Sozialrecht

Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht

Aktenzeichen  B 3 K 19.703

Datum:
20.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 10910
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
RBStV § 4 Abs. 1 Nr. 7
BayLPflGG Art. 2 Abs. 4 S. 4
BVG § 27a
SGB XII § 27

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Über die Klage kann mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Die Klägerin hat nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO keinen Anspruch darauf, dass das Gericht den Beklagten verpflichtet, sie von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien.
1. Rechtsgrundlage für die Erhebung des Rundfunkbeitrages ist der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV), an dessen Verfassungsmäßigkeit keine Zweifel bestehen.
Als Inhaber einer Wohnung hat der Ehemann der Klägerin gemäß § 2 Abs. 1 RBStV Rundfunkbeiträge zu entrichten.
2. Weder er noch die Klägerin, auf die sich die zu gewährende Befreiung nach § 4 Abs. 3 Nr. 1 RBStV erstrecken würde, erfüllen einen der speziellen Befreiungstatbestände des § 4 Abs. 1 RBStV.
2.1 Der Bezug von Leistungen der Pflegekassen fällt nicht darunter. Das Pflegegeld aus der sozialen Pflegeversicherung wird auf Grundlage des SGB XI gewährt und geht den Leistungen des SGB XII vor. Leistungen nach dem SGB XII werden dem Kläger daher nicht gewährt.
2.2 Auch besteht kein Anspruch auf eine Befreiung nach § 4 Abs. 1 Nr. 7 RBStV.
§ 4 Abs. 1 RBStV verlangt generell für eine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht den Bezug von Sozialleistungen und die Durchführung einer wirtschaftlichen Bedürftigkeitsprüfung. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 7 RBStV werden Empfänger von Hilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB XII) oder von Hilfe zur Pflege als Leistung der Kriegsopferfürsorge nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) oder von Pflegegeld nach landesgesetzlichen Vorschriften von der Beitragspflicht nach § 2 Abs. 1 RBStV befreit.
Das vom Ehemann der Klägerin nach dem (BayLPflGG) bezogene Pflegegeld ist aber kein „Pflegegeld nach landesgesetzlichen Vorschriften“ im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 7 RBStV. Das zeigt bereits Art. 2 Abs. 4 Satz 4 BayLPflGG, der dies deklaratorisch klarstellt.
Weiterhin wird dies insbesondere aus der Systematik des § 4 Abs. 1 Nr. 7 RBStV sowie Sinn und Zweck dieses Befreiungstatbestands deutlich. Der Wortlaut enthält über die Formulierung „Pflegegeld nach landesgesetzlichen Vorschriften“ hinaus keine Einschränkung.
Bei allen sonstigen von § 4 Abs. 1 Nr. 1 – 10 RBStV erfassten Sozialbezügen ist von der jeweiligen Behörde eine wirtschaftliche Bedürftigkeitsprüfung durchzuführen (VG Ansbach, U.v. 16.04.2015, Az. AN 6 K 14.00228, juris Rn. 60 f.; VG Gera, U.v. 15.03.2019, Az. 3 K 2167/18, juris Rn. 21 ff.).
So ist für den Empfang von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buches des SGB XII nach § 27 SGB XII eine wirtschaftliche Bedürftigkeitsprüfung durchzuführen, ebenso für den Empfang von Leistungen nach den §§ 27a oder 27d BVG nach § 27a BVG (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 RBStV).
Für den Empfang von Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist nach § 41 Abs. 1 i.V.m. § 43 SGB XII eine wirtschaftliche Bedürftigkeitsprüfung durchzuführen (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 RBStV), für den Empfang von Sozialgeld oder Arbeitslosengeld II einschließlich von Leistungen nach § 22 SGB II nach § 18 Abs. 3 SGB II (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 RBStV), für den Empfang von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nach § 7 des Asylbewerberleistungsgesetzes (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 RBStV).
Bei nicht bei den Eltern wohnenden Personen erfolgt für die Bewilligung von Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) nach § 11 BAföG eine wirtschaftliche Bedürftigkeitsprüfung, für die Bewilligung von Berufsausbildungsbeihilfe nach den §§ 114, 115 Nr. 2 SGB III nach § 114 SGB III i.V.m.
§ 67 SGB III, für die Bewilligung von Berufsausbildungsbeihilfe nach dem Dritten Kapitel, Dritter Abschnitt, Dritter Unterabschnitt des SGB III nach § 67 SGB III und für die Bewilligung von Ausbildungsgeld nach den §§ 122 ff. SGB II nach § 126 SGB III (§ 4 Abs. 1 Nr. 5 RBStV).
Ebenfalls ist für Sonderfürsorgeberechtigte im Sinne des § 27e BVG eine wirtschaftliche Bedürftigkeitsprüfung nach 25a Abs. 1 BVG durchzuführen (§ 4 Abs. 1 Nr. 6 RBStV).
Auch bei den neben dem Landespflegegeld in § 4 Abs. 1 Nr. 7 RBStV aufgezählten Leistungen von Hilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des SGB XII oder von Hilfe zur Pflege als Leistung der Kriegsopferfürsorge nach dem BVG ist eine wirtschaftliche Bedürftigkeitsprüfung nach § 66a SGB XII bzw. §§ 25 Abs. 4, 25a Abs. 1 BVG durchzuführen.
Für den Empfang einer Pflegezulage nach § 267 Absatz 1 des Lastenausgleichsgesetzes (LAG) ist ebenfalls im gleichen Absatz eine wirtschaftliche Bedürftigkeitsprüfung in Form einer Einkommenshöchstgrenze für den Bezug vorgesehen. Ebenso ist Grundvoraussetzung für die Zuerkennung eines Freibetrags nach § 267 Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe c LAG für diese Einkommenshöchstgrenze, dass dem Empfänger der Pflegezulage kein Pflegegeld oder eine sonstige Pflegesachleistung nach dem SGB XI gewährt wird und er mit seinem Einkommen unter Einbeziehung des Freibetrags unter der wirtschaftlichen Bedürftigkeitsgrenze verbleibt (§ 4 Abs. 1 Nr. 8 RBStV).
Volljährige, die im Rahmen einer Leistungsgewährung nach dem Achten Buch des Sozialgesetzbuches in einer stationären Einrichtung nach § 45 SGB VIII leben, sind nach § 92 Abs. 1a SGB VIII „aus ihrem Vermögen“ und damit unter Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Fähigkeiten heranzuziehen (§ 4 Abs. 1 Nr. 9 RBStV).
Der Empfang von Blindenhilfe nach § 72 SGB XII oder nach § 27d BVG ist nach 90 SGB XII bzw. § 27d Abs. 5 BVG an eine wirtschaftliche Bedürftigkeitsprüfung gebunden (§ 4 Abs. 1 Nr. 10 RBStV).
Lediglich taubblinde Menschen, die bereits denklogisch nicht das Rundfunkangebot nutzen können, werden unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Bedürftigkeit vollständig von der Rundfunkbeitragspflicht befreit.
Das bayerische Landespflegegeld ist im Gegensatz zu den im § 4 Abs. 1 RBStV aufgezählten Befreiungstatbeständen gerade keine vergleichbare Sozialleistung und stellt damit kein „Pflegegeld nach landesgesetzlichen Vorschriften“ im Sinne dieser Bestimmung dar. Es ist nicht einkommensabhängig und dient nicht der Existenzsicherung. Die mit ihm gedeckten Bedarfe gehen nach der Zweckbestimmung in Art. 1 BayLPflGG ausdrücklich und gezielt über die rein pflegerischen Bedarfe hinaus. Voraussetzung für die Gewährung des bayerischen Landespflegegeldes sind lediglich die Feststellung des Pflegegrads 2 und der alleinige Wohnsitz oder die Hauptwohnung im Freistaat Bayern (Art. 2 Abs. 1, Abs. 3 BayLPflGG). Eine Bedürftigkeitsprüfung ist dabei gerade nicht vorgesehen. Wie dargelegt fordert die Gesetzessystematik des § 4 Abs. 1 RBStV bei den Befreiungstatbeständen gerade eine Prüfung der Leistungsfähigkeit in wirtschaftlicher Hinsicht.
Diese gesetzliche Wertung zeigt sich auch am Wortlaut des § 4 Abs. 6 Satz 2 RBStV, nach dem ein Härtefall insbesondere dann vorliegt, wenn eine Sozialleistung i.S.d. § 4 Abs. 1 Nr. 1 – 10 RBStV nicht gewährt wurde, da die Einkünfte des Antragsstellers die jeweilige Bedarfsgrenze um weniger als die Höhe des Rundfunkbeitrags überschreitet. Mit dieser Härtefallregelung wird deutlich, dass der Gesetzgeber von einer finanziellen Vorprüfung für die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht ausgegangen ist.
Schließlich hat es der Landesgesetzgeber nicht in der Hand, Befreiungsmöglichkeiten auszuweiten oder den Zweck der Befreiungsnorm auszuhöhlen und damit letztlich die solidarische Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks insgesamt in Frage zu stellen. Zur Rechtsklarheit wurde deshalb mit Art. 2 Abs. 4 Satz 4 BayLPflGG auch eine entsprechende Bestimmung in das Gesetz eingefügt (Jaburek, NZS 2019, 411).
In den Landespflegegeldgesetzen der Bundesländer Berlin, Brandenburg, Bremen und Rheinland-Pfalz sind höhere Anforderungen an die Gewährung der Leistung sowie Anrechnungs- oder Ausschlusstatbestände enthalten (§ 3 des Landespflegegeldgesetzes Berlin, § 4 des Landespflegegeldgesetzes Bremen, §§ 4, 5 des Landespflegegeldgesetzes Brandenburg und §§ 5, 6 des Landespflegegeldgesetzes Rheinland-Pfalz), eine wirtschaftliche Bedürftigkeitsprüfung mit der Reduktionsmöglichkeit auf „Null“ sehen diese aber ebenfalls nicht vor.
Aus der Verwaltungspraxis der zuständigen Landesrundfunkanstalten für Berlin, Bremen, Brandenburg und Rheinland-Pfalz, eine Befreiung nach § 4 Abs. 1 Nr. 7 RBStV wegen des Bezugs von Landespflegegeld anzunehmen, kann allerdings nicht geschlossen werden, dass für einen Befreiungstatbestand i.S.d. § 4 Abs. 1 RBStV keine Bedürftigkeitsprüfung notwendig wäre. Aus einer unzutreffenden Gesetzesanwendung kann kein Anspruch auf eine Gleichbehandlung (im Unrecht) abgeleitet werden.
3. Als unterlegene Beteiligte hat die Klägerin nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
4. Die Berufung war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, ob das bayerische Landespflegegeld ein Pflegegeld im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 7 RBStV ist (§§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).


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