Sozialrecht

Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben

Aktenzeichen  S 12 R 1358/13

Datum:
5.1.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 130504
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 105
SGB VI § 9, § 10 Abs. 1 Nr. 1, Br. 2 Buchst. a

 

Leitsatz

Das Erfordernis der Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bestimmt sich ausschließlich nach der Minderung des Leistungsvermögens des Versicherten in seiner nicht nur kurzfristig ausgeübten letzten Tätigkeit.

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Das Sozialgericht Nürnberg ist sachlich und örtlich gemäß §§ 51, 57 SGG zuständig.
Eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 SGG konnte ergehen. Die Parteien wurden hierzu angehört.
Die ordnungsgemäß und fristgerecht eingereichte Klage ist zulässig.
Sie ist aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach. Der Bescheid der Beklagten vom 26.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.11.2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Ausgangspunkt der Prüfung ist der Antrag des Klägers auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben vom 22.05.2013. Prüfungsmaßstab sind damit die Vorschriften der §§ 9 ff. SGB VI.
Die Beklagte erbringt gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sowie ergänzende Leistungen, um den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten entgegenzuwirken oder sie zu überwinden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI) und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern (§ 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI). Die Leistungen nach Absatz 1 können gemäß § 9 Abs. 2 SGB VI nur erbracht werden, wenn unter anderem die persönlichen Voraussetzungen (§ 10 SGB VI) erfüllt sind.
Nach § 10 Abs. 1 SGB VI erfüllen Versicherte die persönlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, wenn ihre Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung erheblich gefährdet oder gemindert ist (§ 10 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI) und bei ihnen voraussichtlich bei erheblicher Gefährdung der Erwerbsfähigkeit eine Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben abgewendet werden kann (§ 10 Abs. 1 Nr. 2a SGB VI), bei geminderter Erwerbsfähigkeit diese durch Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann (§ 10 Abs. 1 Nr. 2b SGB VI), bei teilweiser Erwerbsminderung ohne Aussicht auf eine wesentliche Besserung der Erwerbsfähigkeit der Arbeitsplatz durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten werden kann (§ 10 Abs. 1 Nr. 2c SGB VI).
Nach dem Ergebnis der Ermittlungen steht fest, dass ein Anspruch des Klägers auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach nicht mit der im Wege des Vollbeweises erforderlichen Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Die persönlichen Voraussetzungen im Sinne von § 10 Abs. 1 SGB VI für die Gewährung dieses Anspruchs sind vorliegend nicht gegeben. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers ist weder erheblich gefährdet noch gemindert.
Die Kammer gelangt zu dieser Auffassung aufgrund der aktenkundigen medizinischen Unterlagen, sowie des überzeugenden Gutachtens von Dr. J. vom 11.06.2014.
Erwerbsfähigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang die Fähigkeit seinen bisherigen Beruf oder eine seiner Eignung, Neigung und bisherigen Tätigkeit angemessene Erwerbs- oder Berufstätigkeit dauernd auszuüben. Die Erwerbsfähigkeit im Sinne von § 10 SGB VI ist nicht identisch mit der Erwerbsfähigkeit im Sinne von § 43 Abs. 2 SGB VI (in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung) und im Sinne des § 240 Abs. 2 SGB VI (in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung). Vielmehr bestimmt sich das Erfordernis der Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ausschließlich nach der Minderung des Leistungsvermögens des Versicherten in seiner nicht nur kurzfristig ausgeübten letzten Tätigkeit.
Bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit ist somit grundsätzlich auf den zuletzt ausgeübten Beruf abzustellen. Hierbei sind die beruflichen Tätigkeiten der letzten Jahre in die Betrachtung einzubeziehen. Der bisherigen Tätigkeit kommt aber im Rahmen der Erwerbsfähigkeit nur dann Bedeutung zu, wenn diese im Vergleich zu den sonstigen Tätigkeiten der Vergangenheit nicht von untergeordneter Bedeutung war und auf dem Arbeitsmarkt verwertbare Fertigkeiten vermittelt werden konnten (siehe zu alldem Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Auflage 2013, § 10 SGB VI, Rn. 30 ff.). Außer Betracht bleiben nur wenige Monate dauernde Beschäftigungen (BSG, Urteil vom 29.03.2006, Az. B 13 RJ 37/05 R).
Im vorliegenden Fall ist aufgrund der Besonderheiten im Lebenslauf des Klägers nicht die zuletzt ausgeübte Beschäftigung als Straßenwärter maßgeblich, da diese vom Kläger nur kurzfristig für wenige Monate ausgeübt wurde und daher gerade unter Beachtung der Rechtsprechung des BSG außer Betracht bleibt.
Zwar können und müssen bei der Anspruchsprüfung nach § 10 SGB VI auch ungelernte Tätigkeiten berücksichtigt werden, da auch hier ein bestimmtes Leistungsprofil feststellbar ist und typische zu bewältigende Kernaufgaben und Verrichtungsmerkmale dem Berufsbild zugeordnet werden können (vgl. BGS, Urteil vom 17.10.2006, Az. B 5 RJ 15/05 R). Jedoch ist die Tätigkeit als Saisonarbeiter im Winterdienst bzw. als Straßenarbeiter von vornherein auf einen nur kurzfristigen Zeitraum angesetzt. Es handelt sich dabei nicht um eine Tätigkeit, die – was auch bei Aufnahme der Tätigkeit bereits bekannt ist – auf Dauer ausgeübt werden soll.
Auch der erlernte Beruf des Klägers – Landschaftsgärtner/Landschaftsgärtnermeister – ist nicht maßgeblich.
Der Kläger hat den Beruf des Landschaftsgärtners in der Zeit von 1986 bis 1991 für insgesamt knapp 4 Jahre mit Unterbrechungen ausgeübt. Zwischenzeitlich hat er 5 Monate als Möbelpacker und einen Monat als Helfer in einer Werkschreinerei gearbeitet. 1993 erfolgte dann über die Agentur für Arbeit eine Umschulung zum Bürokaufmann. Hintergrund waren gesundheitliche Einschränkungen (Gonarthrose) im Rahmen der Tätigkeit als Landschaftsgärtner. Somit kann der Beruf als Landschaftsgärtner bei einer erneuten Beurteilung eines Anspruches auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht mehr zugrunde gelegt werden.
Die Tätigkeit als Landschaftsgärtnermeister hat der Kläger im Juli 2012 lediglich 13 Tage, oder nach den Angaben der Beklagten insgesamt nur 84,5 Stunden ausgeübt. Es liegt damit ebenfalls eine sehr kurzfristig ausgeübte Beschäftigung vor, die unter Beachtung der Rechtsprechung außer Betracht bleibt.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Kläger in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten die verschiedensten Tätigkeiten ausgeübt hat. Wechselt ein Versicherte in den letzten Jahren seine Berufe, sind für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit die beruflichen Tätigkeiten der letzten Jahre entsprechend zu würdigen, sofern die unterschiedlichen beruflichen Tätigkeiten nicht nur kurzfristig ausgeübt wurden (siehe hierzu Sächsisches LSG, Urteil vom 07.01.2014, Az. L 5 R 626/12 m.w.N.). Der Kläger hat all seine Tätigkeiten (Hausmeister, Produktionshelfer, Baugeräteführer, Werkschutzmitarbeiter etc.) jedoch jeweils nur für wenige Monate manchmal nur für wenige Wochen oder gar Tage ausgeübt.
Ein aufgrund des beruflichen Werdegangs typisches Leistungs- und Anforderungsprofil ist daher nicht feststellbar. Den verschiedensten Tätigkeiten lassen sich keine typischen Kernaufgaben oder Verrichtungsmerkmale zuordnen. Eine die berufliche Tätigkeit des Klägers prägende Beschäftigung liegt somit nicht vor. Daher ist im vorliegenden Fall für die Prüfung der Voraussetzungen des § 10 SGB VI auf den allgemeinen Arbeitsmarkt abzustellen.
Für die Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes besteht beim Kläger sowohl nach dem gerichtlich eingeholten sozialmedizinischen Gutachten von Dr. J. vom Juni 2014 als auch nach dem sozialmedizinischen Gutachten von Dr. L., welches im Rahmen des Verwaltungsverfahrens eingeholt wurde, vollschichtiges Leistungsvermögen. Weder ist nach den medizinischen Unterlagen beim Kläger eine Minderung der Erwerbsfähigkeit noch eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes anzunehmen. Die Ausführungen von Dr. J. zu Ad 2) auf Seite 19 des Gutachtens – „durch die Gesundheitsstörungen ist die Erwerbsfähigkeit des Klägers als generell gefährdet bzw. bereits gemindert einzustufen“ – beziehen sich nicht auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, sondern auf die Tätigkeit als Landschaftsgärtner bzw. Straßenwärter. Dies wird zum einen aus den Erläuterungen zu Ad 6) auf Seite 20 f. des Gutachtens deutlich. Hier gibt Dr. J. an, dass eine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit bei Fortsetzung einer Tätigkeit als Landschaftsgärtnermeisters besteht. Zum anderen ergibt sich dies aus Ad 3) auf Seite 20 des Gutachtens und dem unter diesem Punkt geschilderten Leistungsvermögen des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Die persönlichen Voraussetzungen von § 10 Abs. 1 SGB VI sind somit beim Kläger nicht erfüllt. Ein Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grund nach besteht nicht. Die Klage war abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.


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