Sozialrecht

Erfolglose Klage auf Anerkennung psychischer Beschwerden als (weitere) Dienstunfallfolge

Aktenzeichen  B 5 K 16.867

Datum:
6.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 15620
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BeamtVG § 31, § 35
BVG § 30 Abs. 1 S. 2, § 31
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 S. 1, § 117 Abs. 5

 

Leitsatz

1 Die Anerkennung einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren als (weitere) Dienstunfallfolge scheidet aus, wenn es an dem erforderliche Kausalzusammenhang zwischen dem Dienstunfall und den geklagten Beschwerden fehlt. (Rn. 29 – 40) (redaktioneller Leitsatz)
2 Da in einem Rechtsstaat die Verwaltung ebenso wie das Gericht an Gesetz und Recht gebunden ist, begründet allein der Umstand, dass beide Gutachten im Auftrag der Beklagtenseite erstellt wurden, noch nicht die Vermutung, diese Gutachten entbehrten der erforderlichen Objektivität. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Über die Klage konnte gem. § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten insoweit ihr Einverständnis erklärt haben.
2. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 15. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. November 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)). Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Anerkennung weiterer Gesundheitsstörungen als Folgen des Dienstunfalls vom 27. Juni 1995 (dazu unten Buchst. a) noch einen Anspruch auf Unfallausgleich (dazu unten Buchst. b). Zur Begründung nimmt das Gericht auf die zutreffenden Gründe des Widerspruchsbescheids Bezug und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung (§ 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend sei auf Folgendes hingewiesen:
a) Gemäß § 30 des Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG) wird einem Beamten, der einen Dienstunfall erlitten hat, Unfallfürsorge gewährt. Ein Anspruch auf Unfallfürsorgeleistungen setzt aber immer das Vorliegen eines Dienstunfalls im Sinne von § 31 Abs. 1 BeamtVG voraus, d.h. ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist.
Maßgeblich ist insoweit die von der Rechtsprechung entwickelte Theorie der wesentlichen Verursachung bzw. der zumindest wesentlich mitwirkenden Teilursache. Dabei sind ursächlich bzw. mitursächlich für den eingetretenen Schaden nur solche kausalen Bedingungen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Demnach ist auch der Fall der Mitursächlichkeit anerkannt, sofern mehrere Ursachen in besonderer Beziehung zum Erfolg stehen und annähernd gleichwertig sind. Wesentlich ist die Ursache, die den Schadenseintritt maßgebend geprägt hat; andere Ursachen treten demgegenüber zurück. Sind mehrere Ursachen gegeben, ist jedoch keine dieser Ursachen den anderen gegenüber von überragender Bedeutung, sondern sind diese Ursachen einander annähernd gleichwertig, gilt die durch den Dienst gesetzte Ursache als alleinige (wesentliche) Ursache. Löst ein Unfallereignis ein bereits vorhandenes Leiden aus oder beschleunigt oder verschlimmert dieses, so ist das Unfallereignis dann nicht wesentliche Ursache für den Körperschaden, wenn das Ereignis von untergeordneter Bedeutung gewissermaßen „der letzte Tropfen“ war, der das „Fass zum Überlaufen“ brachte. Das Unfallereignis tritt dann im Verhältnis zu der schon gegebenen Bedingung (dem vorhandenen Leiden oder der Vorschädigung) derart zurück, dass die bereits gegebene Bedingung als allein maßgeblich anzusehen ist (st.Rspr. seit BVerwG, U.v. 18.1.1967 – VI C 96.65 – ZBR 1967, 219 f.; U.v. 20.4.1967 – II C 118.64 – BVerwGE 26, 332/339 f.; so auch: BayVGH, B.v. 31.1.2008 – 14 B 04.73 – Rn. 20 f.).
