Sozialrecht

Rentenversicherung, Versicherungspflicht, Zulassung, Berufung, Leistungen, Arbeitgeber, Befreiung, Widerspruchsbescheid, Rechtsanwaltschaft, Rechtsanwaltskammer, Widerspruch, Beiladung, Pflichtmitgliedschaft, Gerichtsbescheid, Befreiung von der Versicherungspflicht, gesetzlichen Rentenversicherung, Zulassung der Rechtsanwaltschaft

Aktenzeichen  L 1 R 436/19

Datum:
1.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 16852
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

S 14 R 282/18 2019-08-09 GeB SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 9. August 2019 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat kann mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 21.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2018 ist gegenüber dem Kläger rechtmäßig ergangen, weil dieser keinen Anspruch darauf hat, in der streitigen Beschäftigung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung befreit zu werden.
1. Die Streitsache ist entscheidungsreif. Von einer möglichen Aussetzung des Verfahren gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 SGG sieht der Senat ab.
Hängt die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsstelle festzustellen ist, so kann das Gericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsstelle auszusetzen sei. Diese Voraussetzungen sind vorliegend auch erfüllt. Rechtsgrundlage für die streitige Befreiung ist § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Danach setzt die Befreiung voraus, dass der Kläger in der streitigen Beschäftigung als (Syndikus-)Rechtsanwalt zugelassen ist. Die Entscheidung darüber ist, wie nachfolgend auszuführen sein wird, aber ausschließlich von der zuständigen Rechtsanwaltskammer zu treffen. Da nach Aussage des Klägers eine förmliche Entscheidung in diesem Verfahren noch nicht ergangen ist, weil er das Verfahren nicht mehr weiterbetrieben hat, käme eine Aussetzung des vorliegenden Rechtsstreits bis zu einer Entscheidung der Kammer bzw. des nachfolgend ggf. anzurufenden Anwaltsgerichtshofs in Betracht. Allerdings hat der Kläger ausdrücklich erklärt, dass er diesen Weg nicht gehen möchte, weil er die Auffassung vertritt, die tatbestandlichen Voraussetzungen seien in diesem Fall ausschließlich durch die Beklagte zu prüfen.
Abgesehen hat der Senat auch von einer Beiladung der B. GmbH. Die Voraussetzungen einer notwendigen Beiladung liegen nicht vor. Nach § 75 Abs. 2 Alt. 1 SGG sind Dritte, die an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt sind, dass die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, notwendig beizuladen. Eine derartige Beiladung muss von Amts wegen jedoch nur ausgesprochen werden, wenn die im Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung über das streitige Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre des Dritten unmittelbar eingreift (Gall in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 75 SGG Rn. 41). Die logische Notwendigkeit einer übereinstimmenden Entscheidung genügt nicht. Erforderlich ist vielmehr, dass die Entscheidung unmittelbar in die Rechtssphäre des Betreffenden eingreifen kann (st. Rspr., vgl. etwa BSG, Urteil vom 24.03.2016 – B 12 KR 6/14 R -, SozR 4-2500 § 5 Nr. 27). Dies ist hier nicht der Fall. Der Kläger ist bei der B. GmbH nicht mehr beschäftigt. Nach Auffassung des Klägers hängt die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt und damit die streitige Befreiung von der Rentenversicherungspflicht zwar davon ab, ob der Arbeitgeber an dem Verfahren zur Anerkennung als Syndikusrechtsanwalt mitwirkt. Dies betrifft aber ebenfalls ausschließlich das Verfahren vor der Rechtsanwaltskammer und ggf. nachfolgend vor dem zuständigen Anwaltsgerichtshof. Im vorliegenden Verfahren ergibt sich eine unmittelbare Betroffenheit der B. GmbH auch nicht aus der Tatsache, dass in Konsequenz einer für den Kläger günstigen Entscheidung in einem gesonderten Verfahren (noch) über die Verwendung der danach zu Unrecht an die Beklagten zu entrichteten Beiträge zu entscheiden wäre (BSG, Urteil vom 09.10.2007 – B 5b/8 KN 2/06 R -).
