Sozialrecht

Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld aufgrund der Verhinderung der Anbahnung eines Beschäftigungsverhältnisses

Aktenzeichen  L 10 AL 1/18 NZB

Datum:
6.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 1708
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 103
SGG § 128
SGG § 144

 

Leitsatz

Wenn die Pflicht zur Amtsermittlung tatsächlich nicht verletzt wurde, ist die Berufung nicht zuzulassen.

Verfahrensgang

S 10 AL 83/16 2017-11-29 Urt SGBAYREUTH SG Bayreuth

Tenor

I. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 29.11.2017 – S 10 AL 83/16 – wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.
Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) wegen des Eintritts einer dreiwöchigen Sperrzeit und die Erstattung überzahlter Leistungen in Höhe von 605,80 €.
Der schwerhörige Kläger bezog Alg in Höhe von 30,29 € täglich (Bescheid vom 15.09.2015). Wegen der Verhinderung der Anbahnung eines Beschäftigungsverhältnisses hob die Beklagte mit Bescheid vom 21.03.2016 die Bewilligung von Alg wegen des Eintritts einer dreiwöchigen Sperrzeit für die Zeit vom 11.02.2016 bis 02.03.2016 auf und forderte die Erstattung überzahlter Leistungen in Höhe von 605,80 €. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens hat der Kläger angegeben, er habe seine Bewerbungsunterlagen persönlich abgegeben, aber die Firma R. (Firma R) habe sich nicht mehr gemeldet. Der Mitarbeiter W. (W) der Firma R hat auf Nachfrage der Beklagten mitgeteilt, er habe die Bewerbungsunterlagen des Klägers persönlich entgegengenommen und dem Kläger einen Termin für ein Vorstellungsgespräch am 10.02.2016 bei dem für die Einstellungen zuständigen Mitarbeiter genannt. Zu diesem Termin sei der Kläger jedoch nicht erschienen. Der für den Kläger zuständige Mitarbeiter der Beklagten hat ausgeführt, die Hörschwäche des Klägers mache sich bei Gesprächen nicht bemerkbar. Der Kläger habe ihm am 25.02.2016 mitgeteilt, er habe sich bei der Firma R beworben, sei aber zum vereinbarten Termin nicht erschienen, weil er bei einer derartigen Firma nicht zu arbeiten beginne. Den Widerspruch wies die Beklagte daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 11.04.2016 zurück.
Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhoben. Wegen seiner Schwerhörigkeit sei ein Grad der Behinderung (GdB) von 90 bei ihm anerkannt. Tatsächlich habe er ab 14.03.2016 auf eigene Initiative eine Stelle gefunden. Er gehe mit seiner Behinderung nicht hausieren, das wäre für die Arbeitsuche „nachträglich“. Er habe umgehend Bewerbungsunterlagen bei der Firma R an W übergeben und auf seine Schwerhörigkeit hingewiesen, was allerdings eine Tätigkeit als Maler nicht hindere. W habe ihm bei der Abgabe der Unterlagen erklärt, man werde sich melden. Dies sei aber nicht erfolgt. Einen eventuellen Hinweis auf einen Termin am 10.02.2016 durch W habe er möglicherweise wegen seiner Schwerhörigkeit nicht vernehmen können. Er überspiele seine Hörschwäche geschickt, was aber mit einem Defizit an Kenntnisnahme einhergehe.
Der Kläger hat sich auf Nachfrage des SG mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Das SG hat ohne mündliche Verhandlung mit Urteil vom 29.11.2017 die Klage abgewiesen. Die Anbahnung eines Beschäftigungsverhältnisses im Rahmen einer zumutbaren Tätigkeit habe der Kläger verhindert, ohne hierfür einen wichtigen Grund zu haben. Zur Überzeugung des SG habe er einen Vorstellungstermin für den 10.02.2016 von W zumindest mündlich genannt bekommen. Er sei aber zu diesem Termin nicht erschienen. Dies habe er zunächst auch gegenüber dem Arbeitsvermittler angegeben. Im Übrigen verhindere er, sobald er etwas nicht verstehe und dies in Kauf nehme, bewusst die Vertragsanbahnung. Seine Angaben im Laufe des Verfahrens seien widersprüchlich. Die Aufhebung der Bewilligung und die Erstattungsforderungen seien daher rechtmäßig. Die Berufung hat das SG nicht zugelassen.
Dagegen hat der Kläger Nichtzulassungsbeschwerde zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) erhoben. Das SG habe sich über die Angabe des Klägers, er habe keinen Vorstellungstermin für den 10.02.2016 erhalten, einfach hinweggesetzt und den Sachverhalt nicht aufgeklärt. Falls W einen Termin genannt habe, habe er dies möglicherweise wegen seiner Schwerhörigkeit nicht gehört. Das SG hätte W als Zeugen einvernehmen müssen. Auch seien die Ausführungen des Arbeitsvermittlers zu seiner Arbeitswilligkeit unrichtig.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Die fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 145 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, sachlich aber nicht begründet. Es gibt keinen Grund, die gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG wegen des Wertes des Beschwerdegegenstandes ausgeschlossene Berufung zuzulassen. Der Beschwerdewert wird nicht erreicht. Auch sind nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).
Anhaltspunkte für eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache oder ein Abweichen des SG von der obergerichtlichen Rechtsprechung sind für den Senat nicht ersichtlich und werden vom Kläger auch nicht geltend gemacht.
Der Kläger geht vielmehr von einem Verfahrensfehler, nämlich von der Verletzung der Amtsermittlungspflicht, durch das SG aus. Der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) ist jedoch nicht verletzt. Das SG hat sich im Rahmen der Beweiswürdigung – Fehler im Rahmen der Beweiswürdigung stellen keinen Verfahrensmangel dar (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Auflage, § 144 Rn. 34a) – auf die von W im Laufe des Widerspruchsverfahrens gegenüber der Beklagten erteilten Auskunft gestützt und auch dargelegt, weshalb es den Angaben des Klägers nicht folgt. Das SG ist davon ausgegangen, dass W dem Kläger den Vorstellungstermin für den 10.02.2016 zumindest genannt habe, und es hat ausgeführt, dass die Inkaufnahme des Nichtverstehens ein bewusstes Vereiteln einer Vertragsanbahnung darstelle. Nachdem sich der Kläger auch mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt hatte, war ihm auch klar, dass keine weitere Beweisaufnahme durch das SG mehr erfolgen würde. Das SG hat damit unter Berücksichtigung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) entschieden. Die Auskunft des W im Rahmen des Widerspruchsverfahrens konnte es als Urkundenbeweis im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigen (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt aaO § 103 Rn.11d).
Nach alledem war die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).


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