Sozialrecht

Dienstbeschädigungsausgleichsgesetz – Übergang aus dem Sonderversorgungssystem der ehemaligen DDR – Bundesland als zuständiger Versorgungsträger – ehemaliger Volkspolizist – Berufskrankheit – aktinische Keratose – erforderlicher Mindest-GdS von 20

Aktenzeichen  L 1 SV 952/19

Datum:
25.11.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Landessozialgericht 1. Senat
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:LSGTH:2021:1125.L1SV952.19.00
Normen:
§ 9 Abs 1 S 1 Nr 2 AAÜG
§ 9 Abs 3 AAÜG
Art 13 Abs 1 EinigVtr
§ 1 Abs 2 AusglBGG
§ 2 Abs 1 S 1 AusglBGG
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Spruchkörper:
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Leitsatz

1. Der Freistaat Thüringen ist Funktionsnachfolger im Hinblick auf das Sonderversorgungssystem der Deutschen Volkspolizei für den Bereich des Freistaats Thüringen. Der Gesetzgeber wollte mit der Schaffung des DbAG (juris: AusglBGG) eine Überführung dieser Leistungen in das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung verhindern und hat deshalb eine eigenständige Leistung zum Ausgleich von Dienstbeschädigungen geschaffen. (Rn.23)


2. Voraussetzung für die Zahlung eines Dienstbeschädigungsausgleichs nach § 2 Abs 1 S 1 DbAG ist aufgrund der Anknüpfung der Vorschrift an die Regelungen der Sonderversorgungssysteme (nach diesen muss ein Körper- oder Gesundheitsschaden zu einem Anspruch auf eine Dienstbeschädigungsrente geführt haben oder führen), dass ein GdS von 20 festgestellt werden kann. (Rn.27)


3. Aktinische Keratosen sind als Vorstufe eines Plattenepithelkarzinoms anzusehen und begründen nach der Tabelle zur Versorgungsmedizinverordnung (juris: VersMedV) keinen GdS. (Rn.27)

Verfahrensgang

vorgehend SG Meiningen, 3. April 2019, S 7 R 1960/16, Urteil

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 3. April 2019 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der 1939 geborene Kläger begehrt wegen aktinischer Keratosen der Haut  die Zahlung eines Dienstbeschädigungsausgleichs.
Der Kläger war vom 8. August 1957 bis zum 30. Juni 1990 bei der Deutschen Volkspolizei der DDR beschäftigt. Anschließend bezog er Versorgungsleistungen und Übergangsrente. Für den Zeitraum 8. August 1957 bis 30. Juni 1990 erkannte der Sonderversorgungsträger die Zugehörigkeit des Klägers zum Sonderversorgungssystem der Angehörigen der Deutschen Volkspolizei nach Anlage 2 Nr. 2 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) an. Anfang März 2015 zeigte die den Kläger behandelnde Hautärztin H bei der Beigeladenen die Erkrankung des Versicherten an aktinischen Keratosen an. Daraufhin leitete diese Ermittlungen ein und bat die Personalabteilung der Polizeidirektion S mit Schreiben vom 30. März 2015 um Ausfüllung eines Fragebogens hinsichtlich der beruflichen Tätigkeiten des Klägers und der ausgesetzten Einwirkungen in dieser Zeit. Mit Schreiben vom 7. Mai 2015 erläuterte der Kläger seine Tätigkeit während seiner Zugehörigkeit zur Deutschen Volkspolizei. Mit Schreiben vom 9. Dezember 2015 teilte der Betriebsarzt P der Rentenstelle der Landespolizeidirektion in E mit, dass er nach den zur Verfügung gestellten Akten aus arbeitsmedizinischer Sicht keine erhöhte Exposition des Betroffenen gegenüber UV-Strahlung erkennen könne. Der Beamte sei im normalen Streifeneinzeldienst nicht nur permanent im Außendienst tätig gewesen, sondern habe auch Vorgänge in der Dienststelle selbst bearbeitet. Von 1964 bis 1973 sei überwiegend Innendienst verrichtet worden. Von einer erhöhten Gefährdung im Hinblick auf eine Hautkrebserkrankung im Vollzugsdienst sei nicht auszugehen. Zugleich wurde eine technische Information zu Ermittlungen in Berufskrankheiten vor dem Hintergrund der neuen BK-Nr. 5103 „Plattenepithelkarzinome oder multiple aktinische Keratosen der Haut durch natürliche UV-Strahlung“ übersandt. Daraufhin übersandte der Beklagte mit Schreiben vom 15. Dezember 2015 die Unterlagen an die Beigeladene zwecks weiterer Prüfung. Mit Schreiben vom 18. April 2016 wies die Beigeladene den Beklagten darauf hin, dass die Unfallkasse Thüringen für den vorliegenden Fall nicht zuständig sei. Der Kläger gehöre nicht zum Kreis der in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Personen. Er habe bis zum 30. Juni 1990 einem Sonderversorgungssystem nach der Anlage 2 zum AAÜG angehört. Mit weiterem Schreiben vom 30. Mai 2016 wurde eine Expositionsanalyse der Unfallkasse Thüringen übermittelt.
Mit Bescheid vom 3. Juni 2016 lehnte der Beklagte einen Anspruch auf Zahlung eines Dienstbeschädigungsausgleichs in Folge der Hautkrebserkrankung ab. Zur Begründung führte er aus, dass die Landespolizeidirektion als Träger der Sonderversorgung für ehemalige Volkspolizisten zuständig für  die Entscheidung über den Antrag sei. Es sei daher zu prüfen gewesen, ob ein Anspruch aus dem Sonderversorgungssystem des ehemaligen Ministeriums des Innern der DDR aufgrund der Erkrankung des Klägers anzuerkennen sei. Nach § 3 des Gesetzes über einen Ausgleich für Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet richte sich die Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen nach dem bis zum 31. Dezember 1996 geltenden Recht für Dienstbeschädigungsteilrenten. Heranzuziehen sei daher die Ordnung des Ministers des Innern und Chefs der Deutschen Volkspolizei über die soziale Leistungsgewährung Nr. 11/72 (Versorgungsordnung). Nach diesen Grundsätzen bestehe der geltend gemachte Anspruch nicht. Aufgrund der durch die Unfallkasse Thüringen vorgenommenen Expositionsanalyse könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Hautkrebs bei einem Polizeibeamten als Dienstbeschädigung anzuerkennen sei. Die geforderten Voraussetzungen für eine Anerkennung einer Dienstbeschädigung seien daher nicht erfüllt. Der ursächliche Zusammenhang zwischen Dienstausübung und Gesundheitsschaden könne mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht nachgewiesen werden. Hiergegen legte der Kläger am 18. Juni 2016 Widerspruch ein. Durch Widerspruchsbescheid vom 21. März 2017 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
Daraufhin hat der Kläger seine bereits am 7. Oktober 2016 beim Sozialgericht Meiningen erhobene Untätigkeitsklage umgestellt und geltend gemacht, dass seine Erkrankung im Zusammenhang mit den überdurchschnittlichen Außendiensten entstanden sei. Er leide an aktinischen Keratosen an beiden Handrücken, am Hals und beiden Ohren. Des Weiteren hat der Kläger im Klageverfahren eine Auskunft des Staatsarchivs R vom 6. Februar 2017 vorgelegt, wonach die Diensttagebücher aus seinem Aufgabenbereich nicht vorhanden seien. Das Sozialgericht hat Befundberichte der den Kläger behandelnden Hautärzte beigezogen.
Mit Urteil vom 3. April 2019 hat das Sozialgericht Meiningen die Klage abgewiesen. Dem Kläger stehe weder ein Anspruch auf Feststellung einer Berufskrankheit noch ein Anspruch auf Zahlung eines Dienstbeschädigungsausgleichs zu. Es könne ausnahmsweise offen bleiben, ob die Unfallkasse Thüringen im Fall des Klägers ausnahmsweise zuständig sei. Jedenfalls bestehe ein Anspruch auf Dienstbeschädigungsausgleich materiell-rechtlich nicht. Nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes über einen Ausgleich für Dienstbeschädigungen im Beitrittsgebiet (DbAG) setze ein Anspruch auf Dienstbeschädigungsausgleich voraus, dass die betreffende Person einen Anspruch auf Dienstbeschädigungsvoll- oder -teilrenten aus einem Sonderversorgungssystem nach Anlage 2 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes nach dem ab dem 1. August 1991 geltenden Recht habe, oder aufgrund der Regelung für die Sonderversorgungssysteme oder des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes wegen des Zusammentreffens mit anderen Leistungen oder wegen Überführung in die gesetzliche Rentenversicherung nicht mehr habe. § 1 Abs. 2 DbAG setze für einen Anspruch auf Dienstbeschädigungsausgleich voraus, dass die Personen, die einem Sonderversorgungssystem angehören und einen vor dessen Schließung verursachten Körper- oder Gesundheitsschaden erlitten haben, Anspruch auf Dienstbeschädigungsausgleich hätten, wenn der anspruchsbegründende Zustand nach Schließung des Sonderversorgungssystems eingetreten ist. Der Dienstbeschädigungsausgleich nach § 2 Abs. 1 DbAG werde bei einem Körper- oder Gesundheitsschaden, der nach den Regelungen der Sonderversorgungssysteme zu einem Anspruch auf eine Dienstbeschädigungsrente geführt habe oder führen würde, in Höhe der Grundrente nach § 31 des Bundesversorgungsgesetzes geleistet. In Anwendung dieser Grundsätze habe der Kläger schon deshalb keinen Anspruch auf Dienstbeschädigungsausgleich, da eine Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) i. H. v. 20 v. H. nicht getroffen werden könne. Ein Dienstbeschädigungsausgleich könne nur dann gezahlt werden, wenn mindestens ein GdS von 20 festgestellt werde. Dies ergäbe sich aus der nicht veröffentlichten Ordnung Nr. 11/72 des Ministers des Innern über die soziale Leistungsgewährung vom 1. Juli 1954 in der Fassung vom 1. Dezember 1985. Nach deren Punkt 8 sei Voraussetzung für eine Dienstbeschädigungsteilrente an Angehörige nach der Entlassung, dass infolge einer anerkannten Dienstbeschädigung ein Körper- und Gesundheitsschaden ab 20 v. H. vorliege. Gefordert werde des Weiteren ein Ursachenzusammenhang zwischen der eingetretenen Erkrankung und der Ausübung des Dienstes. Es könne dahinstehen, ob für die Frage der Höhe des GdS auf die Versorgungsmedizinverordnung oder auf die Berufskrankheitenverordnung abzustellen sei. Nach beiden sei ein GdS von 20 nicht festzustellen. Nach Ziff. 17.13 der GdS-Tabelle zur Versorgungmedizinverordnung sei nach Entfernen eines malignen Tumors der Haut in den ersten fünf Jahren eine Heilungsbewährung abzuwarten; der GdS während dieser Zeit nach Entfernung eines Melanoms betrage 50. Aktinische Keratosen würden inzwischen als Vorstufe des Plattenepithelkarzinoms angesehen. Beim Kläger seien bisher nach dem Befundbericht der behandelnden Hautärztin H vom 15. August 2017 an besonders sonnendisponierten Stellen (Handrücken, Ohrränder, Gesicht) aktinische Keratosen aufgetreten. Soweit am Gesäß links ein noduläres Basaliom und ein Basalzellkarzinom am ventralen Thorax links aufgetreten seien, können diese auf jeden Fall nicht berufsbedingt verursacht worden sein, weil der Kläger durch seine Dienstkleidung an diesen Stellen vor Sonneneinstrahlung geschützt gewesen sei. Beruflich bedingt verursacht seien könnten daher allenfalls die aktinischen Keratosen an den Händen, den Ohrrändern und dem Gesicht. Unwesentlich sei, dass die Berufskrankheit Nr. 5103 erst zum 1. Januar 2015 anerkannt worden sei. Denn aus den Anmerkungen zur Berufskrankheit ergebe sich, dass die Krankheit auf Antrag als Berufskrankheit anzuerkennen sei, wenn sie vor dem 1. Januar 2015 eingetreten sei. Nach der wissenschaftlichen Begründung vom 17. August 2013 zur Berufskrankheit M 5103 der Berufskrankheitenverordnung könnten aktinische Keratosen nur dann als Berufskrankheit anerkannt werden, wenn sie multipel auftreten. Als multipel im Sinne dieser Berufskrankheit würden aktinische Keratosen gelten, wenn sie mit einer Zahl von mehr als 5 pro Jahr einzeln oder konfluierend in einer Fläche von größer als 4 cm² aufgetreten seien. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen habe die Hautärztin H zwar in ihrer Anzeige bei der U Thüringen bestätigt. Unabhängig von der Frage der berufsbedingten Verursachung bei multiplen aktinischen Keratosen sei aber nur bei einer hochgradigen Krankheitsaktivität eine MdE von 10 v.H. festzustellen. Erst beim Vorliegen eines Plattenepithelkarzinoms könne überhaupt eine MdE von 20 oder mehr festgestellt werden. Da ein solches Plattenepithelkarzinom beim Kläger bislang nicht aufgetreten sei, könne weder eine MdE noch ein GdS von mindestens 20 v.H. festgestellt werden.
Zudem könne ein Ursachenzusammenhang zwischen beruflicher Tätigkeit und aufgetretener Erkrankung nicht nachgewiesen werden. Nach der wissenschaftlichen Begründung vom 17. August 2013 zur BK 5103 würden bei dem Alter des Klägers von 80 Jahren 24 volle Outdoorarbeitsjahre zur Annahme der arbeitsbedingten Verursachung empfohlen. Diese 24 vollen Outdoorarbeitsjahre würden vom Kläger selbst unter Zugrundelegung seiner eigenen Angaben nicht erreicht. Darüber hinaus habe der Kläger auch zahlreiche Aktivitäten im Freizeitbereich im Außenbereich angegeben. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Feststellung der aktinischen Keratose an Handrücken, Hals, Gesicht und Ohren als Berufskrankheit. Anders als im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung erfolge im Rahmen des Dienstbeschädigungsausgleichs eine gesonderte Feststellung einer beruflich bedingten Schädigung dem Grunde nach nicht.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er beanstandet erneut, dass ohne Anhörung nach § 24 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) durch den Beklagten ein ablehnender Bescheid erteilt worden sei. Der Widerspruchsbescheid sei zudem nicht, wie gesetzlich vorgegeben, nach drei Monaten, sondern erst deutlich später erlassen worden. Das Sozialgericht habe nicht geklärt, ob von ihm zulässigerweise nach über 29 Jahren nach Ende seiner Tätigkeit bei der Volkspolizei noch ein detaillierter Bericht über Dienstverlauf und Einsätze verlangt werden könne. Er sei als Einsatzleiter bei einer diversen Vielzahl von Großveranstaltungen tätig gewesen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Meiningen vom 3. April 2019 und des Bescheides des Beklagten vom 3. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2017 zu verpflichten, ihm aufgrund der vorliegenden aktinischen Keratosen einen Dienstbeschädigungsausgleich zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Seine Zuständigkeit folge aus § 3 DbAG i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 AAÜG. Zumindest gelte hier eine sogenannte Annexkompetenz. Der Beklagte sei Funktionsnachfolger im Hinblick auf das Sonderversorgungssystem. Aus der Stellungnahme des polizeiärztlichen Dienstes vom 9. Dezember 2015 ergebe sich, dass Polizeibeamte aufgrund der getragenen Kleidung nicht zur Gruppe der sogenannten Outdoorworker gehörten. Darüber hinaus scheide ein Anspruch auf Dienstbeschädigungsausgleich bereits deshalb aus, da eine Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) i. H. v. 20 nicht getroffen werden könne. Ein Dienstbeschädigungsausgleich könne nur dann gezahlt werden, wenn mindestens ein GdS von 20 festgestellt werden könne. Dies folge aus der nicht veröffentlichten Ordnung Nr. 11/72 des Ministers des Innern über die soziale Leistungsgewährung vom 1. Juli 1954 in der Fassung vom 1. Dezember 1985 und insbesondere deren Pkt. 8. Nach Ziff. 17.13 der GdS-Tabelle zur Versorgungsmedizinverordnung sei bei aktinischen Keratosen als Vorstufe eines Plattenepithelkarzinoms ein GdS von 20 v. H. nicht anzuerkennen. Darüber hinaus bestehe auch unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers kein Ursachenzusammenhang zwischen seiner Tätigkeit bei der Volkspolizei und der Erkrankung an aktinischen Keratosen. Es fehlten die nach der wissenschaftlichen Begründung vom 17. August 2013 für die BK 5103 erforderlichen 24 vollen Outdoorarbeitsjahre.
Der Kläger hat in Erwiderung hierauf eine außerordentlich hohe Außendiensttätigkeit geltend gemacht.
Mit Beschluss vom 6. Juli 2020 hat der Senat die U Thüringen zum Verfahren beigeladen. Diese führt zur Begründung für ihre fehlende Zuständigkeit aus, dass die Entschädigung von Arbeitsunfällen sowie von Berufskrankheiten in der ehemaligen DDR durch die Sozialversicherung der DDR erfolgt sei. Ein Teil der Staatsbediensteten, wie die Angehörigen der Deutschen Volkspolizei, hätten einem Sonderversorgungssystem angehört. Die Sonderversorgungssysteme hätten auf Versorgungsordnungen beruht. Einschlägig im Fall des Klägers sei die nicht amtlich veröffentlichte Ordnung Nr. 11/72 des Ministers des Innern und Chefs der Deutschen Volkspolizei über die soziale Leistungsgewährung vom 1. Juli 1954, zuletzt in der Fassung vom 1. Dezember 1985 gewesen. Diesem Sonderversorgungssystem habe der Kläger bis zum 30. Juni 1990 angehört. Dem Kläger hätten damit keine Leistungen aus der Sozialversicherung der DDR zugestanden. Darüber hinaus sei eine Zuständigkeit der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 1150 Abs. 2 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung, der nach §§ 212, 215 Abs. 1 SGB VII weiter anzuwenden sei, für Berufskrankheiten im Sinne des Dritten Buchs der RVO nur anzuerkennen, wenn sie bis zum 1. Januar 1992 eingetreten seien. Nach § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RVO gelte dies nicht für Berufskrankheiten, die dem Unfallversicherungsträger erst nach dem 31. Dezember 1993 bekannt geworden seien. Damit sei ein Anspruch auf Anerkennung einer BK für berufliche Tätigkeiten in der früheren DDR nur möglich, wenn objektive medizinische Befunde den Eintritt einer Erkrankung vor dem 1. Januar 1992 belegten. Werde ein beruflicher Befund erstmals mehrere Jahre danach festgestellt, könne die Erkrankung nicht mehr als BK nach den Regelungen der BKVO-DDR anerkannt werden. Eine Zuständigkeit nach den Vorschriften des SGB VII bestehe daher ersichtlich nicht.
Der Kläger hat sich dieser Auffassung angeschlossen und auf das AAÜG vom 11. November 1996 verwiesen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes ) erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte den Rechtsstreit aufgrund des erklärten Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Berufung des Klägers ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg (§§ 143, 151 SGG).
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung eines Dienstbeschädigungsausgleichs wegen der bei ihm vorliegenden aktinischen Keratosen im Sinne einer Berufskrankheit. Der Bescheid des Beklagten vom 3. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. März 2017 und das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 3. April 2019 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 SGG).
Zutreffend hat der Beklagte in dem angegriffenen Bescheid einen Anspruch des Klägers auf Gewährung eines Dienstbeschädigungsausgleichs verneint.
Beachtliche Verfahrensfehler liegen nicht vor. Vor Erlass des ablehnenden Bescheides war der Beklagte nicht zu einer Anhörung nach § 24 SGB X verpflichtet. § 24 Abs. 1 SGB X verlangt eine Anhörung nur, wenn ein Verwaltungsakt erlassen werden soll, der in die Rechte eines Beteiligten eingreift. Dies ist nicht bei sämtlichen belastenden Verwaltungsakten der Fall, sondern lediglich dann, wenn die bisherige, bereits konkretisierte Rechtsstellung eines Beteiligten durch den beabsichtigten Verwaltungsakt zu dessen Nachteil verändert werden soll. Daher sind nicht anhörungspflichtig solche Verwaltungsakte, die über Bestehen und Umfang eines vom Antragsteller lediglich behaupteten Rechts entscheiden, selbst wenn sie seinem Begehren nicht (vollständig) stattgeben, also eine (teilweise) ablehnende Verwaltungsentscheidung treffen (vgl. BSG, Urteil vom 09. Dezember 2004 – B 6 KA 44/03 R –, BSGE 94, 50-108). Der verspätete Erlass des Widerspruchsbescheides eröffnete für den Kläger nur die Möglichkeit Untätigkeitsklage zu erheben.
