Sozialrecht

Verfahren zur Feststellung der Behinderung

Aktenzeichen  S 15 SB 479/17

Datum:
11.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 53961
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB IX § 2 Abs. 1 S. 1, § 152 Abs. 3 S. 1
SGG § 65a Abs. 4, § 105, § 109, § 183, § 193
SGB X § 48 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 23.03.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten hat der Beklagte nicht zu erstatten.  

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass ein Gesamt-GdB von mindestens 50 festgestellt wird.
Der Bescheid des Beklagten vom 23.03.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Das Vorliegen einer Behinderung und der Grad der Behinderung (GdB) wird auf Antrag des behinderten Menschen, nach 10er Graden abgestuft, festgestellt (vgl. § 152 Abs. 1 Satz 5 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch – SGB IX). Eine Behinderung liegt vor, wenn bei einem Menschen durch eine körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigung im Zusammenwirken mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren eine Einschränkung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gegeben ist und zwar für mehr als 6 Monate (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX).
Maßgebend für den Gesamt-GdB ist, wie sich die verschiedenen Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit auswirken. Dies ist durch eine natürliche, wirklichkeitsorientierte und funktionale Betrachtung zu ermitteln, die auf medizinischen Erkenntnissen beruht. Die hier vorzunehmende Schätzung beginnt mit den am höchsten bewerteten Beeinträchtigungen (Ausgangs-GdB); für jede weitere – mit einem Einzel-GdB bewertete – Beeinträchtigung ist dann zu prüfen, ob das Ausmaß und die Schwere der Behinderung damit insgesamt wachsen und welchen Umfang die Zunahme – ausgedrückt in einer Erhöhung des Ausgangs-GdB’s hat – wobei mathematische Formeln auch die Addition der Einzel-GdB-Grade nicht statthaft ist (vgl. etwa im Urteil des Bayer. Landessozialgerichts vom 30.06.2010, Az.: L 16 SB 22/07).
Des Weiteren kann ein bestandskräftiger Bescheid (hier der Bescheid vom 21.02.2013) nur dann aufgehoben werden, soweit eine Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse eingetreten ist, die bei seinem Erlass zugrunde lagen (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X).
Nach dem schlüssigen und überzeugenden Gutachten von Dr. H. vom 23.07.2018 ist der Gesamt-GdB beim Kläger mit 40 zureichend bewertet. Nach seinem Gutachten liegt der Ausgangs-GdB bei 30 für die Funktionsstörungen an der Wirbelsäule. Im Rahmen der ambulanten Untersuchung bei Dr. H. zeigte sich eine leicht- bis mittelgradige Einschränkung der HWS- und LWS-Beweglichkeit. Ausgehend vom Dermatom S1 links war eine leichte Schwäche der Fußheber- und -senkermuskulatur links (Kraftgrad 4/5) feststellbar. Darüber hinaus wurde im neurologischen Befundbericht vom 16.03.2018 von einem neuropathischen Schmerzsyndrom im Dermatom S1 links berichtet. Nach den „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“ (VG) Ziffer B 18.9 (S. 110) ist die Bewertung des Funktionssystems „Wirbelsäule“ mit einem Einzel-GdB von 30 nachvollziehbar.
Ein Einzel-GdB von 20 besteht für eine Funktionsbehinderung beider Kniegelenke (nach sämtlichen vorliegenden Gutachten).
Nach Meinung des Gerichts sollte auch (weiterhin) ein Einzel-GdB von 20 für das Schlafapnoe-Syndrom vergeben werden, wenn der Kläger auch derzeit keine Maskenbeatmung durchführt. Es besteht nach wie vor, wie Dr. W. (in der Stellungnahme vom 28.01.2019) zu Recht betont hat, die Notwendigkeit einer Maskenbeatmung wegen des vorliegenden Schlafapnoe-Syndroms. Die rechtfertigt nach VG Ziff. 8.7, Seite 64 einen Einzel-GdB von 20.
Bezüglich der Funktionsbehinderung beider Schultergelenke geht Dr. H. anders als Dr. C. davon aus, dass hierfür ein Einzel-GdB von 10 ausreicht. Dr. H. führt dazu aus, dass zwar Beschwerden an beiden Schultergelenken vorliegen. Es ist auch eine Ruptur der Supraspinatussehne rechts im Jahr 2007 sowie ein seit 2016 bestehendes Impingement der linken Schulter bei Supraspinatussehnen-Teilruptur nachgewiesen. Im Rahmen der Untersuchung bei Dr. H. war die Beweglichkeit der Schultern aber nur leichtgradig eingeschränkt. Bei der Begutachtung im Rahmen des Streitverfahrens S 3 R 672/16 durch  Dr. N. (vom 02.02.2018) war die Beweglichkeit der Schultern völlig frei. Bei diesem Befund ist es nicht nachvollziehbar, einen höheren GdB als 10 anzunehmen (nach Ziff. B 18.13 S. 114 der VG). Es ist durch die vorliegenden Befunde nicht erklärbar, weshalb es zwischen der Untersuchung durch Dr. H. am 23.07.2018 und der Untersuchung durch Dr.C. am 07.12.2018 bezüglich der Schulterbeweglichkeit zu einer wesentlichen Verschlechterung gekommen sein sollte. Selbst wenn man das von Dr. C. erstellte Messblatt für die oberen Gliedmaßen zugrunde legt, kommt man nicht auf einen Einzel-GdB von mindestens 20 für die Schultergelenke. Auch er hat nur eine leichtgradige Bewegungseinschränkung festgestellt.
Alles in allem geht das Gericht auch mit der Einschätzung des Gesamt-GdB mit 40 durch Dr. H. im Gutachten vom 23.07.2018 und Dr. W. in der Stellungnahme vom 28.01.2019 konform, weil der Ausgangs-GdB nur 30 beträgt und die leichteren Gesundheitsstörungen, die lediglich einen Einzel-GdB von 20 bedingen, vielfach nicht zu einer deutlichen Erhöhung des Ausgangs-GdB führen (vgl. VG Ziff. A 3) d) ee)).
Aus den genannten Gründen ist davon auszugehen, dass der Beklagte im Bescheid vom 23.03.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.08.2017 zu Recht nur einen Gesamt-GdB von 40 festgestellt hat. Die Klage dagegen war somit abzuweisen.
Das Gericht konnte über die Klage im Wege eines Gerichtsbescheides nach § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, weil die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweist und der Sachverhalt nach den eingeholten Gutachten geklärt ist.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 183, 193 SGG.


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