Sozialrecht

2 C 10/20

Aktenzeichen  2 C 10/20

Datum:
6.5.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2021:060521U2C10.20.0
Spruchkörper:
2. Senat

Leitsatz

1. Wird der Bescheid über die Anerkennung von Dienstunfallfolgen zurückgenommen, trägt der Dienstherr die materielle Beweislast für dessen Rechtswidrigkeit (Fortführung der bisherigen Rechtsprechung).
2. Die Ursache der Dienstunfähigkeit nimmt nicht an der Feststellungswirkung einer Zurruhesetzungsverfügung teil.

Verfahrensgang

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 6. Mai 2019, Az: 14 B 17.1926, Urteilvorgehend VG Bayreuth, 16. Juni 2015, Az: B 5 K 13.327, Urteil

Tenor

Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 6. Mai 2019 und das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 16. Juni 2015 sowie die Bescheide der Bundesfinanzdirektion Mitte, Service-Center Süd-Ost, vom 20. Juni 2012 und vom 13. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. April 2013 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger aufgrund seines Antrags vom 7. August 2012 Heilbehandlungskosten in Höhe von 3 218,47 € zu erstatten.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten um die Rücknahme zuvor anerkannter Dienstunfallfolgen und darauf aufbauender Dienstunfallfürsorgeleistungen.
2
Der 1952 geborene Kläger stand zuletzt als Polizeihauptkommissar (Besoldungsgruppe A 11 BBesO) bei der Bundespolizei im Dienst der Beklagten. Die Bundespolizeiakademie erkannte mit Bescheid vom 19. Januar 2010 einen vom Kläger im September 2008 auf dem Sportplatz der Bundespolizeischule erlittenen Unfall (Zeckenbiss) als Dienstunfall an und stellte als Dienstunfallfolgen Zustand nach Zeckenbiss Kniegelenk links, Oligoarthritis und DD reaktive Arthritis fest. Mit Bescheid vom 18. Oktober 2010 erkannte sie eine Reihe weiterer krankheitsspezifischer Dienstunfallfolgen an und setzte die eingetretene dienstunfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 100 v.H. fest, ausgenommen der Zeitraum von Juli bis September 2009, in dem sie 50 v.H. betrug. Diesen Bescheid hob die Bundespolizeiakademie mit Bescheid vom 20. Dezember 2010 auf, setzte die darin anerkannten Dienstunfallfolgen und die Grade der Erwerbsminderung erneut und darüber hinaus eine weitere krankheitsspezifische Dienstunfallfolge fest.
3
Mit Bescheid vom 11. Dezember 2010 versetzte die Bundespolizeiakademie den Kläger wegen Polizeidienstunfähigkeit und allgemeiner Beamtendienstunfähigkeit mit Ablauf des Dezember 2010 in den Ruhestand. Zur Begründung führte sie u.a. aus, es bestehe ein ursächlicher Zusammenhang der zur Dienstunfähigkeit führenden Leiden mit dem im Januar 2010 anerkannten Dienstunfall.
4
Die Bundesfinanzdirektion Mitte, Service-Center Süd-Ost nahm unter Anordnung der sofortigen Vollziehung mit Bescheid vom 20. Juni 2012 den Bescheid vom 19. Januar 2010 hinsichtlich der anerkannten Dienstunfallfolgen Oligoarthritis und DD reaktive Arthritis mit Wirkung für die Zukunft zurück (Ziffer 1), entschied, dass der Bescheid im Übrigen bestehen bleibt (Ziffer 2), und stellte fest, dass der Zeckenbiss beim Kläger keine – mithin auch keine erwerbsmindernden – Folgen hinterlassen hat und ein Anspruch auf Unfallausgleich nicht mehr besteht (Ziffer 3), nahm den “Bescheid vom 18. Oktober 2010” mit Wirkung für die Zukunft zurück (Ziffer 4) und stellte weiter fest, dass der Kläger keinen Anspruch auf Unfallruhegehalt mehr hat (Ziffer 5). Die Rechtswidrigkeit der Bescheide der Bundespolizeiakademie stützte die Bundesfinanzdirektion auf die Annahme, dass es sich bei den Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers um dienstunfallunabhängige, anlagebedingte Leiden handele. Der beim Dienstsport erlittene Zeckenbiss sei eine bloße Gelegenheitsursache.
5
Mit Bescheid vom 13. August 2012 lehnte die Bundesfinanzdirektion den Antrag des Klägers vom 7. August 2012 auf Erstattung von dienstunfallbedingten Heilbehandlungskosten in Höhe von 3 218,47 € ab.
6
Die dagegen erhobenen Widersprüche des Klägers sowie seine Klage und Berufung blieben ohne Erfolg. Die Rücknahme der zuvor anerkannten Dienstunfallfolgen und darauf aufbauender Dienstunfallfürsorgeleistungen für die Zukunft sei rechtmäßig. Die Anerkennung der Dienstunfallfolgen sei rechtswidrig, weil eine Kausalität zwischen dem beim Dienstsport erlittenen Zeckenbiss und den Erkrankungen des Klägers zum Zeitpunkt der Anerkennung nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen gewesen sei. Ein solcher Kausalzusammenhang sei auch im Zeitpunkt der mündlichen Berufungsverhandlung nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme offen geblieben. Dies gehe zu Lasten des Klägers; ihn treffe die materielle Beweislast auch in der Situation der Rücknahme zuvor anerkannter Dienstunfallfolgen.
7
Hiergegen richtet sich die vom Senat wegen Divergenz zugelassene Revision des Klägers, mit der er beantragt,
das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 6. Mai 2019 und das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 16. Juni 2015 sowie die Bescheide der Bundesfinanzdirektion Mitte, Service-Center Süd-Ost, vom 20. Juni 2012 und vom 13. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. April 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm aufgrund seines Antrags vom 7. August 2012 Heilbehandlungskosten in Höhe von 3 218,47 € zu erstatten.
8
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.


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