Sozialrecht

Bewilligung von Ausbildungsförderung bei vorherigem Teilzeitstudium

Aktenzeichen  12 CE 20.1558

Datum:
27.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2021, 26
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BAföG § 2 Abs. 5, § 7 Abs. 1 S. 1
VwGO § 123

 

Leitsatz

1. Eine vollständig in Teilzeitform durchgeführte und deshalb gemäß § 2 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG nicht förderungsfähige Ausbildung schließt die Förderung einer zusätzlichen weiteren Ausbildung nicht aus (wie BVerwG, U.v. 14.12.1994 – 11 C 28/93 -, NVwZ-RR 1995, 285 – juris, Rn. 10). (Rn. 17)
2. Die Anrechnung einer Ausbildung auf den Förderungsanspruch nach § 7 BAföG ist stets vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG abhängig. Letzteres bedeutet, dass eine vollständig in Teilzeitform durchgeführte und deshalb gemäß § 2 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG nicht förderungsfähige Ausbildung im Rahmen des § 7 Abs. 1 BAföG keine Berücksichtigung findet (wie OVG Hamburg, B.v. 24.01.2019 – 4 Bs 83/18 -, NordÖR 2019, 114 – juris, Rn. 15). (Rn. 17)
3. Daran haben weder die durch die 25. noch die 26. BAföG-Novelle erfolgte Ergänzung des § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG um den Halbsatz „längstens bis zum Erwerb eines Hochschulabschlusses oder eines damit gleichgestellten Abschlusses“ etwas geändert. Sowohl das 25. als auch das 26. Änderungsgesetz des BAföG verfolgen ausschließlich den Zweck, den Grundförderanspruch aus § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG dann zum Erlöschen zu bringen, wenn im Rahmen eines abstrakt förderfähigen Ausbildungsgangs nach §§ 2 und 3 BAföG bereits ein Hochschulabschluss erreicht worden ist, nicht aber wollen sie den Verbrauch des Grundförderanspruchs auch in jenen Fällen bewirken, in denen ein Hochschulabschluss lediglich im Rahmen einer von vornherein nicht förderfähigen Ausbildung – namentlich einer Teilzeitausbildung – erworben wurde. (Rn. 18)

Verfahrensgang

AN 2 E 20.934 2020-06-16 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 16. Juni 2020 – AN 2 E 20.934 – wird aufgehoben.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig ab 15. Mai 2020 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens Ausbildungsförderungsleistungen in gesetzlicher Höhe für das Studium der Biologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zu gewähren.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege einstweiligen Rechtsschutzes Bewilligung von Ausbildungsförderung in gesetzlicher Höhe.
1. Der Antragsteller studierte im Wintersemester 2014/2015 und im Sommersemester 2015 Rechtswissenschaften, im Wintersemester 2015/2016 Wirtschaftswissenschaften jeweils an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Von Oktober 2015 bis April 2019 studierte er in Teilzeit an der staatlich anerkannten FOM Hochschule (in Trägerschaft einer privaten gemeinnützigen Stiftung) am Standort Nürnberg Business Administration (Abschluss: Bachelor). Am 12. April 2019 wurde ihm in diesem Studiengang das Zeugnis über die erfolgreich absolvierte Bachelorprüfung ausgestellt.
2. Zum Wintersemester 2019/2020 nahm der Antragsteller das Vollzeitstudium der Biologie (Abschluss: Bachelor) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg auf. Hierfür beantragte er mit am 5. August 2019 beim Antragsgegner eingegangenem Schreiben Ausbildungsförderung im Wege der Vorabentscheidung.
3. Mit Bescheid vom 13. November 2019 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, dem Antrag auf Leistung von Ausbildungsförderung könne nicht entsprochen werden. Der Grundanspruch auf Ausbildungsförderung sei mit dem Teilzeitstudium Business Administration an der FOM bereits ausgeschöpft.
4. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Bescheid vom 3. April 2020 zurück. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, bei der FOM Fachhochschule handele es sich um eine akkreditierte Hochschule. Eine Förderung sei nicht mehr möglich, wenn der Auszubildende bereits einen Hochschulabschluss erworben habe. Dies gelte auch für Hochschulabschlüsse, die – wie der des Antragstellers – in Teilzeit erworben worden seien. Solche Teilzeitausbildungen seien zwar grundsätzlich nicht förderungsfähig. Gleichwohl sei ein in einer solchen Ausbildung erworbener Hochschulabschluss beachtlich. Lediglich Teilzeitausbildungen, die nicht mit einem Hochschulabschluss beendet würden, verbrauchten den Grundanspruch auf Ausbildungsförderung nicht.
5. Hiergegen ließ der Antragsteller mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 15. Mai 2020 Klage erheben. Gleichzeitig beantragte er den Erlass einer einstweiligen Anordnung. Eine vollständig in Teilzeit durchgeführte und deswegen nicht förderfähige Ausbildung schließe nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 14.12.1994, Az. 11 C 28/93) die Förderung einer weiteren Ausbildung nicht aus.
6. Mit Beschluss vom 16. Juni 2020 lehnte das Verwaltungsgericht Ansbach den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als unbegründet ab. Ein Anordnungsanspruch liege nicht vor.
Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG werde Ausbildungsförderung für die weiterführende allgemeinbildende und zumindest für drei Schul- oder Studienjahre berufsbildender Ausbildung im Sinne der §§ 2 und 3 BAföG bis zu einem daran anschließenden berufsqualifizierenden Abschluss geleistet, längstens jedoch bis zum Erwerb eines Hochschulabschlusses oder eines damit gleichgestellten Abschlusses. Der letzte Halbsatz – „längstens bis zum Erwerb eines Hochschulabschlusses oder eines damit gleichgestellten Abschlusses“ – sei vom Gesetzgeber teils mit dem 25. Änderungsgesetz des BAföG vom 23. Dezember 2014 mit Wirkung zum 1. August 2016 („längstens bis zum Erwerb eines Hochschulabschlusses“), teils mit dem 26. Änderungsgesetz des BAföG vom 8. Juli 2019 mit Wirkung zum 16. Juli 2019 („oder eines damit gleichgestellten Abschlusses“) eingefügt worden. In der alten, bis zum 31. Juli 2016 geltenden Fassung sei der Halbsatz nicht enthalten gewesen.
Nach der Begründung des 25. Änderungsgesetzes des BAföG (erreichen „eines“ Hochschulabschlusses, vgl. BT-Drucks. 18/2663, S. 36), insbesondere aber der Begründung zum 26. Änderungsgesetz des BAföG sei unerheblich, ob der Hochschulabschluss oder der gleichgestellte Abschluss im Rahmen einer als solcher nicht förderfähigen Ausbildung (bsp. einer Teilzeitausbildung) erworben worden sei (vgl. BT-Drucks. 19/8749, Seite 31). Der förderungsrechtliche Grundanspruch des Antragstellers sei infolgedessen mit dem Erwerb eines Hochschulabschlusses unabhängig davon verbraucht, ob dieser in Teil- oder in Vollzeit erworben worden sei. Sei eine angemessene Ausbildung in Gestalt eines Hochschulabschlusses bereits erreicht, bestehe grundsätzlich kein Anlass mehr, eine weitere Hochschulausbildung zu fördern. Bei der FOM Hochschule handele es sich ausweislich deren Internetauftritts um eine staatlich anerkannte Hochschule, so dass an der Qualität des Abschlusses keine Zweifel bestünden. Dass der Antragsteller den Abschluss vollständig in Teilzeit erworben habe, stehe dem Verbrauch des förderungsrechtlichen Grundanspruchs aus § 7 Abs. 1 BAföG deshalb nicht entgegen.
7. Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter. Der Grundförderanspruch des § 7 Abs. 1 BAföG sei mit dem lediglich im Wege eines Teilzeitstudiums erlangten Hochschulabschluss nicht verbraucht worden.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner unter Aufhebung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vom 16. Juni 2020 zu verpflichten, ihm im Wege einstweiliger Anordnung Ausbildungsförderung in gesetzlicher Höhe ab Antragstellung beim Verwaltungsgericht zu bewilligen.
Der Antragsgegner hat sich binnen der vom Senat gesetzten Frist nicht zur Sache geäußert und keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten und die beigezogene Behördenakte verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Das Verwaltungsgericht Ansbach hat dem Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz zu Unrecht versagt.
1. Nach §§ 146 Abs. 1, 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann der Senat eine einstweilige Anordnung insbesondere zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Voraussetzung hierfür ist nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO, dass der Antragsteller sowohl einen Anordnungsgrund, als auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft macht.
a) Ein Anordnungsanspruch ist vorliegend entgegen der Auffassung des Antragsgegners und des Verwaltungsgerichts gegeben. Eine vollständig in Teilzeitform durchgeführte und deshalb gemäß § 2 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG nicht förderungsfähige Ausbildung schließt die Förderung einer zusätzlichen weiteren Ausbildung nicht aus (vgl. BVerwG, U.v. 14.12.1994 – 11 C 28/93 -, NVwZ-RR 1995, 285 – juris, Rn. 10). Die Anrechnung einer Ausbildung auf den Förderungsanspruch nach § 7 BAföG ist stets vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG abhängig. Letzteres bedeutet, dass eine vollständig in Teilzeitform durchgeführte und deshalb gemäß § 2 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG nicht förderungsfähige Ausbildung im Rahmen des § 7 Abs. 1 BAföG keine Berücksichtigung findet (vgl. OVG Hamburg, B.v. 24.01.2019 – 4 Bs 83/18 -, NordÖR 2019, 114 – juris, Rn. 15).
Daran ändert – entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts – die Einfügung des letzten Halbsatzes in § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG – „längstens bis zum Erwerb eines Hochschulabschlusses oder eines gleichwertigen Abschlusses“ – durch das 25. und 26. BAföG-Änderungsgesetz nichts. § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG hat auch nach dieser Novellierung ausschließlich Ausbildungen und Ausbildungsabschlüsse „im Sinne der §§ 2 und 3 BAföG“ im Auge. Hierzu gehören gemäß § 2 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG von vornherein nicht förderungsfähige Teilzeitausbildungen und in deren Folge erworbene Hochschulabschlüsse oder diesen gleichwertige Abschlüsse an Akademien auch weiterhin nicht. Vielmehr gelten die in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Dezember 1994 – 11 C 28/93 -, NVwZ-RR 1995, 285 – juris, Rn. 11 für eine Förderunschädlichkeit eines Teilzeitstudiums entfalteten Gründe 
„Unterzieht sich ein junger Mensch […] den besonderen Mühen einer vollständig in Teilzeitform durchgeführten weiteren Ausbildung, die finanziell bessergestellten jungen Menschen in der Regel erspart bleiben und auch keine staatliche Förderung auslösen können, so ist ihm deshalb nicht entgegenzuhalten, damit habe er seinen Anspruch auf Förderung einer einzigen weiteren Ausbildung verloren. Denn die Art und Weise der von ihm durchgeführten weiteren Ausbildung entspricht gerade nicht dem Standard, den das Bundesausbildungsförderungsgesetz für diesen Anspruch vorsieht.“
unvermindert fort.
§ 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG ist deshalb um die ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale „abstrakt förderfähige“ Abschlüsse zu ergänzen und der Rechtsanwendung mit folgendem Inhalt zu Grunde zu legen:
„Ausbildungsförderung wird für die weiterführende allgemeinbildende und zumindest für drei Schul- oder Studienjahre berufsbildende Ausbildung im Sinne der §§ 2 und 3 bis zu einem daran anschließenden berufsqualifizierenden Abschluss geleistet, längstens bis zum Abschluss eines „abstrakt förderfähigen“ Hochschulabschlusses oder eines damit gleichgestellten „abstrakt förderfähigen“ Abschlusses“.
Allein dies entspricht zugleich auch der in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts herausgearbeiteten Intention des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, nämlich „sicherzustellen, dass jeder Auszubildende eine Ausbildung im Sinne des Gesetzes durchführen kann“ (vgl. BVerwG, U.v. 28.5.2015 – 5 C 4/14 -, NVwZ-RR 2015, 737 [738] Rn. 16). Eine Ausbildung „im Sinne des Gesetzes“ ist jedoch eine Teilzeitausbildung auf Grund der in § 2 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG getroffenen Anordnung gerade nicht. Nur eine Ausbildung, die die abstrakten Fördervoraussetzungen der §§ 2 bis 3 BAföG erfüllt, ist eine Ausbildung, die geeignet ist, den Grundförderanspruch des § 7 Abs. 1 BAföG zu verwirklichen (vgl. BVerwG, U.v. 28.5.2015 – 5 C 4/14 -, NVwZ-RR 2015, 737 [738] Rn. 16).
