmann darüber hinaus in seinem Vorhaben, diesen Lösungsmittelwechsel auch tatsächlich vorzunehmen.
110
Damit gelangt der Fachmann ausgehend von TM8 unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der TM11 in nahe liegender Weise zu einem Verfahren mit sämtlichen Merkmalen gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2, so dass dieser Anspruch mangels erfinderischer Tätigkeit keinen Bestand hat.
111
6. Nachdem die Beklagte erklärt hat, dass sie die Fassungen der Patentansprüche nach Hauptantrag und nach den Hilfsanträgen 1 und 2 als jeweils geschlossene Anspruchsfassungen verteidigt und sie den Patentanspruch 7 entsprechend ihrer Erklärung in der mündlichen Verhandlung nicht isoliert verteidigt, brauchte auf die auf den jeweiligen Patentanspruch 1 der Anträge rückbezogenen Unteransprüche, soweit angegriffen, und den nebengeordneten Patentanspruch 13 nicht gesondert eingegangen werden, zumal sie einen eigenständigen erfinderischen Gehalt dieser Ansprüche nicht geltend gemacht hat.
III.
112
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO.
113
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
IV.
114
Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung gegeben.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben