Sozialrecht

Antrag auf rückwirkende Befreiung eines Syndikusrechtsanwalts von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung

Aktenzeichen  L 13 R 364/20

Datum:
17.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 7641
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 231 Abs. 4b
SGB VI § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
SGB X § 27
SGG § 91

 

Leitsatz

1. Der Antrag auf rückwirkende Befreiung eines Syndikusrechtsanwalts von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 231 Abs. 4b SGB VI, der bis 01.04.2016 zu stellen war, ist auch dann erforderlich, wenn für diesen Zeitraum bereits ein Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusanwalt nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI gestellt worden ist, über den zu diesem Zeitpunkt (01.04.2016) noch nicht abschließend entschieden war.
2. Der Antrag auf rückwirkende Befreiung kann auch dann nicht fristwahrend beim Sozialgericht gestellt werden, wenn dort ein Verfahren betreffend die Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusanwalt nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI anhängig war. § 91 SGG ist in diesem Fall auch analog nicht anwendbar.
3. Die Annahme, dass im Falle eines offenen Befreiungsverfahrens auf eine Antragstellung nach § 231 Abs. 4b SGB VI verzichtet werden könnte, rechtfertigt im Falle einer Fristversäumnis weder die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand noch begründet dies einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch.

Verfahrensgang

S 47 R 1122/17 2020-06-18 GeB SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 18. Juni 2020 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung ist gemäß §§ 143,151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, insbesondere statthaft und form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist aber unbegründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, den Kläger nach seiner Zulassung als Syndikusrechtsanwalt auch rückwirkend für die Zeit vom 01.04.2012 bis 23.03.2016 von der Rentenversicherungspflicht zu befreien, weil der Antrag auf rückwirkende Befreiung nicht rechtzeitig gestellt worden ist. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen nicht vor. Der Kläger kann auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt werden, als habe er den Antrag rechtzeitig gestellt. Es ist daher auch nicht zu prüfen, ob bei rechtzeitiger Antragstellung die Voraussetzungen erfüllt gewesen wären.
1. Streitig ist vorliegend die Befreiung des Klägers von der Befreiung in der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund der Zulassung als Syndikusrechtsanwalt nach § 231 Abs. 4b SGB VI i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in der ab 01.01.2016 geltenden Fassung. Maßgebend ist insoweit der mit Schriftsatz vom 29.03.2016 gestellte Antrag. Gegenstand des Verfahrens ist nicht die Frage, ob der Kläger schon auf seinen Antrag vom 26.04.2012 für seine Tätigkeit als Riskmanager von der Rentenversicherungspflicht zu befreien war. Zu Recht hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass es sich insoweit um zwei unterschiedliche Regelungen und Streitgegenstände handelt, weswegen der später ergangene Bescheid vom 06.01.2017 auch nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens Az.: S 47 R 656/16 bzw. des nachfolgenden Berufungsverfahrens Az.: L 13 R 363/20 geworden ist und eine anderweitige Rechtshängigkeit bzw. nunmehr Bestandskraft des Bescheids vom 09.09.2013 (§ 77 SGG) der Überprüfung des Bescheids vom 06.01.2017 im vorliegenden Verfahren nicht entgegensteht.
