Sozialrecht

Kein Anspruch auf Kostenübernahme für selbstbeschafften Betreuungsplatz in Tageseinrichtung

Aktenzeichen  M 18 K 17.324

Datum:
4.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 23831
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 43, § 92 Abs. 3
BayGO Art. 21 Abs. 1
SGB VIII § 24 Abs. 2, § 36a Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

1. Für die Geltendmachung des Rechtsanspruchs aus § 24 Abs. 2 SGB VIII genügt die konkrete Anmeldung bei einer Tageseinrichtung nicht. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe hat im Falle der zulässigen Selbstbeschaffung eines kostenpflichtigen Betreuungsplatzes in analoger Anwendung von § 36a SGB VIII nur die Aufwendungen zu übernehmen, die das nach § 24 Abs. 2 SGB VIII anspruchsberechtigte Kind bei rechtzeitigem und ordnungsgemäßem Nachweis eines Betreuungsplatzes nicht hätte tragen müssen, mithin die gerade durch die Selbstbeschaffung entstandenen Mehrkosten. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Parteien das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Soweit die Parteien das Verfahren bezüglich des Klageantrages Nr. 4 in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt, § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO analog.
Im Übrigen ist die Klage größtenteils unzulässig, mindestens unbegründet.
Der Klageantrag Nr. 1, mit dem die Aufhebung des ablehnenden Bescheides der Beklagten vom 28. Dezember 2016 begehrt wird, ist unzulässig.
Zu Gunsten der Kläger geht das Gericht gemäß § 88 VwGO insoweit davon aus, dass dieser Antrag lediglich von den Klägern zu 1) und 2) als Adressat des streitgegenständlichen Bescheids gestellt wird. Die Anfechtungsklage ist jedoch unstatthaft. Statthafte Klageart wäre eine Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alternative 2 VwGO gewesen, da die Kläger zu 1) und 2) geltend machen wollen, dass ihnen entgegen des ablehnenden Bescheides vom 28. Dezember 2016 ein Anspruch aus § 90 Abs. 3 SGB VIII in Verbindung mit den §§ 82 ff. SGB XII zusteht. Eine Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides ohne eine Verpflichtung der Beklagten würde nicht dazu führen, dass sich die Rechtsposition der Kläger zu 1) und 2) verbessert. Trotz Hinweises des Gerichts in der mündlichen Verhandlung hielt der Klägerbevollmächtigte den Klageantrag jedoch in dieser Weise aufrecht.
Nur hilfsweise weist das Gericht darauf hin, dass an der dem Bescheid zu Grunde liegenden Berechnung und der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides keine Zweifel bestehen. Selbst bei Einbeziehung der neuen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 26.10.2017, 5 C 19/16, juris – Leitsatz 3, Rn. 47) ergibt sich kein Anspruch der Kläger zu 1) und 2) auf (Teil)Übernahme des Teilnahmebeitrages wegen der Überschreitung der maßgeblichen Einkommensgrenze durch das Familieneinkommen mit fast … € monatlich.
Auch der Klageantrag Nr. 2 auf Feststellung einer Kostenerstattungspflicht ist unzulässig. Insoweit geht das Gericht gem. § 88 VwGO davon aus, dass der Antrag lediglich von der Klägerin zu 3) gestellt wurde.
Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann eine Feststellung nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltung oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Diese sogenannte Subsidiarität der Feststellungsklage führt vorliegend zur Unzulässigkeit dieses Klageantrages. Statthafte Klageart für die Geltendmachung des Sekundäranspruchs nach § 36a Abs. 3 SGB VIII analog wäre eine Verpflichtungsklage, die eine Unterart der Gestaltungsklage ist, da die Erstattung von Kosten für die selbstbeschaffte Leistung nach § 36a SGB VIII einen Verwaltungsakt darstellt (vgl. Stähr in Hauck/Noftz, SGB, Stand 12/14, § 36a Rn. 54; Pietzcker in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 42 Rn. 33 m.w.N.; BSG, U.v. 9.2.1989 – 3 RK 19/87 -, juris Rn. 20). Eine Verpflichtungsklage wurde im Übrigen auch mit dem Klageantrag Nr. 3 erhoben, so dass darüber hinaus eine unzulässige doppelte Geltendmachung erfolgte.
Der Klageantrag Nr. 3 ist zulässig, jedoch unbegründet.
Insoweit geht das Gericht gem. § 86 VwGO zugunsten der Kläger davon aus, dass der Antrag lediglich von der Klägerin zu 3) gestellt wird. Die Klage ist unbegründet, da der Klägerin zu 3) kein Anspruch auf Übernahme der Aufwendungen für die selbstbeschafften Betreuungsplätze in den Tageseinrichtungen W. und T. zusteht, § 113 Abs. 5 VwGO.
Weder hat die Klägerin bzw. ihre gesetzlichen Vertreter die Beklagte in hinreichendem Umfang über den Bedarf vor der Selbstbeschaffung in Kenntnis gesetzt, noch sind erstattungsfähige (Mehr-)Aufwendungen durch die Selbstbeschaffung entstanden.
Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII für den Fall, dass Hilfen abweichend von § 36a Absätzen 1 und 2 SGB VIII vom Leistungsberechtigten selbst beschafft werden, zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen nur verpflichtet, wenn
1.der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat,
2.die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und
3.die Deckung des Bedarfs a) bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder b) bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat.
Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts findet § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII für jugendhilferechtliche Leistungen, welche die frühkindliche Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege im Sinne des § 24 Abs. 2 SGB VIII betreffen, entsprechend Anwendung (BVerwG, U.v. 26.10.2017 – 5 C 19/16; U.v. 12.9.2013 – 5 C 35/12 – jeweils juris).
Die Klägerin zu 3) hatte gegenüber der Beklagten aus § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII einen Anspruch auf Nachweis eines bedarfsgerechten Betreuungsplatzes ab Vollendung des ersten Lebensjahres und damit ab dem 19. Mai 2016, hingegen noch nicht für den in der Klage ebenfalls zu Grunde gelegten Zeitraum vom 1. April 2016 bis zum 18. Mai 2016.
Allerdings hat sie bzw. haben ihre Eltern diesen Anspruch gegenüber der Beklagten nicht in ausreichendem Umfang geltend gemacht. Die ausschließlich erfolgte konkrete Anmeldung bei städtischen Tageseinrichtungen allein genügt hierfür nicht (vgl. bereits VG München, B.v. 8.1.2014 – M 18 E 13.4877 – juris Rn. 12). Vielmehr muss der Wille, nicht nur den einrichtungsbezogenen Anspruch aus Art. 21 Abs. 1 BayGO, sondern den Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII geltend zu machen, hinreichend deutlich hervortreten. Denn nur in diesen Fällen kann (und muss) die Gemeinde bzw. der örtlich zuständige Jugendhilfeträger erkennen, dass sich der Bedarf des Anspruchsberechtigten nicht lediglich auf die konkret angefragten Einrichtungen beschränkt und im Hinblick auf den durch § 24 Abs. 2 SGB VIII gewährten Rechtsanspruch bislang unerfüllt geblieben ist (vgl. BayVGH, U.v. 22.7.2016 – 12 BV 15.719 – juris Rn. 25). Hingegen ist für die Geltendmachung nicht erforderlich, dass die innerorganisatorische Zuständigkeitsverteilung beachtet wird, vielmehr sind entsprechende Anträge ggf. weiterzuleiten, § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB I (vgl. BayVGH, B.v. 17.11.2015 – 12 ZB 15.1191 – juris Rn. 18f). Ebenso wenig bedarf es für die Geltendmachung und damit den Beginn des Fristlaufs nach Art. 45a AGSG weiterer konkretisierender Angaben, so dass auch nicht auf den Rücklauf des von der Beklagten bereitgestellten Formulars abgestellt werden kann (vgl. BayVGH, U.v. 22.7.2016 – 12 BV 15.719 – juris Rn. 26).
Dementsprechend wurde die Beklagte durch die alleinige Anmeldung bei den städtischen Einrichtungen über den Kita-Finder am 27. Januar 2016 nicht über den allgemeinen baldigen Bedarf der Klägerin in Kenntnis gesetzt. Auch in den Schreiben der Eltern des Klägers vom 20. Juli und 6. Oktober 2016 ist keine Inkenntnissetzung zu sehen, denn mit diesen Schreiben wurde ausschließlich ein „Zuschuss zu den Krippenkosten“ geltend gemacht, ein Hinweis auf einen weiterhin bestehenden Bedarf und einen Wechselwillen in eine andere Einrichtung findet sich darin nicht.
Die Selbstbeschaffung des Platzes bei der privaten Einrichtung am 20. Juli 2015 zum 1. April 2016 erfolgte somit ohne vorherige Inkenntnissetzung und – zumindest für einen Teil des streitgegenständlichen Zeitraums – auch ohne nachträgliche Bedarfsmeldung. „Der Rechtsanspruch aus § 24 Abs. 2 SGB VIII wurde daher … schon gar nicht erst effektuiert und das staatliche System der Jugendhilfe überhaupt nicht aktiviert, weder primär noch im Wege des Aufwendungsersatzes sekundär. Das Jugendamt kann in einem solchen Fall auch später nicht als reine „Zahlstelle“ in Anspruch genommen bzw. „missbraucht“ werden“ (BayVGH, U.v. 22.7.2016 – 12 BV 15.719 – juris Rn. 63 m.w.N.).
Erst mit Klageerhebung vom 24. Januar 2017, der Beklagten am 30. Januar 2017 zugegangen, wurde in Antrag Nr. 4. hilfsweise geltend gemacht, dass ein anderer Betreuungsplatz begehrt werde.
Nach § 24 Abs. 6 SGB VIII i.V.m. Art. 45a AGSG wird der Beklagten eine Frist von drei Monaten ab Inkenntnissetzung über einen Bedarf nach § 24 Abs. 2 SGB VIII eingeräumt, bis zu deren Ablauf ein Nachweis erfolgen soll. Somit ist der Primäranspruch und damit auch der Sekundäranspruch auf Kostenerstattung frühestens ab dem 30. April 2017 fällig (BVerwG, U.v. 26.10.2017, Az. 5 C 19/16 – juris Rn. 52).
Unabhängig von der fehlenden Bedarfsmeldung sind der Klägerin zu 3) auch keine erstattungsfähigen Mehrkosten entstanden, so dass dahinstehen kann, ob durch die Ablehnung des im Kita-Finder zugesagten Platzes oder den Nachweis des Platzes in der Einrichtung H. der Anspruch der Klägerin zu 3) aus § 24 Abs. 2 SGB VIII erfüllt wurde. Denn der Träger der öffentlichen Jugendhilfe hat im Fall der zulässigen Selbstbeschaffung eines kostenpflichtigen Betreuungsplatzes in analoger Anwendung von § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII nur die Aufwendungen zu übernehmen, die das nach § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII anspruchsberechtigte Kind bei rechtzeitigem und ordnungsgemäßem Nachweis eines Betreuungsplatzes nicht hätte tragen müssen (BVerwG, U.v. 26.10.2017 – 5 C 19/16 – Leitsatz 4 – juris Rn. 69 ff.). Sofern folglich – wie vorliegend – kein Recht auf die kostenfreie Inanspruchnahme eines Betreuungsplatzes besteht, beschränkt sich der Sekundäranspruch auf die Mehrkosten, die gerade durch die Selbstbeschaffung entstanden sind. Nicht beansprucht werden können die Aufwendungen, die ohnehin zu tragen gewesen wären. Zu Letzteren gehören die hier streitigen Aufwendungen. Denn die Beklagte hätte den Platz bei der selbstgesuchten Einrichtung auch anspruchserfüllend nachweisen können (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 75). Aus § 24 Abs. 2 SGB VIII ergibt sich weder ein Anspruch auf Nachweis eines Betreuungsplatzes in einer Einrichtung eines öffentlich-rechtlichen Trägers, noch ist die Höhe des dort zu entrichtenden Teilnahmebeitrags beschränkt (vgl. ausführlich hierzu BVerwG, a.a.O.). Die von den Eltern die Klägerin gewählten Einrichtungen erhalten sowohl staatliche wie auch kommunale Förderung und hätte daher anspruchserfüllend vermittelt werden können. Mehrkosten sind demnach nicht entstanden.
Bezüglich des Argument des Bevollmächtigten, dass alle Anspruchsberechtigten gleich behandelt werden sollten, ist anzumerken, dass die vom Bevollmächtigten zitierte Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 22. Juli 2016 (Az. 12 BV 15.719) durch die Bundesverwaltungsgerichtsentscheidung vom 26. Oktober 2017 aufgehoben wurde und sich das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich diese Argumentation des Verwaltungsgerichtshofes zu § 36a Abs. 3 SGB VIII nicht zu eigen machte (BVerwG, a.a.O., Rn. 48). Eine Annäherung an eine Gleichbehandlung sollte vielmehr ausschließlich über die Regelungen des § 90 Abs. 3 SGB VIII erfolgen.
Der Klägerin zu 3) steht kein Anspruch auf Kostenerstattung nach § 36a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII zu. Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Teils der Klage auf § 161 Abs. 2 S.1 VwGO. Billigem Ermessen entspricht es, den Klägern auch insoweit die Kosten ganz aufzuerlegen, da der lediglich hilfsweise gestellte Klageantrag zeigt, dass die Kläger tatsächlich zu keinem Zeitpunkt ab Klageerhebung ein Interesse an einem Platznachweis durch die Beklagte hatten, so dass dem Antrag von Anfang an das Rechtsschutzinteresse fehlte.
Im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2, 1. Halbsatz VwGO gerichtskostenfrei.


Ähnliche Artikel

BAföG – das Bundesausbildungsförderungsgesetz einfach erklärt

Das Bundesausbildungsförderungsgesetz, kurz BAföG, sorgt seit über 50 Jahren für finanzielle Entlastung bei Studium und Ausbildung. Der folgende Artikel erläutert, wer Anspruch auf diese wichtige Förderung hat, wovon ihre Höhe abhängt und welche Besonderheiten es bei Studium und Ausbildung gibt.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben