Sozialrecht

Förderung einer Kindertageseinrichtung

Aktenzeichen  Au 3 K 19.138

Datum:
24.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24272
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB X § 45, § 50 Abs. 2a S. 2
BayKiBiG Art. 2 Abs. 2
AVBayKiBiG § 23 Abs. 4 S. 1, § 25
VwGO § 78 Abs. 1 Nr. 1, § 113 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die gegen den richtigen Beklagten gewendete Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 19. September 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts … vom 2. Januar 2019 ist formell und materiell rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I. Richtiger Beklagter ist der Markt … und nicht – wie die Bevollmächtigte des Beklagten meint – der Freistaat Bayern. Nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist die Klage gegen die Behörde zu richten, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat. Nur wenn der Widerspruchsbescheid erstmalig eine Beschwer enthält, ist die Klage gegen die Widerspruchsbehörde zu richten, (§ 78 Abs. 2 VwGO). Vorliegend war dem Widerspruchsbescheid des Landratsamts … gerade keine erstmalige Beschwer zu entnehmen, weil über den Ausgangsbescheid des Beklagten hinaus keine Regelung getroffen wurde.
II. Die Klage ist auch begründet. Die Bewilligungsbescheide des Beklagten vom 25. Oktober 2012 und vom 28. November 2013 wurden zu Recht zurückgenommen.
1. Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 23 Abs. 4 Satz 1 AVBayKiBiG darf ein begünstigender rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Bereits erbrachte Leistungen sind nach § 50 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 23 Abs. 4 Satz 1 AVBayKiBiG zu erstatten. Die Vorschriften der §§ 45 ff. SGB X finden vorliegend Anwendung. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sich die Anwendbarkeit dieser Vorschrift schon daraus ergibt, dass das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz ein Gesetz zur Ausführung der §§ 22 ff. SGB VIII ist und die Vorschriften des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch nach Art. 2 Abs. 2 Nr. 4, Art. 1 BayVwVfG anzuwenden sind (ausdrücklich offen gelassen noch in BayVGH, U.v. 28.09.2010 – 12 B 09.2955 – BeckRS; für eine Anwendung der §§ 45 ff. SGB X nunmehr BayVGH, B.v. 1.10.2015 – 12 ZB 15.1698 – BeckRS), oder ob § 23 Abs. 4 Satz 1 AVBayKibiG eine Rechtsvorschrift im Sinne des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayVwVfG darstellt, die abweichend von Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayVwVfG die Anwendung der Verfahrensvorschriften des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch für die Rücknahme und den Widerruf konstitutiv anordnet.
2. Der Rücknahmebescheid des Beklagten ist rechtmäßig. Dies erfordert in materieller Hinsicht, dass die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 SGB X vorlagen und der Kläger sich nicht auf Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 SGB X berufen konnte. Überdies muss das Ermessen fehlerfrei ausgeübt und nach § 45 Abs. 4 SGB X die Rücknahmefrist gewahrt worden sein.
a) Bei den oben genannten Bewilligungsbescheiden handelt es sich um begünstigende Verwaltungsakte nach § 45 Abs. 1 SGB X, die rechtswidrig sind, weil die Fördervoraussetzungen des Art. 18 Abs. 1 Satz 1, Art. 2 Abs. 2 BayKiBiG nicht erfüllt sind. Nach Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BayKiBiG haben Träger von Kindertageseinrichtungen einen kindbezogenen Förderanspruch gegenüber den Aufenthaltsgemeinden. Dieser besteht nach Art. 22 Satz 1 BayKiBiG in Höhe der staatlichen Förderung an die Gemeinden erhöht um einen Eigenanteil der Gemeinden. Gemäß Art. 2 Abs. 2 BayKiBiG ist für die Qualifizierung als Kindertageseinrichtung wesentlich, dass die überwiegende Zahl der Kinder über einen Zeitraum von mindestens einem Monat die Kindertageseinrichtung durchschnittlich mindestens 20 Stunden pro Woche besucht. Nach Art. 21 Abs. 4 Satz 2 BayKiBiG gibt die Buchungszeit den von den Eltern mit dem Träger der Einrichtung vereinbarten Zeitraum an, während dem das Kind regelmäßig in der Einrichtung vom pädagogischen Personal gebildet, erzogen und betreut wird. Der zweite Halbsatz der Vorschrift stellt klar, dass es auf die tatsächliche Anwesenheit des Kindes in der Einrichtung ankommt.
Diese Voraussetzung war in den streitgegenständlichen Bewilligungsjahren nicht erfüllt, weil die Buchungszeiten im Sinn von Art. 21 Abs. 4 Satz 2 BayKiBiG nicht korrekt angegeben waren. Bei der ursprünglichen Berechnung des Förderbetrags wurde eine regelmäßige Anwesenheit aller Schulkinder ab 11 Uhr zugrunde gelegt. Da in der Einrichtung jedoch bis auf ein Kind Kinder ab der 5. Klasse betreut wurden, war die angegebene Anwesenheit dieser Kinder mit ihren Unterrichtsstunden nicht vereinbar, weil der Unterricht für Kinder auf weiterführenden Schulen regelmäßig nach der 6. Schulstunde oder noch später endet (vgl. Stundentafel für die Mittelschule, Anlage 1 zu § 11 MSO Bayern). Infolgedessen begann die tatsächliche Betreuung dementsprechend später, woraus sich wiederum reduzierte tatsächliche Betreuungszeiten ergeben. Da ein Großteil der Kinder nur bis 15 oder 16 Uhr betreut wurde, errechnet sich daraus Betreuungszeiten von zwei bis drei oder sogar nur einer bis zwei Stunden täglich. Um die von Art. 2 Abs. 2 BayKiBiG geforderten 20 Stunden Betreuungszeit pro Woche zu erreichen, war es jedoch nötig, dass mindestens 51% der Kinder in einem Monat die Einrichtung jede Woche täglich im Schnitt vier Stunden besuchen.
Es ist nicht ersichtlich, weshalb aus Gleichheitsgesichtspunkten die Vorgaben zu den Mindestbuchungszeiten auf einen kleineren Hort wie „…“ keine Anwendung finden sollten. Eine solche Differenzierung sieht das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz gerade nicht vor. Die Mindestbuchungszeiten resultieren aus dem Gedanken, dass Bildung und Erziehung ein Mindestmaß an zeitlicher Konstanz und zeitlicher Intensität brauchen (vgl. Dunkl in in Dunkl/Eirich, BayKiBiG, April 2020, Erl. 3.1 zu Art. 2 BayKiBiG).
Da die Voraussetzung des Art. 2 Abs. 2 BayKiBiG nicht erfüllt war, handelte es sich beim Hort „…“ nicht um eine förderfähige Einrichtung nach Art. 18, 22 BayKiBiG, sondern lediglich um ein Betreuungsangebot (vgl. Dunkl in in Dunkl/Eirich, BayKiBiG, April 2020, Erl. 3.1 zu Art. 2 BayKiBiG). Daher war die in den Bewilligungsbescheiden des Beklagten gewährte Förderung insgesamt rechtswidrig.
b) Der Kläger kann sich nicht auf Vertrauensschutz gemäß § 45 Abs. 2 SGB X berufen. Danach darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
aa) Der Kläger ist zwar nach § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X entreichert. Er hat nach eigenen Angaben, denen der Beklagte nicht entgegengetreten ist, die gewährten Mittel zweckbestimmt verwendet und darüber hinaus Verträge mit Personal geschlossen, die nicht ohne Weiteres rückgängig zu machen sind.
bb) Vertrauensschutz scheidet aber aus, weil der Kläger grob fahrlässig falsche Angaben nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X gemacht hat. Maßgebend dafür ist die Einsichtsfähigkeit des Begünstigten, also ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab (stRspr seit BSG, U.v. 13. 12. 1972 – 7 RKg 9/69 – BSGE 35, 108). Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt danach insbesondere, wer schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (stRspr, seit BSG, Uv.v. 31. 8. 1976 – 7 RAr 112/74 – BSGE 42, 184). Entscheidend ist danach das Vermögen, die Fehlerhaftigkeit der gemachten Angabe erkennen zu können. Bei geschäftsmäßig tätigen Organisationen wie der klägerischen sind dabei strengere Anforderungen zu stellen als etwa bei ehrenamtlich Tätigen.