Streitgegenstand eines Klageverfahrens ist nach Durchführung eines Vorverfahrens der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids (§ 95 SGG). Nach § 96 SGG wird ein neuer Verwaltungsakt nach Klageerhebung nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Zwar ist vorliegend der Bescheid vom 06.01.2017 bei noch nicht beendeter Rechtshängigkeit des streitigen Klageverfahrens Az.: S 47 R 656/16 ergangen. Er ändert den in diesem Verfahren streitigen Bescheid vom 09.09.2013 jedoch weder ab noch ersetzt er diesen. Abändern oder Ersetzen setzt allgemein voraus, dass der Regelungsgegenstand des neu einzubeziehenden Verwaltungsakts mit dem des früheren identisch ist, was durch Vergleich der in beiden Verwaltungsakten getroffenen Verfügungssätze festzustellen ist (BSG, Urteil vom 24.11.1978 – 11 RA 9/78 -, BSGE 47, 168-172; Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 96 Rn. 4a mwN). Die Auslegung eines Verwaltungsakts hat dabei ausgehend von seinem Verfügungssatz und der Heranziehung des in § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ausgedrückten allgemeinen Rechtsgedankens zu erfolgen, dass es nicht auf den Buchstaben, sondern auf den wirklichen Willen der Behörde bzw. des Verwaltungsträgers ankommt, soweit er im Bescheid greifbar seinen Niederschlag gefunden hat. Maßstab der Auslegung ist insofern der verständige und Zusammenhänge berücksichtigende Beteiligte (BSG Urteil vom 20.03.2013 – B 5 R 16/12 R -). Danach lässt sich vorliegend zwar im Wege der Auslegung entnehmen, dass beide Bescheide die Ablehnung der Befreiung des Klägers von der Rentenversicherungspflicht regeln. Allerdings liegt eine Identität der Regelungsgegenstände beider Bescheide schon aufgrund der unterschiedlichen Statusbezogenheit nicht vor. Mit dem Bescheid vom 09.09.2013 hat die Beklagte den Antrag des Klägers vom 12.04.2012 auf Befreiung von der Versicherungspflicht für die Tätigkeit als Riskmanager unter Bezugnahme auf die zum 08.05.2008 erfolgte Zulassung als Rechtsanwalt abgelehnt, da der Kläger insoweit keine anwaltliche Tätigkeit ausübe. Diese Entscheidung ist auf der Grundlage von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in der ab dem 01.01.2005 geltenden Fassung ergangen. Mit dem Bescheid vom 06.01.2017 hat die Beklagte unter Bezugnahme auf den am 13.04.2016 bei ihr eingegangenen Schriftsatz vom 29.03.2016 den Antrag des Klägers auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt nach § 231 Abs. 4b SGB VI für die vom 01.04.2012 bis 23.03.2016 ausgeübte Beschäftigung aus formalen Gründen abgelehnt. Selbst nach der früheren Rechtsprechung des BSG, die zu der bis zum 31.03.2008 geltenden Fassung des § 96 SGG dessen Anwendungsbereich unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie über seinen eigentlichen Anwendungsbereich hinaus entsprechend angewendet hat (vgl. hierzu etwa BSG Urteil vom 17.11.2005 – B 11a/11 AL 57/04 R -), ist eine ausdehnende Anwendung des § 96 SGG abgelehnt worden, wenn zwar die späteren Entscheidungen auf derselben Rechtsgrundlage ergangen waren und es auch um dieselbe Rechtsfrage ging, die rechtlich relevanten Sachverhaltsumstände und Tatsachengrundlagen aber nicht oder nur teilweise deckungsgleich waren (vgl. etwa zum Vertragsarztrecht BSG, Urteil vom 20.03.1996 – 6 RKa 51/95 -; zur Beitragserhebung in der Unfallversicherung BSG, Urteil vom 24.06.2003 – B 2 U 21/02 R -; zu Betriebsprüfungen BSG, Urteil vom 14.07.2004 – B 12 KR 10/02 R -). Erst recht muss dies unter der Geltung neuen Rechts gelten, vor allem wenn sich wie vorliegend nicht nur die Tatsachengrundlagen, sondern auch die maßgebenden Rechtsgrundlagen verändert haben. Entsprechend ist der Bescheid vom 09.09.2013 durch den Bescheid vom 06.01.2017 weder ganz noch teilweise aufgehoben worden, sondern es ist der Bescheid vom 06.01.2017 neben den Bescheid vom 09.09.2013 getreten. Dass danach in der vorliegenden Konstellation eines anhängigen Befreiungsverfahren nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI nachfolgend ergangene Bescheide zur Befreiung als Syndikusrechtsanwalt nach der ab 01.01.2016 geltenden Rechtslage in einem gesonderten Verfahren zu prüfen sind, ist höchstrichterlich geklärt (vgl. dazu BSG, Beschlüsse vom 22.03.2018 – B 5 RE 12/17 B – vom 23.07 2019 – B 5 RE 5/19 B – vorgehend Bayerisches LSG, Urteil vom 13.02.2019 – L 13 R 525/17 – und nachgehend Beschluss des BVerfG vom 11.5.2020 – 1 BvR 2105/19 -; zuletzt BSG, Beschluss vom 04.08.2020 – B 5 RE 4/20 B – und Beschluss vom 09.12.2020 – B 5 RE 6/20 B – sowie Beschlüsse des BVerfG vom 19.07.2016 – 1 BvR 2584/14 – und vom 22.07.2016 – 1 BvR 2534/14 -).
2. Der Kläger, der erst mit Bescheid der Rechtsanwaltskammer München vom 18.10.2016 als Syndikusrechtsanwalt zugelassen worden ist, hat keinen Anspruch auf Befreiung von der Rentenversicherungsverpflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, weil er im streitigen Zeitraum für die A. keine Tätigkeit ausgeübt hat, wegen der er auf Grund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer war. Der Kläger war im streitigen Zeitraum zwar als Rechtsanwalt bei der Rechtsanwaltskammer für den OLG-Bezirk München zugelassen mit gleichzeitiger verpflichtender Mitgliedschaft bei der Beigeladenen. Allerdings gibt § 6 Abs. 1 Satz Nr. 1 SGB VI versicherungspflichtig Beschäftigten, die gleichzeitig Pflichtmitglieder einer berufsständischen Versorgungseinrichtung sind, einen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht nur für die Beschäftigung, wegen der sie auf Grund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind (vgl. hierzu vor allem die Urteile des BSG vom 03.04.2014 (Az.: B 5 RE 3/14 R, B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 13/14 R). Das war vorliegend aber nur hinsichtlich der Tätigkeit des Klägers als freiberuflicher Rechtsanwalt und nicht hinsichtlich seiner abhängigen Beschäftigung bei der A. der Fall. Der Kläger, der in seiner Beschäftigung für die A. Angelegenheiten seines Arbeitgebers und damit gerade nicht Rechtsdienstleistungen in fremden Angelegenheiten erbracht hat, bedurfte dafür auch keiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft (§ 2 Abs. 1, § 3 des Gesetzes über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen – RDG). Die im Rahmen der Beschäftigung erbrachte Erwerbstätigkeit ist damit für ihre Mitgliedschaft bei der Beigeladenen und die hierdurch parallel zur gesetzlichen Rentenversicherung begründete öffentlich-rechtliche Sicherung ohne Bedeutung, sodass es bereits deshalb an der Grundvoraussetzung von § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI fehlt und sich eine weitergehende inhaltliche Prüfung erübrigt. Mit der Neuregelung der BRAO zum 01.01.2016 hat der Gesetzgeber klargestellt, dass juristische Angestellte, die nicht für Rechtsanwälte, Patentanwälte oder rechts- oder patentanwaltliche Berufsausübungsgesellschaften arbeiten, ihren Beruf nur dann als Rechtsanwalt ausüben, sofern sie im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses für ihren Arbeitgeber anwaltlich tätig und nach § 46a BRAO als Syndikusrechtsanwalt zugelassen sind (§ 46 Abs. 2 BRAO). Erst die Zulassungsentscheidung der Rechtsanwaltskammer führt zur erforderlichen Verknüpfung der Tätigkeit mit der Mitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung und der berufsständischen Kammer, an die der Träger der Rentenversicherung bei seiner Entscheidung über die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI gebunden ist (§ 46a Abs. 2 BRAO). An dieser Voraussetzung fehlt es vorliegend im streitigen Zeitraum. Eine Rückwirkung der Zulassungsentscheidung ist nach der BRAO ausdrücklich nicht vorgesehen (§ 46a Abs. 4 i.V.m. § 12 Abs. 1 BRAO). Sie ist vom Gesetzgeber bezogen auf die streitige Befreiung von der Versicherungspflicht ausdrücklich nur im Rahmen der Übergangsregelung des § 231 Abs. 4b SGB VI vorgesehen und angeordnet worden.
3. Die Voraussetzungen für die beantragte Befreiung waren im streitigen Zeitraum aber auch nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 231 Abs. 4b SGB VI nicht gegeben. Nach § 231 Abs. 4b SGB VI (eingeführt durch Art. 7 Nr. 2 des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte und zur Änderung der Finanzgerichtsordnung vom 21.12.2015, BGBl. I 2517) wirkt eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, die unter Berücksichtigung der BRAO in der ab dem 01.01.2016 geltenden Fassung erteilt wurde, auf Antrag vom Beginn derjenigen Beschäftigung an, für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt wird (Satz 1). Sie wirkt auch vom Beginn davor liegender Beschäftigungen an, wenn während dieser Beschäftigungen eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestand (Satz 2). Die Befreiung nach den Sätzen 1 und 2 wirkt frühestens ab dem 01.04.2014 (Satz 3). Die Befreiung wirkt jedoch auch für Zeiten vor dem 01.04.2014, wenn für diese Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt wurden (Satz 4). Die Sätze 1 bis 4 gelten nicht für Beschäftigungen, für die eine Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt oder Syndikuspatentanwalt aufgrund einer vor dem 04.04.2014 ergangenen Entscheidung bestandskräftig abgelehnt wurde (Satz 5). Der Antrag auf rückwirkende Befreiung nach den Sätzen 1 und 2 kann nur bis zum Ablauf des 01.04.2016 gestellt werden (Satz 6).
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die hier allein streitige rückwirkende Befreiung für die Zeit vom 01.04.2012 bis 23.03.2016 nach den Regelungen in § 231 Abs. 4b Sätze 4 und 5 SGB VI sind grundsätzlich erfüllt. Der Kläger hat am 24.03.2016 seine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt beantragt und erhalten und ist darauf von der Beklagten mit Wirkung vom 24.03.2016 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit worden. Er ist seit 2008 Pflichtmitglied der Rechtsanwaltskammer und der Beigeladenen. Unter den Voraussetzungen des § 231 Abs. 4b SGB VI könnte danach die Befreiung auf Antrag auch rückwirkend ab dem Beginn der seit 01.04.2012 bei der A. ausgeübten Beschäftigung ausgesprochen werden, wenn für diese Zeit einkommensbezogene Beiträge an das Versorgungswerk gezahlt worden sind, was von der Beigeladenen bestätigt worden ist. Allerdings muss der Antrag spätestens bis zum 01.04.2016 gestellt worden sein. An dieser Voraussetzung fehlt es vorliegend. Der Antrag auf rückwirkende Befreiung ist nicht spätestens am 01.04.2016, sondern erst am 13.04.2016 wirksam gestellt worden.
3.1. Das Antragserfordernis ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 26.02.2020 – B 5 RE 2/19 R -, SozR 4-2600 § 231 Nr. 7) und der Rechtsnatur der Befreiung als antragsabhängiger Statusentscheidung. Anhaltspunkte dafür, dass in denjenigen Fällen, in den bereits nach altem Recht Befreiungsanträge gestellt und noch offen waren, auf eine Antragstellung verzichtet werden kann, vermag der Senat nicht zu erkennen (vgl. BT-Drs. 18/5201, Seite 22, wo es nur heißt: „Zum anderen soll durch Einräumung eines rückwirkenden Befreiungsrechts für diejenigen, die nach der geänderten BRAO als Syndikusrechtsanwälte oder nach der geänderten PAO als Syndikuspatentanwälte zugelassen und von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden können, auch für die Vergangenheit der Status quo hergestellt werden. Die während des Bestehens einer Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlten Beiträge sollen im Ergebnis (rückwirkend) an die Versorgungswerke erstattet werden können und eine trotz Fehlens einer wirksamen Befreiung erfolgte einkommensbezogene Beitragszahlung an die Versorgungswerke soll nachträglich legalisiert werden“). Der Gesetzesbegründung lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass in bestimmten Fällen von einer (neuen) Antragstellung abgesehen werden sollte.
Dass eine Befreiung bzw. die Erstreckung einer Befreiung unabhängig von einem Antrag eintreten sollte, wäre auch mit der Gesetzessystematik der Befreiungsregelungen als Ausnahme von einer grundsätzlich bestehenden Versicherungspflicht nicht zu vereinbaren.
Nichts anderes ergibt sich aus den Beschlüssen des BVerfG vom 19.07.2016 (Az.: 1 BvR 2584/14) und vom 22.07.2016 (Az.: 1 BvR 2534/14). In diesen Entscheidungen hat das BVerfG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Verfahren nach § 231 Abs. 4b SGB VI um ein gesondertes Verfahren handelt, dessen Durchführung dem Beschwerdeführer auch zuzumuten sei, obgleich er nach dem Wortlaut der Norm unter den Ausschlusstatbestand des § 231 Abs. 4b Satz 5 SGB VI falle.
3.2. Dabei hat das Sozialgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass auf den Antrag vom 12.04.2012 nicht abgestellt werden kann, weil dieser Antrag schon aufgrund des zeitlichen Ablaufs nicht so ausgelegt werden kann, dass er sich auch auf die erst zum 01.01.2016 in Kraft getretene Neuregelung in § 231 Abs. 4b SGB VI und den ebenfalls zu diesem Zeitpunkt neu geschaffenen Status als Syndikusrechtsanwalt beziehen kann.
Bei einem Antrag handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung, deren Wirksamkeit nicht davon abhängt, dass er vollständig gestellt worden ist oder dass bestimmte Formblätter ausgefüllt werden (vgl. zur Nichtförmlichkeit des sozialrechtlichen Verwaltungsverfahrens § 9 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – SGB X). Allerdings muss das Begehren des Antragstellers in der Erklärung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht worden sein (BSG, Urteil vom 12.02.2004 – B 13 RJ 58/03 R – BSGE 92, 159). Hinsichtlich der Auslegung und Wirksamkeit gelten grds. die Regelungen des BGB, d.h. es kommt entscheidend darauf an, wie die Behörde die Erklärung verstehen musste. Mit der Antragstellung signalisiert der Antragsteller der Behörde, dass er nunmehr die Einleitung eines Verwaltungsverfahrens (§§ 8 ff SGB X) begehrt, das grundsätzlich erst mit dem Erlass eines Verwaltungsaktes (hier der Erteilung oder Ablehnung der beantragten Befreiung) abgeschlossen wird. Allerdings erschöpft sich die verfahrensauslösende Wirkung eines Antrags dann in dem durch ihn ausgelösten Verwaltungsverfahren und kann nicht weiter reichen als dieses (BSG, Urteil vom 18.01.2011 – B 4 AS 99/10 R -, SozR 4-4200 § 37 Nr. 5). Entsprechend war der Antrag vom 12.04.2012 mit der Entscheidung der Beklagten vom 09.09.2013 nicht nur verfahrensrechtlich „verbraucht“. Ihm kann auch im Wege der Auslegung nicht entnommen werden, dass er sich über seine Ablehnung hinaus auch auf eine erst zum 01.01.2016 geschaffene Rechtsgrundlage beziehen sollte.
3.3. Maßgebend ist auch zur Überzeugung des Senats, auf den im Schriftsatz vom 29.03.2016 gestellten Antrag auf rückwirkende Befreiung gemäß § 231 Abs. 4b i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI abzustellen, auch wenn er nicht an die Beklagte gerichtet war und ausdrücklich nur vorsorglich gestellt sein sollte. Die Verwendung eines bestimmten Vordrucks ist nicht vorgeschrieben. Dieser Antrag ist aber nicht bis zum 01.04.2016 gestellt worden.
Entsprechend der Rechtsnatur des Antrags als empfangsbedürftiger Willenserklärung sind hinsichtlich des Zugangs ebenfalls die Regelungen des BGB, insbesondere § 130 BGB anwendbar. Der Antrag ist gestellt, wenn er in den Machtbereich des Sozialleistungsträgers gelangt. Das Begehren des Berechtigten muss dabei bei einem mit der Sache befassten Amtsträger oder jedenfalls in der entsprechenden Organisationseinheit ankommen (BSG, Urteil vom 26.01.2000 – B 13 RJ 37/98 R – juris Rn. 39 – SozR 3-5910 § 91a Nr. 7; BSG, Urteil vom 26.06.2001 – B 2 U 31/00 R – juris Rn. 19, 20 -). Das war vorliegend erst mit dem Eingang des Antrags bei der Beklagten am 13.04.2016 der Fall.
Zwar können nach § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB I Sozialleistungen abweichend auch bei unzuständigen Sozialleistungsträgern, allen Gemeinden und Auslandsvertretungen, d.h. Botschaften, Konsulaten, Gesandtschaften und Handelsvertretungen der Bundesrepublik Deutschland, gestellt werden. Auch von Sozialleistungsträgern oder Gemeinden betriebene Krankenhäuser sind verpflichtet, Leistungsanträge anzunehmen, wenn die Anträge bei den Mitarbeitern der dort eingerichteten sozialen Dienste abgegeben werden, wobei der Antrag als zu dem Zeitpunkt gestellt gilt, in dem er bei einer der in § 16 Abs. 1 SGB I genannten Stellen eingegangen ist. Auf die Weiterleitung des Antrags an den zuständigen Leistungsträger kommt es in diesem Fall nicht an (Öndül in Schlegel/ Voelzke, jurisPK-SGB I, 3. Aufl., § 16 SGB I (Stand: 05.11.2019), Rn. 40). Auch wenn § 16 SGB I unmittelbar nur für Anträge auf antragsabhängige Sozialleistungen gilt, wird seine entsprechende Anwendung auf antragsabhängige Statusentscheidungen bejaht (Lilge, SGB I, 3. Aufl. 2012, § 16 Rn. 8, Knecht in Hauck/Noftz, SGB, 11/15, § 16 SGB I, Rn. 9, vgl. auch BSG, Urteil vom 17.07.1990 – 12 RK 10/89 -, SozR 3-1200 § 16 Nr. 2 zur analogen Anwendung von § 16 SGB I auf einen Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen). Dies betrifft vor allem die Begünstigung durch die Möglichkeit, einen Antrag fristwahrend auch bei einem unzuständigen Leistungsträger zu stellen. Denn nach allgemeinen Rechtsvorschriften ist andernfalls ein Antrag immer erst dann gestellt, wenn er bei der hierfür zuständigen Stelle eingegangen ist. Insofern verkennt der Bevollmächtigte, der die Anwendbarkeit des § 16 SGB I in der vorliegenden Konstellation in Frage stellen will, dessen Rechtsnatur als einer rein begünstigenden Regelung.
Allerdings sind die Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 Satz 2 SGB I nicht erfüllt, weil es sich beim Sozialgericht München nicht um eine Stelle i.S.d. § 16 Abs. 1 SGB I handelt und zwar weder um eine der dort ausdrücklich genannten Stellen noch um einen der in § 12 SGB I i.V.m. §§ 18 bis 29 SGB I bezeichneten Leistungsträger. Auch eine analoge Anwendung kommt nicht in Betracht. § 16 Abs. 1 SGB I zieht die notwendigen Folgerungen aus dem Grundsatz, dass der einzelne mit seinem Begehren nach Sozialleistungen nicht an Zuständigkeitsabgrenzungen innerhalb der gegliederten Sozialverwaltung scheitern darf. § 16 Abs. 2 SGB I stellt sicher, dass Anträge unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger gelangen und dass der Eingang des Antrags bei einem unzuständigen Leistungsträger genügt, um Fristen zu wahren (BT-Drs. 7/868, Seite 25). § 16 Abs. 3 SGB I schließlich soll die allgemeine Beratungspflicht nach § 14 SGB I im Hinblick auf die Antragsstellung konkretisieren (Öndull, a.a.O., Rn. 14 mwH). Keines dieser Erfordernisse führt dazu, dass über den Wortlaut hinaus auch Gerichte, deren Zuständigkeit sich auf die Überprüfung behördlicher Entscheidungen beschränkt, eine allgemeine Zuständigkeit für die fristgerechte Entgegennahme von Anträgen haben müssten. Dabei kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob und nach welcher Rechtsgrundlage eine Weiterleitungspflicht bestand. Denn das Sozialgericht hat den Antrag tatsächlich an die Beklagte weitergeleitet, nämlich mit Schriftsatz vom 11.04.2016. Allerdings ist dann, wenn der Antrag nicht bei einer der § 16 Abs. 1 SGB I genannten Stellen eingeht, unabhängig von der Frage, wann der Antrag weitergeleitet worden ist, auf den Eingang bei der zuständigen Stelle abzustellen. § 16 SGB I enthält selbst keine Rechtsfolge für den Fall einer verspäteten Weiterleitung durch unzuständige Stellen.
Ein fristgerechter Antrag kann auch nicht aus § 91 SGG hergeleitet werden, der auf die vorliegende Konstellation auch analog nicht anwendbar ist. Dabei hat die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich in mehrfacher Hinsicht um eine mindestens „doppelte“ Analogie handeln würde. Gemäß § 91 SGG gilt (1.) die Frist für die Erhebung einer Klage zum Sozialgericht auch dann als gewahrt, wenn die Klageschrift innerhalb der Frist statt bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit (2.) bei einer anderen inländischen Behörde oder bei einem Versicherungsträger oder bei einer deutschen Konsularbehörde oder, soweit es sich um die Versicherung von Seeleuten handelt, auch bei einem deutschen Seemannsamt im Ausland eingegangen ist, wobei die Klageschrift unverzüglich an das zuständige Gericht der Sozialgerichtsbarkeit abzugeben ist. Keine der beiden Voraussetzungen ist vorliegend erfüllt. Die Norm ist nach ihrem eindeutigen Wortlaut ausschließlich auf die Klagefrist anwendbar und regelt die Weiterleitung einer Klage durch eine unzuständige Stelle, die kein Gericht ist, also gerade die gegenteilige Konstellation. Sie soll zwar entsprechend auch auf verfahrenseinleitende Anträge in selbständigen Beschlussverfahren (§§ 86b und 76 SGG) sowie für andere bestimmende Prozesshandlungen anwendbar sein (Föllmer in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 90 SGG (Stand: 13.08.2020), Rn. 9). Wegen seines engen systematischen Bezugs zur Klageerhebung gilt § 91 SGG aber ausdrücklich nicht für Anträge im laufenden Klageverfahren (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/ Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 91, Rn. 1). Der vom Kläger geforderten doppelt analogen Anwendung stehen neben dem eindeutigen Wortlaut auch Gesetzessystematik und Sinn und Zweck der Regelung entgegen. Während § 91 Abs. 1 SGG es dem Betreiber eines sozialgerichtlichen Verfahrens in besonderem Maße erleichtern soll, Rechtsschutz zu erlangen, geht es vorliegend um die Wahrung von Fristen zur Einleitung eines Verwaltungsverfahrens. Eine vergleichbare Interessenlage besteht dabei nicht (vgl. auch LSG Thüringen, Beschluss vom 08.04.2004 – L 6 B 55/03 SF -, Rn. 29 bei juris). Die vom Bevollmächtigten zur Begründung herangezogenen Kriterien lassen über die vorliegende Konstellation hinaus auch nicht den Schluss zu, es sei eine Gesetzeslücke gegeben, die durch erweiternde Auslegung geschlossen werden müsste. Der Bevollmächtigte hat über das offensichtliche Anliegen hinaus, dass ungeachtet einer Rechtsgrundlage im vorliegenden Fall der Eingang des Antrags bei Gericht fristwahrend herangezogen werden soll, keine allgemeinen Grundsätze dargelegt, die unter bestimmten Voraussetzungen die Notwendigkeit einer doppelt analogen Anwendung des § 91 SGG begründen könnten.
3.4. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, die ausgehend von der Rechtsnatur des Antrags als Akt zur Einleitung eines Verwaltungsverfahrens nur nach § 27 SGB X erfolgen könnte, kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil nicht ersichtlich ist, dass der Kläger ohne sein Verschulden daran gehindert war, den Antrag bis zum 01.04.2016 bei der Beklagten zu stellen. Den der Schriftsatz vom 29.03.2016, der vom Bevollmächtigten mit Fax von selben Tag an das Sozialgericht versandt worden ist, hätte von ihm ebenso noch am 29.03.2016 an die Beklagten gefaxt werden können, was aber nach dem eigenen Vortrag des Bevollmächtigten nur deshalb nicht erfolgt ist, weil er davon ausgegangen ist, dass dies nicht erforderlich sei. Auch im Postwege hätte zu diesem Zeitpunkt eine rechtzeitige Antragstellung bei der Beklagten noch sichergestellt werden können. Irrige Rechtsauffassungen und Rechtsirrtümer sind grundsätzlich nicht geeignet, eine unverschuldete Fristversäumnis zu begründen (Bayerisches LSG, Urteil vom 09.03.2006 – L 13 KN 22/05 -, juris).
Der Bevollmächtigte des Klägers, dem die Regelung in § 231 Abs. 4b SGB VI und die damit verbundene Frist bekannt waren, konnte andererseits nicht darauf vertrauen, dass der am 29.03.2016 beim Sozialgericht eingegangene Schriftsatz im normalen Geschäftsgang noch bis 01.04.2016 bei der Beklagten eingehen würde, zumal es sich, wie er ebenfalls wusste, um ein ruhendes Verfahren handelte. Dem Schriftsatz vom 29.03.2016 sind auch keine Hinweise dahingehend zu entnehmen, dass der Schriftsatz innerhalb einer bestimmten Frist an die Beklagte weitergeleitet werden solle. Der Kläger konnte damit gerade nicht davon ausgehen, mit der Antragstellung beim Sozialgericht alles Erforderliche getan zu haben.
Nichts anderes ergibt sich aus der Tatsache, dass es sich bei der Regelung in § 231 Abs. 4b SGB VI um ein neues Gesetz gehandelt hat und die darin eingeräumte Frist für die rückwirkende Antragstellung vergleichsweise knapp war. Grundsätzlich gelten Gesetze mit ihrer Verkündung im Bundesgesetzblatt als bekannt, sodass es nicht auf die tatsächliche Kenntnis ankommt. Wird in einem solchen Gesetz eine Befristung ausdrücklich geregelt, ist bei Fristversäumnis grundsätzlich ein Verschulden anzunehmen und die Wiedereinsetzung ausgeschlossen (BSG, Urteil vom 21.12.2011 – B 12 KR 21/10 R -, SozR 4-2500 § 175 Nr. 3 zum Fristablauf bei der Wahl einer Krankenkasse und BSG, Urteil vom 14.11.2002 – B 13 RJ 39/01 R -, SozR 3-2600 § 115 Nr. 9 zur rechtzeitigen Beantragung einer Altersrente). Anders ist dies zwar dann zu behandeln, wenn die Behörde einer ihr obliegenden Hinweispflicht nicht nachkommt (BSG, Urteil vom 11.05.1993 – 12 RK 36/90 -, SozR 3-2200 § 176b Nr. 1, SozR 3-1300 § 27 Nr. 4). Allerdings liegen vorliegend keine Anhaltspunkte dafür vor, dass dem Bevollmächtigten Regelung und Wortlaut des § 231 Abs. 4b SGB VI nicht bekannt gewesen wären. Dass ihm die Regelung bekannt war, ergibt sich auch aus dem Schriftsatz vom 29.03.2016. Aus der Regelung in § 231 Abs. 4b SGB VI geht aber zweifelsfrei hervor, dass ein Antrag auf rückwirkende Befreiung bis zum Ablauf des 01.04.2016 beim Rentenversicherungsträger zu stellen ist. Die Regelung enthält keine Ausnahme für bereits anhängige Befreiungsverfahren nach früherem Recht. Wenn der Bevollmächtige sich ungeachtet dieses Wortlauts aufgrund eigener vom Wortlaut abweichender Interpretation dafür entschieden hat, den entsprechenden Antrag nur bei Gericht und nicht auch rechtzeitig bei der Beklagten einzureichen, ist dies nicht auf unterlassene Hinweispflichten der Beklagten zurückzuführen, sondern stellt einen unter jedem denkbaren Gesichtspunkt unbeachtlichen Rechtsirrtum dar.