2. Der Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht ergibt sich nicht aus dem Befreiungsbescheid vom 16.10.2013, da die darin ausgesprochene Befreiung sich ausschließlich auf die Tätigkeit bei der S. Rechtsanwälte bezieht und mit dem Ausscheiden und Wechsel zur B. GmbH zum 15.03.2016 keine rechtliche Wirkung mehr entfaltet (BSG, Urteil vom 13.12.2018 – B 5 RE 1/18 R -).
3. Auch der Tatbestand der Fortwirkung der Befreiung nach § 6 Abs. 5 Satz 1 SGB VI ist nach dem Wechsel in ein anderes Beschäftigungsverhältnis nicht mehr erfüllt. Zwar erstreckt sich die Befreiung in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 und 2 auch auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit, wenn diese infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist und der Versorgungsträger für die Zeit der Tätigkeit den Erwerb einkommensbezogener Versorgungsanwartschaften gewährleistet (§ 6 Abs. 5 Satz 2 SGB VI). Allerdings war die Tätigkeit des Klägers bei der B. GmbH nicht von vornherein zeitlich begrenzt oder befristet, sondern ist nach dem Anstellungsvertrag vom 17.02.2016 zunächst auf unbestimmte Zeit vereinbart worden.
3. In der seit 15.03.2016 ausgeübten Tätigkeit des Klägers als Rechtsschutzsekretär bei der B. GmbH sind die Voraussetzungen für die beantragte Befreiung nicht erfüllt.
Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in der ab dem 01.01.2005 geltenden Fassung werden von der Versicherungspflicht befreit Beschäftigte und selbstständig Tätige für die Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn a) am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 01.01.1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat, b) für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und c) aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist.
3.1. Der Kläger war im streitigen Zeitraum abhängig beschäftigt (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – SGB IV) als Rechtsschutzsekretär bei der B. GmbH und aufgrund dieser Beschäftigung auch rentenversicherungspflichtig (§ 1 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 1 Alt. 1 SGB VI).
3.2. Die weiterhin bestehende Zulassung als Rechtsanwalt bei der Rechtsanwaltskammer A-Stadt mit gleichzeitiger verpflichtender Mitgliedschaft bei der Beigeladenen führt zwar dazu, dass die formalen Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI erfüllt sind. Allerdings gibt § 6 Abs. 1 Satz Nr. 1 SGB VI versicherungspflichtig Beschäftigten, die gleichzeitig verkammerte Mitglieder einer berufsständischen Versorgungseinrichtung sind, einen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht nur für die „Beschäftigung, wegen der“ sie auf Grund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind. Das war vorliegend ausschließlich die bis zum Beginn des streitigen Zeitraums ausgeübte anwaltliche Tätigkeit des Klägers für die S. Rechtsanwälte. Auch wenn die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft weder im Blick auf eine „Beschäftigung“ noch auf einen bestimmten Kreis anwaltlicher Betätigungen erfolgt, sondern mit der statusbegründenden Zulassung stets der volle Umfang anwaltlicher Berufsausübung eröffnet ist, der damit auch zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung führt, muss das Erfordernis einer anwaltlichen Tätigkeit aufgrund des Tatbestandselements derselben Beschäftigung auch für die streitige Beschäftigung geprüft werden. Dazu hat das BSG die Auffassung vertreten, dass dies bei einer neben einer anwaltlichen Tätigkeit ausgeübten abhängigen Beschäftigung von vornherein ausscheidet (vgl. dazu grundlegend Entscheidungen des BSG vom 03.04.2014 (B 5 RE 3/14 R, B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 13/14 R). Rechtlich unerheblich ist dabei, ob die in Frage stehende Beschäftigung inhaltlich „Elemente“ der anwaltlichen Berufstätigkeit aufweist oder mit dieser vergleichbar ist. Aus Sicht der gesetzlichen Rentenversicherung kann nicht darauf verzichtet werden, dass die konkret in Frage stehende Erwerbstätigkeit gerade in der äußeren Form einer Beschäftigung ausgeübt werden kann und andererseits gleichzeitig zur Mitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung führt (BSG, Urteil vom 03.04.2014 – B 5 RE 13/14 R -; juris Rn. 33).
Nichts anderes ergibt sich aus dem Urteil des BSG vom 15.12.2016 (Az. B 5 RE 7/16 R -), wonach auch ein bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft angestellter Rechtsanwalt, der unabhängig und weisungsfrei Mandanten der Gesellschaft in steuerrechtlichen Angelegenheiten berät und vor Gericht vertritt, von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit werden kann. Denn in diesem Fall war der Rechtsanwalt wegen dieser Tätigkeit aufgrund gesetzlicher Verpflichtung Mitglied der zuständigen Rechtsanwaltskammer und des berufsständischen Versorgungswerks. Jedenfalls für die geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen ist nach § 3 Nr. 1 Steuerberatergesetz die Zulassung als Steuerberater oder Rechtsanwalt zwingende Voraussetzung. Die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit als Rechtsschutzsekretär bei der B. GmbH mit dem Inhalt der Beratung und Prozessführung vor den Arbeits-, Sozial- und Verwaltungsgerichten entsprechend der Stellenbeschreibung und des Qualitätshandbuchs der B. GmbH erforderte dies gerade nicht (vgl. auch § 74 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 SGG, § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Arbeitsgerichtsgesetz und § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 Verwaltungsgerichtsordnung; so auch Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 05.12.2018 – L 19 R 895/14 -, für eine Tätigkeit als Referent bei einer Steuerberaterkammer).
3.3. Der Kläger ist auch nicht als Syndikusrechtsanwalt gemäß § 46 Abs. 2 BRAO in der seit 01.01.2016 geltenden Fassung vom 21.12.2015 zu befreien. Zwar können danach auch Angestellte anderer als der in Absatz 1 genannten Personen oder Gesellschaften ihren Beruf als Rechtsanwalt ausüben, sofern sie im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses für ihren Arbeitgeber anwaltlich tätig sind (Syndikusrechtsanwälte). Gemäß § 46c BRAO gelten für Syndikusrechtsanwälte die Vorschriften über Rechtsanwälte, d.h. es wäre bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen auch die Befreiung in der gesetzlichen Rentenversicherung möglich. Der Syndikusrechtsanwalt bedarf aber zur Ausübung seiner Tätigkeit nach Satz 1 der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach § 46a BRAO. Daran fehlt es vorliegend, was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist.
Ob die in § 46a BRAO geregelten berufsbezogenen Merkmale für die Tätigkeit eines Syndikusrechtsanwalts während der Tätigkeit des Klägers für die B. GmbH erfüllt waren und der Kläger einen Anspruch auf Zulassung als Syndikusrechtsanwalt hätte, ist vom Senat nicht zu prüfen. Denn über die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt entscheidet nicht der Rentenversicherungsträger im Rahmen der Entscheidung über die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht, sondern gemäß § 46a Abs. 2 BRAO ausschließlich die örtlich zuständige Rechtsanwaltskammer nach Anhörung des Trägers der Rentenversicherung. Der Träger der Rentenversicherung ist bei seiner Entscheidung über die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 3 SGB VI an die bestandskräftige Entscheidung der Rechtsanwaltskammer gebunden. Gegen die Entscheidung der Rechtsanwaltskammer ist gemäß § 46a Abs. 2 Satz 5 i.V.m. § 112a Abs. 1 und 2 BRAO der Rechtsweg zu den Anwaltsgerichtshöfen eröffnet.
Dass der Gesetzgeber damit die Entscheidung über die für die Befreiung erforderliche Zulassung als Syndikusrechtsanwalt ausschließlich den Rechtsanwaltskammern zugewiesen hat, ergibt sich zweifelsfrei auch aus der Entstehungsgeschichte und der umfangreichen Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/5201 S. 20 Ziffer 3 und 4). Dies gilt auch für die gerichtliche Überprüfungsentscheidung, für die in erster Instanz der Anwaltsgerichtshof und in zweiter Instanz der Bundesgerichtshof zuständig sind, die schon nach früherem Recht bisher über Rechtsmittel gegen die Versagung der Zulassung als Rechtsanwalt entschieden haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.


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