Sozialrecht

Kranken- und Pflegeversicherung – wirksame Beitragsfestsetzung – freiwilliges Mitglied – selbstständige Tätigkeit – Beitragsbescheid – Erfordernis eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung

Aktenzeichen  L 6 KR 993/20

Datum:
26.8.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Landessozialgericht 6. Senat
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:LSGTH:2021:0826.L6KR993.20.00
Normen:
§ 44 Abs 1 S 1 Alt 1 SGB 10
§ 223 Abs 2 SGB 5
§ 240 SGB 5
§ 57 Abs 4 SGB 11
§ 7 SzBeitrVfGrs
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

1. Die Festsetzung von Beiträgen in der Kranken- und Pflegeversicherung durch die Krankenkasse erfordert die Angabe der monatlichen Beiträge, getrennt nach der Versicherungsart, und des Zeitpunkts, ab dem die Beiträge erhoben werden, in einem Bescheid. (Rn.27)


2. Die Feststellung in einem einen anderen Gegenstand regelnden Bescheid, für einen bestimmten Zeitraum seien Beiträge in einer zu einem Betrag addierten Höhe „berechnet worden“ und dieser Betrag sei bei der nächsten Zahlung mit zu berücksichtigen, stellt keine wirksame Beitragsfestsetzung dar. (Rn.27)

Verfahrensgang

vorgehend SG Altenburg, 18. Juni 2020, S 23 KR 142/19, Urteil

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 18. Juni 2020 aufgehoben. Unter Aufhebung des Bescheides vom 18. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2018 werden die Beklagten verpflichtet, den Bescheid vom 18. September 2015 insoweit aufzuheben, als Beiträge für die Zeit vom 1. November 2014 bis 12. Juli 2015 in Höhe von 1.885,55 € gefordert werden.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) die Forderung von Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und zur sozialen Pflegeversicherung (sPV) in Höhe von 1.885,55 € für den Zeitraum vom 1. November 2014 bis 12. Juli 2015 streitig.
Der 1954 geborene Kläger beantragte im Januar 2015 die freiwillige Mitgliedschaft bei der Beklagten zu 1. aufgrund der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Ausbilder ab dem 1. November 2014. Er gab an, vom 16. Juli 2013 bis zum 30. Oktober 2014 als Pflichtmitglied versichert gewesen zu sein.
Mit Bescheid vom 3. Februar 2015 teilte ihm die Beklagte zu 1. auch im Namen der Beklagten zu 2. mit, seine Mitgliedschaft ohne Krankengeldanspruch beginne am 1. November 2014. Sie setzte auch im Namen der Beklagten zu 2., seine monatlichen Beiträge zur GKV auf 304,06 €, zur sPV auf 49,97 € (insgesamt: 354,03 € = jeweils Mindestbeiträge) fest. Für den Zeitraum vom 1. November 2014 bis 31. Januar 2015 seien Beiträge in Höhe von 1.057,03 € berechnet worden. Dieser Betrag sei bei der nächsten Zahlung mit zu berücksichtigen. Sobald ein neuer Einkommensteuerbescheid ergehe bzw. Änderungen in den Verhältnissen aufträten, seien die Beiträge gegebenenfalls neu zu berechnen. Liege noch kein Einkommensteuerbescheid vor, ergehe dieser Bescheid unter dem Vorbehalt, dass die beitragspflichtigen Einnahmen ab 1. November 2014 monatlich nicht über der derzeitigen Bemessungsgrundlage für die Beiträge lägen. Sollten die monatlichen Einnahmen laut Einkommensteuerbescheid für das jeweilige Versicherungsjahr von der derzeitigen Bemessungsgrundlage abweichen, sei sie verpflichtet, eine entsprechende Beitragsanpassung unter Beachtung der Bemessungsgrenze – gegebenenfalls auch rückwirkend – vorzunehmen. Mit Wirkung zum 13. Juli 2015 gab der Kläger seine Tätigkeit als Ausbilder auf und war vom 13. Juli bis zum 6. September 2015 bei der Beklagten zu 1. als Arbeitsloser pflichtversichert und bei der Beklagten zu 2. pflegeversichert.
Laut Einkommensteuerbescheid vom 9. Juni 2015 erzielte der Kläger im Jahr 2014 aus selbständiger Tätigkeit Einkünfte in Höhe von 6.912,00 €, aus nichtselbständiger Arbeit – abzüglich der Freibeträge – Einkünfte in Höhe von 8.837,00 €.
Ab dem 7. September 2015 beantragte der Kläger erneut die freiwillige Mitgliedschaft bei der Beklagten zu 1. aufgrund einer selbständigen Tätigkeit als Ausbilder.
Mit Bescheid vom 18. September 2015 erklärte die Beklagte zu 1., seine Mitgliedschaft ohne Krankengeldanspruch beginne am 7. September 2015. Die Beiträge würden grundsätzlich aus den beitragspflichtigen Einnahmen unter Beachtung der vom Gesetzgeber verbindlich vorgegebenen Mindest- bzw. Höchstbeitragsbemessungsgrenze und der jeweilig geltenden Beitragssätze ermittelt. Dies könne er – auch für zurückliegende Zeiträume – der beiliegenden Aufstellung entnehmen. Monatlich seien zur GKV Beiträge in Höhe von 494,21 €, zur sPV in Höhe von 180,22 € (insgesamt: 575,43 €) zu entrichten. Für die Zeit vom 1. November 2014 bis 12. Juli 2015 seien Beiträge in Höhe von 1.885,55 € berechnet worden. Dieser Betrag sei bei der nächsten Zahlung mit zu berücksichtigen. Der Bescheid ergehe auch im Namen der Beklagten zu 2.
Mit Schreiben vom 24. September 2015 mahnte die Beklagte zu 1. für die Zeit vom 1. November 2014 bis 12. Juli 2015 rückständige Beiträge in Höhe von 1.885,55 € an und wies darauf hin, dass nicht gezahlte Beiträge, Säumniszuschläge und Mahngebühren kostenpflichtig eingezogen werden müssen. Es erfolgten weitere erfolglose Zahlungserinnerungen und Mahnungen. Im März 2016 erließ die Beklagte zu 1. eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung in Höhe von 2.376,18 € bezüglich des Kontos des Klägers bei der n AG. Diese teilte dem Kläger mit Schreiben vom 17. März 2016 mit, dass sie den gepfändeten Betrag in Höhe von 2.376,18 € auf einem Sonderkonto hinterlegt habe und diesen nach Ablauf der gesetzlichen Frist an die Beklagte zu 1. weiterleiten werde. Daraufhin erhob der Kläger im April 2016 Widerspruch gegen die Kontopfändung. Er erklärte sich mit der Bemessung der Beiträge für die Monate Januar bis Juli 2015 nicht einverstanden. Durch den Einkommensnachweis des Finanzamtes für das Jahr 2015 habe er nachgewiesen, dass er das der