Zugunsten des Klägers und gegen eine Sorgfaltspflichtverletzung spricht zwar, dass der Kläger mit seiner Buchungspraxis den Eltern entgegenkommen und Schulausfälle kompensieren wollte. Auch der (klarstellende) Erlass des StMUK stammt erst aus dem Jahr 2017, d.h. deutlich nach Vornahme der entsprechenden Eintragungen.
Vorliegend hat der Kläger aber Angaben im Programm KiBig.web gemacht, die nicht der Realität entsprachen. Gemäß § 19 AVBayKiBiG ist der Träger dafür verantwortlich, die förderrelevanten Daten einzutragen; Fehleintragungen liegen im Verantwortungsbereich des Trägers (VG München, U.v. 10.11.2016 – M 17 K 15.4663 – juris). Dem Kläger muss sich aufgedrängt haben, dass die im KiBig.web. angegebenen Anwesenheitszeiten der großen Mehrheit der Kinder nicht mit der Realität übereinstimmten.
Die Fehlerhaftigkeit der Eintragungen muss für den Kläger auch deutlich ersichtlich gewesen sein, weil der Hort „…“ erst um 11:30 Uhr öffnete, als Buchungszeit indes jeweils 11 Uhr angegeben war. Diese Zeit lässt sich mit dem Ausfall einzelner Schulstunden und damit mit einem vorzeitigen Ende des Unterrichts auch nicht ansatzweise in Einklang bringen. Es handelte sich dabei nicht um komplexe Angaben, für die besonderer Sachverstand notwendig war, sondern um Tatsachenfragen. Vielmehr hätten einfachste Überlegungen genügt, um die Zeiten korrekt einzutragen. Hinzu kommt, dass die Eingaben in das Förderprogramm zwar von der Hortleitung vor Ort vorgenommen, allerdings auf Ebene des Bezirksverbands überprüft und ggf. korrigiert wurden. Wie die Vertreterin des Klägers in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, wurde die Freischaltung der Angaben klägerseits vorgenommen. Es muss davon ausgegangen werden, dass zumindest auf dieser Ebene entsprechende Erfahrungen für den Umgang mit Buchungsdaten vorgelegen haben, so dass dort die offensichtliche Fehlerhaftigkeit der Buchungen hätte erkannt werden müssen. Überdies verfügt der Kläger über eine hauptamtliche Struktur auf Landes- und Bundesebene, so dass klägerseits ohne Weiteres die Möglichkeit offen gestanden hätte, bei Unklarheiten Erkundigungen anzustellen. Allerdings gab es nach Auskunft Vertreterin des Klägers in der mündlichen Verhandlung sogar eine informelle Absprache auf Vorstandsebene im Hinblick auf § 25 Abs. 2 AVBayKiBiG,11 Uhr als einheitlichen Beginn der Buchungszeit einzutragen.
Die gesetzliche Regelung zu den Buchungszeiten war ferner nicht missverständlich. Der Wortlaut des Art. 21 Abs. 4 Satz 2 BayKiBiG mag im ersten Halbsatz noch nahelegen, dass auf die Vereinbarung zwischen dem Träger und den Eltern abzustellen ist. Allerdings wird im zweiten Halbsatz deutlich (und ist auch ohne juristischen Sachverstand verständlich), dass es auf die tatsächliche Anwesenheit des Kindes in der Einrichtung ankommt. Darüber hinaus regelt § 25 Abs. 2 AVBayKiBiG lediglich die Unzulässigkeit von Hortbuchungen während der Schulzeit zwischen 8.00 Uhr und 11.00 Uhr, trifft jedoch keine Aussage darüber, welche Buchungszeiten im Einzelfall förderfähig sind. Der Schluss des Klägers, dass aufgrund dieser Regelung 11 Uhr pauschal als Beginn der Buchungszeit angesetzt werden könne, ist offenkundig unrichtig.
Das Argument, der Kläger verfüge nicht über juristischen Sachverstand und habe daher derartige Angaben gemacht, vermag ihn nicht zu entlasten. Denn bei Unklarheiten wäre es in seinen Verantwortungsbereich gefallen, sich (externen) juristischen Sachverstands zu bedienen. Ansonsten könnten hier grobe Sorgfaltspflichtverletzungen im wesentlichen nur Juristen zur Last gelegt werden.
