Sozialrecht

Rente, Erwerbsminderung, Behinderung, Leistungen, Berufung, Revision, Erwerbsminderungsrente, Facharzt, Gesundheitszustand, Bescheid, Widerspruchsbescheid, Krankheit, Psychotherapie, GdB, Grad der Behinderung, Rente wegen Erwerbsminderung, depressive Episode

Aktenzeichen  L 19 R 71/21

Datum:
21.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 48974
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Dem Kläger obliegt auch bei einem Weitergewährungsantrag die Darlegungs- und Beweislast, dass (nach wie vor) eine zeitliche Einschränkung seines Leistungsvermögens für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vorliegt.

Verfahrensgang

S 16 R 168/19 2020-12-14 SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 14.12.2020 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Weitergewährung der vollen Erwerbsminderungsrente über den 31.10.2018 hinaus hat.
Der 1980 geborene Kläger hat von 1995 bis 1999 eine Ausbildung zum Industriemechaniker absolviert. Im Jahr 2000 wechselte er in den elterlichen Betrieb und fungierte dort als Werkstattleiter und Juniorchef. In der Zeit vom 01.07.2012 bis 31.10.2018 bezog der Kläger von der Beklagten eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 ist zuerkannt. Seit 01.01.2019 steht er im Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – SGB II -.
Ab dem 11.08.2017 befand sich der Kläger zur stationären Behandlung in der Fachklinik für Psychische Erkrankungen mit Ambulanz D-Klinik, in der eine (erneute) qualifizierte Alkoholentgiftung und anschließende Behandlung der Depression erfolgte. Angesichts des massiven Alkoholkonsums des Klägers in Zusammenhang mit der depressiven Symptomatik wurde eine Langzeittherapie der Alkoholabhängigkeit sowie eine weitere therapeutische Behandlung der psychischen Erkrankung im stationären Raum für unumgänglich gehalten.
In der Zeit vom 22.11.2017 bis 11.04.2018 befand sich der Kläger deshalb zur stationären medizinischen Rehabilitation in der S-Klinik. Bei den Diagnosen psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol und Tabak, Abhängigkeitssyndrom, rezidivierende Depression, leichte Episode, gemischte Hyperlipidämie, Adipositas, Psoriasis, Vitamin D-Mangel und Z.n. Konjunktivitis wurde der Kläger als arbeitsfähig sowie mit einem mindestens 6-stündigen Leistungsvermögen für die Tätigkeit als „Juniorchef“ sowie für den allgemeinen Arbeitsmarkt (unter Beachtung qualitativer Einschränkungen) entlassen (Reha-Entlassungsbericht vom 11.04.2018).
Von dieser Maßnahme wechselte der Kläger direkt weiter in die Adaptionseinrichtung „M“, in der er sich in der Zeit vom 11.04.2018 bis 02.07.2018 befand und ebenfalls mit einem mindestens 6-stündigen Leistungsvermögen für die letzte Tätigkeit und den allgemeinen Arbeitsmarkt entlassen wurde (Reha-Entlassungsbericht vom 02.07.2018).
Am 02.07.2018 beantragte er bei der Beklagten die Weitergewährung seiner Rente und gab an, weiterhin unter Schlafstörungen, dauerhaftem Gedankenkreisen, Ängsten (dauerhaft), Alpträumen bei jedem Schlafen, Trauma-Erinnerungen, ständige Erschöpftheit, Überforderung und Übelkeit bei geringsten Tätigkeiten, dauerhaften Schmerzen im LWS-Bereich zu leiden. Zusätzlich belaste ihn die Tätigkeit am Bau, Verantwortung als Juniorchef, ständiger und dauerhafter Druck vom cholerischen Vater (beruflich wie privat). An seinen Arbeitsbedingungen könne er nichts mehr ändern, der Vater habe im April 2014 die Firma verkauft.
