Sozialrecht

Kautionsrückzahlungsanspruch, Vorhersehbarkeit, Unfallbedingtheit, psychiatrischer Sachverständiger

Aktenzeichen  12 S 3449/17

Datum:
16.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 60876
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1, § 546

 

Leitsatz

Verfahrensgang

(3) 1 C 169/16 2017-08-10 Endurteil AGMIESBACH AG Miesbach

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Miesbach vom 10.08.2017, Az. (3) 1 C 169/16, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Miesbach ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

II.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
Eine Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass die erstinstanzliche Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 513 Abs. 1 Fall 1 in Verbindung mit § 546 ZPO), oder die Tatsachenfeststellung unrichtig ist (§ 513 Abs. 1 Fall 2 in Verbindung mit § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) oder neue berücksichtigungsfähige Angriffs- oder Verteidigungsmittel vorliegen (§ 513 Abs. 1 Fall 2 in Verbindung mit §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO).
Dabei hat eine Berufung nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn eine Abänderung des Ersturteils zu Gunsten des Berufungsführers zu erwarten ist, was nur bei einem durchgreifenden Fehler des Ersturteils zu bejahen ist. Entsprechende Rechtsfehler, auf denen das Urteil beruht, kann die Berufung nicht aufzeigen.
1. Das Amtsgericht hat zu Recht einen Anspruch auf weiteres Schmerzensgeld abgelehnt.
Bei einem uneingeschränkten Schmerzensgeld werden durch den zuerkannten Betrag alle diejenigen Schadensfolgen abgegolten, die entweder bereits eingetreten und objektiv erkennbar waren oder deren Eintritt jedenfalls vorhergesehen und bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnte. Ob Verletzungsfolgen im Zeitpunkt der Zuerkennung eines Schmerzensgeldes erkennbar waren, beurteilt sich nicht nach der subjektiven Sicht der Parteien oder der Vollständigkeit der Erfassung des Streitstoffes durch das Gericht, sondern nach objektiven Gesichtspunkten, das heißt nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines insoweit Sachkundigen (vgl. OLG München, Urteil vom 15.3.2013 – 10 U 4171/12).
Der Klägerin wurde durch den Vergleich vom 8.5.2007 in Verbindung mit dem amtsgerichtlichen Urteil vom 3.11.2006 ein uneingeschränktes Schmerzensgeld zugesprochen.
Sie kann daher weiteres Schmerzensgeld nur für solche Schadensfolgen geltend machen, die am 8.5.2007 noch nicht eingetreten und objektiv erkennbar waren und deren Eintritt auch nicht vorhersehbar war.
Solche Verletzungsfolgen hat die Klägerin nicht vorgetragen und nachgewiesen.
Die von der Klägerin aufgeführten Rückenbeschwerden sowie die damit zusammenhängenden Schmerzen lagen bereits zum Zeitpunkt des Endurteils vom 3.11.2006 sowie des Vergleichs vom 8.5.2007 vor.
Soweit die Klägerin vorgebracht hat, dass es durch die beständigen Schmerzen zu einer depressiven Entwicklung bei ihr gekommen sei und sie sich deswegen vom 22.4.2010 bis 25.5.2010 in stationärer Behandlung befunden habe und seit Juni 2010 in ambulanter Behandlung befinde, handelt es sich zwar um Unfallfolgen, die zum Zeitpunkt des Zuspruchs des Schmerzensgeldes von 6.000,00 € noch nicht eingetreten waren. Dies gilt auch für den Vortrag der Klägerin, es sei nunmehr eine unfallbedingte Inkontinenz eingetreten.
Die Klägerin hat jedoch nicht nachweisen können, dass diese Beschwerden sowohl unfallbedingt als auch zum Zeitpunkt des Vergleichs vom 8.5.2007 noch nicht eingetreten bzw. nicht vorhersehbar waren.
Der Sachverständige Dr. med. R. hat zwar in seinem schriftlichen Gutachten festgestellt, dass bei der Klägerin eine anhaltende depressive Störung mittelgradiger Ausprägung, die in ihrem Schweregrad einer majoren Depression entspricht, besteht. Zudem habe sich im Laufe der Behandlung aufgrund einer Schlafstörung und wiederkehrender Ängste, eine Abhängigkeit von Benzodiazepinen und Z-Substanzen herausgebildet. Es bestehe zudem eine Panikstörung ohne Agoraphobie. Eine somatoforme Schmerzstörung könne dagegen nicht eindeutig nachvollzogen werden.
Der Sachverständige hat weiter festgestellt, dass aus psychiatrischer Sicht der Sturz als kausale Ursache für die Entstehung des depressiven Syndroms eine entscheidende Rolle gespielt habe, auch wenn andere Faktoren mit beigetragen haben könnten.
Zu einer fehlenden Erkennbarkeit des Eintritts der depressiven Symptomatik hat der Sachverständige allerdings keine Feststellungen getroffen.
Bei seiner mündlichen Anhörung hat der Sachverständige ausgeführt, dass aus einem Bericht der L. M. Klinik im Jahr 2010 hervorgehe, dass die Klägerin dort über eine depressive Verstimmung, schon lange anhaltend, berichtet habe. Die Klägerin habe zudem im Rahmen der von ihm erhobenen Anamnese zur Vorbereitung des Gutachtens angegeben, dass es ihr schon im Jahr 2005 psychisch nicht gut gegangen sei.
Aufgrund dieser Ausführungen ist das Berufungsgericht nicht davon überzeugt, dass der Eintritt einer depressiven Störung am 8.5.2007 noch nicht erkennbar war. Vielmehr spricht die Tatsache, dass die Klägerin selbst von psychischen Problemen bereits im Jahr 2005 berichtet hat, dafür, dass bereits zu diesem Zeitpunkt unfallkausal psychische Probleme aufgetreten sind, die den späteren Eintritt einer depressiven Episode vorhersehbar gemacht haben.
Der Sachverständige Dr. med. S. hat festgestellt, dass die bei der Klägerin vorliegende Inkontinenz nicht kausal durch den Sturz und die damit einhergehende Wirbelsäulenverletzung verursacht worden ist. Die Verschlechterung der Inkontinenz könne zwar unter gewissen Umständen als Folge der sich verschlechternden psychischen Situation der Klägerin gesehen werden. Die Inkontinenz könne sich auf dem Boden der psychischen Beeinträchtigung entwickelt haben im Sinne einer psychosomatischen Reaktion. Jedoch habe die Klägerin angegeben, dass sie bereits unmittelbar nach dem Sturz noch unter der Leiter liegend, Urin verloren habe, also einen unwillkürlichen Urinverlust gehabt habe. Dieser Urinverlust habe nach dem Unfallereignis angehalten.
Daher wäre eine Inkontinenz, selbst wenn sie unfallkausal infolge der psychischen Situation der Klägerin entstanden wäre, bereits zum 8.5.2007 vorhersehbar gewesen, da die Beklagte nach ihren eigenen Angaben während der Anamnese bereits zu diesem Zeitpunkt unter unwillkürlichem Urinverlust gelitten hatte.
Der psychiatrische Sachverständige R2. hat zudem auch festgestellt, dass er einen kausalen Zusammenhang zwischen Depression und Inkontinenz nicht herstellen könne.
Die Klägerin hat daher keinen Anspruch auf weiteres Schmerzensgeld, da alle von ihr nunmehr vorgetragenen Beschwerden und Beeinträchtigungen im Zeitpunkt des Zuspruchs des Schmerzensgeldes in Höhe von 6.000,00 €, soweit sie unfallkausal sind, entweder bereits vorlagen oder voraussehbar waren.
2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Ersatz des geltend gemachten materiellen Schadens. Zutreffend hat das Amtsgericht festgestellt, dass die Klägerin den geltend gemachten Schaden nicht unter Beweis gestellt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 ZPO).


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