3.5. Vor diesem Hintergrund kann das streitige Begehren, so gestellt zu werden, als sei der Antrag auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht rechtzeitig bei der Beklagten gestellt worden, auch nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gestützt werden.
Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Leistungsträger die ihm aufgrund eines Gesetzes oder des konkreten Sozialrechtsverhältnisses gegenüber dem Berechtigten obliegenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§ 14, 15 SGB I), ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Demnach ist eine dem Sozialleistungsträger zurechenbare behördliche Pflichtverletzung, die (als wesentliche Bedingung) kausal zu einem sozialrechtlichen Nachteil des Berechtigten geworden ist, Anspruchsvoraussetzung. Zudem ist erforderlich, dass durch Vornahme einer zulässigen Amtshandlung der Zustand hergestellt werden kann, der bestehen würde, wenn die Behörde ihre Verpflichtungen gegenüber dem Berechtigten nicht verletzt hätte (z.B. BSG, Urteil vom 16.03.2016 – B 9 V 6/15 R, m.w.N.). Als Rechtsgrundlage für den Herstellungsanspruch wird die in § 14 Satz 1 SGB I enthaltene Beratungspflicht herangezogen. In der Regel wird die Beratungspflicht durch ein entsprechendes Begehren ausgelöst. Aber auch wenn ein Beratungsbegehren wie hier nicht vorliegt, kann eine sog. spontane Beratungspflicht i.S.d. § 14 SGB I bestehen, wenn es darum geht, einen Versicherten auf klar zutage liegende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, deren Wahrnehmung offenbar so zweckmäßig ist, dass jeder verständige Versicherte sie mutmaßlich nutzen würde (ständige Rspr. seit BSG, Urteil vom 14.06.1962 – 4 RJ 75/60 – SozR Nr. 3 zu § 1233 RVO; vgl auch Urteile vom 23.03.1994 – 5 RJ 24/93 – SozR 3-2200 § 1246 Nr. 46 S. 192, vom 07.11.1991 – 12 RK 22/91 – SozR 3-1200 § 14 Nr. 5 S. 7, vom 06.05.1992 – 12 RK 45/91 – SozR 3-1200 § 14 Nr. 6 S. 13 und vom 25.08.1993 – 13 RJ 43/92 – SozR 3-5750 Art. 2 § 6 Nr. 7 S. 31 jeweils mwN). Vorliegend kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, in noch nicht bestandskräftigen Befreiungsverfahren auf die rückwirkende Befreiungsmöglichkeit und die damit verbundene Frist hinzuweisen. Denn beides war dem Bevollmächtigten des Klägers, wie aus seinen eigenen Ausführungen im Schriftsatz vom 29.03.2016 hervorgeht, zu diesem Zeitpunkt bekannt, weswegen es auch an der erforderlichen Kausalität einer möglichen Pflichtverletzung zu der unterlassenen Antragstellung fehlt. Denn der Kläger hat die rechtzeitige Antragstellung nicht deshalb unterlassen, weil ihm die Frist nicht bekannt gewesen wäre, sondern weil er die Vorschrift abweichend vom Wortlaut interpretiert hat. Dass er aufgrund einer fehlerhaft erteilten Information durch die Beklagte auf die rechtzeitige Antragstellung verzichtet hat, wird vom Kläger nicht vorgetragen. Dafür liegen auch keine Anhaltspunkte vor.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.
5. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG). Insbesondere ist nicht erkennbar, dass eine Rechtsfrage grundsätzlicher Klärung bedürfte. Die streitigen Rechtsfragen lassen sich ausnahmslos auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung beantworten.


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