Nicht ursächlich im Sinne des Gesetzes sind demnach die sog. Gelegenheitsursachen, d.h. solche Bedingungen, bei denen zwischen dem eingetretenen Schaden und dem Dienst eine rein zufällige Beziehung besteht. Letzteres ist beispielsweise dann der Fall, wenn die krank-hafte Veranlagung oder das anlagebedingte Leiden so leicht ansprechbar waren, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Eigenart unersetzlichen Einwirkungen bedurfte, sondern auch ein anderes, alltäglich vorkommendes Ereignis zum selben Erfolg geführt hätte (BVerwG, B.v. 8.3.2004 – 2 B 54/03 – Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 13; vgl. zum Ganzen: Plog/Wiedow, BBG, Stand: Oktober 2017, § 31 BeamtVG Rn. 75 ff.). In diesem Zusammenhang führt das Bundesverwaltungsgericht, das sich bereits in seinem Urteil vom 20. Mai 1958 (BVerwGE 7, 48/49 f.) der haftungsbeschränkenden, auf Entscheidungen des Reichsversicherungsamts bzw. des Reichsversicherungsgerichts beruhenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in Bezug auf die Haftung für Betriebsunfälle (U.v. 14.7.1955 – 8 RV 177/54 – NJW 1956, 118, 439; so auch für Dienstunfälle: BGH, U.v. 20.9.1956 – III ZR 79/55 – NJW 1957, 223) angeschlossen hatte, weiter aus (B.v. 8.3.2004 a.a.O.): „Der im Dienstunfallrecht maßgebende Ursachenbegriff soll zu einer dem Schutzbereich der Dienstunfallfürsorge entsprechenden sachgerechten Risikoverteilung führen. Der Dienstherr soll nur die spezifischen Gefahren der Beamtentätigkeit tragen und mit den auf sie zurückzuführenden Unfallursachen belastet werden. Dem Beamten sollen dagegen diejenigen Risiken verbleiben, die sich aus anderen als dienstlichen Gründen, ins-besondere aus persönlichen Anlagen, Gesundheitsschäden und Abnutzungserscheinungen ergeben.“
Dabei müssen alle Tatbestandsvoraussetzungen für eine Dienstunfallanerkennung bzw. die geltend gemachten Folgen zur Überzeugung der Behörde und des Gerichts vorliegen. Der Beamte trägt das Feststellungsrisiko, dass die behauptete Schädigungsfolge wesentlich auf den Dienstunfall und nicht etwa auf eine anlagebedingte Konstitution zurückzuführen ist (st.Rspr. vgl. nur: BayVGH, B.v. 31.1.2008 – 14 B 04.73 – Rn. 20 f.; BVerwG, U.v. 23.5.1962 – VI C 39.60 – BVerwGE 14, 181; BVerwG, U.v. 21.10.1964 – VI C 132.61 – Buchholz 232.1 § 135 BBG Nr. 22; so auch: Plog/Wiedow, a.a.O., § 31 BeamtVG Rn. 225 ff.).
Gemessen daran liegen hier die genannten Anforderungen für die „Anerkennung weiterer Unfallfolgen“ – so der Klageantrag in der Klagebegründung vom 10. Januar 2017 – als Folgen des Dienstunfalls vom 27. Juni 1995 nicht vor.
Dabei kann offenbleiben, ob der vorgenannte, schriftsätzlich gestellte Antrag den Anforderungen des § 82 Abs. 1 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), wonach die Klage „einen bestimmten Antrag enthalten“ soll, entspricht. Denn das Gericht legt diesen Antrag unter Berücksichtigung des von der Beklagten zutreffend als Verschlimmerungsantrag angesehenen Schreibens des Klägers vom 27. März 2013 und des diesem Schreiben beigefügten Berichts des behandelnden Arztes, Dr. S …, vom 22. Februar 2013 dahingehend aus, dass der Kläger die Festsetzung einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren als weitere Folge des Dienstunfalls vom 27. Juni 1995 begehrt. Für diese Sichtweise spricht, dass die Beklagte die übrigen in dem Schreiben vom 27. März 2013 und insbesondere in dem Arztbericht des Dr. S … vom 22. Februar 2013 aufgeführten Diagnosen in dem streitgegenständlichen Bescheid jedenfalls dem Grunde nach als Folge des Dienstunfalls vom 27. Juni 1995 anerkannt hat.
