Sozialrecht

Sanktion wegen Nichtbewerbung auf Vermittlungsvorschlag.

Aktenzeichen  L 11 AS 163/16

Datum:
20.7.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 71487
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II § 10 Abs. 1 Nr. 1, § 16 Abs. 1 S. 1, § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 31a Abs. 1 S. 3

 

Leitsatz

Sanktion wegen Nichtbewerbung auf Vermittlungsvorschlag.

Verfahrensgang

S 10 AS 581/15 2016-02-05 GeB SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 05.02.2016 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz – SGG), aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 15.09.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Im Hinblick auf den vollständigen Wegfall seines Anspruchs auf Alg II für die Zeit vom 01.10.2015 bis 31.12.2015 hat der Beklagte auch zu Recht die Bewilligung von Alg II für diesen Zeitraum im Bescheid von 22.09.2015 abgelehnt.
Streitgegenstand ist vorliegend der Bescheid vom 15.09.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2015, mit dem der Beklagte den vollständigen Wegfall des Alg II des Klägers für den Zeitraum vom 01.10.2015 bis 31.12.2015 festgestellt hat. Soweit der Beklagte mit dem Bewilligungsbescheid vom 22.09.2015 für die Zeit vom 01.10.2015 bis 31.12.2015 kein Alg II bewilligt und insofern den Sanktionsbescheid vom 15.09.2015 berücksichtigt hat, ist auch dieser Gegenstand des Verfahrens geworden, da er die leistungsrechtliche Umsetzung der Sanktion darstellt und mit dem Sanktionsbescheid eine rechtliche Einheit bildet (vgl. dazu BSG, Urteil vom 22.03.2010 – B 4 AS 68/09 R; Urteil des Senats vom 06.02.2014 – L 11 AS 535/12).
Ein Anspruch auf Alg II für die Zeit vom 01.10.2015 bis 31.12.2015 besteht nicht. Nach § 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II entfällt nach jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 SGB II das Alg II vollständig. Eine wiederholte Pflichtverletzung liegt nur vor, wenn bereits zuvor eine Minderung festgestellt wurde und nicht der Beginn des vorangegangenen Minderungszeitraums länger als ein Jahr zurückliegt (§ 31a Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB II). Bereits mit den Bescheiden vom 14.11.2014 und 01.12.2014 wurden Pflichtverletzungen des Klägers mit Sanktionszeiträumen vom 01.12.2014 bis 28.02.2015 bzw. 01.01.2015 bis 31.03.2015 festgestellt. Vorliegend liegt im Hinblick auf die Nichtbewerbung bei M. eine weitere wiederholte Pflichtverletzung innerhalb eines Jahres vor. Damit kommt es auch nicht darauf an, ob die vorliegende Pflichtverletzung in Bezug auf die Pflichtverletzung im Zusammenhang mit dem Vermittlungsvorschlag für die Stelle bei P. eine wiederholte Pflichtverletzung darstellt (verneinend bei der gleichzeitigen Ablehnung mehrerer Angebote z. B.: S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Auflage, § 31a Rn. 13; Lauterbach in Gagel, SGB II/SGB III, Stand 03/2016, § 31a SGB II Rn. 7; Münder in LPK-SGB II, 5. Auflage, § 31a Rn. 12). Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II verletzen erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihre Pflichten, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis sich weigern, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen, fortzuführen oder deren Anbahnung durch ihr Verhalten verhindern. Dies gilt nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen (§ 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II).
Der Beklagte hat den Kläger mit dem Vermittlungsvorschlag vom 23.06.2015 aufgefordert, sich bei M. zu bewerben. Der Vermittlungsvorschlag war hinreichend konkret im Hinblick auf die Tätigkeit, Arbeitszeit und Entlohnung. Ihm war eine ordnungsgemäße Rechtsfolgenbelehrung beigefügt. Dabei wurde der Kläger insbesondere darauf hingewiesen, dass ihm wegen den vorangegangenen, festgestellten Pflichtverletzungen der vollständige Wegfall des Alg II drohe. Soweit in der Rechtsfolgenbelehrung auf einen Bescheid vom 23.04.2015 verwiesen wird, der später mit Bescheid vom 03.07.2015 wieder aufgehoben worden ist, ist damit kein Fehler verbunden. Zutreffend hat der Beklagte auf die Möglichkeit des vollständigen Wegfalls des Alg II hingewiesen, denn auch unter Außerachtlassung des Bescheides vom 23.04.2015 waren mit den Bescheiden vom 14.11.2014 und 01.12.2014 zwei vorangegangene Pflichtverletzungen festgestellt worden und zudem war im Zeitpunkt des Vermittlungsvorschlags vom 23.06.2015 der Bescheid vom 23.04.2015 noch nicht aufgehoben gewesen.
Die im Vermittlungsvorschlag benannte Tätigkeit als Spülküchenhilfe in Teilzeit (zur generellen Zumutbarkeit von Teilzeitbeschäftigungen: Rixen in Eicher, SGB II, 3. Auflage, § 10 Rn. 77) war dem Kläger auch zumutbar. Das SG hat bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass kein Grund ersichtlich ist, weshalb die Tätigkeit dem Kläger nicht zumutbar sein soll und hierbei auf § 10 SGB II, der die Zumutbarkeit einer Arbeit im Rahmen des SGB II regelt, verwiesen. Der Kläger hat vorliegend ausgeführt, die Arbeit entspreche nicht seiner bisherigen Qualifikation als Organisationsprogrammierer und Ingenieur. Dies allein führt aber nach § 10 Abs. 2 Nr. 1 SGB II nicht zur Unzumutbarkeit. Weitere in § 10 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 SGB II genannte oder dort unbenannte „sonstige wichtige Gründe“ iSv § 10 Abs. 1 Nr. 5 SGB II (vgl. dazu Rixen a. a. O. Rn. 70 ff) hat der Kläger nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich. Insofern folgt der Senat den Ausführungen des SG im Gerichtsbescheid vom 05.02.2016 und sieht diesbezüglich von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
Mit der nicht vorgenommenen Bewerbung bei M. hat der Kläger damit ohne wichtigen Grund die Aufnahme einer zumutbaren Tätigkeit verweigert. Bei den Stellenangeboten bei P. und M. handelte es sich um verschiedene berufliche Tätigkeiten, da es bei P. um eine Produktionshelferstelle andererseits bei M. um eine (Teilzeit-)Stelle als Küchenspülhilfe gegangen ist. Die Vermittlungsvorschläge können damit, obwohl vom selben Tag stammend, nicht als Einheit und eine fehlende Bewerbung nur als eine Pflichtverletzung betrachtet werden (vgl. dazu LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12.05.2006 – L 10 B 191/06 AS ER). Es besteht kein Unterschied zu dem Fall, dass dem Kläger an verschiedenen Tagen die beiden Vermittlungsvorschläge ausgehändigt worden wären. Dass es zu unterschiedlichen Sanktionszeiträumen gekommen ist, lag an den zeitversetzten Rückmeldungen der Arbeitgeber und den offensichtlich unterschiedlichen vorgesehenen Eintrittsterminen – bei P. sofort, bei M. ab 01.08.2015. Eine Einflussnahme durch den Beklagte im Hinblick auf eine bewusste Verzögerung des Erlasses des Sanktionsbescheides, wodurch sich kraft Gesetz der Sanktionszeitraum ergibt, ist nicht erkennbar.
Da § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II im Hinblick auf die Pflichtverletzung – anders als § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II – nicht auf einen Verstoß gegen Verpflichtungen aus der Eingliederungsvereinbarung oder einem dies ersetzenden Verwaltungsakt abstellt, kommt es vorliegend auf die Rechtmäßigkeit des eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Bescheides vom 25.03.2015 nicht an. Insbesondere richtet sich die Zumutbarkeit einer angebotenen Arbeit nach § 10 SGB II und nicht nach der Eingliederungsvereinbarung oder einen diese ersetzenden Verwaltungsakt. Der Kläger hat sich auch nicht nachträglich bereit erklärt, seinen Pflichten nachzukommen, so dass eine Reduzierung der Minderung des Alg II auf 60 vH des maßgeblichen Regelbedarfs nach § 31a Abs. 1 Satz 6 SGB II nicht zu prüfen war.
Im Rahmen des Sanktionsbescheides vom 11.08.2015 ist der Kläger darauf hingewiesen worden, bei Wiedereintritt in den Leistungsbezug – für den Sanktionszeitraum waren bei Erlass des Sanktionsbescheides noch kein Bewilligungsbescheid erlassen worden – die Möglichkeit der Beantragung von Sachleistungen zu haben. Dabei regelt § 31a Abs. 3 Satz 1 SGB II ausdrücklich, dass diese Ermessensleistungen nur auf Antrag zu erbringen sind; minderjährige Kinder leben nicht im Haushalt des Klägers.
Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Sanktionsregelungen teilt der Senat nicht. Insbesondere sind vom Bundesverfassungsgericht keine voraussetzungslosen steuerfinanzierten Staatsleistungen gefordert worden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.07.2010 – 1 BvR 2556/09; BSG, Urteil vom 09.11.2010 – B 4 AS 27/10 R; Beschluss des Senats vom 25.08.2015 – L 11 AS 558/15 B ER).
Die Berufung war demnach zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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