Sozialrecht

Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit

Aktenzeichen  L 6 R 736/15

Datum:
12.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI SGB VI § 43 Abs. 1, 2 u. 3, § 240
SGG SGG § 103 S. 1

 

Leitsatz

1. Wird eine persönliche Untersuchung verweigert, liegt ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht vor. Verweigerungsrecht besteht nur bei wichtigem Grund. Kann der Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt werden, ergeht eine Entscheidung nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast. (amtlicher Leitsatz)

Tenor

I.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 30.Juli 2015 wird zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 30.07.2015 ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 06.08.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.11.2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Nach § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1.voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind,
2.in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen, vgl. § 43 Abs. 1 bis 3 SGB VI.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze besteht bei der Klägerin nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kein Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Nach den vom Sozialgericht eingeholten Gutachten des Dr. P. und des Dr. S. sowie nach dem vom Senat eingeholten Gutachten des Dr. Dr. B. nach Aktenlage rechtfertigen die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen nicht die Annahme einer Erwerbsminderung in rentenberechtigendem Grade.
Unter Berücksichtigung der vorliegenden Gutachten ist bei der Klägerin der Eintritt einer Erwerbsminderung zur Überzeugung des Senats nicht nachgewiesen. Inwieweit eine Verschlimmerung der Gesundheitsstörungen im Berufungsverfahren eingetreten ist, wäre nach dem Gutachten des Dr. Dr. B. durch eine persönliche Untersuchung festzustellen gewesen. Die Klägerin hat jedoch trotz ausführlichen Hinweises auf die negativen Folgen einer fehlenden persönlichen Untersuchung dies abgelehnt.
Im sozialgerichtlichen Verfahren trägt derjenige die objektive Beweislast, zu dessen Gunsten ein Tatbestandsmerkmal im Prozess wirkt. Danach trägt die Klägerin die objektive Beweislast für das Vorliegen einer Erwerbsminderung. Der Grundsatz der objektiven Beweislast greift dann ein, wenn das Gericht trotz aller Bemühungen bei der Amtsermittlung den Sachverhalt nicht weiter aufklären kann (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 118 Rn. 6). Die Klägerin ist ihrer prozessualen Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen. Zwar erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen, die Beteiligten sind hierbei mitheranzuziehen (§ 103 Satz 1 SGG). Sie müssen der Mitwirkungspflicht genügen, sonst können sie Nachteile treffen. Soll Beweis erhoben werden durch Einholung eines Sachverständigengutachtens trifft die Klägerin die Obliegenheit, zum Zwecke der Begutachtung beim Sachverständigen zu erscheinen. Verweigert die Klägerin eine Begutachtung, so hat sie die prozessrechtlichen Folgen ihres Verhaltens zu tragen. Hierauf ist sie ausdrücklich hingewiesen worden. Eine Mitwirkungspflicht besteht nur dann nicht, wenn der Klägerin ihre Erfüllung aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden bzw. wenn bei Untersuchungen im Einzelfall ein Schaden für Leben oder Gesundheit nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Diese Voraussetzungen sind im Fall der Klägerin nicht ersichtlich.
Da die Klägerin ihrer Obliegenheit, an der Untersuchung mitzuwirken, nicht nachgekommen ist, konnten nur die Beeinträchtigungen berücksichtigt werden, die bislang dokumentiert sind. Die durch die eingeholten Gutachten des Dr. P., des Dr. S. und des Dr. Dr. B. nachgewiesenen Gesundheitsstörungen ergeben indessen keine Rentenberechtigung. Die Klägerin leidet an einer rezidivierenden depressiven Störung mittelschwerer Ausprägung sowie an einer Schmerzstörung mit organischen und psychischen Faktoren. Es besteht ein Zustand nach Hysterektomie sowie nach einer Bandscheibenoperation in Höhe L2/L3 und L3/L4. Zudem liegt ein asthmatisches Grundleiden vor. Diese Gesundheitsstörungen führen zu qualitativen Leistungseinschränkungen. Der Klägerin sind nur noch leichte Arbeiten zumutbar, ohne Heben und Tragen von Lasten und ohne Arbeiten in Zwangshaltungen der Wirbelsäule. Auch kann sie keine Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten oder in Zwangshaltungen an Maschinen ausüben. Bei Tätigkeiten im Freien muss für ausreichenden Schutz vor Nässe, Kälte und Zugluft gesorgt sein. Die Arbeitsposition sollte möglichst zwischen Sitzen und Stehen gewechselt werden können. Auch Arbeiten unter Zeitdruck oder mit besonderer psychischer Belastung sind nicht zumutbar. Eine quantitative Leistungsminderung besteht indessen unter Berücksichtigung der qualitativen Einschränkungen nicht.
Es liegt auch keine schwere spezifische Leistungsstörung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, welche ausnahmsweise die Benennung einer Verweisungstätigkeit erforderlich machen würden (vgl. BSG, Urteil vom 20.10.2004, B 5 RJ 48/03 R, m. w. N.). Der erforderlichen Vermeidung des Hebens und Tragens von schweren Lasten, von Zwangshaltungen sowie von Überkopfarbeiten ist bereits durch die Beschränkung auf leichte Tätigkeiten Rechnung getragen. Die daneben bestehenden weiteren qualitativen Einschränkungen, wie Arbeiten überwiegend mit der Möglichkeit zum Positionswechsel, keine Arbeiten auf Leitern und Gerüsten und keine Tätigkeiten unter Zeitdruck oder mit besonderer emotionaler Belastung schränken die für die Klägerin verbleibenden Arbeitsfelder nicht in erheblichem Umfang ein. Es ist nicht ersichtlich, dass diese aufgrund der festgestellten Einschränkungen nicht mehr in der Lage ist, ungelernte Tätigkeiten und auch einfach Anlernarbeiten wie z. B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken usw. auszuüben.
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsunfähigkeit bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI), da sie nach dem 02.01.1961 geboren ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 1, Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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