Den so verstandenen Antrag hat die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 15. Juni 2016 zu Recht abgelehnt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren als weitere Folge des Dienstunfalls vom 27. Juni 1995. Zwar hat sich der Vorfall am 27. Juni 1995 unstreitig während des Dienstes zugetragen. Allein dieser Umstand verhilft der Klage aber nicht zum Erfolg, weil die notwendige Kausalität zwischen dem Dienstunfallereignis und den vorgenannten Gesundheitsbeschwerden, deren Anerkennung als Dienstunfallfolgen der Kläger hier begehrt, fehlt. Denn der streitgegenständliche Vorfall vom 27. Juni 1995 hat diese Gesundheitsstörungen nicht hervorgerufen, auch nicht im Sinn einer wesentlich mitwirkenden Teilursache.
Das steht zur Überzeugung der Kammer fest aufgrund der von der Beklagten in Auftrag gegebenen Gutachten und zwar des von Dr. F …, Arzt für Neurologie und Psychiatrie, BGU …, am 2. Dezember 2015 erstellten neurologisch-psychiatrischen Gutachtens sowie des am 11. Dezember 2015 von Prof. Dr. H … gefertigten unfallchirurgischen Sachverständigengutachtens. Die Frage, ob der Kläger bezüglich der Geltendmachung weiterer Dienstunfallfolgen die Meldefrist des § 45 BeamtVG gewahrt hat, bedarf somit keiner Klärung.
Beide Gutachten wurden zwar im Auftrag der Beklagtenseite erstellt. Allein dieser Umstand begründet aber noch nicht die Vermutung, diese Gutachten entbehrten der erforderlichen Objektivität. Denn in einem Rechtsstaat ist die Verwaltung ebenso wie das Gericht an Gesetz und Recht gebunden. Die Verwaltungsbehörden haben daher den Sachverhalt der ihnen zur Regelung übertragenen Rechtsverhältnisse – ebenso wie die Gerichte – nur nach rechtlichen Maßstäben aufzuklären, so dass auch die von einer Verwaltungsbehörde bestellten Gutachter grundsätzlich als objektiv urteilende Gehilfen der das öffentliche Interesse wahrenden Verwaltungsbehörde und nicht als parteiische Sachverständige anzusehen sind (st.Rspr. BVerwG U.v. 20.12.1963 – VII C 90.63; BVerwG U.v. 15.4.1964 – V C 45.63 – BVerwGE 18, 216/218; BVerwG B.v. 7.11.1979 – 6 B 95/78 – ZBR 1980, 180). Konkrete Anhaltspunkte, die die tatsächliche Vermutung für eine mangelnde Objektivität der Gutachter tragen könnten, sind vorliegend weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Die vorgenannten Gutachten, welche zum einen auf am 30. November 2015 erfolgte Untersuchungen durch die Gutachter und zum anderen auf umfassenden und nicht nur einseitigen, allein auf Angaben der Beklagten beruhenden Auswertungen aller, d.h. auch den vom Kläger in den Verwaltungsverfahren vorgelegten ärztlichen Attesten und Befundberichten basieren, sind in sich stimmig, überzeugend und werfen keine Zweifelsfragen auf, die durch die Einschaltung weiterer Gutachter geklärt werden müssten. Zweifel an der fachlichen Kompetenz der Gutachter sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Aus den Gutachten, die von der Klägerseite nicht substantiiert in Frage gestellt wurden, ergibt sich in einer Gesamtschau folgendes Bild:
Prof. Dr. H … hat in seinem unfallchirurgischen Gutachten vom 11. Dezember 2015 überzeugend und widerspruchsfrei zusammenfassend ausgeführt, dass sich eine Vergröberung der Kniegelenkskontur rechts, eine Minderung der Beweglichkeit der Patella sowie eine intraoperativ gesicherte Chondromalazie retropatellar und im femoralen Gleitlager II. bis III. Grades zeige (S. 7 des Gutachtens). Im Vergleich zum Vorbefund habe sich die Gelenkbeweglichkeit gebessert. Aus unfallchirurgischer Sicht seien eine Kraftlosigkeit und ein Taubheitsgefühl sowie der brennende Ruheschmerz im Bereich des rechten Kniegelenks und die Missempfindungen im Bereich der Patella nicht zu erklären. Unfallfremd sei sicher die depressive Grundhaltung des Klägers zu nennen, der regelmäßig Medikamente einnehme. Er gebe auch an, dass er bei der Arbeit, dadurch dass er nichts zu tun habe, deutlich mehr auf seine Schmerzen fokussiert sei und diese ihm daher dann auch mehr zu schaffen machten (S. 8 des Gutachtens).
Diese Einschätzung deckt sich mit den von Prof. Dr. H … im Auftrag der Beklagten erstellten unfallchirurgischen Gutachten vom 19. Januar 2007 und vom 8. Mai 2011. So ist dem Gutachten vom 19. Januar 2007 zu entnehmen, als primäre Unfallfolgen zeigten sich eine leichte Verbreiterung der Kniescheibe, endgradige Beschwerden bei Streckung und Beugung, eine ganz diskrete Retropatellararthrose rechts und eine leicht verminderte Belastbarkeit des Kniescheibengelenks bei knöchern weitgehend in regelrechter Stellung verheilter Kniescheibe rechts sowie eine leichtgradige Läsion des Nervus peroneus (S. 17 des Gutachtens). In seinem ebenfalls im Auftrag der Beklagten erstellten fachärztlichen Bericht vom 8. Mai 2011 kommt Prof. Dr. H … zu dem Ergebnis, es lägen insgesamt unveränderte Gelenkverhältnisse gegenüber der Voruntersuchung vor (S. 3 des Berichts). Es sei zwar eine Knorpelschädigung der Retropatellarfläche gegeben. Diese in erster Linie eher mr-morphologisch, d.h. im Rahmen einer Magnetresonanztomographie nachzuweisende Schädigung korreliere aber nicht mit dem geklagten Beschwerdebild. Auch die zusätzlich nachgewiesene geringe Schädigung des Nervus Peroneus erkläre nicht das vom Kläger dargebotene Beschwerdebild (S. 4 des Berichts).
Diese unfallchirurgischen Befunde stimmen nicht nur mit den Stellungnahmen des ärztlichen Beraters der Beklagten, Dr. V …, überein, die die Beklagte fortlaufend eingeholt hat (vgl. z.B. die Stellungnahmen vom 6.4.2010, 14.6.2011, 25.11.2013 und 29.8.2016). Sie stehen auch im Einklang mit dem fachorthopädischen Gutachten von Dr. G … vom 31. Dezember 1996. Dieser Gutachter geht zwar davon aus, dass mit der völligen Wiederherstellung der Gesundheit nicht zu rechnen sei, sondern dass ein Dauerschaden verbleiben werde; den verbleibenden Dauerschaden schätzt der Gutachter jedoch als sehr gering ein, weil die Fraktur ohne eine wesentliche Dislokation der Gelenkflächen verheilt sei (S. 18 des Gutachtens).
Aus neurologischer Sicht ergibt sich ein ähnliches Bild. So hat Dr. F … in seinem neurologischen Gutachten vom 2. Dezember 2015 überzeugend und widerspruchsfrei ausgeführt, dass sich eine geringe Schwächung der lateralen Fußhebung rechts gegenüber links zeige. Angegeben werde eine deutliche Gefühlsstörung an der Unterschenkelaußenseite entsprechend dem Versorgungsgebiet des Peroneus superficialis (S. 8 des Gutachtens). Die Stimmungslage sei moros, es zeigten sich deutliche Zeichen einer Verbitterungsstörung bezüglich seines Leidens, seiner sinnentleerten Tätigkeit und der fehlenden Kooperationsbereitschaft des Arbeitgebers (S. 9 des Gutachtens). Zusammenfassend heißt es, dass weiterhin eine Läsion des Peroneus superficialis nachweisbar sei, wobei auch ein leichtes neuropathisches Schmerzsyndrom glaubhaft angeben werde (S. 11 des Gutachtens). Es sei – aus neurologischer Sicht – keine wesentliche Veränderung des Unfallfolgezustands gegeben. Im Hinblick auf das neuropathische Schmerzsyndrom sei Anhebung der MdE auf 15 v.H. zu diskutieren (ebda.). Demnach steht im Vordergrund des Beschwerdesyndroms die für den Kläger unbefriedigende Situation bei seiner Arbeit, die er als sinnentleert erlebe und für die sich an sich die unter Schmerzen bewältigte lange Anfahrtszeit auch objektiv kaum lohnen könne. Die Einschätzung hat der Gutachter Dr. F … unter dem 20. Mai 2016 dahingehend präzisiert, dass die geklagten Beschwerden (Gefühllosigkeit, Taubheitsgefühl, brennender Ruheschmerz im Bereich des Kniegelenks und Missempfindungen im Bereich der Patella) aus neurologischer Sicht nicht zu erklären seien. Es handele sich eher um eine Ausweitung der subjektiv angegebenen Beschwerden insbesondere aufgrund des deutlichen Ambivalenzkonflikts bezüglich seiner Arbeitstätigkeit, die – wie im Gutachten ausgeführt – im Sinne einer Verbitterungsstörung als unfallfremd zu werten sei (S. 12 des Gutachtens).
Diese Bewertung deckt sich zum einen mit dem von Dr. F … unter dem 10. Mai 2011 erstellten Arztbericht. Demnach liege eine unauffällige Nervenleitgeschwindigkeit (NLG) des Nervus peroneus und Nervus tibialis bei unauffälligem nadelmyographischen Befund vor. Lediglich bei Stimulation des Nervus peroneus und Ableitung aus dem Peroneus longus (Nervus peroneus superficialis) lasse sich noch eine geringe Normabweichung und eine geringe Teilläsion im Peroneus longus feststellen; diesbezüglich sei allerdings gegenüber der Voruntersuchung eine Besserung feststellbar. Es sei von einem erheblichen depressiv somatisierenden Überbau der Symptomatik auszugehen (S. 3 des Arztberichts). Auf dieser Linie liegt zum anderen auch das von Dr. F … am 15. Januar 2007 erstellte neurologisch-psychiatrische Gutachten. Demnach ist es nach Angaben des Klägers schon während seiner beruflichen Tätigkeit in Berlin wegen mobbingartiger Zustände zu einer depressiven Störung gekommen, weshalb er psychotherapeutische und psychiatrische Hilfe in Anspruch genommen hat (S. 5 des Gutachtens). Auch habe er wegen der dortigen Mobbingprobleme einen Suizidversuch unternommen (S. 6 des Gutachtens). Psychisch sei der Kläger bewusstseinsklar und voll orientiert. Die Stimmungslage sei leicht ins Depressive verschoben, wobei im Vordergrund eine deutliche Adynamie stehe. Der Kläger erweise sich weitgehend eingeengt auf seine Knieprobleme, wobei von ihm aber eindeutige vorbestehende Störungen auch im Zusammenhang mit Mobbingerlebnissen und einer starken Konzentration auf seelisch belastende Störungen konzediert werde (S. 10 f. des Gutachtens). Zusammenfassend sei bei dem Kläger eine leichte Läsion des Nervus peroneus superficialis zu diagnostizieren. Er erweise sich total fixiert auf seine Kniegelenksproblematik, wobei das auf diese Problematik bezogene subjektive Erleben nicht unabhängig zu sehen sei von der rezidivierenden depressiven Störung, die aufgrund der anamnestischen Erhebungen und der eigenen Feststellungen nicht mit der gebotenen Sicherheit mit dem Unfallereignis in Zusammenhang gebracht werden könne (S. 13 des Gutachtens). Es handele sich um ein eigenständiges depressives Krankheitsbild mit typischen rezidivierenden Störungen. Es bestünden zahlreiche Belastungen sowohl beruflich als auch familiär, die das Beschwerdebild mit unterhielten.
Übereinstimmung besteht insoweit auch mit dem von Prof. Dr. V … im Auftrag des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg am 19. Juni 2008 erstellten psychiatrischen Gutachten. Aus diesem Gutachten geht hervor, dass die obengenannten, von Prof. Dr. H … in seinem Gutachten von 19. Januar 2007 festgestellten Funktionseinschränkungen und Beschwerden auf einen sehr günstigen Verlauf hinwiesen und mit dem subjektiv von dem Probanden empfundenen Leid nicht in Übereinstimmung gebracht werden könnten (S. 39 des Gutachtens). Es sei von einer depressiven Episode – mittelgradig bis schwer – bei einer rezidivierenden depressiven Störung auszugehen (S. 42 des Gutachtens). Dem Unfall vom 27. Juni 1996 könne in Bezug auf die psychiatrische Symptomatik noch nicht einmal die Bedeutung einer wesentlich mitwirkenden Teilursache zukommen (S. 43 des Gutachtens).
