Sozialrecht

Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung

Aktenzeichen  L 19 R 895/14

Datum:
5.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
DStRE – 2020, 574
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 231 Abs. 4b
SGB VI § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1. Zur Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Tätigkeit als juristischer Referent bei einer Steuerberaterkammer.
2. Ein Ablehnungsbescheid (hier: wegen Befreiung von der Versicherungspflicht) erledigt sich für die Zeit, die von einem späteren Antrag für den gleichen Zeitraum und einem daraufhin ergangenen neuen Bescheid erfasst wird.

Verfahrensgang

S 3 R 1129/13 2014-09-30 Urt SGNUERNBERG SG Nürnberg

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30.09.2014 wird als unzulässig verworfen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 30.09.2014 war gemäß § 158 S. 1 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Infolge der neuen Entscheidung der Beklagten über eine Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung mit Bescheid vom 02.01.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.06.2017 haben sich die Rechtswirkungen des hier streitigen Bescheids vom 12.10.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.10.2013 erledigt. Infolgedessen besteht auch kein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für das Berufungsverfahren mehr.
Streitig ist vorliegend die Frage einer Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für seine Tätigkeit als Referent bei der Steuerberaterkammer N-Stadt, die er ab dem 01.03.2012 aufgenommen hat, und zwar ab dem 02.05.2012 nach der Zulassung des Klägers als Rechtsanwalt. Die Beklagte hatte mit dem hier streitigen Bescheid vom 12.10.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.10.2013 eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für diese Tätigkeit abgelehnt, weil die notwendigen Voraussetzungen hierfür nicht gegeben wären. Sie hat nun mit Bescheid vom 02.01.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.06.2017, der beim SG in dem Verfahren streitgegenständlich ist, erneut über eine Befreiung des Klägers von der Rentenversicherungspflicht wegen derselben Tätigkeit in der Zeit ab Aufnahme dieser Tätigkeit entschieden und erneut eine Befreiung abgelehnt. Aus welchen Gründen diese Ablehnung erfolgt ist, spielt für die Bestimmung des Regelungsgegenstandes eines Bescheids keine Rolle.
Ob und inwieweit sich die Rechtswirkungen eines Bescheides durch Erlass eines nachfolgenden Bescheides im Sinne des § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – SGB X – erledigen, hängt dabei nicht von der jeweils gegebenen Begründung der Entscheidung ab. Wesentlich ist hier vielmehr und ausschließlich der Verfügungssatz des Bescheides (Engelmann, in: v. Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl., 2014, § 33 SGB X, Rdnr. 6 m. w. N.). Sowohl der Bescheid vom 12.10.2012 als auch der Bescheid vom 02.01.2017 (in der Fassung der jeweiligen Widerspruchsbescheide) lehnen in ihrem Verfügungssatz den Antrag des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die ab dem 02.05.2012 ausgeübte Tätigkeit als Referent bei der Steuerberaterkammer N-Stadt ab. Jeweils handelt es sich dabei um Ablehnungsbescheide. Ein Ablehnungsbescheid – wie hier der streitgegenständliche Bescheid vom 12.10.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.10.2013 – erledigt sich für die Zeit, die von einem späteren Antrag für den gleichen Zeitraum und einem daraufhin ergangenen neuen Bescheid miterfasst wird (BSG, Urteil vom 11.12.2007, B 8/9b SO 12/06 R; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 04.06.2015, L1 R 136/13, juris; BayLSG, Urteil vom 28.11.2018, L 19 R 207/18). Der Bescheid vom 02.01.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.06.2017 lehnt eine Befreiung auch für die hier streitgegenständliche Zeit vom 02.05.2012 bis 31.10.2013 ab.
Die Beklagte hat jeweils eine Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung abgelehnt. Sie hat dabei alle hierfür einschlägigen Rechtsvorschriften zu prüfen, die für das vom Kläger gewünschte Ergebnis in Betracht kommen. Vor Erlass der Neuregelungen zum Syndikusanwalt kam eine Befreiung nur auf der Grundlage des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI in Betracht, die Beklagte hat die Voraussetzungen hierfür nicht als gegeben angesehen. Aufgrund des weiteren Antrags des Klägers vom 16.03.2016 hat sie nun erneut über die Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung entschieden, wobei nun – zusätzlich zu § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI – eine weitere Rechtsgrundlage zu prüfen war, nämlich § 231 Abs. 4b SGB VI, die eine rückwirkende Befreiung des Klägers aufgrund der Neuregelung zum Recht der Syndikusanwälte regelt.
Infolge des Entfallens der Rechtswirkungen des hier streitgegenständlichen Bescheids fehlt dem Kläger nunmehr das Rechtsschutzbedürfnis für die Berufung.
Im Übrigen wäre die Berufung auch unbegründet.
Das BSG hat in seinen Urteilen vom 03.04.2014 (B 5 RE 9/13 R u. a.) klar entschieden, dass Rechtsanwälte bei nichtanwaltlichen Arbeitgebern nicht von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden können, da eine abhängige Beschäftigung keine Tätigkeit als Rechtsanwalt darstellt und damit eine weisungsfreie Tätigkeit als Organ der Rechtspflege nicht vorliegen kann. Das BSG hat weiter entschieden, dass die von der Beklagten und sozialgerichtlichen Instanzentscheidungen aufgestellten sog. vier Wesensmerkmale nicht tragfähig sind, um über das Vorliegen einer anwaltlichen Tätigkeit trotz Anstellungsvertrag bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber entscheiden zu können. Entscheidend ist, ob aufgrund der bestehenden vertraglichen Regelungen mit dem nichtanwaltlichen Arbeitgeber eine umfassende Unabhängigkeit und eine absolute Weisungsfreiheit bei der Bearbeitung der im Einzelnen übertragenen Mandate gewährleistet ist (BSG, Urteil vom 15.12.2016, B 5 RE 7/16 R, juris). Die der abhängigen Beschäftigung des Klägers zugrundeliegenden arbeitsvertraglichen Regelungen sind offensichtlich nicht geeignet, diese notwendige umfassende Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit des Klägers sicherzustellen. Der Kläger hat selbst auch vorgetragen, dass er nicht als Anwalt tätig sei.
Der Kläger ist zwischenzeitlich als Syndikusanwalt aufgrund der bestehenden Neuregelung ab dem 01.04.2014 befreit worden (bestandskräftiger Bescheid der Beklagten vom 03.01.2017). Damit scheidet denknotwendig eine Befreiung auf der Grundlage des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI aus, weil Syndikusanwälte nicht auf der Grundlage § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI befreit werden konnten. Das SG hat insoweit zutreffend in seinen Entscheidungsgründen dargelegt, dass die Voraussetzungen für eine Befreiung des Klägers nicht in Betracht kommen. Der Senat sieht insoweit nach § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Begründung ab und verweist in vollem Umfang auf die Entscheidungsgründe des SG im Urteil vom 30.09.2014.
Soweit der Kläger darauf hinweist, dass er gar nicht als Syndikusanwalt zu befreien sei, sondern aufgrund seiner Tätigkeit als Jurist bei einer berufsständischen Organisation, hier also als juristischer Referent bei der Steuerberaterkammer, setzt er sich bereits zu seinem eigenen Sachvortrag und insbesondere zu seinem Antrag vom 16.03.2016 in Widerspruch.
Soweit er sich auf die Gesetzesbegründung zum Rentenreformgesetz 1992 stützen wollte, die durch Neuregelungen mit Wirkung zum 01.01.1996 nicht geändert oder ergänzt worden sei (so der Vortrag des Klägers), geht dieser Vortrag bereits aus rechtssystematischen Gründen fehl. Das SG hat bereits ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine vom Gesetzgeber gegebene Begründung zu einem Gesetzentwurf keine Anspruchsgrundlage darstellen, sondern allenfalls als Auslegungshilfe für gesetzliche Regelungen herangezogen werden kann. Der Regelung des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI ist kein Tatbestandsmerkmal zu entnehmen, wonach angestellte Juristen bei berufsständischen Kammern zwingend von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien seien. Sie sind vielmehr – so der ausdrückliche Wortlaut des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI – nur dann zu befreien, wenn es sich um eine Tätigkeit handelt, wegen der sie aufgrund entsprechender gesetzlicher Verpflichtung Mitglied in der berufsständischen Organisation werden. Die Mitgliedschaft in der BRAStV knüpft aber gerade nicht an die Tätigkeit als Referent, sondern an eine ausgeübte Tätigkeit als Rechtsanwalt an. Eine solche verrichtet der Kläger nicht.
Nach alledem war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 30.09.2014 als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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