Die Beklagte holte eine prüfärztliche Stellungnahme vom Psychiater und Psychotherapeuten O vom 06.08.2018 ein, der unter Berücksichtigung der Reha-Entlassungsberichte bei den Diagnosen
1. Alkoholabhängigkeit, derzeit abstinent
2. Rezidivierende depressive Störung, zuletzt mittelgradig,
3. Psoriasis vulgaris
ein 3 bis unter 6-stündiges Leistungsvermögen des Klägers für die zuletzt verrichtete Tätigkeit als Bauleiter, jedoch ein mindestens 6-stündiges Leistungsvermögen für den allgemeinen Arbeitsmarkt unter Beachtung qualitativer Einschränkungen sah. Die Beklagte lehnte daraufhin den Antrag auf Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente mit streitgegenständlichem Bescheid vom 09.08.2018 ab. Die Einschränkungen, die sich aus den Krankheiten oder Behinderungen des Klägers ergäben, führten nicht mehr zu einem Anspruch auf Erwerbsminderungsrente.
Hiergegen legte der Kläger am 27.08.2018 Widerspruch ein und wies darauf hin, dass die S-Klinik nur auf seine Alkoholsucht ausgelegt gewesen sei. Zeitweise hätten sich seine Depressionen und Ängste durch unterlassene Hilfeleistung der Ärzte verschlimmert, denen es nur darum gegangen sei, einen positiven Entlassungsbericht verfassen zu können. Er habe Mobbing und körperliche Gewalt durch Ärzte und Mitpatienten erleben müssen. Sein gesundheitlicher Zustand, der im Juli 2012 zur Gewährung der vollen Erwerbsminderungsrente geführt habe, habe sich kaum verändert. Beigefügt war ein vom Kläger erstellter Lebenslauf und ein psychiatrischer Befund zur Vorlage bei der Rentenkasse vom behandelnden Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie R vom 07.11.2018. Danach sei der Kläger unter Berücksichtigung der langen Krankheitsgeschichte und der aktuellen Befindlichkeit, auch wenn er aktuell alkoholabstinent sei, alleine bedingt durch die chronifizierte depressive Erkrankung weiterhin nur in der Lage, max. 3 Stunden am Tag zu arbeiten, d. h. er sei weiterhin auf die Rente wegen voller Erwerbsminderung angewiesen.
Die Beklagte wies den Widerspruch nach Einholung einer prüfärztlichen Stellungnahme von L mit Widerspruchsbescheid vom 05.12.2018 als unbegründet zurück. Neue Erkenntnisse hätten sich nicht ergeben.
Die hiergegen vom Kläger am 28.12.2018 zum Sozialgericht München erhobene Klage wurde wegen örtlicher Unzuständigkeit mit Beschluss vom 28.02.2019 an das Sozialgericht Würzburg (SG) verwiesen. Zur Begründung der Klage hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 13.05.2019 darauf hingewiesen, dass der Kläger mit der Einschätzung seines Leistungsvermögens durch die Beklagte nicht einverstanden sei. Zwar sei erfreulicherweise zwischenzeitlich eine Alkoholabstinenz eingetreten, trotzdem leide der Kläger weiterhin unter einem niedergestimmten Affekt bei reduzierter Schwingungsfähigkeit, vermindertem Antrieb und verminderter Leistungsfähigkeit, Schlafstörungen und Konzentrationsproblemen. Insoweit werde auf das Attest des behandelnden Facharztes R vom 07.11.2018 verwiesen. R habe dies erneut im Attest vom 01.02.2019 bestätigt. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass der Kläger sich während der Zeit seiner Berentung immer wieder bemüht habe, eine geringfügige Beschäftigung aufzunehmen. So habe er Tätigkeiten als Hausmeister- und Gartenservice, als Fahrer und als Reinigungskraft begonnen, jedoch jeweils nach kürzester Zeit wieder abgebrochen, da er aufgrund der Antriebsminderung und der Konzentrationsprobleme nicht in der Lage gewesen sei, sich den Anforderungen des Arbeitsalltags anzupassen, Zeiten nicht habe einhalten können und es binnen kürzester Zeit zu einem massiven Überforderungserleben gekommen sei, das der Kläger letztlich mit Alkohol zu dämpfen versucht habe. Seit der Entlassung aus der Adaption M übe der Kläger erneut eine einfache, geringfügige Beschäftigung in der H-Klinik aus. Er nehme dort an 6 Tagen im Monat die Essensbestellungen der Patienten entgegen. Der Kläger beweise damit, dass er durchaus gewillt sei, nach seinen Kräften am Erwerbsleben teilzunehmen. Zur Ausübung einer Teilzeit- oder gar Vollzeittätigkeit sei er jedoch, jedenfalls derzeit, nicht in der Lage.
Das SG hat Befundberichte vom Hausarzt und Internisten Y (mit vom Kläger erstellter persönlicher Stellungnahme vom 16.06.2019 zum Verlauf der Rehamaßnahme in der S-Klinik und Fremdbefunden) und vom Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie R eingeholt und die Akte des Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS), Region Unterfranken, Versorgungsamt Würzburg zum Verfahren beigenommen.
Sodann hat das SG ein Sachverständigengutachten vom Arzt für Neurologie und Psychiatrie K eingeholt, der nach Untersuchung des Klägers am 05.03.2020 zu folgenden Diagnosen gelangt ist:
1. Rezidivierend depressive Störung, gegenwärtig remittiert
2. Psychische und Verhaltensstörung durch Alkohol, Abhängigkeit, derzeit abstinent
3. Psychische und Verhaltensstörung durch Nikotin, Abhängigkeit
4. Degenerative Wirbelsäulenerkrankung ohne Nervenwurzelreizerscheinungen
Trotz der gesundheitlichen Einschränkungen sei dem Kläger zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch eine mindestens 6-stündige Tätigkeit zumutbar. Wegen der degenerativen Wirbelsäulenerkrankung sollten überwiegend leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten ohne Körperzwangshaltungen oder besondere Belastung der Lendenwirbelsäule durchgeführt werden. Tätigkeiten, bei denen der Kläger mit Alkohol in Kontakt kommen könnte, sollten bei Alkoholabhängigkeit vermieden werden. Gegenüber den Entlassungsberichten der S-Klinik und der Adaptionseinrichtung „M“ sei keine abweichende sozialmedizinische Einschätzung vorgenommen worden. Eine Verschlechterung oder wesentliche Besserung der Abschlussbefunde der Kliniken habe nicht festgestellt werden können. Die behandelnden Kollegen hätten schon eine gute Stabilisierung der psychischen Verfassung des Klägers attestiert. Es lägen auch keine noch nicht bekannten oder nicht beachteten Befunde von erwerbsmindernder Bedeutung vor. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit habe nicht nachgewiesen werden können. Eine Heilbehandlung scheine nicht indiziert zu sein. Dem Kläger sei dringend die regelmäßige Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe für Alkoholkranke angeraten worden. Des Weiteren bedürfe er einer regelmäßigen ambulanten psychotherapeutischen Behandlung, die in den letzten Jahren leider nicht durchgeführt worden sei. Weitere Fachgutachten seien nicht erforderlich.
Zum Gutachten des Facharztes K vom 13.03.2020 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter Vorlage einer ärztlichen Stellungnahme von R vom 15.04.2020 darauf hingewiesen, dass die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers nur unzureichend berücksichtigt worden seien. Insbesondere seien die Behandlungsoptionen ausgeschöpft. Der Kläger befinde sich seit 2012 in durchgehender psychiatrischer Behandlung durch R. Außerdem befinde sich der Kläger seit dem 21.04.2020 in psychotherapeutischer Behandlung bei der C. Mit Schriftsatz vom 07.05.2020 wurde eine Stellungnahme von C vom 05.05.2020 vorgelegt.
Das SG hat eine ergänzende Stellungnahme von Facharzt K vom 14.08.2020 eingeholt, der bei seiner Leistungseinschätzung geblieben ist. Die in der Stellungnahme von R zum Ausdruck kommende Ansicht könne nicht mehr als zeitgemäß angesehen werden. Es werde auf aktuelle Literatur verwiesen.
Mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 14.10.2020 wurde darauf hingewiesen, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers trotz der durchgeführten Behandlungen leider nie verbessert habe. Er könne selbst leichteste Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nur noch unter drei Stunden täglich verrichten. Er sei mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid oder ohne mündliche Verhandlung einverstanden, da es ihm sein Gesundheitszustand nicht erlaube, an einer mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Beigefügt waren mehrere persönliche E-Mails bzw. Aufzeichnungen des Klägers aus dem Jahr 2019 sowie Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen von R und eine Stellungnahme von C. Diese hat unter dem 29.09.2020 berichtet, dass der Kläger bereits zu Beginn der Therapie mit Alkohol rückfällig geworden und stark depressiv eingebrochen sei. Vor diesem Hintergrund würden derzeit Voraussetzungen, Therapiefähigkeit und Motivation für eine ambulante Psychotherapie überprüft. Ein stationärer Aufenthalt sei dem Kläger dringend empfohlen worden.
Obwohl sich auch die Beklagte mit einer Entscheidung des SG nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt hatte (Schriftsatz vom 05.11.2020), hat das SG Termin zur mündlichen Verhandlung für den 14.12.2020 anberaumt, zu dem der Kläger nicht erschienen ist. Das SG hat mit Urteil vom gleichen Tag die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Kammer sei aufgrund der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen K im Gutachten vom 13.03.2020 von einem vollschichtigen Leistungsvermögen des Klägers überzeugt. Die Einwendungen des Klägers hiergegen hätten nicht zu überzeugen vermocht. Soweit auf die Stellungnahme des behandelnden Psychiaters R vom 15.04.2020 verwiesen werde, habe der Sachverständige K in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14.08.2020 überzeugend begründet, dass er ausführlich und differenziert die soziale und persönliche Entwicklung des Klägers dargestellt habe. Aus diesen Zusammenhängen habe er die entsprechenden Diagnosen, Therapieoptionen und die sich daraus ergebende sozialmedizinische Beurteilung abgeleitet. Die Fortführung der ambulanten psychotherapeutischen Behandlung sei von ihm weiterhin empfohlen worden. Weder die Ausführung des behandelnden Arztes R noch die Bescheinigung der den Kläger seit dem 21.04.2020 behandelnden C vom 29.09.2020, wonach beim Kläger ein Alkoholrückfall eingetreten sei, würden eine andere leistungsrechtliche Beurteilung des Klägers zu begründen vermögen. Es lägen keine objektivierbaren Befunde vor, die dazu führen würden, dass der Kläger nicht mehr mindestens 6 Stunden täglich Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne. Zudem sei auch nach Empfehlung der C ein stationärer Aufenthalt des Klägers dringend empfohlen. Psychische Erkrankungen seien indes erst dann rentenrechtlich relevant, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen sei, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden könne – weder aus eigener Kraft, noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe (vgl. z. B. Bayer. Landessozialgericht, Urteil vom 15.11.2017, Az. L 19 R 66/15, zitiert nach juris).
Zur Begründung der hiergegen am 10.02.2021 eingelegten Berufung führt der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 24.02.2021 aus, dass der Kläger keinesfalls in der Lage sei, 6 Stunden und mehr auch nur leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuführen. Es lägen zahlreiche Befundberichte seines behandelnden Facharztes R vor, die allesamt bestätigen würden, dass beim Kläger eine schwere bzw. eine mittelgradige depressive Episode vorliegen würde. R sei der Ansicht, dass der Kläger massiv überfordert sei, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Eine Besserung des Gesundheitszustandes sei im Vergleich zu der Zeit des Rentenbezuges von Juli 2012 bis Oktober 2018 nicht eingetreten. Der Kläger leide an einer schicksalhaften schweren chronischen depressiven Störung, die ein unter dreistündiges Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt begründe. Es werde weiter auf die Ausführungen von C verwiesen. Die Behandlungsmöglichkeiten seien nach Ansicht des R erschöpft. Grundsätzlich fehle es an einer gesetzlichen Grundlage im SGB VI, die die Ausschöpfung aller zumutbaren Behandlungsoptionen auf psychiatrischem oder psychotherapeutischem Gebiet vorschreibe, um eine Zeitrente gewähren zu können.
Der Senat hat Befundberichte bei den behandelnden Ärzten des Klägers eingeholt, nämlich vom Hausarzt und Internisten Y, beim Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie R sowie bei C.
Der Hausarzt Y bescheinigt unter dem 02.06.2021, dass der Kläger bei ihm nur am 07.07. und 10.07.2020 gewesen sei. Es wurden zwei Rezepte für Medikamente ausgestellt sowie eine Warze kauterisiert.
C hat angegeben, dass der Kläger sich erstmals am 23.01.2020 in ihrer Praxis vorgestellt habe. Im Zeitraum von April bis Juni 2020 hätten insgesamt 2 Sprechstundentermine sowie 2 probatorische Sitzungen stattgefunden. Im Rahmen der Psychotherapie hätten 4 Therapiesitzungen stattgefunden (19.05.2020, 28.07.2020, 09.09.2020, 23.09.2020). Die Psychotherapie sei beendet worden, da der Kläger nicht mehr erschienen sei.
Der behandelnde Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie R hat unter dem 16.06.2021 angegeben, dass beim Kläger eine rezidivierende depressive Störung, zuletzt schwer ausgeprägt, eine Alkoholabhängigkeit, nicht mehr abstinent sowie eine posttraumatische Belastungsstörung vorliege. Auf seinem Fachgebiet seien keine neuen Leiden hinzugekommen oder alte weggefallen. Der Kläger sei im Beobachtungszeitraum seit dem 22.08.2019 arbeitsunfähig, eine entsprechende Attestierung sei durch ihn erfolgt. Zeitgleich sei es zu einer Verschlechterung mit deutlicher Zunahme der depressiven Beschwerden und Rückfall in den Alkohol gekommen, wobei die Vorgänge rund um das Rentenverfahren reaktiv dafür verantwortlich zeichneten.
Zu den eingeholten Befundberichten haben die Beklagte mit Schriftsatz vom 30.06.2021 und der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 06.07.2021 Stellung genommen.
Der Senat hat mit ausführlichem Schreiben vom 10.08.2021 darauf hingewiesen, dass aus den bisher vorliegenden ärztlichen Befundberichten und den medizinischen Unterlagen des Rentenverfahrens und des sozialgerichtlichen Verfahrens eine zeitliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit des Klägers für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht gefolgert werden könne und dass für den Senat keine Veranlassung zur Einholung eines weiteren Gutachtens von Amts wegen auf neurologisch/psychiatrischem Fachgebiet bestehe. Rentenrechtlich relevante somatische Erkrankungen, die Auswirkungen auf die zeitliche Leistungsfähigkeit des Klägers haben könnten, seien nicht ersichtlich.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat mit Schriftsätzen vom 02.09.2021 und 16.09.2021 darauf hingewiesen, dass der Kläger eine ausreichende Auseinandersetzung des Senats mit den Befunden von R vermisse und er sich zu einer verfahrensbeendigenden Erklärung nicht in der Lage sehe.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 14.12.2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 09.08.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.12.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger über den 31.10.2018 hinaus Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 14.12.2020 zurückzuweisen.
Die Beteiligten wurden zu einer Entscheidung des Senats durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG gehört.
Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Rentenakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
II.
Der Senat konnte durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG entscheiden, weil er übereinstimmend die Berufung für nicht begründet und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich angesehen hat. Die Beteiligten wurden vorher gehört.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG).
Sie ist jedoch nicht begründet. Das SG hat zu Recht mit Urteil vom 14.12.2020 entschieden, dass der Kläger über den 31.10.2018 hinaus keinen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente hat. Eine zeitliche Leistungseinschränkung des Klägers auf unter 6 oder sogar auf unter 3 Stunden täglich für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ist nach diesem Zeitpunkt nicht mehr nachgewiesen.