Daraus folgt zugleich, dass sich der mit der 25. und 26. BAföG-Novelle in das Gesetz eingefügte letzte Halbsatz des § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG „längstens bis zum Erwerb eines Hochschulabschlusses oder eines damit gleichgestellten Abschlusses“ von vornherein auf im Sinne der §§ 2 bis 3 BAföG förderfähige Ausbildungen und Abschlüsse beschränkt. Die Regelung ist einer eigenständigen, von § 7 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz BAföG und damit den Voraussetzungen der §§ 2 und 3 BAföG losgelösten Interpretation nicht zugänglich. Es gehört zum Wesen jeder systematischen Gesetzesinterpretation, den Gesamtkontext der auslegungsbedürftigen Norm in den Blick zu nehmen und nicht lediglich selektiv einen einzelnen Halbsatz (vgl. Sachs, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Einf. Rn. 42). Die Grenzen der Auslegung liegen dabei stets dort, wo einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Vorschrift eine entgegengesetzte Bedeutung verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Norm grundlegend neu bestimmt oder das normative Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt würde (vgl. BVerfGE 109, 279 [316 f.] m.w.N.).
Dementsprechend kann die Annahme des Verwaltungsgerichts, dem letzten Halbsatz des § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG fehle eine entsprechende Bezugnahme auf §§ 2 und 3 BAföG, auch stelle § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG keine Anforderungen an die Art und Weise des Erwerbs eines Hochschulabschlusses, zur Rechtsfindung nichts beitragen. Einer solchen Bezugnahme bedarf es nicht, weil sie bereits im Kontext der Gesamtnorm, nämlich in § 7 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz BAföG enthalten ist und deshalb für die Regelung insgesamt Geltung beansprucht und damit zugleich auch deutlich macht, dass es weiterer Anforderungen an die Art und Weise des Erwerbs des Hochschulabschlusses nicht bedarf, weil es sich aufgrund des Regelungskontexts von vornherein nur um einen solchen handeln kann, der im Rahmen einer nach §§ 2 und 3 BAföG abstrakt förderfähigen Ausbildung erreicht wurde, wozu ein Teilzeitstudium gemäß § 2 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG ausdrücklich nicht gehört.
Das Teilzeitstudium für förderunschädlich, den entsprechend erfolgreichen Abschluss hingegen für förderschädlich zu halten (so aber offenbar das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Runderlass vom 7.8.2017 – 415-42531 -) wäre im Übrigen auch in sich vollkommen widersprüchlich (so zu Recht Buter, in: Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., Stand: Juli 2019, § 7 Rn. 8); eine solche Rechtsauffassung findet in der derzeitigen Systematik des Bundesausbildungsförderungsgesetzes, die in § 7 Abs. 1 BAföG ausdrücklich auf eine Ausbildung im Sinne der §§ 2 und 3 BAföG verweist, keinerlei Stütze, ungeachtet des Umstandes, dass entsprechende Erlasse den Senat in seinem Urteil nicht binden. Diese sind lediglich Gegenstand, nicht aber Maßstab richterlicher Kontrolle (vgl. BVerfGE 78, 214 [227] Leitsatz 1).
Dem kann entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch die amtliche Begründung zum 26. Änderungsgesetz des BAföG-Gesetzes, vgl. BT-Drucks. 19/8749, Seite 31:
„Ob der Hochschulabschluss oder der gleichgestellte Abschluss im Rahmen einer als solcher nicht förderungsfähigen Ausbildung (bsp. einer Teilzeitausbildung) erworben wurde, ist dabei unerheblich.“
nicht mit Erfolg entgegengehalten werden.
Maßgeblich ist allein der im Gesetz objektivierte Wille des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 11, 126 [130]; 62, 1 [45]; 119, 96 [179] jeweils m.w.N.). Der Staat spricht nicht in den persönlichen Äußerungen der an der Entstehung des Gesetzes Beteiligten, sondern nur im Gesetz selbst (vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie, 4. Aufl., 1950, S. 210 f.). Die Gesetzesmaterialien dürfen deshalb nicht dazu verleiten, die Vorstellungen der gesetzgebenden Instanzen dem objektiven Gesetzesinhalt gleichzusetzen (vgl. BVerfGE 11, 126 [130]; 62, 1 [45]; 119, 96 [179] jeweils m.w.N.). Der Wille des Gesetzgebers kann bei der Auslegung des Gesetzes nur insoweit berücksichtigt werden, als er in dem Gesetz selbst einen hinreichend bestimmten Ausdruck gefunden hat (vgl. BVerfGE 11, 126 [130]; 62, 1 [45] jeweils m.w.N.). Die Motive und Vorstellungen der am Gesetzgebungsprozess Beteiligten sind irrelevant, soweit sie nicht im Gesetz selbst ihren Niederschlag gefunden haben (vgl. BVerfGE 11, 126 [131]; 62, 1 [45]).
An einem solchen Niederschlag fehlt es im vorliegenden Fall. Mit der Gesetzesänderung durch das 25. Änderungsgesetz des BAföG („längstens bis zum Erwerb eines Hochschulabschlusses“) verfolgte der Gesetzgeber lediglich das Ziel, Studierende, die etwa auf Grund beruflicher Qualifikation ohne vorausgegangenes Bachelorstudium zu einem Masterstudium zugelassen werden und dieses innerhalb einer Studienzeit von unter drei Jahren absolvieren, nicht mehr in den Genuss einer weiteren Förderung kommen zu lassen (vgl. BT-Drucks. 18/2663, S. 35 f.). Die 26. Änderung des BAföG-Gesetzes dient lediglich der Erstreckung dieses Regelungsziels auf „gleichgestellte“ Abschlüsse an Akademien (vgl. BT-Drucks. 19/8749, S. 31).
Sowohl das 25. als auch das 26. Änderungsgesetz des BAföG verfolgen mithin ausschließlich den Zweck, den Grundförderanspruch aus § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG dann zum Erlöschen zu bringen, wenn im Rahmen eines abstrakt förderfähigen Ausbildungsgangs nach §§ 2 und 3 BAföG bereits ein Hochschulabschluss erreicht worden ist, nicht aber wollen sie den Verbrauch des Grundförderanspruchs auch in jenen Fällen bewirken, in denen ein Hochschulabschluss lediglich im Rahmen einer nicht förderfähigen Ausbildung – namentlich einer Teilzeitausbildung – erworben wurde.
Eine solche Intention findet weder im Wortlaut noch in der Systematik des Bundesausbildungsförderungsgesetzes eine Stütze. Es handelt sich vielmehr um bloße Motive und Vorstellungen der am Gesetzgebungsprozess beteiligten Ministerialbürokratie, nicht aber um den im Gesetz selbst objektivierten Willen des Gesetzgebers. Der Staat spricht lediglich im Gesetz selbst, nicht aber in den persönlichen Äußerungen der an der Entstehung des Gesetzes Beteiligten. Die Ausführungen in der amtlichen Begründung – BT-Drucks. 19/8749, Seite 31 – sind deshalb für die Rechtsanwendung ohne entscheidungserhebliche Bedeutung (verkannt von Steinweg, in: Ramsauer/Stallbaum/Sternal, BAföG, 5. Aufl. 2020, § 7 Rn. 18); sie können einen Verlust des Grundförderanspruchs aus § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG nicht bewirken. Vielmehr bleibt der mit dem 25. und 26. Änderungsgesetz zum BAföG eingefügte letzte Halbsatz in § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG „längstens bis zum Erwerb eines Hochschulabschlusses oder eines damit gleichgestellten Abschlusses“ untrennbar mit der im vorhergehenden Halbsatz enthaltenen Voraussetzung „Ausbildung im Sinne der §§ 2 und 3“ verknüpft. Liegt eine solche Ausbildung – vorliegend in Folge des Fehlens der Anforderungen des § 2 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 BAföG (keine Förderfähigkeit einer Teilzeitausbildung) – nicht vor, so ist ein im Rahmen dieser Ausbildung erworbener Hochschulabschluss zugleich auch im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz BAföG unbeachtlich.
§ 7 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz BAföG kann ohne ausdrückliche Anordnung des Gesetzgebers im Bundesausbildungsförderungsgesetz selbst – und nicht lediglich in den Motiven – nicht systemwidrig entgegen der in § 7 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz BAföG enthaltenen ausdrücklichen Bezugnahme auf §§ 2 und 3 BAföG dergestalt interpretiert werden, dass bereits der Erwerb irgendeines – nach dem Bundesausbildungsförderungsrecht gar nicht förderfähigen – Abschlusses den Verlust des Grundförderanspruchs aus § 7 Abs. 1 BAföG bewirken würde. Eine solche Gesetzesauslegung würde den normativen Gehalt der auszulegenden Rechtsnorm in unzulässiger Weise grundlegend neu bestimmen und das normative Ziel des Bundesausbildungsförderungsrechts, nämlich „sicherzustellen, dass jeder Auszubildende eine Ausbildung im Sinne des Gesetzes durchführen kann“ (vgl. BVerwG, U.v. 28.5.2015 – 5 C 4/14 -, NVwZ-RR 2015, 737 [738] Rn. 16), in einem wesentlichen Punkt verfehlen (vgl. zu diesen Grenzen der Gesetzesinterpretation BVerfGE 109, 279 [316 f.] m.w.N.). Ein solcher Systembruch bedürfte – ungeachtet der Frage seiner Vereinbarkeit mit den Zielen und Grundsätzen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (§ 1 BAföG) – ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung.
Eine derart weitreichende „Rechtsrückbildung“ kann weder in einem Nebensatz der amtlichen Begründung oder einem Runderlass des zuständigen Bundesministeriums noch der Entscheidung eines Verwaltungsgerichts erfolgen; sie obliegt allein dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber selbst. Nur er, nicht aber die am Gesetzgebungsprozess lediglich beteiligte Ministerialbürokratie oder die Verwaltungsgerichte im Rahmen der Rechtsschutzgewährung sind befugt, darüber zu entscheiden, ob der förderungsrechtliche Grundanspruch des § 7 Abs. 1 BAföG im Lichte des Gesetzeszwecks (§ 1 BAföG) auch dann verbraucht wird, wenn bereits ein Hochschulabschluss im Rahmen einer nicht förderfähigen Teilzeitausbildung erworben wurde oder nicht. Eine solche ausdrückliche Entscheidung des Gesetzgebers fehlt.
Der Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) schließt es aus, dass die Gerichte (und auch die Exekutive) Befugnisse beanspruchen, die von der Verfassung eindeutig dem Gesetzgeber übertragen wurden (vgl. BVerfGE 4, 219 [234] stRspr.). Namentlich Art. 20 Abs. 3 GG bindet die Rechtsprechung an Gesetz und Recht. Damit wäre es unverträglich, wenn die Gerichte sich aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begäben und sich damit letztlich ihrer Bindung an Recht und Gesetz entzögen (vgl. BVerfGE 96, 375 [394] m.w.N.). Gleichwohl finden sich immer wieder Autoren (vgl. Steinweg, in: Ramsauer/Stallbaum/Sternal, BAföG, 5. Aufl. 2020, § 7 Rn. 18; in der Tendenz auch Buter, in: Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., Stand: Juli 2019, § 7 Rn. 8) und in ihrer Folge auch Rechtsanwenderinnen und Rechtsanwender, die die amtliche Begründung eines Gesetzes für „bare Münze“ nehmen und sie mit Verve in den Gesetzestext zu inkorporieren suchen, statt zu fragen, ob der Gesetzestext selbst die in der amtlichen Begründung vorgefundene Auffassung der lediglich mittelbar am Gesetzgebungsprozess Beteiligten (Ministerialbürokratie) überhaupt trägt.
Der Antragsteller hat nach allem Anspruch auf Förderung des beabsichtigen Studiums der Biologie aus § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG.
b) Auch der erforderliche Anordnungsgrund liegt vor. Dem bereits 26 Jahre alten Antragsteller ist es unzumutbar, den rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens abzuwarten (vgl. hierzu Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 123 Rn. 80 ff.). Angesichts der glaubhaft gemachten Angaben zu seinem Einkommen und Vermögen liegt auf der Hand, dass der Antragsteller aktuell auf Ausbildungsförderung angewiesen ist, um sein Studium zu finanzieren.
Dem Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung ist deshalb zu entsprechen. Ein Verstoß gegen das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache (vgl. hierzu Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 123 Rn. 102 ff.) liegt nicht inmitten, da die Gewährung der begehrten Ausbildungsförderung nur vorläufig bis zum Ergehen einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache erfolgt.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 i.V.m. § 188 Satz 2 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
3. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 VwGO). Aufgrund der besonderen Eilbedürftigkeit ergeht die Entscheidung ohne weitere Gewährung rechtlichen Gehörs.


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