Sozialrecht

Arbeitsförderung: Keine Übernahme von Beiträgen zu einer privaten Kranken- und Pflegeversicherung der Familienmitglieder

Aktenzeichen  L 10 AL 39/21

Datum:
21.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 3315
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB III § 174 Abs. 1
SGB V § 8 Abs. 1 Nr. 1a, § 10, § 257
SGB X § 45
Art. 3 GG

 

Leitsatz

1. Beiträge zu einer privaten Kranken- und Pflegeversicherung können nur dann übernommen werden, wenn der Leistungsbezieher nach dem SGB III zugleich als Versicherungsnehmer vertraglich die Beiträge an das Versicherungsunternehmen schuldet. (Rn. 22)
2. Bei der Rücknahme einer Leistungsbewilligung ist – soweit es sich nicht um eine gebundene Entscheidung handelt – neben der Prüfung des Vertrauensschutzes auch das Ermessen pflichtgemäß auszuüben. (Rn. 31)

Verfahrensgang

S 17 AL 238/20 2021-02-05 Urt SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.02.2021 und der Bescheid vom 26.03.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2020 aufgehoben.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Die Beklagte hat 9/10 der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und teilweise begründet. Das SG hat die Anfechtungsklage hinsichtlich des Bescheides vom 26.03.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2020 zu Unrecht abgewiesen, denn dieser ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. In Bezug auf eine Änderung des Bescheides vom 22.12.2020 und eine Übernahme weiterer Beiträge zur privaten Pflegeversicherung der Ehefrau und der Kinder für die Zeit vom 01.01.2021 bis 30.06.2021 ist die Berufung dagegen unbegründet.
Streitgegenstand ist zunächst der Bescheid der Beklagten vom 26.03.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2020 (§ 95 SGG), mit dem sie die mit Änderungsbescheid vom 23.12.2019 erfolgte Bewilligung von Leistungen hinsichtlich der Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung ab 01.04.2020 teilweise zurückgenommen und nur noch monatliche Beiträge für die private Krankenversicherung i.H.v. 556,49 € (zuvor 588,75 €) sowie für die private Pflegeversicherung i.H.v. 72,86 € (zuvor 114,38 €) berücksichtigt hat. Dagegen wendet sich der Kläger zutreffend mit der statthaften Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG). Nicht Streitgegenstand ist der Änderungsbescheid vom 28.11.2020, denn diesem ist keine Regelung in Bezug auf die Höhe der zu übernehmenden Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung zu entnehmen.
Allerdings ist auch der Änderungsbescheid vom 22.12.2020 Gegenstand des Rechtsstreits, denn ausgehend von der Rechtsauffassung des Klägers und dem sich hieraus nach Auslegung ergebenden klägerischen Begehren (§ 123 SGG; § 133 Bürgerliches Gesetzbuch -BGBentsprechend) beansprucht er die Übernahme von Versicherungsbeiträgen zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung bis zur Höchstgrenze. Im Bescheid vom 22.12.2020 wurde nicht nur eine Neuberechnung der Beiträge zur privaten Krankenversicherung vorgenommen, sondern es wurde – jedenfalls konkludent – auch die Übernahme von Beiträgen zur privaten Pflegeversicherung bis zu der ab 01.01.2021 erhöhten Grenze der gesetzlichen Beiträge von 118,04 € – so wurde diese bereits im Änderungsbescheid vom 27.11.2020 ausgewiesen – abgelehnt. Der Bescheid vom 22.12.2020 hat in Zusammenschau mit dem Änderungsbescheid vom 27.11.2020 eine Regelung zu den Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen ab 01.01.2021 getroffen, so dass er insoweit den angefochtenen Bescheid vom 26.03.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2020 nach Klageerhebung teilweise abgeändert bzw. ersetzt hat. Er ist damit nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden. In Bezug auf die Übernahme von Beiträgen zur privaten Pflegeversicherung auch für die Ehefrau und die Kinder ab 01.01.2021 bis 30.06.2021 hat der Kläger daher insoweit auch eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4, § 56 SGG) erhoben. Einer Entscheidung darüber durch den Senat steht dabei nicht entgegen, dass das SG verfahrensfehlerhaft über den Änderungsbescheid vom 22.12.2020 nicht entschieden hat, denn die Entscheidung über den wegen kraft Gesetzes (§ 96 SGG) zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Bescheid ist im Berufungsverfahren nachzuholen (vgl. dazu Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 96 Rn. 12a). Lediglich soweit die Beiträge zur privaten Krankenversicherung nunmehr ab 01.01.2021 bis zur Obergrenze der gesetzlichen Krankenversicherungsbeiträge schon deshalb übernommen wurden, weil die privaten Krankenversicherungsbeiträge des Klägers diese Grenze überschritten haben, fehlt es an einer Beschwer des Klägers durch den Änderungsbescheid vom 22.12.2020.