Beitragsbemessung zugrunde liegende Einkommen nicht erzielt habe. Daraufhin hätte ein Änderungsbescheid für die Zeit Januar bis Dezember 2015 ergehen müssen. Er sehe die Aufforderung zur Nachzahlung und die Pfändung als ungerechtfertigt an. Die Beklagte teilte ihm mit Schreiben vom 13. April 2016 mit, der Widerspruch habe keine zahlungsaufschiebende Wirkung, eine ordnungsgemäße Mahnung sei am 24. Februar 2016 erfolgt, damit lägen alle Vollstreckungsvoraussetzungen vor und die Kontenpfändung sei gerechtfertigt. Er werde gebeten, den Widerspruch gegen die Pfändung zurückzunehmen. Im August 2016 überreichte der Kläger den Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 15. August 2016, wonach er Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 31.249,00 € erzielt hat.
Im Februar 2018 mahnte der Kläger die Entscheidung über seinen Widerspruch an. Im April 2018 beantragte er die Überprüfung des Beitragsbescheides vom 18. September 2015 für den Zeitraum vom 1. November 2014 bis 12. Juli 2015 nach § 44 SGB X. Die Beklagte habe ihm mit diesem Bescheid mitgeteilt, dass aufgrund des aktuellen Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2014 die Beiträge neu zu berechnen seien. Bis dahin sei die Beklagte (zu 1.) von beitragspflichtigen monatlichen Einnahmen in Höhe von 1.166,67 € ausgegangen, nunmehr berücksichtige sie beitragspflichtige Einnahmen in Höhe von monatlich 3.456,00 €. Dementsprechend habe sie die Beiträge zur GKV und sPV erhöht und von ihm eine Zahlung in Höhe von 1.885,55 € verlangt. Aufgrund des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2014 ergäben sich Gesamteinkünfte in Höhe von 15.749,00 €, dies entspreche monatlichen Einnahmen in Höhe von 1.312,42 € und nicht 3.456,00 €. Mit Bescheid vom 18. April 2018 lehnte die Beklagte zu 1. eine Änderung des Beitragsbescheides vom 18. September 2015 ab. Er habe die freiberufliche Tätigkeit am 1. November 2014 begonnen. Demnach hätten die Einkünfte aus der freiberuflichen Tätigkeit laut Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2014 auf zwei Monate gerechnet werden müssen. Das Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit fließe in die Berechnung der freiwilligen Beiträge nicht ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2018 wiesen die Beklagten die Widersprüche des Klägers zurück. Bezüglich der hier streitigen Beiträge vom 1. November 2014 bis 12. Juli 2015 führten sie aus, die Beiträge zur GKV seien nach § 223 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) nach den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder bemessen. Dabei sei nach § 240 Abs. 1 SGB V sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds berücksichtige. Für freiwillige Mitglieder, die hauptberuflich selbständig erwerbstätig seien, gelte nach § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V als beitragspflichtige Einnahme für den Kalendertag der 30. Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze; bei Nachweis niedrigerer Einnahmen gelte mindestens der 40. Teil der monatlichen Bezugsgröße. Darüber hinaus sei nach § 7 der Einheitlichen Grundsätze zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung und weiterer Mitgliedergruppen sowie zur Zahlung und Fälligkeit der von Mitgliedern selbst zu entrichtenden Beiträge (Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler – BVSzGs) festgelegt, dass auf Antrag auch noch niedrigere Einnahmen der Beitragsbemessung zugrunde gelegt werden können, mindestens jedoch der 60. Teil der monatlichen Bezugsgröße. Bei hauptberuflich selbständig Erwerbstätigen, die eine selbständige Tätigkeit neu aufnähmen, würden die Beiträge bis zur Vorlage des ersten Einkommensteuerbescheides vorläufig nach den voraussichtlichen Einnahmen festgesetzt. Diese Beitragsfestsetzung habe aber keine Bindungswirkung auf eine endgültige Regelung der Beitragshöhe. Der vorläufige Beitragsbescheid sei von vornherein auf Ersetzung durch einen endgültigen Beitragsbescheid angelegt. Mit dessen Erlass erledigten sich die vorläufigen Regelungen nach § 7 BVSzGs. Der Kläger habe seine selbständige Tätigkeit am 1. November 2014 neu aufgenommen. Er habe vom 1. November bis zum 31. Dezember 2014 Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit in Höhe von 6.912,00 €, also 3.456,00 € monatlich erzielt. Die monatlichen Beiträge zur GKV würden als Produkt aus den monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen und dem vom Gesetzgeber für diese Zeit festgelegten ermäßigten Beitragssatz nach § 243 SGB V für Mitglieder ohne Anspruch auf Krankengeld berechnet. Hinzu kämen seit dem 1. Januar 2015 die monatlichen Zusatzbeiträge.
Im Klageverfahren hat der Kläger seine Ausführungen hinsichtlich der aus seiner Sicht zu hoch berechneten Beiträge für die Zeit ab dem 1. November 2014 wiederholt. In der mündlichen Verhandlung am 18. Juni 2020 hat er erklärt, Streitgegenstand sei ausschließlich die Beitragshöhe für den Zeitraum vom 1. November 2014 bis 12. Juli 2015. Mit Urteil vom 18. Juni 2020 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen und zur Begründung auf den Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2018 Bezug genommen. Ergänzend hat das SG ausgeführt, die Berechnungsweise der Beklagten sei nicht zu beanstanden. Die Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit im Jahr 2014 könnten nur auf 2 Monate aufgeteilt werden, in denen der Kläger die selbständige Tätigkeit ausgeübt habe.
Im Berufungsverfahren wiederholt der Kläger seine Ausführungen aus dem Klageverfahren.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 18. Juni 2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2018 aufzuheben und die Beklagten zu verpflichten, den Bescheid vom 18. September 2015 bezüglich der Beitragsforderung für den Zeitraum vom 1. November 2014 bis 12. Juli 2015 in Höhe von 1.885,55 € aufzuheben.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung verweisen sie auf ihre Stellungnahmen im gerichtlichen Verfahren, ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2018 und die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils.
Bezüglich des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozess- und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 18. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagten sind verpflichtet, den Bescheid vom 18. September 2015 bezüglich der Beitragsforderung für den Zeitraum vom 1. November 2014 bis 12. Juli 2015 aufzuheben.
Der Kläger verfolgt seinen Anspruch zulässigerweise mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG. Die Anfechtungsklage zielt ab auf die Aufhebung des Überprüfungsbescheides vom 18. April 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2018, die Verpflichtungsklage auf die teilweise Aufhebung des bestandskräftigen Bescheides vom 18. September 2015 (vgl. Bundessozialgericht , Urteil vom 24. Mai 2017 – B 14 AS 32/16 R m.w.N., Rn. 9, nach juris).
Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Aufhebung der Beitragsnachforderung in Höhe von 1.885,55 € unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 18. September 2015 ist § 44 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGB X.
Nach § 44 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind (Abs. 1 Satz 1).
Der Überprüfungsantrag erstreckt sie sich bei Anträgen nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGB X (“das Recht unrichtig angewandt”) auf die Rechtmäßigkeit der zur Überprüfung gestellten Verfügungssätze unter jedem in Betracht kommenden Gesichtspunkt (vgl. BSG, Urteil vom 24. Mai 2017, a.a.O., Rn 17). Ob wegen unrichtiger Rechtsanwendung “Beiträge zu Unrecht erhoben” worden sind, beurteilt sich nach der Übereinstimmung der geforderten Beiträge mit der objektiven Rechtslage bei Erlass des Verwaltungsakts.
Der Kläger hat den Bescheid der Beklagten vom 18. September 2015 (nur) im Hinblick darauf zur Überprüfung gestellt, dass er zur Zahlung von 1.885,55 € für den Zeitraum vom 1. November 2014 bis 12. Juli 2015 zusammen mit dem nächsten turnusgemäßen Beitrag aufgefordert wurde.
Bei Erlass dieses Verwaltungsakts ist das Recht unrichtig angewandt worden: Bezüglich der dort „berechneten“ Beiträge in Höhe von 1.885,55 € für den Zeitraum vom 1. November 2014 bis 12. Juli 2015 fehlt es an einer Entscheidung der Beklagten durch einen Verwaltungsakt, die der Forderung zugrunde liegt.
Mit Bescheid vom 3. Februar 2015 hat die Beklagte zu 1. auch im Namen der Beklagten zu 2. die freiwillige Mitgliedschaft des Klägers ohne Krankengeldanspruch ab dem 1. November 2014 bestätigt, die Beiträge für die Zeit ab dem 1. Februar 2015 auf monatlich insgesamt 354,03 € (Mindestbeiträge in der GKV und sPV) und die Nachzahlung für die Zeit vom 1. November 2014 bis 31. Januar 2015 auf 1.057,03 € festgesetzt. Die Festsetzung der Beiträge erging unter dem Vorbehalt, dass die beitragspflichtigen Einnahmen ab 1. November 2014 monatlich nicht über den derzeitigen Bemessungsgrundlagen für die Beiträge liegen. Mindestbemessungsgrundlage bei hauptberuflich Selbständigen war seit dem 1. Januar 2014 ein Betrag in Höhe von 2.073,75 € monatlich, seit dem 1. Januar 2015 ein Betrag in Höhe von 2.126,25 € monatlich.
Nach dem vorgelegten Steuerbescheid für das Jahr 2014 vom 9. Juni 2015 betrugen die Einkünfte des Klägers aus selbständiger Arbeit 6.912 €. Da die selbständige Tätigkeit erst am 1. November 2014 aufgenommen wurde, ergibt sich ein monatliches Einkommen in Höhe von 3.456,00 € (vgl. BSG, Urteil vom 22. September 1999 – B 5 RJ 54/98 R, nach juris). Eine (endgültige) Festsetzung der Beiträge für die Zeit ab dem 1. November 2014 bis zum 12. Juli 2015 auf der Grundlage der sich aus dem Einkommensteuerbescheid 2014 ergebenden Bemessungsgrundlage ist jedoch weder durch den Bescheid vom 18. September 2015, noch durch einen diesem vorausgegangenen Bescheid erfolgt.
Gegenstand des Bescheides vom 18. September 2015 war die Bestätigung der freiwilligen Mitgliedschaft des Klägers ab dem 7. September 2015 und die Festsetzung der Beiträge zur GKV und sPV in Höhe von 575,43 € monatlich. Als weiterer Verfügungssatz dieses Bescheides ist die als Beitragsforderung in Höhe von 1.855,55 € auszulegende „Berechnung der Beiträge“ anzusehen, weil der Kläger aufgefordert wird, diese „bei der nächsten Zahlung zu berücksichtigen“, wenn auch eine weitere Begründung oder ein direkter Bezug zu der Beitragsfestsetzung ab dem 7. September 2015 fehlt. Zwar kommt einer (alleinigen) Zahlungsaufforderung grundsätzlich nicht die Qualität eines Verwaltungsaktes zu (vgl. BSG, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 38/14 R, nach juris); vielmehr handelt es sich in der Regel um eine Erinnerung an das Leistungsverhalten des Zahlungsverpflichteten, die als unselbständige Vorbereitungshandlung zur Vollstreckungsanordnung oder zu den eigentlichen Vollstreckungshandlungen nicht anfechtbar ist. Vorliegend können die Ausführungen im Bescheid vom 18. September 2015 jedoch schon deshalb nicht als Erinnerung im vorgenannten Sinne angesehen werden, weil die Beklagten keine Regelung zur Beitragshöhe auf der Grundlage des Einkommensteuerbescheids für 2014 getroffen haben. Eine Festsetzung der Beiträge durch Verwaltungsakt ist in dem Verfügungssatz der (Nach) Forderung der Beiträge in Höhe von 1.885,55 € nicht zu sehen. Wie sich aus der von der Beklagten mit Schriftsatz vom 30. Juli 2021 vorgelegten Aufschlüsselung ergibt, handelt es sich um den Differenzbetrag zwischen den durch Bescheid vom 3. Februar 2015 für die Zeit seit dem 1. November 2014 bis 12. Juli 2015 festgesetzten und den auf der Grundlage des Steuerbescheides 2014 festzusetzenden Beiträgen. Eine Beitragsfestsetzung für den fraglichen Zeitraum haben die Beklagten damit aber nicht vorgenommen. Die Höhe der vom freiwilligen Mitglied zu zahlenden Beiträge wird von den Krankenkassen durch Beitragsbescheide geregelt. Bei diesen Bescheiden handelt es sich um Verwaltungsakte mit Dauerwirkung, die – sofern sie die Beitragshöhe endgültig regeln – nur unter den Voraussetzungen der §§ 44ff. SGB X aufgehoben werden können. Die Beitragsfestsetzung erfordert – entsprechend den übrigen im Verfahren ergangenen Bescheiden der Beklagten – die Angabe der monatlichen Beiträge, getrennt nach Kranken- und Pflegeversicherung, und des Zeitpunkts, ab dem die Änderung wirksam wird. Alle diese Angaben lassen sich dem Bescheid vom 18. September 2015 nicht entnehmen. Eine andere Beurteilung folgt auch nicht daraus, dass der Kläger den Bescheid vom 18. September 2015 nach eigener Bezeichnung durchaus als „Beitragsbescheid“ angesehen hat und auch die Beklagte diesen so verstanden wissen will. Denn es kommt nicht auf die Sichtweise der Beteiligten an, sondern darauf, wie ein objektiver Betrachter in Anwendung der für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze (§§ 133, 157 BGB) den Inhalt bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalls objektiv verstehen konnte und musste (vgl. BSG, Urteil vom 25. Oktober 2017 – B 14 AS 9/17 R) und nach diesen Grundsätzen ist hier – wie ausgeführt – nicht von einer Beitragsfestsetzung auszugehen.
Soweit diese – wie die Beklagten meinen – im Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2018 erfolgt sein soll, ändert dies nichts an der materiellen Rechtswidrigkeit des hier zu überprüfenden Verfügungssatzes im Bescheid vom 18. September 2015 zum Zeitpunkt seines Erlasses. Der Widerspruch richtete sich gegen die Ablehnung des Überprüfungsantrages durch Bescheid vom 18. April 2018, nicht gegen die Festsetzung von Beiträgen. Unabhängig davon haben die Beklagten auch mit diesem Widerspruchsbescheid die Höhe der noch zu zahlenden Beiträge nicht festgesetzt. Auch die nicht einmal eine Woche nach erstmaliger Anforderung ergangene Mahnung vom 24. September 2015 vermag die nach § 44 Abs. 1 SGB X falsche Rechtsanwendung im Bescheid vom 18. September 2015 nicht zu ändern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Der Tenor ist so zu verstehen, dass die Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Klägers als Gesamtschuldner zu tragen haben.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.


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