Sozialrecht

Bestandskraft einer Leistungsbewilligung

Aktenzeichen  L 10 AL 121/15

Datum:
22.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG SGG § 54 Abs. 5, § 77
SGB III SGB III § 151 Abs. 1

 

Leitsatz

Unterlässt das Postbeförderungsunternehmen die Zustellung eines Widerspruchsschreibens wegen des beleidigenden Inhaltes der Anschrift („Agentur für Schwachsinnige“) und unterlässt es der Leistungsempfänger trotz Rücklaufes des Widerspruchsschreibens und der damit verbundenen Erkenntnis, dass die Behörde den Widerspruch nicht erhalten hat, sich weitergehend gegen die Aufhebungsentscheidung zu wenden, dann wird dieser Bescheid bestandskräftig. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 7 AL 229/14 2015-04-23 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 23.04.2015 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerechte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG), in der Sache aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat aus dem Bescheid vom 16.12.2013 weder höheres Alg als 20,51 EUR täglich zu beanspruchen, noch bestehen auf der Grundlage dieses Bewilligungsbescheides Zahlungsansprüche über den 20.03.2014 hinaus.
Gemäß § 54 Abs. 5 SGG kann mit einer Klage die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.
Vorliegend steht weder ein Anfechtungs- und Leistungsbegehren (iSd § 54 Abs. 1, Abs. 4 SGG) im Streit, noch fordert der Kläger Zahlungen aus einem anderen Bescheid als dem vom 16.12.2013 auf dessen Grundlage er glaubt, Leistungen iHv 34,18 EUR täglich (so bei Klageerhebung am 16.06.2014) bzw. iHv 46,42 EUR täglich (so der Antrag in der mündlichen Verhandlung am 23.05.2014) für eine Dauer von 450 Tagen beanspruchen zu können.
Insoweit geht die Auffassung des Klägers sowohl in Bezug auf die Höhe des täglichen Zahlbetrages als auch hinsichtlich des Zeitraumes fehl, für den er Leistungen zu beanspruchen hat, denn mit dem bestandskräftigen Bewilligungsbescheid vom 16.12.2013 ist ihm zum einen lediglich ein Zahlbetrag von 20,51 EUR täglich bewilligt worden. Zum anderen endet der Leistungsanspruch des Klägers aus dem Bescheid vom 16.12.2013 mit Ablauf des 20.03.2014, nachdem die Beklagte mit dem (ebenfalls bestandskräftigen) Bescheid vom 11.04.2014 (idG des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2014) den Eintritt einer Sperrzeit und das Ruhen des Zahlungsanspruches für den Zeitraum vom 21.03.2014 bis 27.03.2014 verfügt hat. Mit einem weiteren (bestandskräftigen) Bescheid vom 11.04.2014 hat die Beklagte wegen der fehlenden Verfügbarkeit des Klägers die Leistungsbewilligung (vom 16.12.12013) für die Zeit ab dem 25.03.2014 aufgehoben.
Soweit der Kläger mit der Erhebung der Klage am 16.06.2014 einen höheren täglichen Zahlbetrag unter Hinweis auf einen Bescheid vom 23.12.2013 fordert, entbehrt dieses Verlangen einer sachlichen Grundlage. Weder den Verwaltungsakten der Beklagten ist ein Hinweis auf einen Bescheid vom 23.12.2013 zu entnehmen, noch hat der Kläger einen entsprechenden Leistungsbescheid, auf den er sein Begehren zu stützen vermag, dem Gericht vorgelegen können. Soweit er darauf besteht, der von ihm begehrte Zahlbetrag von 34,18 EUR bzw. 46,42 EUR sei dem „Bescheid“ zu entnehmen, der ihm von seinem vormaligen Bevollmächtigten (RA M.) übersandt worden sei, verweigert sich der Kläger beharrlich der Erkenntnis, dass es sich hierbei nur um ein Anwaltsschreiben vom 23.12.2013 handelt, dem lediglich Seite 3 des Bescheides vom 16.12.2013 angefügt war. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus dem dort angebrachten Hinweis (Seite 3 zum Schreiben vom 16.12.2013, 11:42:43). Dieser Anlage ist aber auch ohne weiteres zu entnehmen, dass es sich bei dem Betrag von 46,42 EUR täglich um das Bemessungsentgelt (iSd § 151 Abs. 1 SGB III) und dem Betrag von 34,18 EUR um das pauschalierte Leistungsentgelt (iSd § 153 Abs. 1 SGB III) handelt, aus dem sich der vom Kläger zu beanspruchende Leistungssatz (iSd § 149 SGB III) von 20,51 EUR (= 60 vH aus 34,18 EUR) errechnet und den die Beklagte für die Zeit ab dem 01.01.2014 bewilligt hat (Seite 1 des Bescheides vom 16.12.2013).
Bedenken bezüglich der Bestandskraft dieses Bescheides bestehen nicht, denn den Widerspruch gegen den Bescheid vom 16.12.2013 hat die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26.03.2014 zurückgewiesen. Soweit der Kläger diesbezüglich geltend macht, er persönlich habe keine Kenntnis von diesem Widerspruchsbescheid erhalten, kann dies im Ergebnis dahinstehen, denn der Widerspruchsbescheid vom 26.03.2014 ist ausweislich des Postausgabevermerkes unter dem Datum des Bescheides an den damaligen Bevollmächtigten des Klägers (RA M.) übersandt worden. In diesem Zusammenhang gibt es keine Hinweise, dass der Widerspruchsbescheid dort nicht angekommen wäre. Vorliegend kann sich die Beklagte zwar nicht auf die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) berufen, weil nicht nachzuvollziehen ist, dass die für die Postaufgabe verantwortliche Abteilung den Widerspruchsbescheid am 26.03.2014 zur Post gegeben hat. Dies bedarf jedoch keiner weiteren Aufklärung, denn aufgrund der Einlassungen des im erstinstanzlichen Verfahren Bevollmächtigten (RA F.) und des Klägers selbst gibt es keine Zweifel bezüglich einer wirksamen Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides. Der Kläger hat gegenüber seinem vormaligen Bevollmächtigten (RA M.) moniert, dieser habe eigenmächtig und pflichtwidrig eine Klage in Bezug auf die Leistungshöhe und die Leistungsdauer unterlassen (Schreiben vom 01.04.2014), womit nachzuvollziehen ist, dass der Ende März 2014 noch Bevollmächtigte RA M. (interner Widerruf der Vollmacht mit Schreiben vom 01.04.2014) den Widerspruchsbescheid vom 26.03.2014 vor dem 01.04.2014 zur Kenntnis erhalten, die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels geprüft und von einer Klageerhebung Abstand genommen hat. Zudem hat der Bevollmächtigte des Klägers im erstinstanzlichen Verfahren (RA F.) mit Schriftsatz vom 07.08.2014 zugestanden, dass die Beklagten einen Widerspruchbescheid zu dem (bestandskräftigen) Leistungsbescheid erteilt habe, aus dem Zahlungen gefordert würden, der aber nicht Gegenstand des Klageverfahrens sei.
Infolge der Bestandskraft der Leistungsbewilligung vom 16.12.2013 (idG des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2014) hat der Kläger aus diesem Bescheid – entgegen seiner Auffassung – auch keinen Anspruch für die Dauer von 450 Tagen sondern nur für 329 Tage. Die Rechtmäßigkeit dieser Anspruchsdauer ist im vorliegenden Verfahren jedoch ungeachtet des Umstandes nicht zu prüfen, dass sie auf den Umfang der Leistungen, die dem Kläger auf der Grundlage des Bescheides 16.12.2013 zu zahlen sind, ohnehin keine Auswirkung hat. Die Zahlungsansprüche, die der Kläger aus dem Bescheid vom 16.12.2013 herleiten kann, sind auf den Zeitraum vom 01.01.2014 bis 20.03.2014 beschränkt.
Mit dem (Aufhebungs-)Bescheid vom 11.04.2014 hat die Beklagte die mit Bescheid vom 16.12.2013 ausgesprochene Bewilligung von Alg für die Zeit ab dem 25.03.2014 aufgehoben. Dieser Aufhebungsbescheid ist auch – mangels eines Widerspruchs hiergegen – bestandskräftig geworden und hat damit einen Zahlungsanspruch aus dem Bescheid vom 16.12.2013 (iSd § 77 SGG bindend) auf die Zeit bis 24.03.2014 beschränkt. Ungeachtet des Umstandes, dass sich nach der Akte der Beklagten ein Zugang an den Kläger nicht nachvollziehen lässt, bestehen keine Zweifel an der Bekanntgabe des Aufhebungsbescheides vom 11.04.2014, denn der Kläger hat nach eigenen Angaben Widerspruch dagegen einlegt (Schreiben vom 05.05.2014), dessen Annahme die Beklagte jedoch verweigert habe.
Nach den Einlassungen des Klägers steht zwar damit fest, dass er den Aufhebungsbescheid vom 11.04.2014 erhalten hat. Die Nachweise, die er in diesem Zusammenhang zum Beleg dafür vorgelegt hat, er habe hiergegen Widerspruch eingelegt, sind jedoch nicht geeignet, die Bestandskraft des Aufhebungsbescheides vom 11.04.2014 in Zweifel zu ziehen. Nach den vorgelegten Unterlagen wurde die Entgegennahme des Widerspruchsschreibens nicht durch die Beklagte verweigert, sondern das Postbeförderungsunternehmen (D. P.) hat ausweislich des Rücksendevermerkes eine Zustellung wegen des beleidigenden Inhaltes der Anschrift, die der Kläger mit „Agentur für Schwachsinnige“ angegeben hatte, unterlassen, so dass die Beklagte nicht einmal die Möglichkeit hatte, den Widerspruch vom 05.05.2014 zur Kenntnis zu nehmen. Trotz des Rücklaufes des Widerspruchsschreibens und der damit verbunden Erkenntnis, dass die Beklagte den Widerspruch nicht erhalten hat, hat es der Kläger unterlassen, sich weitergehend gegen die Aufhebungsentscheidung zu wenden, so dass der Aufhebungsbescheid vom 11.04.2014 mit Ablauf der Widerspruchsfrist, d.h. nach gesicherter Kenntnis des Bescheides am 05.05.2014 spätestens mit Ablauf des 05.06.2014, in Bestandskraft erwachsen ist.
Darüber hinaus hat der Kläger auch für den Zeitraum vom 21.03.2014 bis 24.03.2014 keinen Zahlungsanspruch aus dem Bescheid vom 16.12.2013, denn die Beklagte hat mit dem Änderungsbescheid vom 11.04.2014 den Eintritt einer Sperrzeit festgestellt und verfügt, dass der Zahlungsanspruch (aus dem Bescheid vom 16.12.2013) für den Zeitraum vom 21.03.2014 bis 27.03.2014 ruhe. An der Bestandskraft dieses Bescheides und der deshalb (iSd § 77 SGG) bindenden Feststellung, dass ein Zahlungsanspruch für die Zeit vom 21.03.2014 bis 27.03.2014 nicht bestehe, bestehen ebenfalls keine Zweifel. Auch hier ist nach Lage der Akten der Beklagten nicht nachzuvollziehen, in welcher Form und zu welchem Zeitpunkt dem Kläger der Änderungsbescheid vom 11.04.2014 bekannt gegeben worden ist. Dies kann jedoch dahinstehen, denn im Hinblick auf den hiergegen eingelegten Widerspruch und den daran anschließenden Widerspruchsbescheid vom 23.05.2014 ist die Bekanntgabe des Bescheides vom 11.04.2014 nachzuvollziehen. In Bestandskraft erwachsen ist der Änderungsbescheid vom 11.04.2014, nachdem der Kläger gegen den darauf bezogenen Widerspruchsbescheid vom 23.05.2014, der ihm per Einschreiben mit Rückschein zugestellt worden ist, keine Klage erhoben hat. Vorliegend kann dahinstehen, dass der Kläger den Rückschein nicht unterschrieben hat, denn nach Lage der Akten hat er die Annahme nicht ausdrücklich verweigert, sondern den Widerspruchsbescheid vom 23.05.2014 mit dem Bemerken an die Beklagte zurückgesandt, „Zur Kenntnisnahme für euch Drecksaffen Schadenersatz- Klage folgt“. Hieraus ist der Schluss zu ziehen, – auch wenn die Ankündigung der Klage auf einem gesonderten Schreiben gefertigt ist – dass der Kläger den Widerspruchsbescheid vom 23.05.2014 inhaltlich zur Kenntnis genommen und sich zu einer Klage diesbezüglich entschlossen hat, die jedoch weder er selbst noch sein im erstinstanzlichen Verfahren Bevollmächtigter (RA F.) – auch nicht nach einem Hinweis der Beklagten auf den Widerspruchsbescheid vom 23.05.2014 – erhoben hat.
Ausgehend hiervon hatte der Kläger für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis 20.03.2014 für eine Anspruchsdauer von 80 Tagen (jeweils 30 Tage für Januar und Februar 2014 bzw. 20 Tage für März 2014) unter Zugrundelegung eines täglichen Leistungssatzes von 20,51 EUR einen Anspruch auf Alg in Höhe von insgesamt 1.640,80 EUR (= 80 x 20,51 EUR), die die Beklagte nach Lage der Akten auch in dieser Höhe ausgezahlt hat (monatlicher Zahlbetrag: 615,30 EUR – Bescheid vom 16.12.2013). Soweit der Kläger vorträgt, er habe lediglich einen Betrag von 1.632,25 EUR (= 612,45 EUR + 612,45 EUR + 407,35 EUR) erhalten, ist dies nicht nachvollziehbar, insbesondere weil Nachweise hierfür fehlen, und die Angaben vor dem Hintergrund nicht glaubhaft erscheinen, dass er an anderer Stelle behauptet hat, ihm seien lediglich 1.631,90 EUR ausgezahlt worden (Schreiben vom 13.04.2014 an die Beklagte).
Im Ergebnis hat der Kläger aus dem Bescheid vom 16.12.2013 weder in Bezug auf die Höhe des Leistungssatzes (iHv 20,51 EUR täglich) noch hinsichtlich der Bezugsdauer (Zeitraum: 01.01.2014 bis 20.03.2014) weitergehende Zahlungsansprüche, und es gibt keine Hinweise darauf, dass ihm die zu beanspruchenden Leistungen iHv insgesamt 1.640,80 EUR nicht vollständig ausgezahlt worden wären.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt aus dem Unterliegen des Klägers.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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