Die von der Beklagten getroffene Rücknahmeentscheidung ist rechtswidrig. Zwar wäre sie grds. berechtigt gewesen, die Entscheidung bzgl. der teilweisen Übernahme von Beiträgen für die private Kranken- und Pflegeversicherung im Bescheid vom 23.12.2019 ab 01.04.2020 wieder zurückzunehmen und die Leistungen auf die Beiträge zur Versicherung des Klägers bei der U (wieder) zu beschränken, es fehlt aber an einer pflichtgemäßen Ermessensausübung.
Als Grundlage für die Rücknahme der Leistungsbewilligung kommt allein § 45 Abs. 1 SGB X infrage, denn der Änderungsbescheid vom 23.12.2019 war von Anfang an insoweit rechtswidrig, als über die vom Kläger an U geschuldeten Versicherungsbeiträge hinaus auch Beiträge seiner Ehefrau und der Kinder (teilweise) berücksichtigt worden sind. Die Abgrenzung der beiden Normen zur Aufhebung von Verwaltungsakten, § 45 SGB X und § 48 SGB X, erfolgt danach, dass § 45 SGB X gilt, wenn der Verwaltungsakt bereits im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig gewesen ist. Zutreffend verweist der Kläger auch darauf, dass keine wesentliche Änderung der Sach- und Rechtslage eingetreten ist, die die Beklagte zu einer Aufhebung gemäß § 48 SGB X berechtigt hätte. Dies hat die Beklagte auch erkannt, denn sie hat sich im Widerspruchsbescheid, der dem Bescheid vom 26.03.2020 seine abschließende Gestalt gegeben hat, auf § 45 SGB X gestützt.
Fraglich ist bereits, ob der Kläger ordnungsgemäß angehört worden ist. Eine Anhörung nach § 24 Abs. 1 SGB X erfolgte vor Erlass des Änderungsbescheides vom 26.03.2020 nicht. Mit Schreiben vom 29.04.2020 hat die Beklagte zwar noch vor Erlass des Widerspruchsverfahrens dem Kläger Gelegenheit zu einer Stellungnahme gegeben. Die Anhörung erfolgte aber zu einer Aufhebung der Bewilligung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung nach § 45 SGB X für die Zeit vom 01.01.2020 bis 31.03.2020. Streitgegenständlich ist jedoch die (teilweise) Rücknahme eines Verwaltungsaktes ab 01.04.2020. Es kann aber im Hinblick auf die jedenfalls fehlende Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens dahinstehen, ob die Anhörung durch die Ausführungen des Klägers in seinem Schreiben vom 11.05.2020 nachgeholt und der Anhörungsmangel damit geheilt worden ist (§ 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X).
Die Beklagte hat sich im Widerspruchsbescheid zuletzt zwar auf § 45 SGB X und damit auf die zutreffende Rechtsgrundlage für eine Rücknahme gestützt, allerdings fehlt es an einer Ermessensausübung.
Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Abs. 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 1 SGB X). Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit den öffentlichen Interessen an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Nach § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X ist das Vertrauen in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann.
Der Änderungsbescheid vom 23.12.2019 war von Anfang an rechtswidrig, soweit dort Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung der Ehefrau und Kinder des Klägers berücksichtigt worden sind, und insofern nicht nur dessen Beiträge ab 01.01.2020 i.H.v. 556,49 € und 72,85 € übernommen worden sind, sondern weitere Beiträge bis zur Höhe der bei einer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung zu zahlen wären. Die monatliche Differenz von 32,26 € (588,75 € – 556,49 €) und 41,53 € (114,38 € – 72,85 €) wurde zu Unrecht bewilligt.
Nach § 174 Abs. 1 SGB III haben Bezieher von Alg, die nach § 6 Abs. 3a SGB V in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungsfrei oder nach § 8 Abs. 1 Nr. 1a SGB V von der Versicherungspflicht befreit sind, bzw. nach § 22 Abs. 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) oder nach Art. 42 Pflege-Versicherungsgesetz (PflegeVG) von der Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung befreit oder nach § 23 Abs. 1 SGB XI bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit versichert sind, Anspruch auf Übernahme der Beiträge, die für die Dauer des Leistungsbezugs für eine Versicherung gegen Krankheit oder Pflegebedürftigkeit an ein privates Krankenversicherungsunternehmen zu zahlen sind. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist zwischen den Beteiligten unstreitig und der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum auch bei der U privat kranken- und pflegeversichert. Nach seinen Angaben, an denen keine Zweifel bestehen, war er in den letzten fünf Jahren vor dem Antrag auf Alg nicht bei einer gesetzlichen Krankenversicherung versichert, war zuletzt privat kranken- und pflegeversichert und hat bei der zuständigen Krankenkasse die Befreiung von der Versicherungspflicht aufgrund des Bezuges von Alg beantragt. Eine Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a SGB V kann daher angenommen werden. Nachdem die Beklagte Leistungen in Höhe der zu übernehmenden Beiträge – auf dessen Wunsch hin – an den Kläger erbracht hat, erfolgte keine Befreiung des Klägers nach § 174 Abs. 3 SGB III von der Verpflichtung, Beiträge an das private Krankenversicherungsunternehmen zu zahlen und es ist auch kein Schuldnerwechsel eingetreten. Eine Leistung der Beiträge an das Versicherungsunternehmen durch die Beklagte ist nach § 174 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 SGB III nicht zwingend. Eine Befreiung tritt nach dem Wortlaut von § 174 Abs. 3 SGB III nur „insoweit“ ein, als die Beklagte die Beitragszahlung für den Leistungsbezieher übernommen hat. Nach § 174 Abs. 2 Satz 1 SGB III erfolgt dem Wortlaut nach keine Beitragszahlung an die Versicherung durch die Beklagte, sondern es heißt dort, dass sie die zu zahlenden Beiträge übernimmt, was durchaus auch in Form einer Leistungsgewährung an den Leistungsbezieher mit dem Zweck der Begleichung der Versicherungsbeiträge durch ihn erfolgen kann (anders offenbar BSG, Urteil vom 05.09.2006 – B 7a AL 66/05 R – juris -, das im Hinblick auf die Regelung des § 207a Abs. 3 SGB III a.F., der § 174 Abs. 3 SGB III entspricht, generell einen gesetzlichen Schuldnerwechsel annimmt, auch wenn Beiträge vom Leistungsbezieher selbst gezahlt worden sind; zur Beitragsübernahme bei Versorgungseinrichtungen nach § 166b Abs. 1 Arbeitsförderungsgesetz -AFG-: BSG, Urteil vom 25.04.1991 – 12/11 RAr 61/89 – juris -, wonach auch durch eine Beitragszahlung des Leistungsbeziehers die Verpflichtung der Beklagten zur Beitragsleistung unberührt bliebe). Im Übrigen hätte der Leistungsberechtigte im Falle der Annahme einer Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung an das Versicherungsunternehmen einen direkten Erstattungsanspruch gegen die Beklagte (vgl. dazu Schneider in jurisPK-SGB III, 2. Aufl., § 174 Rn. 25). Darüber hinaus sind vorliegend aber jedenfalls die Beiträge an U und D offensichtlich gezahlt worden und der Leistungszeitraum ist auch bereits abgelaufen, so dass eine Beiladung der Versicherungsunternehmen nach § 75 SGG nicht (mehr) vorzunehmen ist. Dies gilt umso mehr, als der Kläger eine Übernahme weiterer Versicherungsbeiträge bzgl. seines Versicherungsvertrages bei der U nicht begehrt. Ein Schuldnerwechsel i.S.v. § 174 Abs. 3 SGB III in Bezug auf Beitragsverpflichtungen bei der D kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger dort nicht Versicherungsnehmer – und damit auch nicht Beitragsschuldner – ist, und die Ehefrau und Kinder keine Leistungsbezieher nach dem SGB III sind, für die eine Beitragsübernahme durch die Beklagte alleine in Betracht kommt (siehe dazu auch unten; insofern liegt auch eine andere Fallgestaltung im Vergleich zu den oben genannten Fällen, über die das BSG zu befinden hatte, vor).
Allerdings übernimmt die Beklagte nach § 174 Abs. 2 Satz 1 SGB III von den vom Leistungsbezieher an das private Krankenversicherungsunternehmen zu zahlenden Beiträgen höchstens die Beiträge, die sie ohne die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung oder in der sozialen Pflegeversicherung zu tragen hätte. Hierbei sind zugrunde zu legen (1.) für die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung der allgemeine Beitragssatz der gesetzlichen Krankenversicherung zuzüglich des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes (§§ 241, 242a SGB V), (2.) für die Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung der Beitragssatz nach § 55 Abs. 1 Satz 1 SGB XI (§ 174 Abs. 2 Satz 2 SGB III).
Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass neben den von der Beklagten für die Zeit vom 01.01.2020 bis 31.12.2020 in tatsächlicher Höhe berücksichtigten Beiträgen zu seiner privaten Kranken- und Pflegeversicherung bei U (Krankenversicherung mtl. 556,49 € und Pflegeversicherung mtl. 72,86 €) weitere Beiträge seiner Ehefrau und der Kinder bei der D bis zur Grenze der Beiträge berücksichtigt werden, die der Kläger ohne die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung oder in der sozialen Pflegeversicherung zu tragen hätte. Bereits aus dem Wortlaut des § 174 Abs. 2 Satz 1 SGB III ergibt sich, dass maßgeblich alleine die vom Leistungsbezieher an das private Krankenversicherungsunternehmen zu zahlenden Beiträge sind. Dies ist vorliegend alleine bei seinem Versicherungsvertrag mit U der Fall, denn dort ist der Kläger sowohl Versicherungsnehmer als auch versicherte Person. Der Versicherungsvertrag bei der D ist dagegen ein Vertrag der Ehefrau, der auch die Kinder umfasst. Dies ist aus den Bescheinigungen der D über die Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung sowie dem Vortrag des Klägers zu entnehmen, wonach er nicht Versicherungsnehmer des Vertrages bei D ist und die Kinder mit der Geburt in die Versicherung der Ehefrau aufgenommen worden sind. Eine vertragliche Verpflichtung zur Zahlung von Versicherungsbeiträgen besteht daher für den Kläger nur bzgl. der Versicherung bei U. Dass es auf eine vertragliche Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen des Beziehers von Alg ankommt, ergibt sich auch aus der Regelung des § 174 Abs. 3 SGB III, der eine Befreiung von der Verpflichtung, Beiträge an das private Krankenversicherungsunternehmen zu zahlen, ausspricht. Dies kann sich aber nur auf einen solchen Vertrag beziehen, bei dem der Bezieher von Alg selbst Versicherungsnehmer ist. Dass der Kläger gegenüber seiner Ehefrau und den Kindern unterhaltspflichtig ist, hat für die vertragliche Verpflichtung gegenüber dem privaten Versicherungsunternehmen keine Bedeutung.
Auch wenn mit der Regelung des § 174 SGB III durchaus auch die Übernahme von Beiträge für die Angehörigen des Beziehers von Alg in Betracht käme, die bei einer Versicherungspflicht nach § 10 SGB V versichert wären (vgl. bereit zum Entwurf des § 205 AFRG in BT-Drs. 13/4941, S. 390; siehe auch Böttiger in Eicher/Schlegel, SGB III, § 174 Rn. 67), kann dies aus oben genannten Gründen nur gelten, wenn der Bezieher von Alg auch Versicherungsnehmer der privaten Kranken- und Pflegeversicherung seiner Angehörigen ist. Damit läuft deren Berücksichtigung auch nicht in jedem Fall ins Leere. Entgegen den Ausführungen des Klägers ist es durchaus möglich, dass er selbst Versicherungsnehmer bezüglich einer privaten Kranken- und Pflegeversicherung für seine Ehefrau und die Kinder wäre. So sieht § 193 Abs. 1 Satz 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) ausdrücklich vor, dass eine Krankenversicherung auf die Person des Versicherungsnehmers oder eines anderen genommen werden kann. Versicherte Person ist die Person, auf welche die Versicherung genommen wird (§ 193 Abs. 1 Satz 2 VVG). Unzutreffend ist auch die Annahme des Klägers, dass die Kinder bei ihrer Geburt automatisch in die Versicherung ihrer Mutter gelangen würden. Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 VVG ist der Versicherer verpflichtet, wenn am Tag der Geburt für mindestens einen Elternteil eine Krankenversicherung besteht, dessen neugeborenes Kind ab Vollendung der Geburt ohne Risikozuschläge und Wartezeiten zu versichern, wenn die Anmeldung zur Versicherung spätestens zwei Monate nach dem Tag der Geburt rückwirkend erfolgt. Sofern bei Geburt der Kinder (auch) eine private Krankenversicherung des Vaters besteht, können die Kinder in gleicher Weise bei dessen Versicherungsunternehmen versichert werden.
Gegen einen Anspruch auf Übernahme weiterer Versicherungsbeiträge spricht auch die grundsätzliche Systematik des § 174 SGB III. So sieht § 174 Abs. 3 SGB III vor, dass der Leistungsbezieher von der Beitragsverpflichtung gegenüber seinem privaten Krankenversicherungsunternehmen befreit wird. Ist der Leistungsbezieher aber – wie vorliegend im Hinblick auf den Versicherungsvertrag der Ehefrau und der Kinder bei D – gegenüber einer Versicherung nicht Beitragsverpflichteter, so kann auch keine Befreiung von der Zahlungspflicht eintreten. Schuldner der Beiträge ist jeweils der Versicherungsnehmer. Dies ist bei D nicht der Kläger. Ehefrau und Kinder beziehen dagegen keine Leistungen nach dem SGB III, was aber wiederum Voraussetzung für den Schuldnerwechsel in Bezug auf das Krankenversicherungsunternehmen ist. Wäre die Ehefrau des Klägers Versicherungsnehmerin und der Kläger lediglich versicherte Person, so würde für ihn auch keine Beitragsübernahme in Betracht kommen, da die Beklagte nach § 174 Abs. 2 SGB III nur die Beiträge zu übernehmen hat, die vom Leistungsbezieher an das private Krankenversicherungsunternehmen zu zahlen sind (vgl. zum Beitragszuschuss zu Aufwendungen für die Krankenversicherung von Rentenbeziehern nach § 106 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch -SGB VIBöttiger in jurisPK-SGB VI, 3. Aufl., § 106 Rn. 56; Fichte in Hauck/Noftz, SGB VI, Stand 05/2019, § 106 Rn. 11 mit Verweis auf BSG, Urteil vom 09.06.1988 – 4/11a RA 42/87 – juris). Wie sich aus § 194 Abs. 3 VVG ergibt, ist die versicherte Person auch nicht generell ausschließlich berechtigt, die Versicherungsleistungen zu verlangen, sondern es bedarf hierfür einer Benennung als Empfangsberechtigten durch den Versicherungsnehmer gegenüber der Versicherung.
Soweit der Kläger darauf verweist, es würden von der Beklagten die Beitragsgrundsätze nach § 257 SGB V rechtsfehlerhaft angewendet, kann dem nicht gefolgt werden. Die Vorschrift ist für den Bezug von Alg nicht relevant, denn im Rahmen des Leistungsbezuges nach dem SGB III gilt § 174 SGB III. Im Übrigen sind die Regelungen nicht deckungsgleich. Nach § 257 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten Beschäftigte, die nur wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze oder auf Grund von § 6 Abs. 3a SGB V versicherungsfrei oder die von der Versicherungspflicht befreit und bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert sind und für sich und ihre Angehörigen, die bei Versicherungspflicht des Beschäftigten nach § 10 SGB V versichert wären, Vertragsleistungen beanspruchen können, die der Art nach den Leistungen dieses Buches entsprechen, von ihrem Arbeitgeber einen Beitragszuschuss. Im Gegensatz zur Formulierung des § 174 SGB III ist in § 257 Abs. 2 Satz 1 SGB V die Rede von einem Beitragszuschuss, nicht aber von der Übernahme von Beiträgen. Im Übrigen wird auch für die Regelung im SGB V teilweise vertreten, dass der Versicherungsschutz des Familienangehörigen im Rahmen des Versicherungsvertrags des Beschäftigten bestehen muss, der den Versicherungsschutz aber sachlich durch verschiedene Versicherungsverträge gewährleisten kann; eine Versicherung bei einem anderen privaten Versicherungsunternehmen soll ebenso wenig genügen, wie eine unabhängige eigene private Absicherung des Familienangehörigen (vgl. Böttiger in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Stand 11/2018, § 257 SGB V Rn. 16b; a.A. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 03.10.2008 – 4 K 996/08 – juris; offen gelassen in BSG, Urteil vom 20.03.2013 – B 12 KR 4/11 R – juris; im Rahmen des § 405 Abs. 1 RVO nicht fordernd: BSG, Urteil vom 05.10.1977 – 3 RK 62/75 – juris).
Es liegt schließlich auch kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz (GG) vor. Grundsätzlich handelt es sich bei gesetzlich Versicherten und privat Versicherten um unterschiedliche Gruppen. Die beiden Versicherungsarten unterscheiden sich z.B. hinsichtlich der Beitragshöhe und Leistungsumfang, aber auch hinsichtlich der Möglichkeit einer Familienversicherung. Gleichwohl hatte der Gesetzgeber beabsichtigt im Hinblick auf die seinerzeit geschaffene Möglichkeit, sich als zuvor Privatversicherter auch im Rahmen des Leistungsbezuges von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung befreien zu lassen, einen Anspruch auf Übernahme der Beiträge zur privaten Krankenversicherung – bis zu der Höhe, in der sie Beiträge an die gesetzliche Krankenversicherung zu entrichten hätte, wenn der Leistungsbezieher nicht von der Versicherungspflicht befreit worden wäre – für Vertragsleistungen, die sie für sich und ihre Angehörigen, die bei Versicherungspflicht nach § 10 SGB V versichert wären, beanspruchen können und die der Art nach den Leistungen des SGB V entsprechen, zu schaffen (BT-Drs. 13/4941, S. 190). Es ist daher eine Übernahme privater Versicherungsbeiträge bis zur Höhe der Beiträge, die an die gesetzliche Krankenversicherung zu entrichten wären, vorgesehen. Im Gegensatz zum Wortlaut der gesetzlichen Regelung des § 174 SGB III (dazu bereits oben) ist der Gesetzesbegründung nicht klar zu entnehmen, ob es darauf ankommt, dass der Leistungsbezieher selbst Versicherungsnehmer sein und die Beiträge selbst schulden muss. Eine Ungleichbehandlung liegt aber jedenfalls deshalb nicht vor, weil die Beiträge für die private Kranken- und Pflegeversicherung der übrigen Familienmitglieder auch im Falle einer fehlenden Befreiung eines Leistungsbeziehers von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zu berücksichtigen sein können. So gibt es auch in Bezug auf eine Familienversicherung nach § 10 SGB V verschiedene Ausnahmen, in denen Familienangehörige nicht mitversichert sind. Es kommt zwar nach § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB V grundsätzlich eine Familienversicherung auch des Ehegatten und der Kinder von Mitgliedern in Betracht, mit der Folge, dass für diese keine weiteren Versicherungsbeiträge anfallen würden. Sind die Familienangehörigen aber beispielsweise freiwillig versichert, ist eine Familienversicherung nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 SGB V nicht gegeben. Dies gilt nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB V auch in Fällen, in denen – mit Ausnahme der Fälle nach § 7 SGB V – Versicherungsfreiheit oder eine Befreiung von der Versicherungspflicht bei den Familienangehörigen vorliegt. Auch eine nicht zulässige Ungleichbehandlung im Verhältnis zu einem privat krankenversicherten Leistungsbezieher, der zugleich Versicherungsnehmer auch bzgl. der übrigen privaten Krankenversicherungen der Familienangehörigen ist, ist nicht gegeben. Es liegt ein wesentlicher, eine Ungleichbehandlung rechtfertigender Umstand darin, dass in diesem Fall eine vertragliche Pflicht zur Zahlung aller Versicherungsbeiträge durch den Leistungsberechtigten bestehen würde.
Soweit die Beklagte (erstmals) im Widerspruchsbescheid vom 01.07.2020 Ausführungen zum fehlenden Vertrauensschutz beim Kläger gemacht hat, ist dies nicht zu beanstanden.
Ein Ausschluss des Vertrauensschutzes nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X lag nicht vor. Die Beklagte weist selbst darauf hin, dass der Kläger keine falschen Angaben i.S.v. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X gemacht hat. Es kann auch nicht erkannt werden, dass der Kläger die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 23.12.2019 kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Zwar hatte die Beklagte einen Widerspruch des Klägers gegen die aus seiner Sicht nur unzureichende Berücksichtigung der Versicherungsbeiträge im Bescheid vom 18.07.2019 mit Widerspruchsbescheid vom 22.08.2019 zurückgewiesen und dort ihre Rechtsansicht dargelegt. Allerdings hat der Kläger vor dem Erlass des Bescheides vom 23.12.2019 nicht nur die Nachweise der Versicherungen mit den gestiegenen Beiträgen vorgelegt, sondern im Schreiben vom 20.12.2019 nochmals darauf hingewiesen, dass er auch die Beiträge der Familienmitglieder tragen müsse, die Ehefrau über kein Einkommen verfüge und die Kinder noch studierten, sowie dass er um einen Zuschuss in Höhe des Beitrages zur gesetzlichen Versicherung im Sinne einer Gleichbehandlung bitte. Er durfte daher davon ausgehen, dass die Beklagte sich nunmehr dieser Argumentation angeschlossen hat und abweichend von der früheren Rechtsauffassung deshalb höhere Beitragsleistungen mit Bescheid vom 23.12.2019 berücksichtigte. Unter Annahme fehlender Vermögensdispositionen beim Kläger – hierzu hat dieser nichts vorgetragen, etwa dahingehend, dass er andernfalls die Versicherungsverträge so geändert hätte, dass er bei allen selbst der Versicherungsnehmer geworden wäre – hat die Beklagte zu Recht das öffentliche Interesse – Grundsatz der Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns (Art. 20 Abs. 3 GG), Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 GG) sowie Einsatz öffentlicher Mittel nur für die gesetzlich vorgesehenen Zwecke – als überwiegend angesehen.
Die Rücknahme des Änderungsbescheides vom 23.12.2019 durch den Bescheid vom 26.03.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides stellt sich dennoch als rechtswidrig dar, denn die Beklagte hat – entgegen der Auffassung des SG – ihr sachgerechtes Ermessen nicht ausgeübt. Die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 45 SGB X ist eine Ermessensentscheidung, wie aus dem Wortlaut des Abs. 1 Satz 1 folgt, dass ein solcher Verwaltungsakt bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen zurückgenommen werden „darf“ (vgl. auch BSG, Urteil vom 14.11.1985 – 7 RAr 123/84 – juris). Erforderlich ist daher, dass bei der Ermessensentscheidung von einer richtigen Beurteilung der Voraussetzungen für das Ermessen und bei dessen Ausübung vom richtigen und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen wird (BSG a.a.O.).
Im Bescheid vom 23.12.2019 wurde fälschlicherweise auf § 48 SGB X abgestellt und weder zum Vertrauensschutz noch zu Ermessenserwägungen Ausführungen gemacht. Im Widerspruchsbescheid vom 01.07.2020 wurde zwar – wie oben ausgeführt – das Bestehen von Vertrauensschutz geprüft, aber ebenfalls keine Ermessenserwägungen angestellt. Nachdem vorliegend kein Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X gegeben ist, kam eine gebundene Entscheidung nach § 330 Abs. 2 SGB X nicht in Betracht. Dass die Beklagte tatsächlich – nach Feststellung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 45 SGB X, zu denen auch der fehlende Vertrauensschutz zählt – eine Ermessensentscheidung treffen wollte, lässt sich dem Widerspruchsbescheid nicht entnehmen. Vielmehr führt die Beklagte im Widerspruch aus, dass nach vorgenommener Anhörung und Würdigung des Sachvortrages des Klägers die rechtswidrig begünstigende Entscheidung vom 23.12.2019 mit Wirkung für die Zukunft ab 01.04.2020 zurückzunehmen „ist“. Anschließend werden alleine Ausführungen zur Frage des Vertrauensschutzes gemacht. Ebenso wenig sind Gesichtspunkte benannt, von denen die Beklagte bei einer Ausübung des Ermessens ausgegangen sein könnte. So genügt es nicht, im Rahmen des Vertrauensschutzes die verschiedenen Interessen gegenüber zu stellen, denn dort lässt dies bei entsprechender Wertung für die gesetzliche Voraussetzung des Rücknahmerechts nur eine richtige Antwort zu, während bei einer Wertung im Rahmen der Ermessensausübung das Recht besteht, zwischen mehreren je für sich ebenfalls richtigen Lösungen zu wählen, nämlich die zu Unrecht bewilligte Leistung gleichwohl ganz oder zur Anpassung übergangsweise, ggf. auch teilweise zu belassen, oder sie ganz zu entziehen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 14.11.1985 – 7 RAr 123/84 – juris). Es können bei der Ermessensausübung auch weitere Umstände zu beachten sein, die bei der Interessenabwägung im Rahmen des Vertrauensschutzes keine Rolle spielten (vgl. BSG a.a.O.).
Die Beklagte hat weder explizit darauf hingewiesen, dass ihr ein Ermessen zusteht, noch Gesichtspunkte für dessen Ausübung dargelegt. Auch aus dem Anhörungsschreiben vom 29.04.2020 geht nicht hervor, dass sie die maßgeblichen Gesichtspunkte für eine Ermessensentscheidung ermitteln wollte, denn dort wurde auf § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X abgestellt, mithin eine gebundene Entscheidung (§ 330 Abs. 2 SGB X) vorbereitet. Zwar führt ein Ermessensausfall ausnahmsweise dann nicht zur Aufhebung eines angefochtenen Verwaltungsakts, wenn auch bei Ausübung von Ermessen jeder Verwaltungsakt mit einem anderen Regelungsinhalt rechtsfehlerhaft wäre, wobei ein solcher Fall nur in Betracht kommt, wenn ermessensrelevante Gesichtspunkte weder vom Kläger geltend gemacht noch sonst wie ersichtlich sind (vgl. dazu BSG, Urteil vom 20.05.2014 – B 10 EG 2/14 R – juris). Dies ist vorliegend aber nicht der Fall. Insofern ist schon nicht auszuschließen, dass der Kläger noch weitere Gesichtspunkte für eine Ermessensausübung vorgebracht hätte, wäre er dementsprechend angehört worden bzw. der angefochtene Bescheid hier auf einen Ermessensfall abgestellt hätte. Im Bescheid vom 26.03.2020 wurde lediglich die Rechtsgrundlage “§ 48 SGB X” angegeben und im Anhörungsschreiben vom 29.04.2020 wurde darauf verwiesen, dem Kläger hätte bekannt sein müssen, dass die Bewilligung der Beitragszahlung in dieser Höhe fehlerhaft gewesen sei. Wäre dies der Fall gewesen, so wäre es auf Ermessensgesichtspunkte aber nicht angekommen, denn es hätte sich nach § 330 Abs. 2 SGB X dann um eine gebundene Entscheidung gehandelt. Auch der Umstand, dass die Beklagte die Rücknahme ausgehend vom Bescheid vom 26.03.2020 nur für die Zukunft verfügt hat, ändert daran nichts. Zwar wird teilweise angeführt, eine ausreichende Ermessensbetätigung liege vor, wenn die Behörde einen Bescheid nur für die Zukunft, nicht auch für die Vergangenheit zurücknehme (so Schütze in Schütze, SGB X, 9. Auflage, § 45 Rn. 104 mit Verweis auf eine Entscheidung des BSG), dies würde aber voraussetzen, dass die Beklagte erkannt hätte, dass ihr ein Ermessen zugestanden hat und sie sich im Rahmen dessen Ausübung bewusst dafür entschieden hat, die Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft zu beschränken. Dies ist vorliegend nicht der Fall gewesen. Zum einen ist – wie bereits ausgeführt – nicht ersichtlich, dass die Beklagte erkannt hat, dass ihr ein Ermessen zusteht, zum anderen erfolgte ausgehend vom Widerspruchsbescheid vom 01.07.2020, der erstmals auf § 45 SGB X abgestellt hat, keine Rücknahme für die Zukunft, denn die Aufhebung war bereits mit Wirkung ab 01.04.2020 ausgesprochen worden.
Das Fehlen der Ermessensentscheidung führt damit zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Rücknahmeentscheidung.
Soweit der Kläger für die Zeit ab 01.01.2021 bis 30.06.2021 eine Abänderung des Bescheides vom 22.12.2020 dahingehend begehrt, dass über die berücksichtigten 114,38 € monatlich in Bezug auf die private Pflegeversicherung weitere 3,66 € monatlich bis zur Höhe der zu zahlenden Beiträge für eine gesetzliche Pflegeversicherung (ab 01.01.2021 monatlich 118,04 €) übernommen werden, ist die Berufung unbegründet. Die Pflegeversicherungsbeiträge bei der U wurden in tatsächlicher Höhe übernommen. Höhere Leistungen unter Einbeziehung weiterer Versicherungsbeiträge für die private Pflegeversicherung der Ehefrau und Kinder bei D kommen nach obigen Ausführungen nicht in Betracht.
Auf die Berufung des Klägers war damit das Urteil des SG teilweise und der Bescheid vom 26.03.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.07.2020 aufzuheben. Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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