Gegen den Kläger spricht auch, dass nach Aussage des für die Belegprüfungen zuständigen Beigeladenen der Hort eines anderen Trägers in … durchaus in der Lage war, korrekte Buchungszeiten anzugeben. Soweit ersichtlich, ist die systematische Angabe fiktiver Buchungszeiten bayernweit nur beim Kläger und seinen Schwesterorganisationen vorgekommen.
Die Sorgfaltspflichtverletzung wird nicht dadurch gemindert, dass der Beklagte und der Beigeladene über das Hortkonzept informiert waren. Denn die Vorlage des Hortkonzepts erfolgte im Verfahren zur Erteilung der Betriebserlaubnis. Im Rahmen dieses Verfahrens ging es jedoch nicht um die konkrete Vornahme von Buchungen, sondern um andere Aspekte.
c) Die Rücknahme war auch nicht ermessensfehlerhaft. Das Rücknahmeermessen des Beklagten war vorliegend auf Null reduziert.
Zwar steht die Entscheidung über die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 45 Abs. 1 SGB X grundsätzlich im Ermessen der Behörde. (vgl. BVerwG, U.v. 17.9.1987 – 5 C 26.84 -, BVerwGE 78, 101 [105 f]), weshalb die Rechtmäßigkeit der Rücknahme in der Regel eine entsprechende Ermessensausübung voraussetzt. In dieser Beziehung gelten jedoch Besonderheiten, wenn der zu treffenden Entscheidung durch das einschlägige Fachrecht eine bestimmte Richtung vorgegeben ist und ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vorliegt (sog. intendiertes Ermessen). Trifft das nämlich zu, so bedarf es, wenn in dem durch das Gesetz vorgegebenen Sinne entschieden wird, keiner Abwägung des Für und Wider mehr, womit zugleich eine nähere Begründungspflicht der Behörde entfällt (vgl. BVerwG, U.v. 25.9.1992 – 8 C 68 und 70.90 – BVerwGE 92, 82 [90] m.w.N.). So liegt der Fall hier. Das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz bestimmt in Art. 18 Abs. 1 Satz 1, dass ein Anspruch des Trägers besteht, wenn die Fördervoraussetzungen nach Art. 19 BayKiBiG erfüllt werden. Das schließt für den Fall einer unter Verstoß gegen diese Vorschrift erfolgten Förderleistung die Anordnung der Rücknahme des entsprechenden Bewilligungsbescheids und die Rückforderung des gezahlten Betrages ein (vgl. BVerwG, U.v. 25.9.1992 – 8 C 68 und 70.90 – BVerwGE 92, 82 [90 f.] – für die missbräuchliche Gewährung von Wohngeld). Auch die Grundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung zeichnen in der Regel die Rücknahme von rechtswidrigen Geldleistungsbescheiden als nicht weiter begründungsbedürftige Konsequenz vor (vgl. BVerwG, U.v. 16.6.1997 – 3 C 22.96 – BVerwGE 105, 55 [57 f.]; U.v. 10.12.2003 – 3 C 22/02 – NVwZ-RR 2004, 413 [415] m.w.N.). Bei der Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts nach § 45 Abs. 1 SGB X bleibt deshalb im Regelfall für die Ausübung von Ermessen kein Raum (vgl. BayVGH, B.v. 1.10.2015 – 12 ZB 15.1698 – juris für die Rückforderung von Fördermitteln des Freistaats gegenüber einer Gemeinde; BSG, U.v. 25.6.1986 – 9 a RVg 2/84 – juris, LS 3 u. Rn. 29; U.v. 5.11.1997 – 9 RV 20/96 – juris, Rn. 16). Zwar sind Ausnahmen denkbar, wenn besonders gewichtige Gründe eine andere Entscheidung rechtfertigen (vgl. BVerwG, U.v. 25.9.1992 – 8 C 68 und 70.90 – BVerwGE 92, 82 [91]). Solche sind hier auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers nicht ersichtlich. Stellt sich jedoch heraus, dass Vertrauensschutz zu versagen ist, so dass für eine Ermessensausübung keine Gesichtspunkte bleiben, ist das Rücknahmeermessen regelmäßig auf Null reduziert (vgl. BayVGH, B.v. 1.10.2015 – 12 ZB 15.1698 – juris; BSG, U.v. 5.11.1997 – 9 