Sozialrecht

Einstweilige Anordnung, Kindertageseinrichtung, SGB VIII, Verwaltungsgerichte, Anordnungsgrund, Unzumutbarer Nachteil, Frühkindliche Förderung, Antragsgegner, Anordnungsanspruch, Prozeßbevollmächtigter, Tageseinrichtung, Betreuungsplatz, Mutter des Antragstellers, Prozeßkostenhilfeverfahren, Kindertagespflege, Gemeinde, Kostenentscheidung, Unaufschiebbarkeit, Betreuungsvertrag, Befähigung zum Richteramt

Aktenzeichen  M 18 E 21.1289

Datum:
6.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 7704
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
SGB VIII § 24 Abs. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der am 7. April 2018 geborene Antragsteller begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners, ihm einen Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung nachzuweisen.
Der Antragsteller besucht seit 2019 eine Kinderkrippe im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners. Der mit dem Träger der Kinderkrippe geschlossene Bildungs- und Betreuungsvertrag endet zum 31. August 2021. Vereinbart ist eine Buchungszeit von sieben bis acht Stunden zwischen 8:00 und 16:00 Uhr,
Am 20. Oktober 2020 meldeten die Eltern des Antragstellers den Bedarf für eine Betreuung des Antragstellers in einem Kindergarten ab dem 8. April 2021 über das Online-Bürgerservice-Portal der Gemeinde K. an.
Am 6. November 2020 teilte die Mutter des Antragstellers der Gemeinde K. per E-Mail u.a. mit, dass der Antragsteller aufgrund von Personalmangel und coronabedingten Einschränkungen in der Kinderkrippe nicht mehr im vertraglich vereinbarten Umfang betreut werde. Falls die Möglichkeit bestehe, den Antragsteller bereits jetzt in den Kindergarten wechseln zu lassen, würde sie das gerne tun. Er sei aktuell der Zweitältestes in der Krippe. Hierauf teilte die Gemeinde K. der Mutter telefonisch mit, dass sie sich noch gedulden müsse, da aktuell keine freien Kindergartenplätze zur Verfügung stünden, der Antragsteller derzeit noch unter drei Jahre alt sei und bereits einen Krippenplatz bis zum Ende des aktuellen Betreuungsjahres habe.
Am 21. Januar 2021 meldeten die Eltern des Antragstellers per Telefax den Bedarf an einem Kindergartenplatz ab dem 8. April 2021 unter Hinweis auf den Rechtsanspruch nach § 24 SGB VIII beim Antragsgegner an. Die Betreuung solle mindestens neun Stunden betragen. Das als „Bedarfsanmeldung nach § 24 SGB VIII“ bezeichnete Schreiben leitete der Antragsgegner am 22. Januar 2021 an die Gemeinde K. weiter.
Mit Schriftsatz vom 17. Februar 2021 erhoben die Bevollmächtigten des Antragstellers Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München und beantragten, den Antragsgegner zu verpflichten, dem Antragsteller einen Platz zur Förderung nach § 24 Abs. 3 SGB VIII entsprechend dem individuellen Bedarf ab 8. April 2021 im örtlichen Zuständigkeitsbereich nachzuweisen (M 18 K 21.837). Über die Klage ist noch nicht entschieden.
Am 8. März 2021 beantragten die Bevollmächtigten des Antragstellers beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
die Antragsgegnerseite im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerseite vorläufig – bis zur Entscheidung in der Hauptsache – einen Betreuungsplatz zur Förderung gemäß § 24 Abs. 3 SGB VIII entsprechend dem individuellen Bedarf ab 8. April 2021 im örtlichen Zuständigkeitsbereich nachzuweisen.
