Patent- und Markenrecht

Wirkungslosigkeit dieser Entscheidung

Aktenzeichen  3 Ni 28/12 (EP)

Datum:
18.2.2014
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Urteil
Spruchkörper:
3. Senat

Tenor

In der Patentnichtigkeitssache

betreffend das europäische Patent 0 627 919
(DE 692 18 255)
hat der 3. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 18. Februar 2014 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Schramm sowie des Richters Guth, der Richterin Dipl.- Chem. Dr. Proksch-Ledig, des Richters Dipl.-Chem. Dr. Gerster und des Richters Dipl.-Chem. Dr. Jäger
für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent 0 627 919 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 22. Oktober 1992 unter Inanspruchnahme der französischen Priorität 9202696 vom 6. März 1992 als internationale Patentanmeldung PCT/FR92/00992 angemeldeten und vor dem europäischen Patentamt in der regionalen Phase in französischer Sprache erteilten europäischen Patents EP 0 627 919 (Streitpatent), dessen Erteilung mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland beim Europäischen Patentamt am 12. März 1997 bekannt gemacht worden ist und das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 692 18 255 geführt wird. Das mit Wirkung vom 23. Oktober 2012 durch Zeitablauf erloschene Streitpatent, das in vollem Umfang und hilfsweise beschränkt mit einem Hilfsantrag verteidigt wird, betrifft die „Verwendung von Amino-2-trifluormethoxy-6-benzothiazol (Riluzol) zur Herstellung eines Medikamentes zur Behandlung von Erkrankungen des Motoneurons“ und umfasst 5 Patentansprüche, die in deutscher Übersetzung folgendermaßen lauten:
2
1. Verwendung von 2-Amino-6-trifluormethoxy-benzothiazol oder einem Salz dieser Verbindung mit einer pharmazeutisch akzeptablen Säure zur Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung von Erkrankungen des Motoneurons.
3
2. Verwendung nach Anspruch 1 von 2-Amino-6-trifluormethoxy-benzothiazol oder einem Salz dieser Verbindung mit einer pharmazeutisch akzeptablen Säure zur Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung von amyotrophischer Lateralsklerose.
4
3. Verwendung nach Anspruch 2 zur Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung von amyotrophischer Lateralsklerose mit bulbärem Beginn.
5
4. Verwendung nach Anspruch 2 zur Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung von amyotrophischer Lateralsklerose in bulbärer Form.
6
5. Verwendung nach Anspruch 1 bis 4 zur Herstellung eines Arzneimittels, das 25 mg bis 200 mg 2-Amino-6-trifluormethoxy-benzothiazol umfasst.
7
Die Klägerin, die das Streitpatent in vollem Umfang angreift, macht den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend und stützt ihr Vorbringen auf folgende Dokumente:
8
NiK1 EP 0 627 919 B1 (Streitpatent)
9
NiK1a DE 692 18 255 T2, deutsche Übersetzung der NiK1
10
NiK2 FR 2 640 624 A1
11
NiK2a Deutsche Übersetzung der FR 2 640 624 A1 (NiK2)
12
NiK3 L. M. Yagupolskii et. al., Zh. Obshch. Khim. 1963, 33, 2301 bis 2307
13
NiK3a Deutsche Übersetzung des Abs. 4 auf S. 2305 der NiK3
14
NiK4 emeA European Medicines Agency, EMEA/H/C/109, European Public Assessment Report (EPAR) RILUTEK, 10. Juni 1996, last updated 03-2007.
15
Die Klägerin ist der Ansicht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht neu gegenüber dem Stand der Technik gemäß Dokument NiK2/NiK2a. 2-Amino-6-trifluormethoxybenzothiazol (= Riluzol) falle unter die allgemeine Formel I nach Anspruch 1 der NiK2/NiK2a, wobei nach Anspruch 2 der Trifluormethoxyrest expressis verbis benannt sei. Darüber hinaus werde Riluzol im Beispiel 7 individualisiert. Die Verbindungen der NiK2/NiK2a seien auch ausdrücklich zur Behandlung und Vorbeugung der amyotrophen Lateralsklerose nützlich.
16
Die Lehre des Streitpatents beruhe auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Das Dokument NiK2/NiK2a offenbare Riluzol formelmäßig und in individualisierter Form, wobei es unter die bevorzugten Verbindungen des Patentanspruchs 2 der NiK2/NiK2a falle und lehre weiterhin, dass die erfindungsgemäßen Verbindungen für die Behandlung der amyotrophen Lateralsklerose eingesetzt werden könnten. Für den Fachmann habe es daher nahe gelegen, dieser Anregung der NiK2/NiK2a zu folgen und insbesondere auch Riluzol für diese Anwendung zu testen. Die im Hilfsantrag beanspruchte Verwendung von Riluzol zur Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung von amyotropher Lateralsklerose mit bulbärem Beginn bzw. in bulbärer Form unterscheide sich nicht von der im Patentanspruch 2 des Hauptantrags beanspruchten Verwendung von Riluzol zur Herstellung eines Arzneimittels für die Behandlung von amyotropher Lateralsklerose, da im Hilfsantrag lediglich eine mögliche Symptomatik der amyotrophen Lateralsklerose und keine neue Indikation beansprucht werde.
17
Die Klägerin stellt den Antrag,
18
das europäische Patent 0 627 919 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
19
Die Beklagte stellt den Antrag,
20
die Klage abzuweisen, hilfsweise die Klage mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Streitpatent die Fassung des Hilfsantrags gemäß Schriftsatz vom 24. Januar 2014 erhält.
21
Gemäß Hilfsantrag werden die Patentansprüche 1 und 2 des Hauptantrags im Patentanspruch 1 auf die Indikation der Behandlung von amyotrophischer Lateralsklerose mit bulbärem Beginn und im nebengeordneten Patentanspruch 2 auf die Indikation der Behandlung von amyotrophischer Lateralsklerose in bulbärer Form beschränkt. Die erteilten Patentansprüche 3 und 4 entfallen. Patentanspruch 3 gemäß Hilfsantrag entspricht mit Anpassungen der Rückbeziehungen dem erteilten Patentanspruch 5.
22
Die Beklagte tritt dem Vorbringen der Klägerin in allen Punkten entgegen. Zur Stützung ihres Vorbringens verweist sie auf folgende Dokumente:
23
rop1 Urteil 4b 135/12 im Verfahren A… S.A. ./. C… … GmbH und R… GmbH vor dem LG Düsseldorf vom 19. Oktober 2012
24
rop2 EP 0 374 041 A1
25
rop2a AT E 77 375 B (deutsche Übersetzung der rop2)
26
rop3 Entscheidung T 297/88 – 3.3.1 der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamtes vom 5. Dezember 1989
27
rop4 Entscheidung T 0158/96 – 3.3.2 der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamtes vom 28. Oktober 1998.
28
Die Lehre des Streitpatents sei neu gegenüber dem Dokument NiK2/NiK2a, weil die streitpatentgemäß verwendete Verbindung Riluzol dort nicht eindeutig und unmittelbar als individualisierte Verbindung zur Behandlung von amyotrophischer Lateralsklerose offenbart sei. Insbesondere werde in der NiK2/NiK2a eine durch eine Markush-Formel definierte Vielzahl von Verbindungen als – möglicherweise – geeignet zur Behandlung einer Vielzahl von verschiedenen Erkrankungen gelehrt. Diese Druckschrift enthalte somit keine Hinweise, gerade Riluzol zur Behandlung von insbesondere amyotrophischer Lateralsklerose auszuwählen, zumal Wirkungsnachweise zur Behandlung von amyotrophischer Lateralsklerose für die beschriebenen Verbindungen in der NiK2/NiK2a fehlten.
29
Die Lehre des Streitpatents beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, da das Dokument NiK2/NiK2a keinen Anlass gebe, das bereits seit mehr als 20 Jahren bekannte Riluzol gemäß seiner Lehre auszuwählen und insbesondere als speziell zur Behandlung von amyotrophischer Lateralsklerose geeignet in Betracht zu ziehen.


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