RV 20/96 – juris, Rn. 16). In diesem Fall kann nur eine Entscheidung richtig sein, nämlich die Leistungsbewilligung zurückzunehmen (vgl. BVerwG, U.v. 25.9.1992 – 8 C 68 und 70.90 – BVerwGE 92, 82 [90]; U.v. 16.6.1997 – 3 C 22.96 – BVerwGE 105, 55 [57]). Dies folgt aus Art. 18 Abs. 1 und 2 BayKiBiG, der den Förderanspruch der Gemeinde gegenüber dem Staat an die Einhaltung der Fördervoraussetzungen durch den Einrichtungsträger bindet. Erfüllt der Träger die Fördervoraussetzungen des Art. 19 BayKiBiG nicht ein, so muss die Gemeinde nicht nur ihren eigenen Förderanteil (Art. 18 Abs. 1, 22 BayKiBiG), sondern auch den staatlichen Anteil (Art. 18 Abs. 2, 21, 22 BayKiBiG) zurückfordern (§ 23 Abs. 4 AVBayKiBiG); sie ist aber ihrerseits zugleich auch dem Rückforderungsanspruch des Freistaats hinsichtlich des staatlichen Förderanteils ausgesetzt (dazu BayVGH, B.v. 1.10.2015 – 12 ZB 15.1698 – juris).
Damit liegt hier kein Ausnahmefall vor, der ein Abweichen von der Ermessensreduzierung auf Null rechtfertigen würde.
d) Die Bewilligungsbescheide wurden innerhalb der Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X zurückgenommen. Danach muss die Rücknahme innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen erfolgen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Hierzu gehören jedenfalls die Tatsachen, aus denen sich die Rechtswidrigkeit des früheren Verwaltungsakts ergibt. Frühestens beginnt die Frist nach erfolgter Anhörung (BSG, U.v. 7.7.2000 – B 7 AL 88/99 R – NJOZ 2001, 121). Die Stellungnahme des Klägers im Rahmen der Anhörung erfolgte vorliegend mit Schreiben vom 22. Mai 2018 statt, so dass die am 19. September 2018 erfolgte Rücknahme die Jahresfrist in jedem Fall wahrte.
e) Der Umstand, dass der Zeitraum zur Belegprüfung nach § 23 Abs. 1 Satz 2 AVBayKiBiG fünf Jahre umfasst, wirkt sich auf Rechte des Klägers nicht aus. Die Begrenzung auf fünf Jahre dient nur der Aufgabenbegrenzung der Bewilligungsbehörden. Träger, die sich z. B. Leistungen aufgrund falscher Angaben erschlichen haben, können sich auf die zeitliche Befristung des Prüfauftrags nicht berufen. Es handelt sich dabei um keine Schutzvorschrift für Träger, die auf rechtswidrige Weise Fördermittel erhalten haben (Dunkl in Dunkl/Eirich, BayKiBiG, April 2020, Erl. 2.2 zu § 23 AVBayKiBiG). Die Vorschrift soll dem Träger keine individuelle Rechtsposition vermitteln, auf die er sich zu seinen Gunsten berufen kann.
3. Da die Bewilligungsbescheide somit zu Recht gemäß § 45 SGB X i.V.m. § 23 Abs. 4 Satz 1 AVBayKiBiG zurückgenommen wurden, konnten auch die gewährten Fördermittel gemäß § 50 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 23 Absatz 4 Satz 1 AVBayKiBiG zurückgefordert werden. Die Berechtigung zur Erhebung von Zinsen und deren Berechnung folgt aus § 50 Abs. 2a SGB X i.V.m. § 23 Abs. 4 Satz 1 AVBayKiBiG. Dass der Beklagte nicht auf die Zahlung von Zinsen nach § 50 Abs. 2a Satz 2 SGB X verzichtet hat, war aufgrund der festgestellten Sorgfaltspflichtverletzung nicht ermessensfehlerhaft.
III. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Es entspricht gemäß § 162 Abs. 3 VwGO der Billigkeit, dass der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da er keinen Antrag gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko im Sinne des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat. Das Verfahren ist gemäß § 188 S. 2 VwGO gerichtskostenfrei.
IV. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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