Rein vorsorglich werde der individuelle Bedarf noch einmal benannt: Die Betreuung müsse täglich in einem Zeitrahmen von 8:00 bis 17:00 Uhr stattfinden. Innerhalb dieses Zeitrahmens sei eine Betreuungszeit von neun Stunden notwendig. Zur Begründung des Antrags wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Förderung in einer Kindertageseinrichtung in nicht unzumutbare Entfernung zum Wohnort aus § 24 Abs. 3 SGB VIII habe. Die formellen und materiellen Voraussetzungen für den Anspruch aus § 24 Abs. 3 SGB VIII lägen vor. Dieser umfasse einen Anspruch auf ganztägige Förderung. Aus § 24 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII lasse sich ohne weiteres ein Anspruch über Dreijähriger auf Förderung in einer Tageseinrichtung ableiten. Regelmäßig werde erst eine Betreuungszeit von mehr als sechs Stunden täglich als bedarfsgerecht für Kinder ab drei Jahren angesehen. Könnten die Sorgeberechtigten einen anzuerkennenden individuellen Bedarf darlegen, so sei der Träger der öffentlichen Jugendhilfe verpflichtet, dem betreffenden Kind einen Betreuungsplatz entsprechend dieses individuellen Bedarfs zur Verfügung zu stellen. Der Anspruch aus § 24 Abs. 3 SGB VIII werde nicht dadurch erfüllt, dass ein Betreuungsplatz zu einer anderen als der von den Eltern gewünschten Zeit angeboten werde. Die Antragsgegnerseite habe der Antragstellerseite bisher keine dem individuellen Bedarf entsprechenden und in nicht unzumutbare Entfernung zum Wohnort befindlichen Betreuungsplatz angeboten. Hinsichtlich der den Anspruch aus § 24 Abs. 3 SGB VIII erfüllenden Betreuungsform sei der Gesetzeswortlaut eindeutig: Es bestehe ein Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung. Der Nachweis eines Betreuungsplatzes in Kindertagespflege erfülle diesen Anspruch grundsätzlich nicht. § 24 Abs. 3 SGB VIII gewähre ebenso wie § 24 Abs. 2 SGB VIII einen unbedingten Anspruch auf Förderung, der nicht nur im Rahmen vorhandener Kapazitäten bestehe. Hinsichtlich des zeitlichen Umfangs des Anspruchs aus § 24 Abs. 3 SGB VIII müsse ebenso wie bei § 24 Abs. 2 SGB VIII der individuelle Bedarf maßgeblich sein. Denn es wäre widersinnig, mit dem § 24 Abs. 2 SGB VIII einen Anspruch gemäß dem individuellen Bedarf einzuführen, der die Eltern der Anspruchsberechtigten Kinder im Alter zwischen ein und drei Jahren in die Lage versetzen soll, ihren Erwerbswünschen gemäß erwerbstätig zu sein, dann aber für die Kinder ab dem dritten Lebensjahr einen solchen Anspruch gemäß dem individuellen Bedarf nicht bereitzuhalten. Schon aus diesem Grund müsse es einen Ganztagsanspruch auch im § 24 Abs. 3 SGB VIII geben. Für den vorliegenden Antrag bestehe auch ein Anordnungsgrund. Bei einem mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bestehenden Anordnungsanspruch werde der Anordnungsgrund intendiert. Es komme auf eine gesonderte und gesondert zu prüfende Dringlichkeit also gerade nicht an. Weil aber der Anspruch nur durch Förderung einer Kindertageseinrichtung erfüllt werden könne, sei die Antragsgegnerseite in Fällen der vorliegenden Art antragsgemäß zu verpflichten (in diesem Sinne SächsOVG, B.v. 7.6.2017 – 4 B 100/17). Aus diesem Grund sei ein Abwarten einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zuzumuten. Weder bei der Prüfung des Anordnungsanspruchs noch bei der des Anordnungsgrundes spiele es eine Rolle, ob das Anspruchsberechtigte Kind – auch nur vorübergehend – von den Eltern oder Dritten betreut werden könne. Gemäß § 22 Abs. 3 SGB VIII umfasse der Förderungsauftrag Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes und sei gemäß § 24 Abs. 3 SGB VIII gerichtet auf Förderung in einer Tageseinrichtung. Er sei nicht gerichtet auf eine reine – gegebenenfalls durch die Eltern oder Dritte zu leistende – Betreuung. Dieser Anspruch könne nur durch Förderung in einer Kindertageseinrichtung erfüllt werden. Zudem habe der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 24 Abs. 3 SGB VIII entschieden, dass Kinder ab der Vollendung des dritten Lebensjahres zur Vermeidung von Nachteilen für ihre Entwicklung in einer Kindertageseinrichtung zu fördern seien. Dies beinhalte, dass Kindern in der Situation der Antragstellerseite schwere Nachteile für ihre Entwicklung drohen.
Mit Schriftsatz vom 18. März 2021 beantragte der Antragsgegner,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller werde seit April 2019 in einer Kinderkrippe betreut. Gemäß Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 BayKiBiG seien Kinderkrippen Kindertageseinrichtungen, deren Angebot sich überwiegend an Kinder unter drei Jahren richte. Die Kinderkrippe könne auch von Kindern, die im Laufe der Betreuungszeit das dritte Lebensjahr vollendet hätten, weiterhin bis zum Ende des Betreuungsjahres (August eines jeden Jahres) belegt werden (vgl. Aufnahmevertrag). Der Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 3 SGB VIII werde bereits durch diesen Betreuungsplatz erfüllt. Der Anspruch auf altersgerechte Förderung eines Kindes, dass das dritte Lebensjahr vollendet habe, werde in der Krippe erfüllt. Der Auftrag zur Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsarbeit gemäß Art. 10 BayKiBiG werde dem Alter des Kindes entsprechend umgesetzt. Der Umfang der täglichen Betreuung ermögliche beiden Elternteilen eine Vollzeitberufstätigkeit. Der Betreuungsplatz sei vom Wohnort der Eltern aus vertretbarer Zeit erreichbar. Der Antragsteller werde ab September 2021 einen Platz in einer der von den Eltern angegebenen Wunscheinrichtungen erhalten.
Mit Beschluss vom 31. März 2021 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und in den Verfahren M 18 K 21.837 sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. Voraussetzung ist, dass der Antragsteller das von ihm behauptete streitige Recht (den Anordnungsanspruch) und die drohende Gefahr seiner Beeinträchtigung (den Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.
Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses. Mit der von dem Antragsteller begehrten Entscheidung wird die Hauptsache aber vorweggenommen. In einem solchen Fall sind an die Prüfung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch qualifizierte Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache jedenfalls dem Grunde nach spricht und der Antragsteller ohne die einstweilige Anordnung unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wäre (BayVGH, B.v. 18.3.2016 – 12 CE 16.66 – juris Rn. 4).
Vorliegend fehlt es an einem hinreichend glaubhaft gemachten Anordnungsgrund in diesem Sinne. Die Bevollmächtigten des Antragstellers haben den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zwar umfangreich begründet und insbesondere ausführlich zu Inhalt bzw. Umfang des Anspruchs nach § 24 Abs. 3 SGB VIII Stellung genommen. Die Ausführungen sind jedoch ganz überwiegend allgemeiner Natur und gehen auf den konkreten Einzelfall allenfalls am Rande ein. So wird der Umstand, dass der Antragsteller bis zum 31. August 2021 zumindest über einen Krippenplatz verfügt, in der Antragsschrift nicht einmal erwähnt. Dass dem Antragsteller schwerwiegende, nicht wieder gut zu machende Nachteile drohen, wenn die Hauptsache nicht vorweggenommen wird, wurde nicht hinreichend glaubhaft gemacht.
In der obergerichtlichen Rechtsprechung besteht zwar bislang keine Einigkeit darüber, welche Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes für den Fall der Nichterfüllung des Anspruchs auf frühkindliche Förderung gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII zu stellen sind. So wird die Auffassung vertreten, der wesentliche Nachteil im Sinne des § 123 Abs. 1 Satz 2 liege in der irreversiblen Nichterfüllung des unaufschiebbaren Anspruchs auf frühkindliche Förderung in einer Kindertageseinrichtung oder Kindertagespflege. Diese Förderung entgehe dem Antragsteller für den jeweils abgelaufenen Zeitraum endgültig, wenn ihm der gesetzlich feststehende Anspruch vorenthalten werde. Einen Anordnungsgrund zu verneinen sei daher auch mit dem Grundsatz effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht vereinbar (so SächsOVG, B.v. 7.6.2017 – 4 B 100/17 – juris Rn. 10; OVG Berlin-Bbg, B.v. 28.5.2019 – OVG 6 S 25.19 – juris Rn. 3). Nach anderer Auffassung genügt es – auch im Falle eines hohen Grades der Wahrscheinlichkeit der Begründetheit des in der Hauptsache verfolgten Anspruchs – für den Anordnungsgrund nicht aus, dass der unaufschiebbare Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Kindertageseinrichtung oder Kindertagespflege in irreversibler Weise unerfüllt bleibt. Der Anordnungsgrund würde seine im System der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO gesetzlich angelegte eigenständige Bedeutung verlieren, wenn immer dann, wenn der Anordnungsanspruch in qualifiziertem Maße bejaht würde, an das Vorliegen des Anordnungsgrundes keine besonderen Anforderungen mehr gestellt würden (so VGH BW, B.v. 18.7.2018 – 12 S 643/18 – juris Rn. 20; OVG NW, B.v. 16.7.2020 – 12 B 469/20 – juris Rn. 10, B.v. 23.9.2020 – 12 B 1293/20 – juris Rn. 7; so – jedenfalls im Grundsatz – auch VGH BW, B.v. 17.8.2020 – 12 S 1671/20 – juris Rn. 11).
Jedenfalls in der hier vorliegenden Fallkonstellation kann die bloße Nichterfüllung des unaufschiebbaren Anspruchs des Antragstellers auf frühkindliche Förderung gemäß § 24 Abs. 3 SGB VIII für einen Anordnungsgrund nicht genügen. Vorliegend wird der Antragsteller bereits seit 2019 in einer Kinderkrippe betreut. Der Betreuungsvertrag beinhaltet eine Betreuungszeit von bis zu acht Stunden täglich und endet erst zum 31. August 2021. Aus welchen Gründen dem Antragsteller unzumutbare Nachteile drohen sollten, wenn er übergangweise weiterhin in der von ihm bereits besuchten Kinderkrippe betreut wird und erst zu Beginn des neuen Betreuungsjahrs im September 2021 einen Kindergartenplatz erhält, wurde nicht näher dargelegt. Besondere Umstände in der Person des Antragstellers, die die Annahme rechtfertigen könnten, dass die weitere Betreuung des Antragstellers in der von ihm bereits bisher besuchten Tageseinrichtung nicht geeignet sein sollte, die in § 22 Abs. 2 SGB VIII dargelegten Ziele – insbesondere Erziehung, Bildung und Betreuung – zu erreichen, und dem Antragsteller dadurch unzumutbare Nachteile drohen, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Der Umstand, dass der Antragsteller auch nach Vollendung des dritten Lebensjahres für eine Übergangszeit von einigen Monaten weiter in einer Kinderkrippe betreut wird, begründet für sich allein noch keinen unzumutbaren Nachteil und damit auch keine besondere Dringlichkeit für den Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl. auch VGH BW, B.v. 17.8.2020 – 12 S 1671/20 – juris Rn. 11). Vielmehr sind Kinderkrippen, wie sich aus dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Bayerischen Gesetzes zur Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in Kindergärten, anderen Kindertageseinrichtungen und in Tagespflege (Bayerisches Kinderbildungs- und Betreuungsgesetz – BayKiBiG) ergibt („überwiegend“) auch auf die Betreuung von Kindern über drei Jahren ausgerichtet und daher jedenfalls für eine Übergangszeit grundsätzlich auch für deren Betreuung als geeignet anzusehen.
Auch die von der Mutter des Antragstellers im November 2020 gegenüber der Gemeinde K. für einen Einrichtungswechsel ins Feld geführten Gründe – der Personalmangel und die coronabedingten Einschränkungen – genügen hierfür nicht. Denn diese Gründe dürften auch auf eine Vielzahl anderer Kindertageseinrichtungen, auch Kindergärten, zutreffen.
Der Antrag war daher abzulehnen.
Ohne dass es darauf noch entscheidungserheblich ankäme, weist das Gericht allerdings darauf hin, dass der Antragsteller jedenfalls dem Grunde nach – wenn auch nicht in dem geltend gemachten Umfang von neun Stunden täglich – einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht haben dürfte.
Der Gesetzgeber hat in § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII den Anspruch des Kindes auf Förderung in einer Tageseinrichtung nach dem Gesetzeswortlaut allein davon abhängig gemacht, dass das Kind – wie der Antragsteller für den geltend gemachten Zeitpunkt – das dritte Lebensjahr vollendet hat. Das Gericht bezweifelt, dass dieser Anspruch – wie hier vom Antragsgegner vertreten – durch das Angebot eines Krippenplatzes erfüllt werden kann. Zwar gewährt § 24 Abs. 3 SGB VIII lediglich einen Anspruch auf Förderung in einer „Tageseinrichtung“. Die Vorschrift enthält keine Aussage darüber, was darunter konkret zu verstehen ist. Gemäß § 22 Abs. 1 SGB VIII sind Tageseinrichtungen Einrichtungen, in denen sich Kinder für einen Teil des Tages oder ganztätig aufhalten und in Gruppen gefördert werden. Die Tageseinrichtungen sollen insbesondere die in § 22 Abs. 2 und Abs. 3 SGB VIII genannten Ziele und Aufgaben erfüllen. Die Förderung muss danach insbesondere auf die Förderung der Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit ausgerichtet sein (§ 22 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII). Klassische Kategorien sind Kinderkrippe, Kindergarten und Hort (so § 22 Abs. 1 in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung), die sich durch das jeweilige Alter der Kinder unterscheiden. Altersmäßige Abgrenzungen werden durch neue Konzepte mit übergreifenden Betreuungsangeboten aber zunehmend bedeutungslos (Etzold in BeckOGK, SGB VIII, § 22 Rn. 11 Stand 1.3.2021). Dementsprechend definiert das Bayerisches Kinderbildungs- und Betreuungsgesetz in Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Kindertageseinrichtungen als außerschulische Tageseinrichtungen zur regelmäßigen Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern. Dies sind gemäß Art. 2 Abs. 1 Satz 2 BayKiBiG Kinderkrippen, Kindergärten, Horte und Häuser für Kinder. Kinderkrippen sind dabei Kindertageseinrichtungen, deren Angebot sich überwiegend an Kinder unter 3 Jahren richtet (Art. 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BayKiBiG), Kindergärten sind Kindertageseinrichtungen, deren Angebot sich überwiegend an Kinder im Alter von 3 Jahren bis zur Einschulung richtet (Art. 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BayKiBiG), Horte sind Kindertageseinrichtungen, deren Angebot sich überwiegend an Schulkinder richtet (Art. 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 BayKiBiG) und Häuser für Kinder sind Kindertageseinrichtungen, deren Angebot sich an Kinder verschiedene Altersgruppen richtet (Art. 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 BayKiBiG). Die bundes- und landesrechtlichen Regelungen geben also keine starren Altersgrenzen mehr vor, sondern ermöglichen auch altersgemischte statt altershomogene Gruppen. Allerdings lässt sich daraus nicht ableiten, dass der Anspruch eines über dreijährigen Kindes auf altersgerechte Förderung durch jedwede Einrichtung erfüllt werden kann. Bietet die konkrete Einrichtung gerade keine altersgemischten Gruppen an, sondern ist sie – wie hier die Kinderkrippe – überwiegend auf die Betreuung und Förderung einer bestimmten Altersgruppe zugeschnitten, dürfte sie auch nur geeignet sein, den Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 2 bzw. Abs. 3 SGB VIII für die jeweilige Altersgruppe zu erfüllen. So mag zwar eine Kinderkrippe übergangsweise auch für ein über dreijähriges Kind wie den Antragsteller geeignet sein und daher das Angebot eines solchen Platzes nicht per se einen unzumutbaren Nachteil für das Kind und damit eine besondere Dringlichkeit begründen (s.o.). Allerdings dürfte daraus nicht folgen, dass sich die Eltern auch im Rahmen des Anspruchs nach § 24 Abs. 3 SGB auf einen solchen Platz verweisen lassen müssen.
Entgegen der Auffassung der Bevollmächtigten des Antragstellers gewährt § 24 Abs. 3 SGB VIII jedoch keinen Anspruch auf Förderung in einer Kindertageseinrichtung nach dem individuellen Bedarf von neun Stunden (Ganztagsplatz). § 24 Abs. 3 SGB VIII begründet nach ständiger Rechtsprechung lediglich einen subjektiven Anspruch auf Förderung in einer Kindertageseinrichtung im Rahmen einer halbtägigen Betreuung; dabei ist unter Berücksichtigung der Arbeitsfahrzeiten und/oder Hol- und Bringzeiten von einer Betreuungszeit von 6 Stunden am Tag (inklusive Mittagessen) auszugehen (OVG Saarl, B.v. 8.10.2020 – 2 B 270/20 – juris Rn. 11). Aus dem eindeutigen Wortlaut des § 24 Abs. 3 Satz 2 SGB VIII folgt, dass der Gesetzgeber hinsichtlich der Bereitstellung von Ganztagsplätzen für Kinder über drei Jahren lediglich eine objektiv-rechtliche Pflicht statuiert hat. Denn die Regelung einer Hinwirkungspflicht wäre sinnlos, wenn auf eine Ganztagsbetreuung bereits ein subjektiver Anspruch bestünde. Dass es rechtspolitisch möglicherweise wünschenswert wäre, wenn auch Kindern ab dem dritten Lebensjahr ein Anspruch auf Betreuung nach dem individuellen Bedarf zustünde, um zu vermeiden, dass Eltern, die aufgrund der durch § 24 Abs. 2 SGB VIII gewährleisteten ganztägigen Betreuung voll erwerbstätig sind, ihre Erwerbstätigkeit reduzieren müssen, wenn ihr Kind das dritte Lebensjahr vollendet, vermag angesichts des klaren Gesetzeswortlautes des § 24 Abs. 3 SGB VIII keine andere Auslegung zu rechtfertigen (vgl. VGH BW, B.v. 21.7.2020 – 12 S 1545/20 – juris Rn. 16 ff. m.w.N.; VG München, B.v. 6.8.2019 – M 18 E 19.3248 – juris 26 m.w.N.; B.v. 25.1.2021 – M 18 E 21.66 – n.V. Rn. 25).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.


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