Schließlich deckt sich die Einschätzung auch mit der Beurteilung durch den Fachberater der Beklagten, Dr. M …, Neurologe und Psychiater, vom 6. Juni 2013. Demnach besteht bei dem Kläger eine minimale Schädigung des Nervus peroneus, die im Rahmen eines depressiv-somatisierenden Erlebens zu einer neurotischen Fixierung führt.
Aus alledem lässt sich in einer Gesamtbetrachtung schlüssig, überzeugend und widerspruchsfrei und ohne, dass es z.B. wegen grober, offen erkennbarer Mängel oder unlösbarer Widersprüche der Einholung weiterer Sachverständigengutachten bedurft hätte, das Ergebnis ableiten, dass das Beschwerdebild (chronisches Schmerzsyndrom) weder aus unfallchirurgischer noch aus neurologisch-psychiatrischer Sicht mit dem Dienstunfall vom 27. Juni 1995 in Verbindung zu bringen ist. Es fehlt mithin der – wie oben dargelegt – erforderliche Kausalzusammenhang zwischen dem Dienstunfall und den geklagten Beschwerden, so dass die Anerkennung einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren als (weitere) Dienstunfallfolge ausscheidet.
b) Darüber hinaus hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Zahlung von Unfallausgleich gemäß § 35 BeamtVG. Die Gewährung von Unfallausgleich setzt gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG voraus, dass ein Beamter infolge eines Dienstunfalls in seiner Erwerbsfähigkeit länger als sechs Monate wesentlich beschränkt ist. Von einer wesentlichen Erwerbsbeschränkung ist auszugehen, wenn die MdE mindestens 25 v.H. beträgt (§ 35 Abs. 1 BeamtVG i.V.m. § 31 Abs. 1 und 2 und § 30 Abs. 1 Satz 2 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG)). Weil es sich bei § 35 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG um eine dynamische Verweisung handelt (vgl. Plog/Wiedow, a.a.O., § 35 BeamtVG Rn. 44), sind die Vorschriften des BVG in der jeweils für den streitgegenständlichen Zeitraum gültigen Fassung anzuwenden.
Unabdingbare Voraussetzung für einen Anspruch auf Unfallausgleich ist hiernach zunächst das Vorliegen eines Dienstunfalls im Sinn des § 31 BeamtVG, entweder in Form eines einmaligen Unfallereignisses gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG oder in Gestalt eines gleichgestellten Ereignisses, etwa einer Berufserkrankung nach § 31 Abs. 3 BeamtVG. Darüber hinaus ist ein Kausalzusammenhang zwischen der wesentlichen Beschränkung der Erwerbsfähigkeit des Beamten und dem Dienstunfall zu fordern. Der Dienstunfall muss die dauerhafte – mindestens über einen Zeitraum von sechs Monaten – gegebene Beeinträchtigung wesentlich bedingen. Gehen etwaige Einschränkungen hingegen vorrangig auf andere Ursachen zurück, ist die Gewährung eines Unfallausgleichs ausgeschlossen, wobei unerheblich ist, ob die Gesundheitsbeschränkung bereits vor oder erst nach einem Dienstunfall bzw. dem erstmaligen Auftreten einer Erkrankung eingetreten ist. Die Beweislast für diesen doppelten Kausalzusammenhang obliegt dem Beamten (Plog/Wiedow, a.a.O., § 35 BeamtVG Rn. 30; Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, BeamtVG, Stand: Juni 2017, § 35 Rn. 26).
Gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG ist dabei die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen. Erwerbsfähigkeit ist die Kompetenz des Betroffenen, sich unter Nutzung der Arbeitsgelegenheiten, die sich ihm abstrakt im gesamten Bereich des Erwerbslebens bieten, einen Erwerb zu ermöglichen. Auf den bisherigen konkreten Beruf oder die bisherige Tätigkeit kommt es dabei nicht an. Maßgeblich ist die Sach- und Rechtslage bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens (OVG Berlin-Bbg, U.v. 19.1.2011 – OVG 4 B 32.10 – juris Rn. 22).
Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung von Unfallausgleich auf der Basis einer MdE in Höhe von mindestens 25 v.H.; es steht nämlich zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Beklagte die infolge des Dienstunfalls eingetretene Minderung der Erwerbsfähigkeit zutreffend mit 20 v.H. veranschlagt hat. Auch bei dieser Einschätzung stützt sich das Gericht auf die obengenannten von Dr. F … am 2. Dezember 2015 und von Prof. Dr. H … am 11. Dezember 2015 erstellten Gutachten sowie die zusammenfassende Einschätzung der Gesamt-MdE durch Prof. Dr. H … vom 8. Januar 2016. Demnach ist – aus neurologischer Sicht – angesichts des neuropathischen Schmerzsyndroms eine MdE von 15 v.H. gerechtfertigt (S. 11 des Gutachtens von Dr. Freytag vom 2.12.2015), während aus unfallchirurgischer Sicht eine MdE von 10 v.H. zu veranschlagen ist (S. 9 des Gutachtens von Prof. Dr. H … vom 11.12.2015). Daraus ergibt sich eine Gesamt-MdE von 20 v.H. (S. 2 der Stellungnahme von Prof. Dr. H … vom 8.1.2016).
Auch insoweit beruhen die Gutachten auf einer umfassenden und nicht nur einseitigen, allein auf Angaben der Beklagten beruhenden Auswertung aller, d.h. auch den vom Kläger in den Verwaltungsverfahren vorgelegten ärztlichen Atteste und Befundberichte. Sie sind in sich stimmig, überzeugend und werfen – auch in diesem Punkt – keine Zweifelsfragen auf, die durch die Einschaltung weiterer Gutachter geklärt werden müssten. Zweifel an der fachlichen Kompetenz der Gutachter sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Ausführungen beider Gutachter decken sich auch mit der Einschätzung des beratenden Arztes der Beklagten, Dr. V …, dem die Beklagte die vorhandenen Unterlagen – und insbesondere die auf die Rüge, von unfallchirurgischer Seite seien die verbliebenen funktionellen Einschränkungen nicht angemessen berücksichtigt worden, gestützte Widerspruchsbegründung vom 10. August 2016 – vorgelegt hat. Demnach ist davon auszugehen, dass es insbesondere auch von Seiten des unfallchirurgischen Fachgebiets zu keiner wesentlichen Änderung der verbliebenen funktionellen Einschränkungen gekommen ist (vgl. Dr. V …, Stellungnahme vom 29.8.2016).
Die in den Akten befindlichen und von dem den Kläger seit 2011 behandelnden Schmerztherapeuten, Dr. S …, Chefarzt, Klinik für Anästhesie, Intensiv- und Schmerztherapie, G-Klinik …, erstellten Arztbriefe führen zu keiner anderen Einschätzung. So heißt es zwar in dem von Dr. S … nach Durchführung einer multimodalen Schmerztherapie (11.-22.2.2013) erstellten Arztbericht vom 22. Februar 2013 unter anderem, als Folge der Patellamehrfragmentfraktur habe sich bei Retropatellararthrose ein chronischer Schmerzzustand des Kniegelenks eingestellt, der derzeit mit stark wirksamem Opioid behandelt werden müsse. Abgesehen davon, dass die dort enthaltenen Diagnosen sich weitgehend mit denen der beiden von Seiten der Beklagten beauftragten Gutachter decken, vermag die weitere pauschale, d.h. in keiner Weise begründete Feststellung, der Schmerzzustand sei „eindeutig Folge der unfallbedingten Patellamehrfragmentfraktur“, in keiner Weise die o.g. differenzierten Einschätzungen der o.g. Gutachten zu entkräften.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO. Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO bedurfte es angesichts der – wenn überhaupt anfallenden – dann allenfalls geringen, vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen der Beklagten nicht, zumal diese auch die Rückzahlung garantieren kann, sollte in der Sache eventuell eine Entscheidung mit anderer Kostentragungspflicht ergehen.
4. Gründe für eine Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht nach § 124 Abs. 1, § 124a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO liegen nicht vor.


Ähnliche Artikel

BAföG – das Bundesausbildungsförderungsgesetz einfach erklärt

Das Bundesausbildungsförderungsgesetz, kurz BAföG, sorgt seit über 50 Jahren für finanzielle Entlastung bei Studium und Ausbildung. Der folgende Artikel erläutert, wer Anspruch auf diese wichtige Förderung hat, wovon ihre Höhe abhängt und welche Besonderheiten es bei Studium und Ausbildung gibt.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben