Sozialrecht

Keine Feststellung eines Sperr- und Ruhezeitraums von Bewilligung

Aktenzeichen  S 10 AL 151/17

Datum:
14.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 141136
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB III § 159, § 309
SGB X § 31
SGG § 51, § 57, § 78, § 193 Abs. 2
GG Art. 20 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Der Eintritt einer Sperrzeit nach § 159 SGB III, deren zeitliche Lage, das daraus eventuell folgende Ruhen eines in diesem Zeitraum bestehenden Arbeitslosengeldanspruchs sowie die genaue Anzahl der Tage, um die die Gesamtanspruchsdauer des Arbeitslosengeldes gemindert wird, sind im Verfügungssatz eines deklaratorischen Feststellungsbescheides unmissverständlich und kumulativ zu benennen. Im Verfügungssatz eines Bewilligungsbescheides für einen bestimmten Zeitraum den täglichen Leistungsbetrag mit 0,00 € zu beziffern, steht dem nicht gleich; ein bloßer Bewilligungsbescheid ist nur Ausführungsbescheid einer Sperrzeit-Entscheidung und ersetzt einen Feststellungsbescheid nicht. (Rn. 16 – 18)
2. Wird kraft Gesetzes oder durch Verwaltungsentscheidung in die Rechtsstellung eines Bürgers eingegriffen, ist dies im Verfügungssatz eines Verwaltungsakts auszusprechen und in der Begründung dieses Verwaltungsakts zu erläutern (§ 31 SGB X) (Rn. 17)

Tenor

I. Der Bewilligungsbescheid vom 03.08.2017, soweit er den Zeitraum vom 08.06.2017 bis 14.06.2017 betrifft, und der Widerspruchsbescheid vom 10.10.2017 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in vollem Umfang.

