Sozialrecht

Arbeitsunfall, Gefälligkeitsleistung, Sonderbeziehung

Aktenzeichen  L 7 U 376/19

Datum:
22.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 32582
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VII § 129
SGB VII § 2
SGB VII § 8

 

Leitsatz

Bei Tätigkeiten im Rahmen einer Sonderbeziehung wie zB einer Partnerschaft besteht kein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz.

Verfahrensgang

S 18 U 100/18 2019-10-23 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 23. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat konnte im schriftlichen Verfahren nach § 124 Abs. 2 SGG entscheiden, nachdem die Beteiligten zugestimmt haben.
Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig. Die Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger ist durch den Bescheid vom 23.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.04.2018 nicht beschwert, da dieser nicht rechtswidrig ist (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, das Ereignis vom 18.06.2015 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Danach handelt es sich bei dem Unfall vom 18.06.2015 nicht um einen Arbeitsunfall, da er sich nicht bei einer versicherten Tätigkeit des Klägers ereignete. In Betracht kommt vorliegend als eine den Versicherungsschutz begründende Tätigkeit nur eine solche nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII als Beschäftigter oder nach § 2 Abs. 2 Satz 1 iVm Abs. 1 Nr. 1 SGB VII als „Wie-Beschäftigter“. Solche Tätigkeiten hat der Kläger nicht verrichtet.
Eine Versicherung des Klägers kraft Gesetzes als Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII scheidet aus, da kein Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnis zu R bestand. Dies ergibt sich schon daraus, dass zwischen dem Kläger und R kein Rechtsverhältnis bestand, das den Kläger zu den von ihm verrichteten Tätigkeiten für den Beigeladenen verpflichtete (vgl LSG NRW Urteil vom 05. Dezember 2018 – L 17 U 208/17 und Urteil vom 26.03.2014 – L 17 U 370/12). Dementsprechend hat er R auch nur nach jeweiliger Absprache unter Berücksichtigung seiner eigenen zeitlichen Möglichkeiten und unentgeltlich geholfen.
Entgegen der Auffassung des Klägers bestand auch kein Versicherungsschutz kraft Gesetzes nach § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII, wonach Personen versichert sind, die „wie“ nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII Versicherte tätig werden. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 iVm Abs. 1 Nr. 1 SGB VII ist jede Verrichtung versichert, die der Ausübung einer Beschäftigung vergleichbar ist (vgl BSG, Urteil vom 15.06.2010, B 2 U 12/09 R). § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII erfasst tatbestandlich Tätigkeiten, die ihrer Art nach zwar nicht sämtliche Merkmale der Ausübung einer Beschäftigung i.S. von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII aufweisen, in ihrer Grundstruktur aber einer solchen ähneln, indem eine ernstliche, einem fremden Unternehmen dienende, dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert erbracht wird, die ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden könnte, die in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen (ständige Rechtsprechung – vgl. BSG, Urteile vom 27.03.2012, B 2 U 5/11 R, und vom 05.07.2005, B 2 U 22/04 R). Dabei braucht weder eine persönliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit zu bestehen, noch sind die Beweggründe des Handelnden für sein Tätigwerden maßgebend (BSG, Urteile vom 05.03.2002, B 2 U 9/01 R und vom 17.03.1992, 2 RU 6/91, mwN). Maßgeblich sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, unter denen sich die Tätigkeit vollzogen hat im Sinne einer Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalles. Die von den – unerheblichen – Beweggründen für den Entschluss tätig zu werden zu unterscheidende objektivierbare Handlungstendenz zeigt an, welches Unternehmen in erster Linie und wesentlich unterstützt wird. Bei der unfallbringenden Tätigkeit muss diese Handlungstendenz wesentlich auf die Belange des als unterstützt geltend gemachten Unternehmens gerichtet sein, damit die Handlung als beschäftigtenähnliche Tätigkeit für dieses Unternehmen gewertet werden kann (BSG, Urteil vom 05.03.2002 – B 2 U 9/01 R).
Bei Anwendung dieser Grundsätze kommt der Senat zu der Überzeugung, dass die objektivierbare Handlungstendenz des Klägers bei der unfallbringenden Tätigkeit, also im Zeitpunkt des Unfalls, im Rahmen der erforderlichen längerfristigen Gesamtschau (vgl etwa BSG, Urteil vom 19.06.2018,B 2 U 32/17 Rz 35) darauf gerichtet war, wie ein Bauhelfer auf der Baustelle des R untergeordnete Hilfstätigkeiten zu verrichten. Dies ergibt sich aus den überzeugenden, widerspruchsfreien und auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogenen Angaben von R, V und dem Kläger. Diese Tätigkeit war wesentlich dem Unternehmen von R (Bauherr als Unternehmer nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten, § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII) zu dienen bestimmt und hatte auch einen wirtschaftlichen Wert, da R anderenfalls hierfür hätte einen Werk- oder Dienstlohn entrichten müssen.
Unabhängig davon, dass der Kläger insoweit nicht an Weisungen gebunden war, als er nur dann mithalf, wenn er Zeit hatte, war der Kläger zwar nicht unternehmersondern beschäftigtenähnlich tätig (vgl BSG, Urteil vom 19.06.2018 aaO). Denn er verrichtete eine Arbeit, die grundsätzlich ihrer Art nach von einem Arbeitnehmer hätte verrichtet werden können und war außerdem in das Unternehmen von R eingegliedert, da R die durchzuführenden Arbeiten sowie die Art und Weise der Ausführung vorgab sowie Materialien und Werkzeuge zur Verfügung stellte. Es war dem Kläger gerade nicht wie einem selbständigen Handwerker überlassen, einen konkreten Auftrag eigenständig auszuführen, sondern er leistete bei einfachen Gewerken Hilfestellung, wobei er sich jeweils dem aktuellen Bedarf unterordnete. Bei diesen handwerklich schlichten Tätigkeiten kam eine fachliche Qualifikation des Klägers nicht im Sinne einer unternehmerähnlichen Stellung zum Tragen. Dies steht für den Senat aufgrund der nicht in Frage gestellten Angaben des Klägers fest.
Die Ausübung einer beschäftigungsähnlichen Tätigkeit ist dennoch zu verneinen, wenn die Verrichtung wegen und im Rahmen einer Sonderbeziehung zum Unternehmer erfolgt, zum Beispiel als Familienangehöriger, aufgrund enger Freundschaft oder als Vereinsmitglied (vgl Urteile des BSG vom 20.03.2018, B 2 U 16/16 R, und vom 19.06.2018, aaO). Handelt es sich um eine selbstverständliche Hilfeleistung oder ist die Tätigkeit durch die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft oder sozial geprägten Beziehung gekennzeichnet, so fehlt es regelmäßig an einer konkreten Arbeitnehmerähnlichkeit. Selbstverständliche Hilfeleistungen sind solche, die sich ausgehend von der sozial geprägten Sonderbeziehung in einem üblichen und zu erwartenden Rahmen bewegen. Wesentlich ist hierbei das Gesamtbild der den Einzelfall prägenden Umstände, insbesondere Art, Umfang und Zeitdauer der verrichteten Tätigkeit sowie die Intensität der tatsächlichen verwandtschaftlichen bzw. freundschaftlichen Beziehungen. Je intensiver und enger eine Sonderbeziehung geprägt ist, desto höher ist auch die Anforderung an die zu erwartende (unversicherte) Gefälligkeitsleistung hinsichtlich der Art, des Umfanges und der Zeitdauer, um die Schwelle zum Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII zu überwinden.
Unter Beachtung dieser Grundsätze stand der Kläger zum Unfallzeitpunkt nicht unter dem Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Bei der zum Unfall führenden Tätigkeit des Klägers handelte es sich um eine die Versicherungspflicht ausschließende Gefälligkeitsleistung aufgrund einer Sonderbeziehung zu R. Die Motivation des Klägers, R bei der unfallbringenden Verrichtung zu helfen, lag in erster Linie darin, dem Vater seiner Partnerin und späteren Verlobten, also seinem künftigen Schwiegervater bei der Erstellung von Wohnraum zu helfen, also ein System des gegenseitigen Helfens im Rahmen quasi verwandtschaftlicher Verhältnisse aufrechtzuerhalten. Dies steht zur Überzeugung des Senats fest aufgrund der übereinstimmenden Angaben des Klägers und von V und R im Verwaltungsverfahren und im sozialgerichtlichen Verfahren. Der Kläger und R waren über die Partnerschaft des Klägers mit der Tochter des R verbunden. Der Kläger und V haben bei R kostengünstig zur Miete gewohnt, als das Bauvorhaben auf demselben Grundstück in Angriff genommen wurde. R meldete das private Bauvorhaben zunächst auch nicht an und führte das Bauvorhaben ausschließlich mit Familienmitgliedern, nämlich seinen Schwagern und dem Kläger als künftigen Schwiegersohn durch. Mit seinen Hilfstätigkeiten arbeitete der Kläger damit wie die anderen Familienmitglieder im Rahmen eines Familienprojekts, also aufgrund der über V bestehenden Sonderbeziehung zu R. Diese Sonderbeziehung wurde noch dadurch verstärkt, dass der Kläger vor Ort wohnte, zudem zu einem relativ günstigen Mietpreis, und von ihm die Mithilfe entsprechend den anderen Familienmitgliedern erwartet werden konnte. Zudem erscheint dem Senat die Darstellung von R und V durchaus nachvollziehbar und naheliegend, dass der Kläger auch deshalb mitgeholfen hat, weil er zunächst davon ausgegangen ist, dass hier Wohnraum für V geschaffen wird, von dem V und damit auch indirekt er profitieren würden. Zumindest hat der Kläger nach seiner eigenen Darstellung bis zum und dann auch nach dem Unfall im Rahmen seiner dann eingeschränkten Möglichkeiten R weiterhin bis zur Trennung von V geholfen, auch wenn möglicherweise ein Einzug des Klägers und von V nicht mehr geplant war. Eine solche Mithilfe ist auch nur aufgrund der Sonderbeziehung des Klägers zu V und damit zu R erklärbar. Im Rahmen dieser Sonderbeziehung erscheint die Beratung des Klägers durch R in finanziellen Fragen nichts anderes als ein erwartbarer Austausch von Gefälligkeiten im Rahmen dieser Sonderbeziehung, wobei die gegenseitigen Gefälligkeiten in keinem irgendwie gearteten gegenseitigen Austausch- und Abhängigkeitsverhältnis standen.
Der Umfang der Hilfeleistung des Klägers führt im Rahmen dieser Sonderbeziehung zu keiner anderen Betrachtungsweise, die die Annahme eines Versicherungsschutzes rechtfertigen könnte. Der Senat verkennt nicht, dass der Kläger R vor dem Unfall sehr umfangreich geholfen hatte und auch nach dem Unfall noch – aufgrund der Unfallfolgen allerdings weitaus weniger – tätig war. Dies rechtfertigt aber keine andere Entscheidung, da im Rahmen eines engen verwandtschaftsähnlichen bzw. freundschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses auch Tätigkeiten von erheblichem Umfang und größerer Zeitdauer diesem Gemeinschaftsverhältnis ihr Gepräge geben können (LSG BB Urteil vom 22.01.2009, L 31 U 369/08, mwN). Es besteht keine feste Stundengrenze für die Beurteilung einer Versicherungspflicht bei Gefälligkeitsdiensten (BayLSG Urteil vom 28.05.2008, L 2 U 28/08). Zur Überzeugung des Senats ging die Dauer der bereits vor dem Unfall erbrachten Hilfeleistung und der noch beabsichtigten Hilfe des Klägers für den Beigeladenen unter Würdigung der Gesamtumstände nicht weit über das hinaus, was in dem guten familiären und freundschaftlichen Verhältnis üblich war. Die vom Kläger verrichteten Tätigkeiten waren jeweils auf ein paar Stunden abends nach der Arbeit und auf die Wochenenden verteilt. Dies ist auch bei einer objektiven Betrachtungsweise im Hinblick auf den Nutzen der bereits erfolgten und noch zu erwartenden gegenseitigen Hilfeleistungen in einem guten familiären Freundschaftsverhältnis nicht außergewöhnlich. Dies wird hier insbesondere auch dadurch untermauert, dass neben dem Kläger auch die beiden Schwager in ähnlicher Art und Wiese mitgeholfen haben.
Im Ergebnis war die Tätigkeit des Klägers von der Sonderbeziehung zu dem Bauherrn geprägt, denn sie zielte darauf ab, diesem aus der bestehenden Partnerschaft zur Tochter des Bauherrn und einer geplanten zukünftigen Verwandtschaft heraus zu helfen.
Nach alledem ist die Berufung des Klägers unbegründet.
Der Kläger hat im Hinblick auf die Beigeladene im Rahmen des Berufungsverfahrens zu Recht keinen Antrag gestellt; ein Anspruch des Klägers gegenüber der Beigeladenen scheitert schon daran, dass diese nicht zuständig ist. Eine öffentliche Förderung hat R als Bauherr nicht erhalten, so dass eine Zuständigkeit der Beigeladenen und ein eventueller Anspruch aus § 2 Abs. 2 Nr. 16 SGB VII nicht in Frage kommt. Eine Zuständigkeit nach § 129 Abs. 1 Nr. 3 SGB VII für eine eventuelle Haftung nach § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 SGB VII ist aufgrund der Feststellungen der Beigeladenen, die von den übrigen Beteiligten nicht in Frage gestellt wurden, aufgrund des Umfangs der Tätigkeit des Klägers nicht gegeben und würde im Übrigen -wie oben dargestellt – daran scheitern, dass die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 und 2 SGB VII nicht erfüllt sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.


Ähnliche Artikel

BAföG – das Bundesausbildungsförderungsgesetz einfach erklärt

Das Bundesausbildungsförderungsgesetz, kurz BAföG, sorgt seit über 50 Jahren für finanzielle Entlastung bei Studium und Ausbildung. Der folgende Artikel erläutert, wer Anspruch auf diese wichtige Förderung hat, wovon ihre Höhe abhängt und welche Besonderheiten es bei Studium und Ausbildung gibt.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben