Sozialrecht

Anerkennung eines Ereignisses als Arbeitsunfall

Aktenzeichen  L 17 U 329/15

Datum:
12.10.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VII SGB VII § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3, § 6, § 8 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Zum Vorliegen eines Arbeitsunfalls bei einer tätlichen Auseinandersetzung unter Betriebsangehörigen. (Rn. 19 ff.)
2. Ein betriebsbedingtes Motiv für einen tätlichen Angriff liegt vor, wenn dieser wegen kompromittierender Äußerungen im Betrieb erfolgt. (Rn. 30)

Verfahrensgang

S 11 U 264/13 2015-07-16 Urt SGBAYREUTH SG Bayreuth

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 16.07.2015 sowie der Bescheid der Beklagten vom 13.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2013 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, das Ereignis vom 23.08.2013 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung des Ereignisses vom 23.08.2013 als Arbeitsunfall strittig. Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 13.09.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.11.2013 hat die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall abgelehnt.
Die Berufung ist begründet. Zu Unrecht hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger hat Anspruch auf Anerkennung des Ereignisses vom 23.08.2013 als Arbeitsunfall. Er ist daher durch die ablehnende Entscheidung der Beklagten in seinen Rechten verletzt.
Gemäß § 8 Abs. 1 S. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Nach S. 2 der Vorschrift sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen.
Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb „Versicherter“ ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts – BSG -, vgl. Urteil vom 17.12.2015 – B 2 U 8/14 R, juris Rn. 9 m.w.N. der Rechtsprechung).
Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Kläger war zum Zeitpunkt der tätlichen Auseinandersetzung mit S als Beschäftigter der Spedition B. bei der Beklagten gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII kraft Gesetzes versichert. Er hat auch einen Unfall i.S.d. § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII erlitten (siehe dazu 1.). Dieser Unfall ist ein Arbeitsunfall, weil das Ereignis, das zum Gesundheitserstschaden geführt hat, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (siehe dazu 2.).
1. Die anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. neben der versicherten Tätigkeit und dem Arbeitsunfall auch der Gesundheitsschaden, müssen im sogenannten Vollbeweis feststehen. Hierfür ist keine absolute, jeden möglichen Zweifel und jede Möglichkeit des Gegenteils ausschließende Gewissheit zu fordern, vielmehr genügt für die entsprechende richterliche Überzeugung ein der Gewissheit nahekommender Grad von Wahrscheinlichkeit (BSG vom 27.03.1958 – 8 RV 387/55, juris Rn. 16). Die volle Überzeugung wird als gegeben angesehen, wenn eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, d. h. eine Wahrscheinlichkeit besteht, die nach der Lebenserfahrung praktisch der Gewissheit gleichkommt, weil sie bei jedem vernünftigen, die Lebensverhältnisse klar überschauenden Menschen keine Zweifel mehr bestehen lässt (BSG vom 27.04.1972 – 2 RU 147/71, juris Rn. 30; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, § 128 Rn. 3b m.w.N.).
Für den ursächlichen Zusammenhang – Wirkursächlichkeit – zwischen der versicherten Tätigkeit, dem schädigenden Ereignis und dem Gesundheitsschaden (haftungsbegründende Kausalität) sowie Folgeschäden (haftungsausfüllende Kausalität) ist demgegenüber hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend. Um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zu bejahen, muss absolut mehr für als gegen die jeweilige Tatsache sprechen. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, das ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden und nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung deutlich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (BSG vom 08.08.2001 – B 9 V 23/01 B, juris Rn. 4 m.w.N.; vom 02.02.1978 – 8 RU 66/77, juris Rn. 13). Die Beweisanforderungen bei der hinreichenden Wahrscheinlichkeit sind höher als bei der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (Glaubhaftmachung im Sinne eines Beweismaßes, vgl. dazu BSG vom 08.08.2001 – B 9 V 23/01 B, juris Rn. 5). Überwiegende Wahrscheinlichkeit bedeutet die gute Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können; dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet (vgl. BSG vom 08.08.2001 – B 9 V 23/01 B, juris Rn. 5 und Orientierungssatz; vom 14.12.2006 – B 4 R 29/06, juris Rn. 116; vom 17.04.2013 – B 9 V 3/12 R, juris Rn. 36; Keller, a.a.O., Rn. 3d m.w.N.; zum Zivilrecht BGH vom 11.09.2003 – IX ZB 37/03, juris Rn. 8; vom 15.06.1994 – IV ZB 6/94).
Das Ereignis vom 23.08.2013 stellt einen Unfall im Sinne des § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII dar.
Zur vollen Überzeugung des Senats hat am 23.08.2013 eine zeitlich begrenzte, von außen kommende Einwirkung auf den Körper des Klägers stattgefunden, als ihn S mit der linken Hand gegen die rechte Gesichtshälfte geschlagen hat. Diesen Vorgang hat S bei ihrer Zeugeneinvernahme in der mündlichen Behandlung bestätigt, wobei sie den Schlag als „Klaps auf den Hinterkopf“ bezeichnet hat. Das Vorliegen einer leichten Körperverletzung durch S ergibt sich auch aus den beigezogenen Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft A-Stadt. Sie wurde zudem von den Angestellten der Spedition B. L. u. S. bei ihrer Zeugeneinvernahme vor dem LG A-Stadt am 15.10.2014 beschrieben. Wie sich aus dem Sitzungsprotokoll des LG A-Stadt ergibt, haben die genannten Zeugen den tätlichen Angriff der S als Augenzeugen wahrgenommen.
Ebenfalls im Vollbeweis steht fest, dass beim Kläger unmittelbar nach dem tätlichen Angriff eine HWS-Distorsion nach Quebec-Task-Force II vorgelegen hat. Diese Feststellung trifft der Senat aufgrund des Befundberichts des Sana Klinikums A-Stadt – Chirurgische Klinik vom 23.08.2013 sowie des nervenärztlichen Gutachtens des Dr. L. vom 03.09.2015, das dieser im Verfahren für das Landgericht Hof gefertigt hat und das im Wege des Urkundenbeweises verwertbar ist. Der Kläger hatte das Klinikum A-Stadt noch am 23.08.2013 zur Notfallbehandlung aufgesucht; dort wurde eine HWS-Distorsion ohne pathologische neurologische Anzeichen festgestellt. Dr. L. hat den am 23.08.2013 vorliegenden Befund anhand der Akten und der Angaben des Klägers als HWS-Distorsionsverletzung QTF2 eingeordnet.
Die HWS-Distorsion nach Quebec-Task-Force II ist als Gesundheitserstschaden auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die beschriebene Einwirkung zurückzuführen. Hierbei stützt sich der Senat wiederum auf den genannten Befundbericht des S. Klinikums A-Stadt – Chirurgische Klinik und auf das nervenärztlichen Gutachten des Dr. L. Des Weiteren nimmt der Senat Bezug auf das neurochirurgische Gutachten des Professor Dr. M. vom 10.09.2015, das dieser im Verfahren für das Landgericht Hof gefertigt hat und das ebenfalls im Wege des Urkundenbeweises verwertbar ist. Auch Professor Dr. M. hat die am 23.08.2013 im Bereich der HWS aufgetretenen Beschwerden des Klägers als leichte Irritation im Sinne einer funktionellen Störung nach dem erlittenen Schlag ohne strukturelle Schädigung mit anhaltenden Beschwerden eingeordnet.
2. Der Unfall ist auch wesentlich ursächlich auf die versicherte Tätigkeit des Klägers zurückzuführen.
Auf der 1. Stufe muss die versicherte Verrichtung iS der „conditio-Formel“ eine erforderliche Bedingung des Erfolges (stets neben anderen Bedingungen) sein. Sie muss Wirkursache des Erfolges gewesen sein, muss ihn tatsächlich mitbewirkt haben und darf nicht nur als (bloß im Einzelfall nicht wegdenkbare) zufällige Randbedingung anzusehen sein. Ob die versicherte Verrichtung eine Wirkursache für die festgestellte Einwirkung war, ist eine rein tatsächliche Frage. Auf der 2. Stufe ist festzustellen, ob sich die durch die versicherte Tätigkeit objektiv verursachte Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen als Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr darstellt und deshalb die versicherte Tätigkeit „wesentlich“ war, ob also sich durch das versicherte Handeln ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand gerade Schutz gewähren soll. Die Einstandspflicht des Unfallversicherungsträgers wird nur begründet, wenn die durch die versicherte Verrichtung objektiv mitverursachte Einwirkung auf den Versicherten eine Gefahr mitverwirklicht hat, gegen die die begründete Versicherung schützen soll. Andere unversicherte Mitursachen können die rechtliche Zurechnung ausschließen. Das ist der Fall, wenn die unversicherten Wirkursachen das Unfallgeschehen derart geprägt haben, dass sie die versicherte Wirkursache verdrängen, so dass der Schaden „im Wesentlichen“ rechtlich nicht mehr dem Schutzbereich des jeweiligen Versicherungstatbestandes unterfällt. Die versicherten und die auf der ersten Zurechnungsstufe festgestellten unversicherten Wirkursachen und ihre Mitwirkungsanteile sind in einer rechtlichen Gesamtbeurteilung anhand des zuvor festgestellten Schutzzwecks des Versicherungstatbestandes zu bewerten (BSG vom 18.06.2013 – B 2 U 10/12 R, juris Rn. 16 ff. m.w.N.).
Dabei stehen Unfälle infolge von Überfällen bzw tätlichen Auseinandersetzungen im inneren Zusammenhang (= wesentlicher ursächlicher Zusammenhang) mit der versicherten Tätigkeit, wenn die Tätlichkeit am Arbeitsplatz, auf dem Betriebs Weg oder auf dem Weg von oder nach dem Ort der Tätigkeit aus der Betriebszugehörigkeit unmittelbar hervorgegangen ist, ohne dass es eines betriebsbezogenen Tatmotivs bedarf, und wenn nicht ein Tatmotiv aus dem persönlichen Bereich von Täter oder Opfer zum Überfall geführt hat, es sei denn besondere Verhältnisse bei der versicherten Tätigkeit (z.B. Dunkelheit, Umgebung) bzw des Weges haben den Überfall – bzw. die tätliche Auseinandersetzung – erst ermöglicht oder wesentlich begünstigt (BSG vom 19.12.2000 – B 2 U 37/99 R, juris Rn. 15 m.w.N.). D.h. eine tätliche Auseinandersetzung ist stets als Arbeitsunfall anzuerkennen, wenn diese während der Ausübung einer versicherten Tätigkeit – sei es auf der Betriebsstätte oder auf einem versicherten Weg – erfolgt. Eine Ausnahme ist nur zu machen, wenn die Auseinandersetzung in keiner sachlichen Verbindung mit der versicherten Tätigkeit des Verletzten steht, sondern z.B. aufgrund einer persönlichen Feindschaft erfolgt und keine der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden Verhältnisse den Überfall wesentlich begünstigt haben (vgl. BSG vom 18.11.2008 – B 2 U 27/07 R, juris Rn. 27 zum Vorliegen eines Arbeitsunfalls bei einem Überfall). Das bedeutet, dass es keines betriebsbezogenen Tatmotivs bedarf, damit überhaupt ein innerer Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit hergestellt werden kann. Beruht das Tatmotiv allerdings auf Umständen, die in keiner Verbindung mit der versicherten Tätigkeit des Verletzten (z.B. persönliche Feindschaft oder ähnliche betriebsfremde Beziehungen) stehen, so fehlt es grundsätzlich an dem erforderlichen inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. Für die Beantwortung der Frage, ob zwischen dem Angriff und der versicherten Tätigkeit ein innerer Zusammenhang besteht, sind daher in der Regel die Beweggründe entscheidend, die den Angreifer zu seinem Vorgehen bestimmt haben (vgl. BSG v. 19.03.1996 – 2 RU 19/95, juris Rn. 18 m.w.N.; siehe auch schon BSG vom 10.12.1957 – 2 RU 270/55, BSGE 6, 164; BSG vom 28.04.1977 – 2 RU 31/75, juris Rn. 18). Gelangt das Gericht hierbei zu dem Ergebnis, dass betriebliche Vorgänge die wesentliche Ursache zu dem Streit und den Beweggrund für das Handeln des Schädigers gebildet haben, ist der innere Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und der versicherten Tätigkeit zu bejahen (BSG v. 19.06.1975 – 8 RU 70/74, juris Rn. 15 m.w.N.; vgl. auch Ricke in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 8 SGB VII, Rn. 105: „Tätlichkeiten sind versichert, wenn sie unmittelbar aus der Arbeit erwachsen.“; ebenso Krasney, WzS 2012, S. 133; G. Wagner in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, § 8 Rn. 74).
Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit des Klägers und dem tätlichen Angriff der S liegt vor. Nach den Feststellungen des Senats übte der Kläger zum Zeitpunkt des tätlichen Angriffs der S, also des Unfalls, seine versicherte Tätigkeit aus. Der Kläger befand sich aufgrund der Aufforderung seines Arbeitgebers in den Geschäftsräumen des Beschäftigungsbetriebs, um dort mit diesem seine nächsten Arbeitstätigkeiten zu besprechen. Diese versicherte Tätigkeit hat auch unmittelbar den tätlichen Angriff der Zeugin S ausgelöst, die beim Erblicken des Klägers spontan auf ihn losgegangen ist.
Auch der wesentliche Zusammenhang, also der notwendige innere Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit des Klägers und dem tätlichen Angriff der S ist gegeben. Denn dem Angriff der S lagen ganz wesentlich betriebsbedingte Motive zu Grunde.
Zu dieser Überzeugung ist der Senat aufgrund der glaubhaften Angaben der Zeugin S in der öffentlichen Sitzung vom 12.10.2017 gelangt. Zwar hat S angegeben, dass sie sich auch als Frau über die Behauptungen des Klägers, dass sie in der Nacht des 14.07.2013 sexuelle Handlungen mit einem Arbeitskollegen ausgeübt hätte, geärgert habe und ihr diese Behauptungen auch wegen ihres Exmanns unangenehm gewesen seien. Insbesondere habe sie sich aber darüber geärgert, dass unter den Kollegen im Büro über diese Sache geredet wurde, zumal sie ja auch die Chefin des Klägers gewesen sei. Sie habe deshalb auch im Betrieb geäußert, dass sie es dem Kläger geben werde – d.h. ihn zur Rede stellen werde -, auch wenn der Schlag („Klaps“) so nicht geplant gewesen sei. Für den Senat steht daher fest, dass die tätliche Auseinandersetzung zwischen der S und dem Kläger am 23.08.2013 auch und gerade deshalb erfolgte, weil sich S aufgrund des Geredes im Betrieb gezwungen sah, sich vor der Belegschaft gegen die aus ihrer Sicht unwahren Behauptungen zur Wehr zu setzen (s. dazu Krasney, WzS 2012, S. 134). Insbesondere sah sie sich durch diese auch in ihrer Rolle als Chefin herabgesetzt. Wesentlich ursächlich für den Vorfall am 23.08.2013 und damit Beweggrund für das Handeln der S waren somit betriebliche Vorgänge, nämlich die im Betrieb getätigten Äußerungen des Klägers, die die S gegenüber der Belegschaft kompromittierten.
Dass der Kläger gegenüber dem Arbeitgeber und Ehemann der S sowie Arbeitnehmern des Beschäftigungsbetriebs von sexuellen Handlungen zwischen der S und einem Arbeitnehmer des Beschäftigungsbetriebs während einer beruflich veranlassten Bahnfahrt in der Nacht des 14.07.2013 berichtet hat, steht zur vollen Überzeugung des Senats allein schon aufgrund der Angaben des Klägers in der nicht-öffentlichen Sitzung vom 28.10.2014 vor dem SG fest. Dass entsprechende Äußerungen vom Kläger getätigt wurden, wurde auch von S bei ihrer Zeugeneinnahme vor dem Senat bestätigt. Ob die berichteten sexuellen Handlungen tatsächlich stattgefunden haben, ist für die rechtliche Beurteilung im vorliegenden Fall jedoch ohne Bedeutung.
Wie dargelegt ist bei der Beurteilung, ob zwischen der versicherten Tätigkeit des Klägers und dem tätlichen Angriff der S ein wesentlicher Zusammenhang bestand, maßgeblich auf die Beweggründe für den Angriff abzustellen. Der Umstand, dass die Äußerungen des Klägers den privaten Lebensbereich der S zum Gegenstand hatten und er diese gegenüber dem Arbeitgeber aus rein privaten Gründen getätigt haben will, schließt entgegen der Auffassung des SG einen solchen inneren Zusammenhang nicht aus. Entscheidender Anknüpfungspunkt ist vielmehr, dass der Kläger seine Äußerungen im Betrieb gegenüber mehreren Betriebsangehörigen getätigt hat. Da dieser Umstand letztlich der Beweggrund für das Handeln der S war, ist die notwendige Verbindung mit der versicherten Tätigkeit des Klägers zu bejahen.
Dass der Kläger durch seine Äußerungen die Ursache für die Wochen später erfolgte tätliche Auseinandersetzung mit der S gesetzt hat, also insoweit am Entstehen der Auseinandersetzung maßgeblich beteiligt war, hat auf den inneren Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und dem tätlichen Angriff der S keine Auswirkung. Denn weder stellte der tätliche Angriff der S eine unmittelbare Reaktion auf ein provozierendes Verhalten des Klägers dar (siehe dazu Keller in Hauck/Noftz, § 8 SGB VII, Rn. 149, wonach es grundsätzlich unschädlich sein soll, wenn der Verletzte am Entstehen des Streits beteiligt war oder diesen sogar allein verursacht hat; so auch Ricke in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 8 SGB VII, Rn. 105, es sei denn, der Verletzte hat sich besonders provozierend verhalten), noch waren das Verhalten des Klägers und die dadurch verursachten betrieblichen Auswirkungen dem privaten Bereich zuzuordnen.
Nach alledem erfüllt das Ereignis vom 23.08.2013 die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII. Das Urteil des SG vom 16.07.2015 sowie der Bescheid der Beklagten vom 13.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.11.2013 waren somit aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Ereignis vom 23.08.2013 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.

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