Gründe

Das Sozialgericht Bayreuth ist zur Entscheidung dieses Rechtsstreits sachlich und auch örtlich gem. §§ 51, 57 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zuständig. Die form- und fristgerecht sowie nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens erhobene Klage ist allein aufgrund formaler Fehler im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren begründet. Eine materiell-rechtliche Prüfung der Sperrzeit erfolgt durch das Gericht daher nicht mehr.
I.
Gegenstand eines Widerspruchsverfahrens und damit eines Widerspruchsbescheides ist nach § 78 SGG ein Verwaltungsakt. Vorliegend gibt die Beklagte im Vorblatt ihres Widerspruchsbescheides an, sie halte den „Eintritt einer Sperrzeit vom 08. Juni 2017 bis 14. Juni 2017“ für rechtmäßig.
Einen solchen Bescheid über den Eintritt einer Sperrzeit gibt es jedoch nicht, schon gar nicht unter dem von der Widerspruchsstelle genannten Datum 3.8.2017. Unter diesem Datum gibt es nur einen Bewilligungsbescheid, mit dem für die betroffene Woche der tägliche Zahlbetrag des Arbeitslosengeldes mit Null bestimmt und sowohl für vorangehende Zeiten wie auch wie nachfolgende Zeiten Arbeitslosengeld in jeweils genau bezifferter Höhe bewilligt wird.
Eine nicht existente Einzelfallregelung iS des § 31 SGB X (hier Feststellung des Eintritts einer „Sperrzeit“ durch Feststellungsbescheid) kann nicht wirksam mit einem Rechtsbehelf angefochten und ihre Existenz und Rechtmäßigkeit auch nicht durch einen Widerspruchsbescheid bestätigt werden. Der Widerspruchsbescheid vom 10.10.2017 ist daher mangels eines Ausgangsbescheides in Form eines Sperrzeitbescheides nichtig und sein Rechtsschein zu beseitigen.
II.
Der „Bewilligungsbescheid“ vom 3.8.2017 selbst ist, auch soweit er für die Zeit vom 8.6.2017 bis 14.6.2017 den täglichen Leistungsbetrag, also die tägliche Zahlung, mit Null bestimmt, kein Sperrzeitbescheid iS des § 159 SGB III mit der Folge des Ruhens des Arbeitslosengeldanspruchs und der Anspruchsminderung.
Ausgehend vom Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) dient ein Verwaltungsakt iS des § 31 SGB X dazu, die abstrakt generellen gesetzlichen Regelungen auf den Einzelfall umzusetzen. Der Verfügungssatz ist der Inbegriff der Regelung des Verwaltungsaktes, der deshalb klarer und eindeutiger Ausführungen bedarf, dass, warum, in welchem Zeitraum mit welchen Rechtsfolgen welche genaue hoheitliche Regelung im vorliegenden konkreten Einzelfall getroffen wird, also etwa ein Ruhen des Anspruchs eingetreten ist oder ein begünstigender Verwaltungsakt aufgehoben wird. Das BSG hat ausgeführt, dass die „Typus prägenden Merkmale“ unzweifelhaft erkennbar sein müssen. Zwar ist danach ein die Verfügung eines Ruhens ausführender Bewilligungs-/Zahlungsbescheid zusammen mit dem Ruhensbescheid selbst als rechtliche Einheit im Sinne eines Verwaltungsakts anzusehen, denn der ausführende Zahlungsbescheid trifft für den Ruhenszeitraum keine eigene hoheitliche Regelung im Einzelfall. Und es bildet nach ständiger Rechtsprechung des BSG deshalb ein Bewilligungsbescheid, soweit er den Ruhens-Bescheid hinsichtlich des Arbeitslosengeld-Anspruchs ausführt, eine rechtliche Einheit mit dem Ruhens-Bescheid (vgl BSGE 84, 225, 227 = SozR 3-​4100 § 119 Nr. 17 S. 78; BSGE 84, 270, 271 = SozR 3-​4100 § 119 Nr. 19 S. 93; BSGE 96, 22 ff = SozR 4-​4300 § 144 Nr. 12, jeweils RdNr. 10), sodass der Bewilligungs-Bescheid mangels Einzelfallregelung diesbezüglich nicht gesondert anzufechten ist. Das ändert aber nichts an der Notwendigkeit von klaren und eindeutigen Ausführungen im Verfügungssatz eines Feststellungs-Verwaltungsakts, dass, wann und wie lange mit welchen genauen Rechtsfolgen eine Sperrzeit und als eine ihrer Folgen das Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs eingetreten und auch die Anspruchsdauer gemindert ist.
Eine bloße Erläuterung für den Grund der Zahlungsverweigerung bzw der Feststellung eines Zahlungsanspruchs in Höhe eines täglichen Leistungsbetrags von 0,00 € in einem Bewilligungs-Bescheid (“„Gfs. Begründung falls keine Leistung zusteht“) stellt keinen Ruhens-Bescheid und auch keinen Verfügungssatz über den Eintritt eines Ruhens infolge einer Sperrzeit und die Minderung der Anspruchsdauer dar. Durch den ausdrücklich als solchen bezeichneten „Bewilligungsbescheid zur Kundennummer XY“ vom 3.8.2017 hat die Beklagte im Verfügungssatz nicht über den Eintritt eines Ruhens und die Anspruchsminderung entschieden, sondern einen Zahlungsbetrag von Arbeitslosengeld im Zeitraum vom 8.6.2017 bis 14.6.2017 in Höhe von 0,00 € täglich angegeben mit der „Begründung“ „Sperrzeit …“ – unabhängig davon, dass es nicht die Sperrzeit ist, die zu einem Zahlungsbetrag Null führen kann, sondern nur eine ihrer Rechtsfolgen, deren Eintritt und genaue Lage aber neben der Feststellung der Sperrzeit als solcher ebenfalls ausdrücklich verfügt werden muss.
Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung und herrschender Meinung in der Literatur ist bei einem Bescheid, der Geldleistungen betrifft, Gegenstand der Verfügung iS des § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) nur die Art, Dauer (Beginn und Ende) und die Höhe einer Leistung (vgl BSGE 72, 206, 207 = SozR 3-4100 § 103a Nr. 1; BSG SozR 3-4100 § 136 Nr. 3 S. 6; SozR 3-4100 § 119 Nr. 15; SozR 4100 § 112 Nr. 23; siehe auch Eicher in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 40 RdNr. 9 mwN). Die Feststellungen zu Eintritt, Lage und konkreten Rechtsfolgen einer Sperrzeit werden durch einen solchen Verwaltungsakt nicht verbindlich festgeschrieben (vgl etwa BSG, Urteil vom 1.6.2006 – B 7a AL 6/05 R -, SozR 4-4300 § 158 Nr. 3, SozR 4-4300 § 77 Nr. 4, Rn. 17; Meyer-Ladewig ua, SGG, 12. Aufl., § 77, Rdnr. 5b mwNw, Rdnr. 5d mwNw). Der Verfügungssatz ist der Inbegriff der Regelung des Verwaltungsaktes, er soll dem Adressaten genau sagen, was die Behörde von ihm will oder was für ein Recht ihm eingeräumt wird, er enthält auch die Angabe der Rechtsnormen, die der Verwaltungsaktsentscheidung zugrunde liegen und hat damit zugunsten des Adressaten eine Klarstellungsfunktion.
Die dem Gericht in mündlichen Verhandlungen verschiedenlich kommunzierte und mit dem Hinweis auf den Empfängerhorizont verbrämte Auffassung der Beklagten „Die Leute wissen, dass sie nichts kriegen, das reicht doch“ lässt ein sehr eigenes Verständnis von Rechtsstaatlichkeit erkennen.
Dass manche Bescheidempfänger sich schon denken können, was mit dem Zahlungsbetrag Null gemeint sein könnte, auch wenn sie den entsprechenden Sperrzeit-Verwaltungsakt nicht „schwarz auf weiß“ in Händen halten, entbindet die Verwaltung nicht von einem korrekten Verwaltungshandeln auch in formeller Hinsicht.
Insbesondere angesichts der für den Leistungsberechtigten weitreichenden nachteiligen Rechtsfolgen der Feststellung des Eintritts einer Sperrzeit ist die Verwaltung zwingend gehalten, entsprechend deutlich nach den eindeutigen Vorgaben der gesetzlichen Normen ihre Bescheide abzufassen. Allein die Verwaltung hat es in der Hand, ihre Regelungsabsicht von vornherein mit der nötigen und gebotenen Klarheit auszudrücken (s. dazu auch BSG Urt v 28.6.1990, Az.: 4 RA 57/89, Rdnr. 35). Vollziehende Gewalt ist Gesetzesvollzug. Ausgehend vom Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung des Art. 20 Abs. 3 GG dient ein Verwaltungsakt dazu, die abstrakt generellen gesetzlichen Regelungen auf den Einzelfall umzusetzen. Im Ergebnis geht daher jedwede Unklarheit zu Lasten der Behörde (vgl LSG Erfurt, Urt v 25.11.2015, Az.: L 4 AS 1010/13). Vorliegend hat die Beklagte mit Bewilligungsbescheid vom 3.8.2017 nur eine Entscheidung über die Höhe von Arbeitslosengeld auch im Zeitraum vom 8.6.2017 bis 14.6.2017 getroffen, aber nicht eine Entscheidung über die Sperrzeit und nicht eine Entscheidung über deren Rechtsfolgen in Form des Ruhens des Arbeitslosengeldanspruchs sowie Tatsache und Umfang der Anspruchsminderung. Ein Zahlungsbewilligungsbescheid regelt nicht einzelne Elemente eines Anspruchs (Meyer-Ladewig, aaO, § 77, Rdnr. 5d).
Mangels eines entsprechenden Verfügungssatzes hat die Beklagte nach alledem zu keinem Zeitpunkt den Eintritt des Ruhens infolge einer Sperrzeit, Lage und Dauer des Sperrzeit- bzw Ruhenszeitraums wie auch der weiteren Rechtsfolge in Form einer Anspruchsminderung festgestellt. Eine Sperrzeit- bzw Ruhens-Verfügung existieren somit auch nicht in Form eines Bewilligungsbescheides über eine tägliche Leistung mit dem Wert Null. Vielmehr fehlt es für die Festsetzung einer Zahlung mit dem Wert Null Euro in jedem Fall an der „Grundlagenentscheidung“ in Form eines Sperrzeit- bzw Ruhensbescheides. Dies wird von der Kammer seit langem und bereits in einer großen Anzahl von Verfahren so judiziert und ist der Beklagten bekannt.
In diesem Zusammenhang ist auch auf die in § 77 SGG geregelte Bindungswirkung von Verwaltungsakten zu verweisen, die sich nur auf den Verfügungssatz, nicht aber auf die Begründung des Verwaltungsakts bezieht (vgl BSG Urt v 23.11.2005, Az.: B 12 RA 15/04 R, Rdrn. 14). Deshalb hat ein Bescheid Bestand, wenn sein Verfügungssatz richtig, aber seine Begründung falsch ist.. Mit dieser Bindungswirkung nur des Verfügungssatzes korreliert, dass die bloße Bescheidbegründung als solche nicht rechtsbehelfsfähig ist, dies ist nur der „Tenor“ des Verwaltungsakts, in dem die Einzelfallregelung getroffen wird. Soweit sich also lediglich in der Begründung des Zahlungsbescheids Äußerungen dazu finden, dass und weshalb eine Sperrzeit vorliege, ist dies vom Bescheidadressaten nicht anfechtbar. Der einzelne Leistungsempfänger kann sich also in letzter Konsequenz nicht gegen das behauptete Vorliegen einer Sperrzeit oder eines Ruhens mit Mitteln des Rechtsstaats wehren, sondern muss hinnehmen, dass der tägliche Zahlbetrag in einem bestimmten Zeitraum eben Null ist.
III.
Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass mit Bewilligungsbescheid vom 3.8.2017 keine Regelung iS des § 31 SGB X über den Eintritt einer einwöchigen Sperrzeit und deren Rechtsfolgen im konkreten Einzelfall getroffen wurde. Dies hat zur Folge, dass der eine Sperrzeit angreifende „Widerspruch“ der Klägerin vom 24.8.2017 sich gegen eine nicht existente Regelung wendet und nicht statthaft ist. Wendet sich ein Antragsteller schriftlich gegen eine Mitteilung der Behörde, die kein Verwaltungsakt ist, liegt ein statthafter Widerspruch auch dann nicht vor, wenn die Behörde selbst das Schreiben als „Widerspruch“ ansieht (vgl. BSG Urt v 18.1.2011, Az. B 2 U 15/10 R), denn der Verwaltungsakt muss bereits vor Einlegung des Widerspruchs ergangen sein. Der „Widerspruch“ der Klägerin vom 24.8.2017 gegen den Bescheid vom 3.8.2017 hätte deshalb durch Widerspruchsbescheid als unzulässig verworfen werden müssen.
Der zum vorliegend anhängigen Klageverfahren führende Widerspruchsbescheid ist daher in jeder Hinsicht rechtswidrig und hat keinen Bestand.
V.
Angesichts der massiven Verletzung von Verfahrensvorschriften konnten weder der Bewilligungsbescheid vom 3.8.2017 (hinsichtlich des dort genannten zweiten Zeitraums) noch der Widerspruchsbescheid vom 10.10.2017 Bestand haben und waren zu kassieren. Ob in der Sache tatsächlich auch ein Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs nach Eintritt einer Sperrzeit mit welchen weiteren rechtlichen Konsequenzen eingetreten wäre, hat das Gericht nicht zu prüfen, weil es keinen Sperrzeitbescheid gibt, der Gegenstand des Verfahrens wäre.
Die Kostengrundentscheidung, wonach die Beklagte die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin iS des § 193 Abs. 2 SGG zu tragen hat, ergibt sich aus dem Ausgang des vorliegenden Verfahrens, in dem die Klägerin obsiegt hat.
Die Berufung war nicht zuzulassen. Der Beklagten sind die langjährigen und zahlreichen Entscheidungen der Kammer zu dieser Rechtsfrage und deren Rechtsauffassung bekannt; auch in berufungsfähigen Verfahren und in den Fällen der Berufungszulassung von Amts wegen hat die Beklagte bisher (mit Ausnahme eines einzigen Verfahrens) keine Berufungen eingelegt. …


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