Sozialrecht

Ablehnung eines Gerichtssachverständigen

Aktenzeichen  8 O 53/16

Datum:
6.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 49953
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 42 Abs. 2, § 406 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Ungefragte rechtliche Ausführungen des gerichtlich bestellten medizinischen Sachverständigen zum Deckungsausschluss für krankhafte psychische Störungen in der privaten Unfallversicherung rechtfertigen jedenfalls dann keine Ablehnung des Sachverständigen wegen Zweifeln an dessen Unvoreingenommenheit, wenn die ablehnende Partei ihr Klagebegehren überhaupt nicht auf psychische Leiden stützt. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Das Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen den Sachverständigen Dr. med. … wird als unbegründet zurückgewiesen.

Gründe

I.
Unter dem 31.01.2018 wurde durch den gerichtlichen beauftragten Sachverständigen Dr. med. … (Beweisbeschluss: Bl. 96, 113 d.A.) ein schriftliches Sachverständigengutachten erstattet, welches den Parteivertretern am 13.08.2018 mit Stellungnahmefrist bis zum 07.03.2018 zugestellt wurde. Mit Schriftsatz vom 22.02.2018, per Fax bei Gericht eingegangen am 07.03.2018, ließ die Klägerin den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnen.
Die Klägerin führt im Wesentlichen an, bereits der ganze Sprachstil des Gutachtens lege nahe, dass der Sachverständige nicht die nötige wissenschaftliche Distanz gewahrt habe. Er habe von Vorneherein jeder Zusammenhang zwischen Unfall und geschilderten Beschwerden in Abrede gestellt. Ihr werde darüber hinaus unterstellt, dass sie Schmerzen nur vorgegeben und tatsächlich nicht erfahren habe. Der Sachverständige habe außerdem seinen Gutachtensauftrag überschritten und rechtliche Subsumtionen vorgenommen, indem er ungefragt darauf hingewiesen habe, dass „krankhafte seelische Störungen“ nicht dem Versicherungsschutz der streitgegenständlichen Unfallversicherung unterfielen.
Der Sachverständige selbst (Bl. 188 ff. d.A.) und die Beklagtenseite (Bl. 184 d.A.) nahmen hierzu Stellung.
II.
Das Ablehnungsgesuch der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.
Gemäß § 406 Abs. 1 S. 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Sachverständigen zu rechtfertigen (§ 406 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO). Es muss sich dabei um Tatsachen oder Umstände handeln, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung erwecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (BGH, Beschluss vom 15.03.2005, Az.: VI ZB 74/04). Ein solcher Grund liegt hier nicht vor.
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass der Sprachstil des Gutachtens keinerlei Besonderheiten aufweist, die auf eine unprofessionelle und voreingenommene Herangehensweise des Sachverständigen hindeuten. Der Sprachstil ist durchweg von Zurückhaltung und Distanz geprägt. Lediglich das Ergebnis der Feststellungen des Sachverständigen mag man als der Klägerin nachteilig werten. Inwiefern der Sachverständige „von Vorneherein“ jeden Zusammenhang zwischen dem streitgegenständlichen Unfall und den von der Klägerin geschilderten Beschwerden in Abrede gestellt haben soll, erschließt sich nicht. Auch die von der Klägerin wörtlich zitierten Passagen des Gutachtens geben bei vernünftiger Betrachtung keinerlei Rückschluss auf eine Befangenheit des Sachverständigen. Wenn der Sachverständige die Berechtigung gewisser Diagnosen in Abrede stellt, bringt er damit allenfalls Kritik an der fachlichen Meinung seiner Kollegen zum Ausdruck, nicht aber Kritik an der Klägerin. Die von der Klägerin aus Seite 42 des Gutachtens zitierte Passage kann nicht ohne den weiteren Kontext gewertet werden und lässt ebenfalls keinen Rückschluss auf eine Befangenheit des Sachverständigen vor. Dieses Zitat leitet – nach äußerst umfangreicher Darstellung von Anamnese, Befunderhebung und Diagnose – die Plausibilitäts- und Konsistenzprüfungen des Sachverständigen hinsichtlich der von der Klägerin geschilderten Beschwerden ein. Der Sachverständige stellt dort nach der von der Klägerin zitierten Passage ausdrücklich klar, dass die alleinige Befragung von Betroffenen ungeeignet sei, um subjektive Beschwerdeschilderungen von objektiven psychopathologischen Befunden zu trennen. Dies lässt bei vernünftiger Würdigung nur den Hinweis auf genaues und objektives Arbeiten zu, nicht aber auf eine einseitige Voreingenommenheit gegenüber der Klägerin.
Auch der Hinweis des Sachverständigen auf Seite 45 des Gutachtens auf den Umstand, dass nach den Versicherungsbedingungen krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen nicht unter den Versicherungsschutz fallen, ist nicht geeignet, Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit zu wecken. Ob die Überschreitung eines Gutachterauftrags geeignet ist, bei einer Partei bei vernünftiger Betrachtung die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen hervorzurufen, ist einer schematischen Betrachtungsweise nicht zugänglich, sondern kann nur aufgrund des jeweiligen Einzelfalls entschieden werden (BGH, Urteil vom 11.4.2013, Az.: VII ZB 32/12). Das kann insbesondere dann zu bejahen sein, wenn der Sachverständige unter Überschreitung seines Gutachtensauftrags den Prozessbeteiligten den von ihm für richtig gehaltenen Weg zur Entscheidung des Rechtsstreits aufzeigt (BGH a.a.O.; OLG Jena, Beschluss vom 02.08.2007, Az.: 1 WF 203/07). Der Klägerin ist zwar darin Recht zu geben, dass der Sachverständige Dr. … natürlich grundsätzlich zu rechtlichen Schlussfolgerungen oder Hinweisen nicht berufen ist. Gleichzeitig muss aber berücksichtigt werden, dass die Klägerin zu keinem Zeitpunkt versucht hat, ihrer Klage auf der Basis des Vortrags, sie sei aufgrund psychischer Leiden invalide, zum Erfolg zu verhelfen. Der Hinweis des Sachverständigen mag insofern überflüssig sein, in der Sache selbst für die Klägerin aber völlig unschädlich. Anders könnte die Sachlage zu beurteilen sein, wenn eine Leistungserbringung durch die Beklagte aufgrund angeblicher psychischer Invalidität Streitgegenstand im engen Sinne gewesen wäre. Das ist aber nicht der Fall. Die Klägerin behauptet 50 %ige Invalidität bezogen auf Schulter, Gesicht, Nacken und Kopf. Somit kann bei verständiger Würdigung auch aus Sicht der Klägerin davon ausgegangen werden, der Sachverständige habe ihr mit dieser Bemerkung schaden wollen.


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