Der Beklagte ist für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch zuständiger Versorgungsträger. Die Zuständigkeit des Beklagten ergibt sich aus § 3 DbAG i. V. m. § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 AAÜG. Der Beklagte ist Funktionsnachfolger im Hinblick auf das Sonderversorgungssystem der Deutschen Volkspolizei für den Bereich des Freistaats Thüringen. Nach Art. 13 Abs. 1 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31. August 1990 (Einigungsvertrag) treten die Länder in die Zuständigkeit der staatlichen Behörden der ehemaligen DDR ein.  Der Gesetzgeber wollte mit der Schaffung  des DbAG gerade eine Überführung dieser Leistungen in das Recht der gesetzlichen Unfallversicherung verhindern und hat deshalb eine eigenständige Leistung zum Ausgleich von Dienstbeschädigungen geschaffen (vgl. BT-Drs. 13/4587, S. 9).
Der Kläger hat keinen materiellen Anspruch auf Gewährung eines Dienstbeschädigungsausgleichs gegenüber dem Beklagten hinsichtlich seiner aktinischen Keratosen. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Dienstbeschädigungsausgleich ist abschließend im DbAG geregelt.
Der Kläger unterlag während seiner Zugehörigkeit zur Deutschen Volkspolizei bis zum 30. Juni 1990 dem Sonderversorgungssystem der Angehörigen der Deutschen Volkspolizei gemäß der Anlage 2 zu § 1 Abs. 3 AAÜG. Dieses Sonderversorgungssystem beruhte auf der Ordnung Nr. 11/72 des Ministers des Innern und Chefs der Deutschen Volkspolizei über die soziale Leistungsgewährung (Versorgungsordnung) vom 1. Juli 1954 in der Fassung vom 1. Dezember 1985. Teil B III VersO-DVP regelte die Anerkennung von Dienstbeschädigungen und Geldleistungen bei Dienstunfähigkeit wegen einer Dienstbeschädigung (Ziffer1 bis 9), ferner die Dienstbeschädigungsvoll- und -teilrente (Teil C Ziffer 6 bis 8). Anspruch auf Dienstbeschädigungsteilrente bestand, wenn ein Körper/Gesundheitsschaden vom mindestens 20 Prozent bestand (Teil C VIII Ziffer 1 Nr. 1).
Nach § 2 Abs. 1 AAÜG wurden die Sonderversorgungssysteme der Anlage zu § 1 Abs. 3 zum 31. Dezember 1991 geschlossen. § 2 Abs. 2 AAÜG überführte die erworbenen Ansprüche und Anwartschaften auf Renten wegen Erwerbsminderung, Alters oder Todes in die gesetzliche Rentenversicherung. Dabei wurden die erworbenen Ansprüche wegen einer Dienstbeschädigungsvollrente gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 AAÜG unmittelbar in der Rentenversicherung unter Berücksichtigung der entsprechenden Zeiten als Beitragszeiten weitergeführt (vgl. § 5 AAÜG). Die Dienstbeschädigungsteilrenten wurden nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AAÜG nicht unmittelbar in die Rentenversicherung überführt, sondern gemäß § 9 Abs. 2 AAÜG nach Maßgabe der Angaben des Versorgungsträgers vom Rentenversicherungsträger ausgezahlt. Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber des AAÜG die Ansprüche aus den Zusatz- und Versorgungssystemen der DDR ausschließlich auf rentenrechtlichem Wege fortgeführt. Unter verfassungsrechtlichen Aspekten ist dabei kritisiert worden, dass damit unfallversicherungs- oder versorgungsrechtliche Ansprüche ausgeschlossen seien (vgl. hierzu BSG vom 18. Juni 1996 – 9 RV 13/95, SozR 3-8110 Kap XIX B III Nr. 5 Nr. 1). Der Gesetzgeber reagierte daraufhin mit dem AAÜG-Änderungsgesetz vom 11. November 1996 (BGBl. I, S. 1674), als dessen Art. 3 das DbAG geschaffen wurde. Dabei betonte der Gesetzgeber (BT-Drucks. 13/4587), dass die Ansprüche nach dem DbAG an das BVG angelehnt seien, ohne die darin enthaltenen Ansprüche zu übernehmen (vgl. auch die Antwort der Bundesregierung vom 28. Juli 2006 auf die Kleine Anfrage von Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE, BT-Drucks 16/2160, in BT-Drucks. 16/2320, Ziffer 14). Das DbAG regelt damit die Versorgungsansprüche aus den Zusatz- und Sonderversorgungssystemen. Die Ansprüche richten sich somit nach § 1 DbAG. Es liegen aber weder die Voraussetzungen des Absatzes 1 noch des Absatzes 2 vor.
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 DbAG setzt voraus, dass die anspruchsberechtigte Person einen Anspruch auf eine Dienstbeschädigungsrente als Voll- oder Teilrente aus dem Sonderversorgungssystem hatte. Dies war bei dem Kläger ersichtlich nicht der Fall. Ein Anspruch nach § 1 Abs. 2 DbAG besteht ebenfalls nicht, denn dieser setzt voraus, dass ein Angehöriger des Sonderversorgungssystems vor dessen Schließung einen Körper- oder Gesundheitsschaden erlitten hat und der darauf beruhende ausgleichsbegründende Zustand erst nach der Schließung des Sonderversorgungssystems eingetreten ist. Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger bereits deshalb keinen Anspruch auf Dienstbeschädigungsausgleich, da eine Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) i. H. v. 20 nicht getroffen werden kann. Voraussetzung für die Zahlung eines Dienstbeschädigungsausgleichs nach § 2 Abs. 1 S. 1 DbAG  ist aufgrund der Anknüpfung der Vorschrift an die Regelungen der Sonderversorgungssysteme (nach diesen muss ein Körper- oder Gesundheitsschaden zu einem Anspruch auf eine Dienstbeschädigungsrente geführt haben oder führen),  dass ein GdS von 20 festgestellt werden kann. Dies ist der Ordnung Nr. 11/72 des Ministers des Innern über die soziale Leistungsgewährung vom 1. Juli 1954 in der Fassung vom 1. Dezember 1985 zu entnehmen. Nach deren Teil C VIII Ziffer 1 Nr. 1 ist Voraussetzung für eine Dienstbeschädigungsteilrente an Angehörige nach der Entlassung, dass in Folge einer anerkannten Dienstbeschädigung ein Körper- und Gesundheitsschaden ab 20 v.H. vorliegt. Im Gegensatz zum SGB VII im Rahmen der Definition des Arbeitsunfalls ist die Definition einer Dienstbeschädigung zwingend mit dem Vorliegen eines Körper- oder Gesundheitsschadens von 20 v.H. oder mehr verknüpft. § 2 Abs. 1a Satz 1 DbAG verweist auf die Vorgaben in § 30 Abs. 1 BVG zur Ermittlung des medizinisch begründeten GdS.  Nach § 2 Abs. 1 S. 1 u. 2 DbAG i. V. m. §§ 31, 30 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) ist der GdS nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen nach Zehnergraden abgestuft zu beurteilen. Hierbei sind seit 1. Januar 2009 die in der Anlage zur Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ (VMG) heranzuziehen. Hinsichtlich der Erkrankung des Klägers an aktinischen Keratosen besteht ein solcher GdS nach Ziff. 17.13 der GdS-Tabelle zur Versorgungsmedizinverordnung nach den vorliegenden Hautarztberichten ersichtlich nicht. Denn aktinische Keratosen sind als Vorstufe eines Plattenepithelkarzinoms anzusehen und begründen daher keinen GdS. Dem entspricht auch die – hier nicht anwendbare – Einschätzung zur Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bei der BK 5103. Nach den Bamberger Empfehlungen wären selbst hochgradig auftretende multiple aktinische Keratosen ohne Plattenepithelkarzinom nur mit einer MdE von 10 v. H. zu bewerten (Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung (BKV), Stand: 04/2021, M 5103, S. 22).
Angesichts dessen braucht der Senat nicht zu klären, ob der erforderliche Zusammenhang zwischen den aktinischen Keratosen im Fall des Klägers und seiner Tätigkeit bei der Deutschen Volkspolizei bis zum 30. Juni 1990 zu bejahen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht vorliegen.


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