Gemäß § 43 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1.teilweise erwerbsgemindert sind,
2.in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und
3.vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Dem Kläger obliegt – auch wenn er seit langer Zeit bereits eine Rente wegen Erwerbsminderung von der Beklagten bezogen hat – auch bei einem Weitergewährungsantrag die Darlegungs- und Beweislast, dass (nach wie vor) eine zeitliche Einschränkung seines Leistungsvermögens für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vorliegt. Es besteht keine Vermutung zugunsten des Klägers, dass auch weiterhin von einer zeitlichen Einschränkung auszugehen wäre. Auch muss die Beklagte nicht nachweisen, dass gegenüber der bisherigen Rentengewährung eine wesentliche Besserung eingetreten ist, zumal dem Kläger lediglich wiederholt Zeitrente bewilligt worden war und eine Rente auf Dauer nicht zuerkannt war. Vielmehr muss auch bei einem Weitergewährungsantrag in vollem Umfang erneut überprüft werden, ob aufgrund gesundheitlicher Erkrankungen dauerhafte funktionelle Einschränkungen des Versicherten vorliegen, die zu einer zeitlichen Einschränkung des Leistungsvermögens für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes auf unter 6 Stunden oder sogar auf unter 3 Stunden täglich führen, gegebenenfalls unter weiterer Beachtung qualitativer Einschränkungen der möglichen Arbeitsleistungen.
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger den Nachweis eines zeitlich auf unter 6 Stunden oder sogar auf unter 3 Stunden täglich eingeschränkten Leistungsvermögens für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes für die Zeit ab dem 01.11.2018 nicht führen konnte. Vielmehr ist der Kläger in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne Zwangshaltungen und ohne besondere Belastung der Lendenwirbelsäule zu verrichten. Zu vermeiden ist auch der Kontakt mit Alkohol.
Der Senat stützt seine Überzeugung auf die Reha-Entlassungsberichte der S-Klinik vom 11.04.2018, den Reha-Entlassungsbericht der Adaptionseinrichtung M vom 02.07.2018 und insbesondere auf das neurologisch/psychiatrische Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie K vom 13.03.2020. Alle ärztlichen Stellungnahmen sind zu einem mindestens 6-stündigen Leistungsvermögen des Klägers für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung qualitativer Einschränkungen bezüglich der Schwere der Arbeitsleistung und der Arbeitshaltung gelangt. Dieser Einschätzung schließt sich der Senat an, sieht insoweit von einer eigenen Darlegung der Entscheidung nach § 153 Abs. 2 SGG ab und schließt sich in vollem Umfang den Entscheidungsgründen des Sozialgerichts Würzburg in seinem Urteil vom 14.12.2020 an.
Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass insbesondere im Gutachten des Sachverständigen K die Problematik der Alkoholerkrankung und der depressiven Erkrankung unter Berücksichtigung der Lebensgeschichte des Klägers und der familiären Konfliktsituation herausgearbeitet und auch darauf hingewiesen wurde, dass der Kläger offenbar nach wie vor die bestehende Alkoholabhängigkeit für sich leugnet. Die C hat dies im Befundbericht vom 10.06.2021 ebenfalls bestätigt. Der Kläger hat die im April 2020 erstmals in Angriff genommene psychotherapeutische Behandlung bei C bereits nach 4 Therapiesitzungen wieder abgebrochen. Aufgrund eines erneuten Alkoholrückfalles im August 2020 hatte sie eine depressive Dekompensation beschrieben und die Durchführung einer stationären Behandlung für notwendig und dringlich empfohlen. Weder aus den Befundberichten des Hausarztes Y noch aus denen des behandelnden Psychiaters R geht hervor, dass der Kläger diese stationäre Behandlung zwischenzeitlich durchgeführt hätte oder doch zumindest eine solche versucht hätte. Eine erneute Psychotherapie wurde nicht in Angriff genommen. Dies spricht gegen einen erheblichen, objektivierbaren Leidensdruck des Klägers.
Der behandelnde Psychiater R spricht demgegenüber von einer schicksalhaften schweren chronischen depressiven Störung, bei der alle psychiatrischen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft seien und es sei „Aufgabe des Gemeinwesens, für solche Leute in Form einer Rente zu sorgen“. Hier verkennt der behandelnde Psychiater sowohl die rechtlichen Gegebenheiten als auch die Anforderungen an den Nachweis des Eintritts des rentenrechtlich notwendigen Leistungsfalls einer Erwerbsminderungsrente.
Zutreffend ist zwar, dass der Kläger bei R seit 2012 in Behandlung war, dies aber nur in weiten Abständen von mindestens 3 Monaten. Der Kläger hat bei K angegeben, dass R bei Bedarf auch per E-Mail hätte kontaktiert werden können. Es darf sicherlich bezweifelt werden, dass dies einer leitliniengerechten Behandlung der von R angegebenen schweren chronischen Depression des Klägers entspräche. Darüber hinaus hat R selbst – bei angeblich unverändertem psychischen Zustand – einmal von einer schweren Depression, zum anderen aber auch (nur) von einer mittelgradigen Depression des Klägers berichtet. Die Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode vermag die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente in der Regel nicht zu begründen. Es ist weiter zwar mitgeteilt, dass der Kläger 4 verschiedene Medikamente verordnet bekommen hatte, die Erhebung eines Blutserumspiegels ist in den Akten jedoch nicht zu finden. Eine psychotherapeutische Behandlung wurde – trotz der angeblichen Schwere der depressiven Erkrankung – erstmals im Jahr 2020 in Angriff genommen und nach kurzer Behandlungsdauer auch wieder beendet. Die vom Sachverständigen K festgestellte narzisstische Persönlichkeitsakzentuierung und die fehlende Konfliktkompetenz des Klägers wären im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung wohl anzugehen und therapierbar, wobei der Sachverständige K in seinem Gutachten ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass die psychische Erkrankung des Klägers in den Reha-Kliniken schon sehr gut stabilisiert worden sei und bei seiner Untersuchung im März 2020 kein Anhalt für eine tiefergehende depressive Stimmungsauslenkung habe festgestellt werden können. Gleichwohl bestünden zur weiteren Verbesserung der psychischen Erkrankung des Klägers zumutbare Behandlungsoptionen, auf die das SG in seinen Entscheidungsgründen unter Bezugnahme auf das Gutachten des Facharztes K zutreffend hingewiesen hat.
Zu beachten ist, dass der Kläger bei der Begutachtung durch Facharzt K selbst angegeben hatte, seit Juli 2018 eine Beschäftigung in der H-Klinik im Umfang von 5 Stunden pro Tag ausgeübt zu haben, wenngleich im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung. Entsprechende Pflichtbeitragszeiten sind durchgehend bis April 2020 im Versicherungsverlauf der Beklagten vermerkt. Eine Begründung, weshalb dies unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zeitlich nicht möglich sein könnte, lässt sich den Stellungnahmen des R nicht entnehmen. Der Sachverständige K hatte keinen Grund für eine entsprechende Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens des Klägers gesehen.
Im Rahmen des der Klagebegründung beigefügten psychiatrischen Befundes vom 07.11.2018 hatte R im Übrigen eine Belastbarkeit des Klägers „bis maximal 3 Stunden“ bescheinigt und dass der Kläger deswegen weiterhin auf die Rente wegen voller Erwerbsminderung angewiesen sei. Ein zeitliches Leistungsvermögen von 3 Stunden würde grundsätzlich (mit Ausnahme der Besonderheit der Arbeitsmarktrente) lediglich eine teilweise Erwerbsminderungsrente zu begründen vermögen. Der Senat verweist auch auf die eigenen Angaben des Klägers gegenüber dem Sachverständigen K, Blatt 22 des Gutachtens, wonach er die Rente zur Entlastung seiner finanziellen Sorgen beantragt habe und er eine Dauerrente anstrebe. Eine Rentengewährung hängt aber nicht von finanziellen Sorgen ab, sondern vom Nachweis eines auf Dauer bestehenden zeitlich eingeschränkten Leistungsvermögens. Ein solcher Nachweis ist für die Zeit nach dem 31.10.2018 nicht geführt worden.
Nach alledem war die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 14.12.2020 als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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